Just in jenen Momenten, als die Proteste in Istanbul und in vielen weiteren Städten der Türkei sich erhoben, gefolgt von starken Repressionen, nahm ich erneut den Roman Die Romantiker von Nazim Hikmet in die Hände. Wieder einmal Nazim Hikmet, der große Poet und Romancier, dessen Gedichte und Geschichten mich schon so viele Jahre begleiten. Ein bemerkenswerter Satz, der ihm zugeschrieben wird und der sich mir ins Gedächtnis eingeprägt hat, besagt, dass er stolz darauf war, kein Gefängnis verlassen zu haben, ohne dass seine Mithäftlinge Lesen und Schreiben konnten. Und er, auch immer ein politischer Aktivist, verbrachte viel Lebenszeit hinter Gefängnismauern. Wie unbequem er für die Herrschenden war, ist auch daran abzulesen, dass bis 1965 ein striktes Publikationsverbot in der Türkei bestand und er erst 2009, sechsundvierzig Jahre nach seinem Tod, posthum die türkische Staatsbürgerschaft wieder bekommen hatte.
Doch zurück zu Die Romantiker, denn so wie die 20er Jahre des 21. Jahrhundert so voller Erschütterungen und Wirrungen gebeutelt sind, trägt uns sein Roman, gleich einem Wirbelwind der Kunstfertigkeit, rund hundert Jahre zurück an Schauplätze vormaliger Erschütterungen und Bruchlinien, die durch Anatolien, Istanbul und bis nach Moskau der 1920er verlaufen. Das Buch gibt Einblicke in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und der daraus resultierenden gewaltigen Umbrüche. Vordergründig geht es in der Geschichte, die sehr starke autobiografische Züge trägt, um den jungen Kommunisten Ahmet, der sich 1924 vermeintlich mit Tollwut infiziert und sich vor der Polizei in einer abgelegenen Hütte in Anatolien versteckt hält. Während dieser Inkubationszeit lässt er sein Leben Revue passieren und huldigt einer großen Liebe.
Was aber Nazim Hikmet aus dieser Grundkonstellation an schreiberischem Witz und Poesie an den Tag befördert ist ein Tanz der Worte, auf den man sich voll und ganz einlassen muss, denn es fordert die Lesegewohnheiten mit beständigen Perspektiven- und Zeitwechsel heraus.
Dazu muss erläutert werden, dass Hikmet diesen Roman zwar in den 1920er Jahren begonnen hat, ihn jedoch erst Jahrzehnte später im Moskauer Exil, wo er auch 1963 verstarb, beendet und überarbeitet hatte. Wie schon angemerkt. mag es zu Beginn nicht ohne Mühe sein, seinen Schritten, die mitunter Sprünge sind, zu folgen, doch hat man sich an die oben schon erwähnten beständigen Wechsel gewöhnt, treibt man einfach nur noch mit Genuss durch die bewegenden Szenerien und wird schlussendlich der Hauptfigur zustimmen, wenn sie an einer Stelle kundtut: »Mensch, das Leben ist schön!«
Nazim Hikmet: Die Romantiker. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, 264 S., 18 €.