Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Romantiker

Just in jenen Momen­ten, als die Pro­te­ste in Istan­bul und in vie­len wei­te­ren Städ­ten der Tür­kei sich erho­ben, gefolgt von star­ken Repres­sio­nen, nahm ich erneut den Roman Die Roman­ti­ker von Nazim Hik­met in die Hän­de. Wie­der ein­mal Nazim Hik­met, der gro­ße Poet und Roman­cier, des­sen Gedich­te und Geschich­ten mich schon so vie­le Jah­re beglei­ten. Ein bemer­kens­wer­ter Satz, der ihm zuge­schrie­ben wird und der sich mir ins Gedächt­nis ein­ge­prägt hat, besagt, dass er stolz dar­auf war, kein Gefäng­nis ver­las­sen zu haben, ohne dass sei­ne Mit­häft­lin­ge Lesen und Schrei­ben konn­ten. Und er, auch immer ein poli­ti­scher Akti­vist, ver­brach­te viel Lebens­zeit hin­ter Gefäng­nis­mau­ern. Wie unbe­quem er für die Herr­schen­den war, ist auch dar­an abzu­le­sen, dass bis 1965 ein strik­tes Publi­ka­ti­ons­ver­bot in der Tür­kei bestand und er erst 2009, sechs­und­vier­zig Jah­re nach sei­nem Tod, post­hum die tür­ki­sche Staats­bür­ger­schaft wie­der bekom­men hatte.

Doch zurück zu Die Roman­ti­ker, denn so wie die 20er Jah­re des 21. Jahr­hun­dert so vol­ler Erschüt­te­run­gen und Wir­run­gen gebeu­telt sind, trägt uns sein Roman, gleich einem Wir­bel­wind der Kunst­fer­tig­keit, rund hun­dert Jah­re zurück an Schau­plät­ze vor­ma­li­ger Erschüt­te­run­gen und Bruch­li­ni­en, die durch Ana­to­li­en, Istan­bul und bis nach Mos­kau der 1920er ver­lau­fen. Das Buch gibt Ein­blicke in die Zeit nach dem ersten Welt­krieg und der dar­aus resul­tie­ren­den gewal­ti­gen Umbrü­che. Vor­der­grün­dig geht es in der Geschich­te, die sehr star­ke auto­bio­gra­fi­sche Züge trägt, um den jun­gen Kom­mu­ni­sten Ahmet, der sich 1924 ver­meint­lich mit Toll­wut infi­ziert und sich vor der Poli­zei in einer abge­le­ge­nen Hüt­te in Ana­to­li­en ver­steckt hält. Wäh­rend die­ser Inku­ba­ti­ons­zeit lässt er sein Leben Revue pas­sie­ren und hul­digt einer gro­ßen Liebe.

Was aber Nazim Hik­met aus die­ser Grund­kon­stel­la­ti­on an schrei­be­ri­schem Witz und Poe­sie an den Tag beför­dert ist ein Tanz der Wor­te, auf den man sich voll und ganz ein­las­sen muss, denn es for­dert die Lese­ge­wohn­hei­ten mit bestän­di­gen Per­spek­ti­ven- und Zeit­wech­sel heraus.

Dazu muss erläu­tert wer­den, dass Hik­met die­sen Roman zwar in den 1920er Jah­ren begon­nen hat, ihn jedoch erst Jahr­zehn­te spä­ter im Mos­kau­er Exil, wo er auch 1963 ver­starb, been­det und über­ar­bei­tet hat­te. Wie schon ange­merkt. mag es zu Beginn nicht ohne Mühe sein, sei­nen Schrit­ten, die mit­un­ter Sprün­ge sind, zu fol­gen, doch hat man sich an die oben schon erwähn­ten bestän­di­gen Wech­sel gewöhnt, treibt man ein­fach nur noch mit Genuss durch die bewe­gen­den Sze­ne­rien und wird schluss­end­lich der Haupt­fi­gur zustim­men, wenn sie an einer Stel­le kund­tut: »Mensch, das Leben ist schön!«

Nazim Hik­met: Die Roman­ti­ker. Suhr­kamp, Frank­furt am Main 2008, 264 S., 18 €.