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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Einheitliche Regeln statt Buchstabensuppe

Was haben Hari­bo, Aldi und Cadil­lac, Adi­das, Tchi­bo und Tesa, Dr. Oet­ker, Cha­nel und Por­sche mit dem »Duden« gemein­sam? All die­se bekann­ten Bezeich­nun­gen waren ursprüng­lich Per­so­nen­na­men oder wur­den aus sol­chen gebil­det oder von ihnen abge­lei­tet. Der »Duden« ist unter ihnen die älte­ste geschütz­te Mar­ke, und daher konn­te der Ver­lag in die­sem Jahr ein beson­de­res Jubi­lä­um fei­ern. Am 7. Juli vor genau 145 Jah­ren erschien das erste »Voll­stän­di­ge Ortho­gra­phi­sche Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che« von Kon­rad Duden (1829-1911). Seit­dem ist der Name »Duden«, wie der Ver­lag stolz ver­kün­de­te, »untrenn­bar mit der deut­schen Spra­che ver­bun­den, als ver­läss­li­che Instanz für Recht­schrei­bung, Gram­ma­tik und Stil sowie als Spie­gel des sprach­li­chen Wan­dels.« Das gilt für das deut­sche Kai­ser­reich wie für die Wei­ma­rer Repu­blik und die NS-Zeit, eben­so für die bei­den deut­schen Staa­ten und das schließ­lich wie­der­ver­ei­nig­te Deutschland.

Bis zur Reichs­grün­dung im Jahr 1871, mit der der erste moder­ne deut­sche Natio­nal­staat ent­stand, koch­te jeder der 25 ver­ei­nig­ten Klein­staa­ten sei­ne eige­ne Buch­sta­ben­sup­pe. Und nicht ein­mal inner­halb eines Staa­tes gab es ver­bind­li­che Regeln. Kon­rad Duden fass­te das selbst fol­gen­der­ma­ßen zusam­men: »Nicht zwei Leh­rer der­sel­ben Schu­le und nicht zwei Kor­rek­to­ren der­sel­ben Offi­zin (Drucke­rei) waren in allen Stücken über die Recht­schrei­bung einig. Und eine Auto­ri­tät, die man hät­te anru­fen kön­nen, gab es nicht.«

Was 1880 beim Ver­lag »Biblio­gra­phi­sches Insti­tut« in Leip­zig als Samm­lung ver­bind­li­cher Schreib­wei­sen begann, ent­wickel­te sich durch das fol­gen­de Jahr­hun­dert zu einer umfas­sen­den Sprach­platt­form. Ich zitie­re den Ver­lag: »Der Duden hat nicht nur zahl­lo­se Gene­ra­tio­nen von Schü­le­rin­nen und Schü­lern, Lehr­kräf­ten und Sprach­in­ter­es­sier­ten beglei­tet, son­dern auch zen­tra­le Ent­wick­lun­gen der deut­schen Spra­che doku­men­tiert – von der Recht­schreib­re­form bis zur zuneh­men­den Digi­ta­li­sie­rung. Ob neue Begrif­fe aus Tech­nik und Gesell­schaft oder Ver­än­de­run­gen in Sprach­ge­brauch und -bewusst­sein: Der Duden war und ist stets am Puls der Zeit.«

Schnell wur­de »der Duden« zu einer Insti­tu­ti­on und führ­te seit dem Todes­jahr sei­nes Grün­ders auch des­sen Namen im Titel. Mehr noch, der Name Duden wur­de zu einem Eponym (sie­he: »Fremd­wör­ter­du­den«). Als Stan­dard­werk auf der Grund­la­ge amt­li­cher Regeln wur­de das Wör­ter­buch zu einem Gat­tungs­be­griff wie Tem­po für Taschen­tü­cher, Tesa für Kle­be­band, Zep­pe­lin für Luft­schif­fe und Guil­lo­ti­ne für Fall­bei­le.

Ein beson­de­res Geschenk mach­te der Ver­lag aus Anlass des Jah­res­ta­ges allen Sprach­in­ter­es­sier­ten mit dem Buch Neue Wör­ter im Duden von 1880 bis heu­te, ver­fasst von dem Histo­ri­ker, Lek­tor und Redak­teur Det­lev Berg­horn, Ber­lin. Wer sich in die­sen Floh­markt der Wör­ter hin­ein­be­gibt, erfährt, wel­che Wör­ter wann auf­ge­taucht und wel­che wann ver­schwun­den sind, denn: »Spra­che ist leben­dig, und sie wan­delt sich mit der Gesell­schaft.« Mir jeden­falls hat es viel Spaß gemacht.

Wer­fen wir noch einen Blick auf die »müh­sam erstell­te (…) Liste« neu­er Wör­ter in den ein­zel­nen Auf­la­gen (Berg­horn). Hier eine klei­ne Aus­wahl: 1880: Drai­si­ne, Velo­ci­ped, Tram­way. 1902: Auto­mo­bil, Fahr­rad. 1915: Flug­zeug, Luxus­zug, Motor­rad. 1929: Rik­scha, Zep­pe­lin. 1941: Hub­schrau­ber, Volks­wa­gen. 1961: Pend­ler, Raum­fahrt. 1973: Kreuz­fahrt, UFO, Rush-hour, (heu­te: Rush­hour). 1980: Kett­car, Stau. 1991: Fahr­ge­mein­schaft, ICE. 2000: Car­sha­ring, Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug. 2006: Navi. 2009: Hybrid­au­to, Mini­van. 2020: E-Scoo­ter, Lasten­rad. 2024: Anti­gen­test, Ent­la­stungs­pa­ket, Flug­ab­wehr­sy­stem, Russlandsanktion.

Über 2300 Wör­ter hat der Autor für sein Kom­pen­di­um aus­ge­wählt. Dabei zeigt er auf, »wann The­men ihre Spra­che fan­den, neu bewer­tet wur­den oder in Ver­ges­sen­heit gerie­ten«. So gelang es ihm, »eine Chro­nik der Gesell­schaft, Kul­tur und Poli­tik Deutsch­lands der letz­ten 150 Jah­re« nach­zu­zeich­nen, in der die geschicht­li­chen Zäsu­ren sicht­bar wer­den, die mit Neu­auf­nah­men oder Strei­chun­gen von Stich­wör­tern ein­her­gin­gen. Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs muss­te sich auch der »Duden« der Ent­na­zi­fi­zie­rung stel­len. Ab sofort gehör­ten die zahl­rei­chen Kom­po­si­ta oder Ablei­tun­gen aus der Nazi­zeit mit »Blut«, »Ras­se«, »Volk« und »Reich« nur noch ins »Wör­ter­buch des Unmen­schen« der Lin­gua Ter­tii Impe­rii, wie der Phi­lo­lo­ge und NS-Ver­folg­te Vic­tor Klem­pe­rer die Herr­schafts­spra­che der Natio­nal­so­zia­li­sten genannt hat.

Und dann gab es plötz­lich nicht nur einen »Duden«, son­dern derer zwei: geteil­tes Deutsch­land, geteil­ter »Duden«. Hie die Oder-Nei­ße-Linie (im Duden West von 1954 bis 1986), da die Oder-Nei­ße-Frie­dens­gren­ze (im Duden Ost von 1951 bis 1985). »Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­se« waren im Duden Ost schon 1951 zu fin­den, im Duden West tauch­ten erst zehn Jah­re spä­ter »Kriegs­ver­bre­cher« auf. Der Ost-Duden hat­te auch Allein­stel­lung für Ein­trä­ge wie Volks­ei­ge­ner Betrieb (1951), Ulb­richt (1957), Broi­ler (1976) und Gril­let­te (1985), die DDR-Vari­an­te des Ham­bur­gers. – Mit der deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung war auch die Geschich­te der bei­den »Duden« pas­sé: Es konn­te nur einen geben.

Machen wir noch einen Abste­cher in einen ganz ande­ren Sek­tor, blicken wir auf eini­ge Schimpf­wör­ter aus 145 Jah­ren. Für 1880 ste­hen: Duck­mäu­ser und Luder. 1887 kam der Row­dy dazu, 1902 wur­den Abschaum, Lücken­bü­ßer und Maul­af­fe auf­ge­nom­men, 1929 der Hal­lo­dri, 1934 das Kano­nen­fut­ter. Drei­ßig Jah­re spä­ter, 1961, fan­den der Angst­ha­se, das Flitt­chen und der Halb­star­ke Auf­nah­me, erst 1973 Arsch­loch und Arsch­krie­cher und Huren­sohn. 1980 kamen der Chau­vi, der Jun­kie und der Korin­then­kacker dazu, 1986 mach­te die Eman­ze Kar­rie­re als Schimpf­wort, 2000 der Gut­mensch, der Warm­du­scher und das Weich­ei, 2004 das Boxen­lu­der, der Dampf­plau­de­rer, 2013 der Voll­pfo­sten und 2020 das Kopftuchmädchen.

Klar, unter den Neu­auf­nah­men im »Duden« sind auch Anti­ba­by­pil­le, Can­cel-Cul­tu­re, Quer­den­ker, Schreib­tisch­tä­ter und Wen­de­hals zu fin­den. Und vie­le, vie­le Wör­ter mehr. Daher hier mei­ne Emp­feh­lung: Neh­men Sie sich doch ein­fach mal die Zeit zum Schmökern …

Das Lem­ma Duden – das ist der Fach­aus­druck für ein Stich­wort in einem Nach­schla­ge­werk – wer­den Sie übri­gens nicht im »Duden« fin­den. An der frag­li­chen Stel­le ste­hen »Dudel­funk« und »Dude­lei«.

 Det­lef Berg­horn: Neue Wör­ter im Duden von 1880 bis heu­te, Cor­nel­sen Ver­lag, Ber­lin 2024, 208 S., 24 €.