Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Ein Brief an meinen Abgeordneten

Lie­ber Metin Hak­ver­di, wir müs­sen reden. So von Gewerk­schaf­ter zu Gewerk­schaf­ter. Von Ber­ge­dor­fer zu Ber­ge­dor­fer. Denn, es ist mir pein­lich, ich habe Sie gewählt. Natür­lich nicht mit der Zwei­stim­me, soviel Links muss sein. Aber mit der ersten. Ich dach­te, bes­ser Sie als der von der CDU. Oder am Ende gar der von der AfD. Jeden­falls bes­ser als Merz. Immer­hin war das ja mal der Wahl­kreis von Hel­mut Schmidt, Her­bert Weh­ner oder Hans Ulrich Klo­se. Da möch­te man irgend­wie nicht, dass sich das poli­ti­sche Gesocks dar­an vergreift.

Brunz­dumm von mir natür­lich, ich gebe es zu. Sel­ber schuld. Alter schützt vor Tor­heit nicht. Was will man machen. »Das Leben ist wie eine Schach­tel Pra­li­nen, man weiß nie, was man bekommt« (For­rest Gump).

Oder darf ich Metin sagen, so unter alten Kol­le­gen der Gewerk­schaft, die du in dei­nem Namen trägst? Kaum zu glau­ben, wo du über­all Mit­glied bist, lie­ber Kol­le­ge, im THW, im Unter­aus­schuss Euro­pa, im SPD-Gesprächs­kreis USA/​Nordamerika, in der Atlan­tik­brücke, im Aus­wär­ti­gen Aus­schuss des Bun­des­ta­ges, im Aus­schuss für die Ange­le­gen­hei­ten der Euro­päi­schen Uni­on, um nur weni­ges zu nen­nen – und neu­er­dings auch als Koor­di­na­tor der Bun­des­re­gie­rung für trans­at­lan­ti­sche Zusam­men­ar­beit unter­wegs für Mini­ster Wade­phul und sei­nen Außenkanzler.

Was macht so ein Koor­di­na­tor eigent­lich? Wen oder was koor­di­niert er wohl und wo und war­um, fragt sich der Wäh­ler. Es steht auf der Web­sei­te des Aus­wär­ti­gen Amtes, das für dich zustän­dig ist. Oder umge­kehrt. Er netz­wer­kelt und baut an der trans­at­lan­ti­schen Brücke, soweit ihre »zen­tra­len Pfei­ler deut­scher Außen­po­li­tik« in den USA und Kana­da ste­hen. Da gibt es »viel­fäl­ti­ge gesell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Bezie­hun­gen«, die es »nach­hal­tig zu för­dern« gilt. Ver­mut­lich macht das sonst wie­der kei­ner. Und des­halb brau­chen der CDU-Außen­mi­ni­ster und sein CDU-Außen­kanz­ler jetzt die Bera­tung des »US-Exper­ten der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on« (Ham­bur­ger Abend­blatt). Es gibt schließ­lich eine »gro­ße Schnitt­men­ge von gemein­sa­men Inter­es­sen, Her­aus­for­de­run­gen und fun­da­men­ta­len Wer­ten«, da kann man schnell mal den Über­blick ver­lie­ren als gestress­te Spit­zen­kraft der Exe­ku­ti­ve. Gut, dass da die Legis­la­ti­ve eine Brücke schlägt über die Schnei­se der Gewal­ten­tei­lung. Übri­gens gibt es weit über 40 sol­cher bera­ten­den Koordinatoren.

Wor­über wir reden müs­sen? Aber viel­leicht blei­ben wir dabei doch bes­ser beim ver­trau­ten Sie. Ach ja: über Ihre »Erleich­te­rung« (Tages­spie­gel) nach dem Besuch des Kanz­lers im Oval Office und Ihre tief­grün­di­gen Ana­ly­sen rund um den Rap­port von Schü­ler Fried­rich beim World Wide Direx Donald. Wie froh Sie waren, dass es »so sym­pa­thisch geen­det hat«, ver­rie­ten sie dem Deutsch­land­funk. Sicher: »Natür­lich ist das Per­sön­li­che per­sön­lich und das Poli­ti­sche poli­tisch.« Aber weiß man’s, wenn über­all die »Eska­la­ti­on« lau­ert? Man steckt ja nicht drin in den Pra­li­nen der gro­ßen Poli­tik. Und immer­hin ging es um den »guten Draht« (Sie nun wie­der im Tages­spie­gel); er wird »uns dabei hel­fen, gemein­sam mit den Ame­ri­ka­nern die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen der Welt anzu­ge­hen – beson­ders den rus­si­schen Angriffs­krieg in der Ukrai­ne«. Frei­lich nur, wenn Direx Donald dem Schü­ler Fried­rich nicht doch mit dem Line­al auf die Fin­ger haut. Denn man weiß ja, und Sie haben mit die­ser Exper­ti­se nicht hin­ter dem Berg gehal­ten: »Der Prä­si­dent ist sehr wech­sel­haft.« Und: »Die Wech­sel­haf­tig­keit ist sein Mar­ken­zei­chen.« Und mor­gen ändert sich das Wet­ter, oder es bleibt, wie es ist. Aber immer­hin habe es kei­ne Eska­la­ti­on gege­ben. Im Oval Office wohlgemerkt.

Eigent­lich war das ja schon vor­her klar, wie Sie eben am Tag zuvor schon dem Deutsch­land­funk in einem Inter­view ver­rie­ten. »Das wird schon gut­ge­hen.« Der Kanz­ler habe »genug im Gepäck, dass er in gute Gesprä­che kom­men kann«. Ja, was denn, woll­te der Redak­teur wis­sen. »Das eine ist, dass wir uns sicher­heits­po­li­tisch neu auf­ge­stellt haben.« Das kön­ne man »gut ver­kau­fen in Washing­ton«. Und dann sei da noch die­ser »gro­ße Gold­schatz, der euro­päi­sche Bin­nen­markt. Wir müs­sen uns nicht klein machen.«

Echt jetzt? Nein, müsst ihr wirk­lich nicht, ihr seid es ja schon. Wer oder was immer die­ses stän­di­ge »Wir« auch sein mag. Ihr neu­es Amt muss wich­tig sein, denn »wir« wis­sen ja: Die Bedeu­tung eines deut­schen Außen­po­li­ti­kers bemisst sich an der gestei­ger­ten Zahl der Plat­ti­tü­den, die er abson­dert. So gese­hen, sind Sie auf einem guten Weg. Plat­ti­tü­den? Ach, Metin Hak­ver­di, Sie mein Zufalls-Abge­ord­ne­ter, das wäre ja noch aus­zu­hal­ten. Aber die­ses gefüh­lig-selbst­be­wuss­te sich klein machen, die­se angst­be­setz­te Hoff­nung, der Gott­sei­bei­uns in Washing­ton möge sei­nen Unter­ge­be­nen doch gnä­dig sein, die­ses umstands­lo­se sich anpas­sen an die Ver­hält­nis­se der Macht, die­ses üble Her­un­ter­spie­len von poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Exi­stenz­fra­gen wie der Fünf-Pro­zent-Bür­de für Auf­rü­stung und Infra­struk­tur, die­ses Kuschen von Demo­kra­ten, die damit kei­ne mehr sind, vor »könig­li­chen« Insze­nie­run­gen, die­ser absto­ßend unpo­li­ti­sche Mana­ger-Neu­sprech (»haben uns auf­ge­stellt«, »kön­nen wir gut ver­kau­fen«, »wir kön­nen lie­fern«), mit dem über Ver­fas­sungs­än­de­rung, Auf­rü­stungs­ma­nie und die Lebens­grund­la­ge künf­ti­ger Gene­ra­tio­nen hin­weg­par­liert wird.

All sol­che erbärm­li­chen und inzwi­schen omni­prä­sen­ten Phra­sen, die sich absichts­voll zwi­schen dem Unbe­ding­ten und dem Unge­fäh­ren hin- und her­be­we­gen, sich immer wei­ter und wei­ter ver­brei­ten und am Ende dazu die­nen, das Wahl­volk in Unmün­dig­keit zu hal­ten (wie­viel Schuld es immer auch selbst dar­an tra­gen mag): Sie sind ver­ach­tens­wert, ein Anschlag auf demo­kra­ti­sche Hal­tung, und sie müs­sen nicht sein. Man muss da nicht mit­ma­chen. Viel­leicht zei­gen sie an, dass »mein« Abge­ord­ne­ter im Auf­stei­gen begrif­fen ist. Aber, mit Wolf Bier­mann zu fra­gen: Wohin? Jeden­falls von uns weg. Wer möch­te da wohl mit­ge­hen? Ich nicht.

Echt nicht. Eine Sozi­al­de­mo­kra­tie, die nicht merkt, dass ihre halt­lo­se Mime­sis ans Mäch­ti­ge weder sie noch uns wei­ter­bringt, wird in vier Jah­ren unter­ge­hen. Viel­leicht auch frü­her. Ich wür­de trau­ern. Grü­ße aus der Ber­ge­dor­fer Provinz!