Der EU-europäische Politikbetrieb reagiert auf den Beginn russisch-amerikanischer Gespräche hysterisch. Es »droht« Frieden in der Ukraine, welch eine Katastrophe! Hatte man sich doch vorgenommen, diesmal nicht selbst, sondern »bis zum letzten Ukrainer« gegen Russland kämpfen zu lassen. Obwohl nicht einmal sicher ist, wie es ausgehen wird, sind die transatlantischen EU-Europäer bereits vom Schrecken so orientierungslos wie ein Hund, dem gerade sein Herrchen abhandengekommen ist.
Die angebliche »Unterstützung der Ukraine« hat sich de facto als nichts anderes erwiesen als die Unterstützung einer skrupellosen Regierungsclique bei der Zerstörung ihres eigenen Landes. Dadurch, dass Washington sich endlich der Realität der Niederlage stellt und Konsequenzen zieht, ist das US-Imperium nicht weniger aggressiv und räuberisch geworden. Die USA wollen sich von der Ukraine für ihre Waffenlieferungen mit der Verfügung über seltene Erden im Wert von 500 Mrd. Dollar entschädigen lassen, ebenso beanspruchen sie das Recht, die Häfen und Flughäfen zu übernehmen usw., während es Sache der Europäer sei, den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Die Werte, an denen man sich orientiert, heißen weiterhin Dollar und Weltmacht. In Berlin, Brüssel, Paris und vor allem in Kiew hätte man sich früher an Henry Kissinger erinnern können, der schon vor Jahrzehnten sagte: »Ein Feind Amerikas zu sein kann gefährlich sein, aber ein Freund zu sein ist tödlich (fatal).«
Wie nahe sind wir nun an einer Friedenslösung? Die folgenden Thesen versuchen das einzuschätzen:
- Zwischen den beiden Präsidenten sind noch keinerlei Abkommen getroffen worden. Sie und ihre Außenminister, haben lediglich ohne Beleidigungen und Herabwürdigungen, miteinander gesprochen. Trump hat nur das getan, wozu EU-Regierungen bislang unfähig sind: Er hat die Realität der Niederlage im Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland anerkannt. Man hatte nach 2014 die ukrainische Armee hochgerüstet bis zu einer Stärke, die 2022 größer war als die der britischen, deutschen, französischen und italienischen Armeen zusammengenommen. Nachdem diese bis 2022 gegen die russophone Bevölkerung im Donbas einen »niederschwelligen« Krieg mit 14.000 Todesopfern geführt hatte, griff Russland 2022 ein; zunächst mit dem Ziel, schnell zu Verhandlungen zu kommen. Das gelang zunächst auch, scheiterte aber nach Intervention der Briten und Amerikaner. Danach ging Russland zur Strategie des Abnutzungskriegs über. Die militärische Lage der Ukraine gilt als aussichtslos.
Trump kann mit seiner Ukrainepolitik auch am eigenen Politikestablishment noch scheitern. Er kämpft an vielen Fronten zugleich: In Westasien drohen Krieg und Völkermord ausgeweitet zu werden, in Ostasien werden die Anstrengungen vervielfacht, den Einfluss Chinas einzudämmen, in den US-Ministerien und Behörden finden Massenentlassungen und politische Säuberungen in nie dagewesenem Umfang statt, Einfuhrzölle gegen verbündete Staaten und somit starke Preiserhöhungen stoßen auf innenpolitischen Widerstand, Massen von »illegalen« Einwanderern sollen abgeschoben werden, die zugleich billige Arbeitskräfte sind u. v. a. m. In diesem Gewirr von Interessenkonflikten sind Niederlagen, Tauschgeschäfte und Zugeständnisse an die »Falken« nicht auszuschließen.
- Der Krieg ist noch nicht beendet. Das wird wahrscheinlich auch so bald nicht der Fall sein. Immer noch fließen die Waffenströme aus dem Westen, und immer weiter werden junge Männer eingezogen und an die Front geworfen. Um den Zusammenbruch der ukrainischen Armee und die bedingungslose Kapitulation zu vermeiden, muss die Nato bereit sein, den russischen Vorstellungen weit entgegenzukommen.
Von der Ruinierung und Zerteilung Russlands redet man in Brüssel und Berlin zwar nicht mehr so laut, aber manche plappern Pläne nach, den Krieg nach koreanischem Muster »einzufrieren«. Auch dem liegt wieder illusionäres Wunschdenken zugrunde: Erstens kalkulieren Experten, dass allein zur effektiven Sicherung des Waffenstillstands an einer 1.300 km langen Frontlinie (Korea 300 km) eine Armee von ca. 200.000 Soldaten erforderlich wäre. Woher sollen die kommen? Zweitens werden die Russen den opferreichen Krieg nicht beenden, nur um an einer neuen Grenze mit der Ukraine das zu haben, was sie an der vorherigen Grenze schon hatten: ein von den USA und ihren Vasallen beherrschtes und bewaffnetes feindseliges Land. Sie werden daher keine »Friedenstruppen« aus Nato-Ländern akzeptieren. Ohne faktisch gesicherte Neutralität dessen, was von der Ukraine am Ende übrigbleibt, wird es nicht gehen.
- Entscheidend für den weiteren Verlauf ist, dass es Russland nicht nur um das Kriegsende in der Ukraine geht, sondern um eine umfassende, über die Ukraine hinausgehende Friedenssicherung. Daher wird Moskau den Abnutzungskrieg so lange weiterführen und seine Armee so lange langsam nach Westen verschieben, bis das Ziel einer Sicherheitsstruktur erreicht sein wird. Ein militärisches Eingreifen westlicher Länder wäre kein »Spiel mit dem Feuer«, sondern das Feuer selbst – mit Deutschland als Kriegsschauplatz.
- Ein weiteres Hindernis ist der in den US-Machteliten vorherrschende »Exceptionalism«; der besagt, dass die Vereinigten Staaten die »außergewöhnliche« und für die Welt »unverzichtbare Nation« seien, der es jederzeit gestattet ist, jeden Vertrag und jedes Gesetz zu brechen, sobald es ihre eigenen Interessen erfordern. Das wissen allerdings auch die russischen Verhandlungspartner. Die Zahl gebrochener Verträge ist Legion. Sie werden also mehr als nur papierene Sicherheiten verlangen und über den Ukrainekonflikt hinaus eine eurasische Sicherheitsarchitektur anstreben, eine neutrale und waffenreduzierte Rest-Ukraine inbegriffen.
- Aus Brüssel, Berlin, Paris und London ist seit 2014 nicht ein einziger Friedenvorschlag eingebracht worden. Alleiniges Ziel war und ist die Niederlage Russlands auf der Basis fantasierter eigener Überlegenheit. Nach all den Fehlschlägen sind die Außenpolitiker der EU nicht einmal fähig, einen »Plan B« aus der Tasche ziehen, wie das im Alltagsleben jeder vernünftige Mensch tun würde. Sie sind nicht bereit, sich von ihren selbstschädigenden Hirngespinsten zu verabschieden. Arroganz und Ignoranz haben sich vermählt und heißen nun »Sicherheit durch Stärke«. Das sind untrügliche Zeichen für eine unfähige, hassgetriebene und nihilistische Pseudo-Elite.
- Druck und Verluste, denen eine Gruppe von außen ausgesetzt ist, werden in der Regel innerhalb der Gruppe von den Starken an die Schwächeren weitergegeben. So wird sich innerhalb der Nato-Länder die US-Machtelite an den Verbündeten in Europa und Japan schadlos halten. Die gesprengte Nordstream-Pipeline ist nur ein Beispiel. Trump formuliert das nun so deutlich, dass es auch die treuherzigsten und hirngewaschensten Transatlantiker/innen kapieren müssten. Es ist irrsinnig, sich dieser imperialen Macht weiterhin auszusetzen und sich zugleich durch Feindseligkeit gegen Russland und China den Weg zu alternativen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen abzuschneiden.
- Die G7-Staaten befinden sich in einer langfristigen ökonomischen Stagnation, auch wenn diese immer mal wieder durch kürzer und schwächer werdende konjunkturelle Erholungen unterbrochen wird. Unter diesen Bedingungen müssen die sozialen und ökologischen Folgen im Interesse der arbeitenden Bevölkerungen begrenzt werden, weil die Gesellschaft ansonsten daran zerbrechen wird. Das schreit geradezu nach kooperativen und friedlichen Beziehungen mit den BRICS-Ländern. Dort leben etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung, bei zunehmender Zahl der Mitgliedsstaaten, während in den G7-Ländern etwa 9 Prozent der Weltbevölkerung leben. Diesen Realitäten mit »hybriden Kriegen« begegnen zu wollen, anstatt sich positiv und kooperativ darauf einzustellen, ist vermessen.
- Die Russen haben gegenüber Deutschland wahrlich keinen Grund zur Dankbarkeit; sie sind aber nach allem erstaunlicherweise immer noch kooperationsbereit. Seit Bismarcks Ausscheiden aus der Politik vor 135 Jahren schlagen Deutschlands jeweilige Machteliten immer wieder auf die ausgestreckte russische Hand und lernen nichts aus den schlechten Erfahrungen, die sie jedes Mal damit machen mussten. Russland wird immer Deutschlands Nachbar bleiben. Die verfehlte antirussische Politik fordert selbst bei einer positiven Einigung mit Russland noch ihren Preis, denn Märkte, die man aufgegeben, Energiezuflüsse, die man verschmäht hat, sind größtenteils bereits an andere gegangen. Russland, von dem die deutschen Medien Tag für Tag ein hässliches Zerrbild vermitteln, wird in Zukunft Deutschlands wichtigster Kooperationspartner werden müssen, ohne dass die anderen europäischen Nachbarn davon Schaden nehmen. Wer das nicht erkennt, ist den vor uns liegenden Krisen nicht gewachsen
- Deutsche Politiker werden im Ausland nur dann wieder ernst genommen, wenn sie als Vertreter eines souveränen Landes auftreten und nicht als Sprechpuppen der amerikanischen Neocons. Glaubwürdigkeit kann nur durch vermittelndes, an der UNO-Charta orientiertes Vorgehen zurückgewonnen werden. Das war nach 1945 niemals wichtiger als in der gegenwärtigen gefährlichen Phase der globalen Umbrüche.
Der deutsche Politikbetrieb erweist sich angesichts der Tiefe und Intensität der vor uns liegenden Krisen als unfähig, etwas Besseres hervorzubringen, als einen Cum-Ex-Kanzler durch einen BlackRock-Kanzler zu ersetzen. Die Frage, ob eine »Politik der guten Nachbarschaft« (Brandt) unter den Verhältnissen der Konzern- und Staatsmedien, der ökonomischen Krise und des repressiv eingeschnürten öffentlichen Debattenraums erreicht werden kann, bleibt offen. Wie es aussieht, wird die Antwort außerparlamentarisch in den Betrieben und auf den Straßen gegeben werden müssen.