Gründonnerstag 2016. Zwei Tage nach den beiden Selbstmordattentaten in der Brüsseler Innenstadt und am Flughafen Brüssel-Zaventem – ein Terroranschlag, zu dem sich der IS bekannt hatte und bei dem 32 Menschen ums Leben kamen – ließ sich Papst Franziskus in einer Asylbewerberunterkunft in der Kleinstadt Castelnuovo di Porto in der Nähe von Rom vor elf Asylbewerbern und einer Mitarbeiterin der Einrichtung auf die Knie nieder und wusch ihnen die Füße. Ausgewählt waren für das Ritual vier Katholiken aus Nigeria, drei Koptinnen aus Eritrea, ein Hindu aus Indien sowie eine italienische Mitarbeiterin der Unterkunft. Und außerdem drei Muslime aus Mali, Pakistan und Syrien. Die Nachrichten waren voll von der Empörung über den islamistischen Anschlag, die Stimmung in Europa war aufgewühlt, doch der Papst handelte auch an den Muslimen, wie Jesus es an seinen Jüngern getan hatte. Unerhört! Was für eine Provokation. Doch nicht nur den Geflüchteten liefen die Tränen über das Gesicht, als das Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken ihnen nach der Waschung die Füße trocknete, sie zum Mund führte und küsste. Papst Franziskus sprach von einer »brüderlichen« Geste im Angesicht von Krieg und Gewalt und verurteilte nochmals die Anschläge von Brüssel als »Geste des Krieges, der Zerstörung«. »Für uns Moslems ist das, was hier geschieht, ein Symbol des Friedens«, sagte der 37-jährige Sira Madigata über die Fußwaschung. Das Ritual zeige, »dass ein Zusammenleben überall möglich ist«.
Es waren Gesten wie diese, die das Bild von Papst Franziskus weltweit prägten. Emotionale, emphatische, anrührende Gesten, die in einer Zeit der politischen Härte unerlässlich, aber viel zu selten sind. In katholischen Gemeinden gehört die Fußwaschung zur Gründonnerstagsliturgie, seit Pius XII. sie 1955 als möglichen Bestandteil der Abendmahlsmesse festgeschrieben hatte. Die Tradition beruht auf der Überlieferung, der zufolge Jesus beim letzten Abendmahl vor seiner Kreuzigung seinen zwölf Aposteln die Füße wusch. Papst Franziskus hat in seiner Amtszeit vieles revolutioniert, darunter auch die Formalien der Osterfeierlichkeiten. Während seine Vorgänger ausschließlich Priestern die Füße wuschen, wählte Franziskus für die Fußwaschung regelmäßig Laien, darunter Kranke, Behinderte, Häftlinge, Flüchtlinge – und auch Frauen. Sie sind seit Januar 2016 per Dekret von Papst Franziskus zu der Zeremonie zugelassen. Damit brach der Argentinier mit althergebrachten Kirchentraditionen und brachte konservative Katholiken gegen sich auf – so wie mit der Fußwaschung bei Muslimen.
2013 führte seine erste Reise den frisch gewählten Pontifex auf die Fluchtinsel Lampedusa. Der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri, selbst Sohn von Migranten wie er einmal vor dem US-Kongress betonte, hielt dem angeblich christlichen Abendland den Spiegel vor: Er stand immer auf der Seite der Ausgeschlossenen, er küsste und umarmte Menschen in Flüchtlingsheimen, in Gefängnissen und Armenvierteln. Die Neue Züricher Zeitung nannte Franziskus‹ Wirken eine »Revolution der zärtlichen Liebe«.
In seinem Gepäck hatte Franziskus, der erste lateinamerikanische Papst und der erste Jesuit im Amt, die Befreiungstheologie mit in den Vatikan gebracht. Spät berufen war der Argentinier ein gemäßigter, aber doch klassischer Vertreter dieser linken Gotteslehre. Das zeigte sich auch immer wieder in seinen Anklagen gegen Kriegstreiber und militärische Aufrüstung, in seinen Appellen zur Lage der Armen oder der Flüchtlinge. Mit seinem Tod ist die einzige prominente Stimme gegen die entfesselte europäische Migrationspolitik verschwunden. »Die Katholiken«, so titelte die Washington Post, trauern um die verlorene Stimme für die Entrechteten.« Sicher nicht nur die Katholiken.