Lieber Metin Hakverdi, wir müssen reden. So von Gewerkschafter zu Gewerkschafter. Von Bergedorfer zu Bergedorfer. Denn, es ist mir peinlich, ich habe Sie gewählt. Natürlich nicht mit der Zweistimme, soviel Links muss sein. Aber mit der ersten. Ich dachte, besser Sie als der von der CDU. Oder am Ende gar der von der AfD. Jedenfalls besser als Merz. Immerhin war das ja mal der Wahlkreis von Helmut Schmidt, Herbert Wehner oder Hans Ulrich Klose. Da möchte man irgendwie nicht, dass sich das politische Gesocks daran vergreift.
Brunzdumm von mir natürlich, ich gebe es zu. Selber schuld. Alter schützt vor Torheit nicht. Was will man machen. »Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt« (Forrest Gump).
Oder darf ich Metin sagen, so unter alten Kollegen der Gewerkschaft, die du in deinem Namen trägst? Kaum zu glauben, wo du überall Mitglied bist, lieber Kollege, im THW, im Unterausschuss Europa, im SPD-Gesprächskreis USA/Nordamerika, in der Atlantikbrücke, im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, um nur weniges zu nennen – und neuerdings auch als Koordinator der Bundesregierung für transatlantische Zusammenarbeit unterwegs für Minister Wadephul und seinen Außenkanzler.
Was macht so ein Koordinator eigentlich? Wen oder was koordiniert er wohl und wo und warum, fragt sich der Wähler. Es steht auf der Webseite des Auswärtigen Amtes, das für dich zuständig ist. Oder umgekehrt. Er netzwerkelt und baut an der transatlantischen Brücke, soweit ihre »zentralen Pfeiler deutscher Außenpolitik« in den USA und Kanada stehen. Da gibt es »vielfältige gesellschaftliche und kulturelle Beziehungen«, die es »nachhaltig zu fördern« gilt. Vermutlich macht das sonst wieder keiner. Und deshalb brauchen der CDU-Außenminister und sein CDU-Außenkanzler jetzt die Beratung des »US-Experten der SPD-Bundestagsfraktion« (Hamburger Abendblatt). Es gibt schließlich eine »große Schnittmenge von gemeinsamen Interessen, Herausforderungen und fundamentalen Werten«, da kann man schnell mal den Überblick verlieren als gestresste Spitzenkraft der Exekutive. Gut, dass da die Legislative eine Brücke schlägt über die Schneise der Gewaltenteilung. Übrigens gibt es weit über 40 solcher beratenden Koordinatoren.
Worüber wir reden müssen? Aber vielleicht bleiben wir dabei doch besser beim vertrauten Sie. Ach ja: über Ihre »Erleichterung« (Tagesspiegel) nach dem Besuch des Kanzlers im Oval Office und Ihre tiefgründigen Analysen rund um den Rapport von Schüler Friedrich beim World Wide Direx Donald. Wie froh Sie waren, dass es »so sympathisch geendet hat«, verrieten sie dem Deutschlandfunk. Sicher: »Natürlich ist das Persönliche persönlich und das Politische politisch.« Aber weiß man’s, wenn überall die »Eskalation« lauert? Man steckt ja nicht drin in den Pralinen der großen Politik. Und immerhin ging es um den »guten Draht« (Sie nun wieder im Tagesspiegel); er wird »uns dabei helfen, gemeinsam mit den Amerikanern die großen Herausforderungen der Welt anzugehen – besonders den russischen Angriffskrieg in der Ukraine«. Freilich nur, wenn Direx Donald dem Schüler Friedrich nicht doch mit dem Lineal auf die Finger haut. Denn man weiß ja, und Sie haben mit dieser Expertise nicht hinter dem Berg gehalten: »Der Präsident ist sehr wechselhaft.« Und: »Die Wechselhaftigkeit ist sein Markenzeichen.« Und morgen ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist. Aber immerhin habe es keine Eskalation gegeben. Im Oval Office wohlgemerkt.
Eigentlich war das ja schon vorher klar, wie Sie eben am Tag zuvor schon dem Deutschlandfunk in einem Interview verrieten. »Das wird schon gutgehen.« Der Kanzler habe »genug im Gepäck, dass er in gute Gespräche kommen kann«. Ja, was denn, wollte der Redakteur wissen. »Das eine ist, dass wir uns sicherheitspolitisch neu aufgestellt haben.« Das könne man »gut verkaufen in Washington«. Und dann sei da noch dieser »große Goldschatz, der europäische Binnenmarkt. Wir müssen uns nicht klein machen.«
Echt jetzt? Nein, müsst ihr wirklich nicht, ihr seid es ja schon. Wer oder was immer dieses ständige »Wir« auch sein mag. Ihr neues Amt muss wichtig sein, denn »wir« wissen ja: Die Bedeutung eines deutschen Außenpolitikers bemisst sich an der gesteigerten Zahl der Plattitüden, die er absondert. So gesehen, sind Sie auf einem guten Weg. Plattitüden? Ach, Metin Hakverdi, Sie mein Zufalls-Abgeordneter, das wäre ja noch auszuhalten. Aber dieses gefühlig-selbstbewusste sich klein machen, diese angstbesetzte Hoffnung, der Gottseibeiuns in Washington möge seinen Untergebenen doch gnädig sein, dieses umstandslose sich anpassen an die Verhältnisse der Macht, dieses üble Herunterspielen von politisch-gesellschaftlichen Existenzfragen wie der Fünf-Prozent-Bürde für Aufrüstung und Infrastruktur, dieses Kuschen von Demokraten, die damit keine mehr sind, vor »königlichen« Inszenierungen, dieser abstoßend unpolitische Manager-Neusprech (»haben uns aufgestellt«, »können wir gut verkaufen«, »wir können liefern«), mit dem über Verfassungsänderung, Aufrüstungsmanie und die Lebensgrundlage künftiger Generationen hinwegparliert wird.
All solche erbärmlichen und inzwischen omnipräsenten Phrasen, die sich absichtsvoll zwischen dem Unbedingten und dem Ungefähren hin- und herbewegen, sich immer weiter und weiter verbreiten und am Ende dazu dienen, das Wahlvolk in Unmündigkeit zu halten (wieviel Schuld es immer auch selbst daran tragen mag): Sie sind verachtenswert, ein Anschlag auf demokratische Haltung, und sie müssen nicht sein. Man muss da nicht mitmachen. Vielleicht zeigen sie an, dass »mein« Abgeordneter im Aufsteigen begriffen ist. Aber, mit Wolf Biermann zu fragen: Wohin? Jedenfalls von uns weg. Wer möchte da wohl mitgehen? Ich nicht.
Echt nicht. Eine Sozialdemokratie, die nicht merkt, dass ihre haltlose Mimesis ans Mächtige weder sie noch uns weiterbringt, wird in vier Jahren untergehen. Vielleicht auch früher. Ich würde trauern. Grüße aus der Bergedorfer Provinz!