Was haben Haribo, Aldi und Cadillac, Adidas, Tchibo und Tesa, Dr. Oetker, Chanel und Porsche mit dem »Duden« gemeinsam? All diese bekannten Bezeichnungen waren ursprünglich Personennamen oder wurden aus solchen gebildet oder von ihnen abgeleitet. Der »Duden« ist unter ihnen die älteste geschützte Marke, und daher konnte der Verlag in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum feiern. Am 7. Juli vor genau 145 Jahren erschien das erste »Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache« von Konrad Duden (1829-1911). Seitdem ist der Name »Duden«, wie der Verlag stolz verkündete, »untrennbar mit der deutschen Sprache verbunden, als verlässliche Instanz für Rechtschreibung, Grammatik und Stil sowie als Spiegel des sprachlichen Wandels.« Das gilt für das deutsche Kaiserreich wie für die Weimarer Republik und die NS-Zeit, ebenso für die beiden deutschen Staaten und das schließlich wiedervereinigte Deutschland.
Bis zur Reichsgründung im Jahr 1871, mit der der erste moderne deutsche Nationalstaat entstand, kochte jeder der 25 vereinigten Kleinstaaten seine eigene Buchstabensuppe. Und nicht einmal innerhalb eines Staates gab es verbindliche Regeln. Konrad Duden fasste das selbst folgendermaßen zusammen: »Nicht zwei Lehrer derselben Schule und nicht zwei Korrektoren derselben Offizin (Druckerei) waren in allen Stücken über die Rechtschreibung einig. Und eine Autorität, die man hätte anrufen können, gab es nicht.«
Was 1880 beim Verlag »Bibliographisches Institut« in Leipzig als Sammlung verbindlicher Schreibweisen begann, entwickelte sich durch das folgende Jahrhundert zu einer umfassenden Sprachplattform. Ich zitiere den Verlag: »Der Duden hat nicht nur zahllose Generationen von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Sprachinteressierten begleitet, sondern auch zentrale Entwicklungen der deutschen Sprache dokumentiert – von der Rechtschreibreform bis zur zunehmenden Digitalisierung. Ob neue Begriffe aus Technik und Gesellschaft oder Veränderungen in Sprachgebrauch und -bewusstsein: Der Duden war und ist stets am Puls der Zeit.«
Schnell wurde »der Duden« zu einer Institution und führte seit dem Todesjahr seines Gründers auch dessen Namen im Titel. Mehr noch, der Name Duden wurde zu einem Eponym (siehe: »Fremdwörterduden«). Als Standardwerk auf der Grundlage amtlicher Regeln wurde das Wörterbuch zu einem Gattungsbegriff wie Tempo für Taschentücher, Tesa für Klebeband, Zeppelin für Luftschiffe und Guillotine für Fallbeile.
Ein besonderes Geschenk machte der Verlag aus Anlass des Jahrestages allen Sprachinteressierten mit dem Buch Neue Wörter im Duden von 1880 bis heute, verfasst von dem Historiker, Lektor und Redakteur Detlev Berghorn, Berlin. Wer sich in diesen Flohmarkt der Wörter hineinbegibt, erfährt, welche Wörter wann aufgetaucht und welche wann verschwunden sind, denn: »Sprache ist lebendig, und sie wandelt sich mit der Gesellschaft.« Mir jedenfalls hat es viel Spaß gemacht.
Werfen wir noch einen Blick auf die »mühsam erstellte (…) Liste« neuer Wörter in den einzelnen Auflagen (Berghorn). Hier eine kleine Auswahl: 1880: Draisine, Velociped, Tramway. 1902: Automobil, Fahrrad. 1915: Flugzeug, Luxuszug, Motorrad. 1929: Rikscha, Zeppelin. 1941: Hubschrauber, Volkswagen. 1961: Pendler, Raumfahrt. 1973: Kreuzfahrt, UFO, Rush-hour, (heute: Rushhour). 1980: Kettcar, Stau. 1991: Fahrgemeinschaft, ICE. 2000: Carsharing, Hochgeschwindigkeitszug. 2006: Navi. 2009: Hybridauto, Minivan. 2020: E-Scooter, Lastenrad. 2024: Antigentest, Entlastungspaket, Flugabwehrsystem, Russlandsanktion.
Über 2300 Wörter hat der Autor für sein Kompendium ausgewählt. Dabei zeigt er auf, »wann Themen ihre Sprache fanden, neu bewertet wurden oder in Vergessenheit gerieten«. So gelang es ihm, »eine Chronik der Gesellschaft, Kultur und Politik Deutschlands der letzten 150 Jahre« nachzuzeichnen, in der die geschichtlichen Zäsuren sichtbar werden, die mit Neuaufnahmen oder Streichungen von Stichwörtern einhergingen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste sich auch der »Duden« der Entnazifizierung stellen. Ab sofort gehörten die zahlreichen Komposita oder Ableitungen aus der Nazizeit mit »Blut«, »Rasse«, »Volk« und »Reich« nur noch ins »Wörterbuch des Unmenschen« der Lingua Tertii Imperii, wie der Philologe und NS-Verfolgte Victor Klemperer die Herrschaftssprache der Nationalsozialisten genannt hat.
Und dann gab es plötzlich nicht nur einen »Duden«, sondern derer zwei: geteiltes Deutschland, geteilter »Duden«. Hie die Oder-Neiße-Linie (im Duden West von 1954 bis 1986), da die Oder-Neiße-Friedensgrenze (im Duden Ost von 1951 bis 1985). »Kriegsverbrecherprozesse« waren im Duden Ost schon 1951 zu finden, im Duden West tauchten erst zehn Jahre später »Kriegsverbrecher« auf. Der Ost-Duden hatte auch Alleinstellung für Einträge wie Volkseigener Betrieb (1951), Ulbricht (1957), Broiler (1976) und Grillette (1985), die DDR-Variante des Hamburgers. – Mit der deutschen Wiedervereinigung war auch die Geschichte der beiden »Duden« passé: Es konnte nur einen geben.
Machen wir noch einen Abstecher in einen ganz anderen Sektor, blicken wir auf einige Schimpfwörter aus 145 Jahren. Für 1880 stehen: Duckmäuser und Luder. 1887 kam der Rowdy dazu, 1902 wurden Abschaum, Lückenbüßer und Maulaffe aufgenommen, 1929 der Hallodri, 1934 das Kanonenfutter. Dreißig Jahre später, 1961, fanden der Angsthase, das Flittchen und der Halbstarke Aufnahme, erst 1973 Arschloch und Arschkriecher und Hurensohn. 1980 kamen der Chauvi, der Junkie und der Korinthenkacker dazu, 1986 machte die Emanze Karriere als Schimpfwort, 2000 der Gutmensch, der Warmduscher und das Weichei, 2004 das Boxenluder, der Dampfplauderer, 2013 der Vollpfosten und 2020 das Kopftuchmädchen.
Klar, unter den Neuaufnahmen im »Duden« sind auch Antibabypille, Cancel-Culture, Querdenker, Schreibtischtäter und Wendehals zu finden. Und viele, viele Wörter mehr. Daher hier meine Empfehlung: Nehmen Sie sich doch einfach mal die Zeit zum Schmökern …
Das Lemma Duden – das ist der Fachausdruck für ein Stichwort in einem Nachschlagewerk – werden Sie übrigens nicht im »Duden« finden. An der fraglichen Stelle stehen »Dudelfunk« und »Dudelei«.
Detlef Berghorn: Neue Wörter im Duden von 1880 bis heute, Cornelsen Verlag, Berlin 2024, 208 S., 24 €.