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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Betonberg für die Kultur

Der erste Kri­ti­ker war ein Fuchs. Mit sei­nen Pfo­ten hin­ter­ließ er einen Kom­men­tar im feuch­ten Beton. Er war über das bis dahin letz­te Fleck­chen gelau­fen, das noch nicht zuge­pfla­stert wor­den war. Jetzt aber hat­te man auch die­sen Rest Erde ver­sie­gelt. Zwi­schen Kul­tur­fo­rum und Pots­da­mer Platz, Phil­har­mo­nie und Mat­thäi­kirch­platz nur noch Beton. Die her­bei­ge­karr­ten Bäu­me stan­den in Kübeln – ver­mut­lich nur an jenem Wochen­en­de im Okto­ber, als man den Roh­bau zur Besich­ti­gung frei­gab. In luf­ti­ger Höhe und unter blitz­blau­em Him­mel hing die am Vor­tag auf­ge­zo­ge­ne Richt­kro­ne, die Bän­der weh­ten im leich­ten Herbst­wind, und vorm Bau­zaun war­te­ten die Besu­cher gedul­dig, dass ihre aus­schließ­lich online erwor­be­nen Tickets gescannt und sie ein­ge­las­sen wur­den. Ein Drit­tel des Beton­bun­kers auf knapp einem Hekt­ar Boden war zur Besich­ti­gung frei­ge­ge­ben, und dass des­sen 2023 begon­ne­ne Errich­tung sich nicht um eine Maß­nah­me von Pisto­ri­us im Rah­men sei­ner Kriegs­er­tüch­ti­gung han­del­te, son­dern um eine kul­tur­po­li­ti­sche Groß­tat, hat­te die Anwe­sen­heit des Kul­tur­staats­mi­ni­sters beim Richt­fest am Vor­tag deut­lich gemacht. Groß in der Tat: Eine hal­be Mil­li­ar­de wird hier vor­baut. Wir wis­sen aber auch: Sol­che Zah­len sind gro­be Schät­zun­gen. Die Elb­phil­har­mo­nie in Ham­burg soll­te mal 77 Mil­lio­nen kosten, am Ende waren es 866 Mil­lio­nen. Den Ent­wurf hat­te sei­ner­zeit das Archi­tek­ten­bü­ro Her­zog & de Meu­ron gelie­fert. Wol­len wir hof­fen, dass dies kein schlech­tes Omen ist – das Kon­zept für die­sen Ber­li­ner »Beton­berg« (FAZ) kommt näm­lich aus dem glei­chen Schwei­zer Hau­se. Schon hat man auch die Eröff­nung von 2028 auf 2029 verschoben …

Also die Kri­tik des Fuch­ses. Wir sahen die Spu­ren im Beton und amü­sier­ten uns über die bun­te Zeich­nung auf dem Blatt, das jemand an die Beton­wand geklebt hat­te. »Spu­ren vom Bau­stel­len­fuchs« stand dort, womit man einer­seits dem Prin­zip gefolgt war, in den zur Besich­ti­gung frei­ge­ge­be­nen Räu­men auf pro­fes­sio­nell gefer­tig­ten Tafeln die künf­ti­ge Nut­zung mit­zu­tei­len, ande­rer­seits aber auch mit jenem Prin­zip brach. Die­sen Aus­hang hat­te kei­ne Agen­tur gefer­tigt, der Text war nicht zwei­spra­chig und die Befe­sti­gung mit simp­len Kle­be­strei­fen erfolgt. Der krea­ti­ve Kopf, der hin­ter die­sem Blatt steck­te, wird wohl – so neh­me ich an – nicht nur dem Grund­satz der Archi­tek­tur gefolgt sein: Was sich nicht ver­ber­gen lässt, muss man beto­nen. Viel­leicht hat­te er damit sub­til auf die Anwe­sen­heit von Tie­ren wie auf die wei­te­re Beschrän­kung ihres Lebens­rau­mes hin­wei­sen wollen.

Auf dem Weg hier­her waren wir durch den herbst­bun­ten Tier­gar­ten geschlen­dert und dadurch sehr glück­se­lig gestimmt. Die Son­ne wärm­te das Herz und die Luft, wes­halb nicht weni­ge Men­schen mit uns fla­nier­ten oder auf dem grü­nen Gras lagen, was mei­ne Tau­be in eine über­schwäng­li­che Lie­bes­er­klä­rung aus­bre­chen ließ. Ach, flö­te­te sie, das sei das Schö­ne an Ber­lin, dass man schon nach weni­gen Metern mit­ten in der Natur ist.

Das galt aber auch in der Umkeh­rung. Nach­dem wir die Tier­gar­ten­stra­ße über­quert hat­ten, gab es nur noch Asphalt, Beton und Form­stei­ne. Der wuch­ti­ge Roh­bau, zu des­sen Besich­ti­gung ein­ge­la­den wor­den war (Ein­tritt sechs Euro), erschien nur noch als Schluss­stein auf einer rie­si­gen Beton­plat­te. Einer in jeder Hin­sicht teu­ren. Exper­ten hat­ten errech­net, dass jeder Qua­drat­me­ter Aus­stel­lungs­flä­che genau 58.555 Euro kosten wer­de, was mehr als drei­ein­halb­mal so viel sei wie jede ver­gleich­ba­re Insti­tu­ti­on dafür aus­gibt. Selbst das über­teu­er­te Hum­boldt-Forum am/​im Ber­li­ner Schloss beschied sich mit 21.000 Euro pro Qua­drat­me­ter Aus­stel­lungs­flä­che. Die exor­bi­tan­ten Zah­len geben Anlass, schon jetzt vom »teu­er­sten Muse­ums­neu­bau der deut­schen Geschich­te« (Tages­spie­gel) zu spre­chen. Das sei ein Skan­dal, mein­te die Haupt­stadt-Postil­le, »der in kei­ner­lei Hin­sicht zu unse­rer Zeit passt, weder mit der immer noch mise­ra­blen Öko-Gesamt­bi­lanz, der Raum­ver­geu­dung, den Kosten«. Dazu kann der Zyni­ker ein­wer­fen, dass jeder Tag Krieg in der Ukrai­ne nach Anga­ben ihres Finanz­mi­ni­sters umge­rech­net mehr als 120 Mil­lio­nen Euro kostet. So gese­hen wird dort jede Woche ein sol­ches Bau­werk ver­pul­vert. (Nicht zu reden von der Öko-Bilanz. In den ersten drei Jah­ren des Krie­ges sol­len dort so vie­le kli­ma­schäd­li­che Treib­haus­ga­se pro­du­ziert wor­den sein wie Öster­reich, Ungarn, Tsche­chi­en und die Slo­wa­kei zusam­men in einem Jahr; die Kosten der übri­gen Umwelt­ver­schmut­zung belie­fen sich auf knapp vier­zig Mil­li­ar­den Euro …)

Nun, wir wol­len nicht beck­mes­se­risch und klein­ka­riert urtei­len. Aufs Dach des Hau­ses kommt schließ­lich eine Pho­to­vol­ta­ik­an­la­ge, und Land­schafts­ar­chi­tek­ten arbei­ten bereits an einem Bepflan­zungs­kon­zept. Außer­dem ent­ste­hen Arbeits­plät­ze: in Depots und Werk­stät­ten, in den gastro­no­mi­schen Ein­rich­tun­gen und im geplan­ten Kino. Nicht zu reden vom Aufsichtspersonal.

Braucht man eine sol­che Ein­rich­tung, in der die Kunst des 20. Jahr­hun­derts gezeigt wird? Gewiss. Bil­der und Pla­sti­ken aus dem 19. Jahr­hun­dert sind im Neu­en Muse­um zu sehen und zeit­ge­nös­si­sche Kunst im Ham­bur­ger Bahn­hof. Die Neue Natio­nal­ga­le­rie, die­ser gran­dio­se Bau Mies van der Rohes, plat­ze aus allen Näh­ten, heißt es, wes­halb ein wei­te­res Haus für die Kunst des 20. Jahr­hun­derts nötig ist. Und weil das Are­al dane­ben aus­ge­wählt wur­de, sprach man ursprüng­lich von einer »Erwei­te­rung« der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie. Es war des­halb auch ein unter­ir­di­scher Ver­bin­dungs­tun­nel im Gespräch, bis man bemerk­te, dass dort in der Erde eine Hoch­span­nungs­lei­tung liegt, deren Ver­le­gung Rie­sen­ko­sten ver­ur­sa­chen wür­de. Also gestri­chen. Doch ein Zusam­men­hang zwi­schen bei­den Häu­sern ist ohne­hin nicht mehr gege­ben, denn das Sat­tel­dach des Neu­baus über­ragt die hori­zon­ta­le Linie der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie, die als Höhen­vor­ga­be nicht nur vom Denk­mal­schutz gefor­dert wor­den war. Der »edel­ste deut­sche Muse­ums­bau der Nach­kriegs­zeit« wer­de dadurch »regel­recht degra­diert«, befand der Archi­tek­tur­kri­ti­ker Niko­laus Ber­nau, wor­in ihm kei­nes­wegs zu wider­spre­chen ist.

Man kann es auch noch deut­li­cher sagen. Den archi­tek­to­ni­schen Soli­tä­ren in die­sem Are­al wird ein wei­te­res auf­fäl­li­ges Ein­zel­stück hin­zu­ge­fügt, das allein durch sei­ne Grö­ße sehr domi­nant ist. Soli­tä­re aber geben kein har­mo­ni­sches städ­te­bau­li­ches Gan­zes. So gese­hen ist die­ser Block nur die logi­sche Fort­set­zung der Unwirt­lich­keit des Pots­da­mer Plat­zes. »Zeit­los modern«, rüh­men die Archi­tek­ten, die an die­ser Stadt­ver­schan­de­lung betei­ligt waren, »Mei­ster­wer­ke moder­ner Archi­tek­tur«, »leben­di­ges Sym­bol der Stadt­ent­wick­lung und -erneue­rung« und was es sonst noch an Über­trei­bun­gen gibt. Der häss­li­che Pots­da­mer Platz ist ein Ver­kehrs­kno­ten­punkt mit mehr­spu­ri­gen Auto­stra­ßen, er ist men­schen­un­freund­lich und wirt­schaft­lich so gut wie tot. Man schlen­de­re nur durch die Pas­sa­gen und zäh­le die Fen­ster, hin­ter denen der Leer­stand wohnt.

Die Ber­li­ner Zei­tung hofft dar­auf, dass man sich »die Scheu­ne« über die Jah­re »ange­nehm weg­gucken« wer­de. So geht es immer in Ber­lin. Erst wird gemeckert und dann macht man sei­nen Frie­den. Wie heißt es: Die Zeit heilt alle Wun­den. Das Ärger­nis wie auch das Tröst­li­che besteht dar­in, dass bau­li­che »Wun­den« in der Regel die Gene­ra­tio­nen über­dau­ern, die dar­un­ter litten.

Ich gönn­te mir am Abend ein Glas Ard­beg An Oa. Mit 46,6 Pro­zent ließ sich viel­leicht die Zeit verkürzen.