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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Rückkehr der frauenlosen Wehrpflicht

Der ober­ste Kaf­fee­satz­le­ser der Bun­des­wehr heißt Car­sten Breu­er, sein offi­zi­el­ler Titel ist »Gene­ral­inspek­teur«. Als sol­cher erklärt er pau­sen­los jedem und jeder, egal ob sie es hören wol­len oder nicht, dass Putin ab 2029 in der Lage ist, die Nato anzu­grei­fen. Des­halb, so sein Fazit, muss die Per­so­nal­stär­ke der Bun­des­wehr (von jetzt 183 000) auf 460 000 auf­ge­stockt wer­den. Mag sein, dass er wirk­lich sei­ne eige­nen Pro­gno­sen glaubt, viel­leicht ist er auch nur einer der übli­chen Wich­tig­tu­er. Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Pisto­ri­us jeden­falls ist es gelun­gen, das Adjek­tiv »kriegs­tüch­tig« wie­der ver­wen­dungs­fä­hig zu machen und unters Volk zu brin­gen. Immer wie­der ver­kün­det er, Deutsch­land müs­se »einen Krieg füh­ren« kön­nen. Man fragt sich: Wes­halb nur füh­ren? Blo­ßes »Krieg füh­ren« ist ja nicht, wie man heu­te so schön sagt, zielfüh­rend. War­um sagt er nicht, dass Deutsch­land einen Krieg gewin­nen müs­se? Ver­mut­lich, weil alle sofort das unaus­ge­spro­che­ne »end­lich mal« mit­hö­ren würden.

Jeden­falls müss­te, um die behaup­te­te Soll-Stär­ke zu errei­chen, die Wehr­pflicht wie­der ein­ge­führt wer­den. CDU/​CSU und AfD wün­schen sich das sowie­so, denn Kanz­ler Merz will die Bun­des­wehr »kon­ven­tio­nell zur stärk­sten Armee Euro­pas« machen. Die SPD dage­gen setzt auf Frei­wil­lig­keit – »zunächst«. Am 14. Mai sag­te Pisto­ri­us im Bun­des­tag: »Wir haben uns ver­ab­re­det, dass wir zunächst auf Frei­wil­lig­keit set­zen, einen Wehr­dienst schaf­fen, der zunächst auf Frei­wil­lig­keit beruht und jun­ge Men­schen dazu ani­mie­ren soll, Dienst für ihr Land zu lei­sten. Und ich sage ganz bewusst und ehr­lich, die Beto­nung liegt auch auf zunächst, falls wir nicht hin­rei­chend Frei­wil­li­ge gewin­nen kön­nen.« Soll hei­ßen: Wenn sich nicht genü­gend Kano­nen­fut­ter frei­wil­lig mel­det, dann gibt es wie­der, wie zwi­schen 1956 und 2011, die Gestel­lungs­be­feh­le, vul­go: Ein­be­ru­fungs­be­schei­de. Unter­stellt man Pisto­ri­us, dass er ehr­lich ist, dann muss man zuge­ben, dass er aber auch ein biss­chen dumm ist. Oder er stellt sich nur dumm und tut so, als ken­ne er das Grund­ge­setz nicht, dann ist er nicht ehrlich.

Da laut Grund­ge­setz Arti­kel 3 Män­ner und Frau­en gleich­be­rech­tigt sind und nie­mand wegen sei­nes Geschlechts benach­tei­ligt oder bevor­zugt wer­den darf, müss­te bei einer Revi­ta­li­sie­rung des Wehr­pflicht­ge­set­zes die­ses erst geän­dert wer­den. Des­sen Para­graph 1 Absatz 1 erklärt: »Wehr­pflich­tig sind alle Män­ner vom voll­ende­ten 18. Lebens­jahr an, die Deut­sche im Sin­ne des Grund­ge­set­zes sind« – und stellt ganz offen­sicht­lich einen Ver­stoß gegen Arti­kel 3 des Grund­ge­set­zes dar. Dass das die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten bei der Ein­füh­rung des Geset­zes 1956 über­se­hen haben, darf man ruhig ihrer dama­li­gen Bor­niert­heit (vie­le waren ja auch noch ehe­ma­li­ge Nazis) zuschrei­ben. Dass es dann aber über all die Jah­re nie­man­dem auf­fiel, ist schon bla­ma­bel. Aller­dings wider­spricht auch das Grund­ge­setz selbst sei­nem eige­nen Art 3, näm­lich im Arti­kel 12a, wel­cher in Absatz 1 besagt: »Män­ner kön­nen vom voll­ende­ten acht­zehn­ten Lebens­jahr an zum Dienst in den Streit­kräf­ten, im Bun­des­grenz­schutz oder in einem Zivil­schutz­ver­band ver­pflich­tet wer­den«, und für Frau­en in Absatz 4 fest­hält: »Sie dür­fen auf kei­nen Fall zum Dienst mit der Waf­fe ver­pflich­tet wer­den.« Ein Selbst­wi­der­spruch in der Ver­fas­sung? So etwas muss man als Par­la­ment auch erst­mal hinbekommen.

Und das kam so: Als die Ade­nau­er-Regie­rung zehn Jah­re nach Kriegs­en­de gegen den Wil­len der über­gro­ßen Mehr­heit des Vol­kes ganz unde­mo­kra­tisch die Wie­der­be­waff­nung 1955 end­lich durch­ge­drückt hat­te, muss­te das Grund­ge­setz geän­dert wer­den. Dem dama­li­gen Rechts­aus­schuss kam es dar­auf an, erklär­te spä­ter die CDU-Abge­ord­ne­te Eli­sa­beth Schwarz­haupt, »dass unse­re Auf­fas­sung von der Natur und der Bestim­mung der Frau einen Dienst mit der Waf­fe ver­bie­tet«. Zu die­ser »Bestim­mung« der Frau gehör­te es sei­ner­zeit, Leben zu schen­ken, statt zu ver­nich­ten. Irgend­wie logisch, wenn man so will. Des­halb kamen Frau­en, die sich frei­wil­lig zur Bun­des­wehr mel­de­ten, ent­we­der zum Sani­täts­dienst oder ins Musik­korps, aber nicht ans Gewehr oder in den Panzer.

Im Janu­ar 2000 jedoch ent­schied der EuGH (nach Kla­ge einer »gewalt­be­rei­ten« Frau), dass der Aus­schluss der Frau­en vom Dienst mit der Waf­fe gegen EU-Recht und des­sen Grund­satz der Gleich­stel­lung von Män­nern und Frau­en ver­stößt. Die Bun­des­wehr muss­te nun Frau­en auch zum Waf­fen­dienst zulas­sen, und immer mehr Frau­en wur­den Sol­da­tin­nen und lern­ten – hoch moti­viert – schie­ßen. Es gibt also kei­nen Grund mehr, aus dem Grund­ge­setz und Wehr­pflicht­ge­setz nur Män­ner zum Kriegs­dienst zu ver­pflich­ten, Frau­en jedoch nicht. Wür­de eine ech­te Wehr­pflicht wie­der ein­ge­führt, müss­te logi­scher­wei­se vor­her nicht nur das Wehr­pflicht­ge­setz, son­dern auch der Arti­kel 12a im Grund­ge­setz geän­dert wer­den. Dazu wäre eine Zwei­drit­tel­mehr­heit im Bun­des­tag erfor­der­lich. Uni­on, SPD und Grü­ne wür­den sie allein nicht zusam­men­be­kom­men. Die Lin­ke aber wird so einer Ände­rung kei­nes­falls zustim­men. Bleibt nur noch die AfD. Die wür­de es natür­lich mit Begei­ste­rung tun. Aber kön­nen die Koali­ti­on, ihr Kriegs­mi­ni­ster und ihre angeb­li­che Brand­mau­er das wirk­lich wollen?

Es fällt doch auf, dass die­se Fra­ge in den seit Mona­ten anhal­ten­den Dis­kus­sio­nen über die Wie­der­ein­füh­rung der Wehr­pflicht igno­riert wird, dass alle Wehr-, Ver­tei­di­gungs- und Kriegs­po­li­ti­ker in den Par­tei­en, alle Exper­ten samt der jour­na­li­sti­schen Meu­te, die sich des The­mas annimmt, nach dem Mot­to des Leh­rers Böm­mel aus dem Film Die Feu­er­zan­gen­bow­le (von 1944) ver­fah­ren: »Da stel­le ma uns mal janz dumm.« Und wie immer gehen sie davon aus, dass die Bevöl­ke­rung auch so dumm ist, wie sie sich stellen.

Es bleibt der Koali­ti­on am Ende nur die Hoff­nung, dass, wenn ein jun­ger Mann nach sei­ner Ein­be­ru­fung auf Grund­la­ge von Grund­ge­setz Arti­kel 3 klagt, er wer­de ver­fas­sungs­wid­rig »benach­tei­ligt«, sich auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ganz dumm stellt (ja, sogar das kommt immer wie­der mal vor) und zur Ent­schei­dung gelangt, dass die­se Ver­pflich­tung – aus wel­chen nicht nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den auch immer – kei­ne Benach­tei­li­gung dar­stellt. Gegen eine sol­che ober­ste Dumm­heit wäre dann kein Kraut gewach­sen. Car­sten Breu­er dürf­te auf­at­men. Was aber, wenn der Rus­se 2029 (wie­der) nicht angreift? Dann haben ihn Merz und Pisto­ri­us so erfolg­reich abge­schreckt, dass er sich eben nicht traut. Der Gedan­ke, dass er gar nicht will, ist nicht gestattet.