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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frieden in der Ukraine?

Der EU-euro­päi­sche Poli­tik­be­trieb reagiert auf den Beginn rus­sisch-ame­ri­ka­ni­scher Gesprä­che hyste­risch. Es »droht« Frie­den in der Ukrai­ne, welch eine Kata­stro­phe! Hat­te man sich doch vor­ge­nom­men, dies­mal nicht selbst, son­dern »bis zum letz­ten Ukrai­ner« gegen Russ­land kämp­fen zu las­sen. Obwohl nicht ein­mal sicher ist, wie es aus­ge­hen wird, sind die trans­at­lan­ti­schen EU-Euro­pä­er bereits vom Schrecken so ori­en­tie­rungs­los wie ein Hund, dem gera­de sein Herr­chen abhan­den­ge­kom­men ist.

Die angeb­li­che »Unter­stüt­zung der Ukrai­ne« hat sich de fac­to als nichts ande­res erwie­sen als die Unter­stüt­zung einer skru­pel­lo­sen Regie­rungs­cli­que bei der Zer­stö­rung ihres eige­nen Lan­des. Dadurch, dass Washing­ton sich end­lich der Rea­li­tät der Nie­der­la­ge stellt und Kon­se­quen­zen zieht, ist das US-Impe­ri­um nicht weni­ger aggres­siv und räu­be­risch gewor­den. Die USA wol­len sich von der Ukrai­ne für ihre Waf­fen­lie­fe­run­gen mit der Ver­fü­gung über sel­te­ne Erden im Wert von 500 Mrd. Dol­lar ent­schä­di­gen las­sen, eben­so bean­spru­chen sie das Recht, die Häfen und Flug­hä­fen zu über­neh­men usw., wäh­rend es Sache der Euro­pä­er sei, den Wie­der­auf­bau der Ukrai­ne zu finan­zie­ren. Die Wer­te, an denen man sich ori­en­tiert, hei­ßen wei­ter­hin Dol­lar und Welt­macht. In Ber­lin, Brüs­sel, Paris und vor allem in Kiew hät­te man sich frü­her an Hen­ry Kis­sin­ger erin­nern kön­nen, der schon vor Jahr­zehn­ten sag­te: »Ein Feind Ame­ri­kas zu sein kann gefähr­lich sein, aber ein Freund zu sein ist töd­lich (fatal).«

Wie nahe sind wir nun an einer Frie­dens­lö­sung? Die fol­gen­den The­sen ver­su­chen das einzuschätzen:

  1. Zwi­schen den bei­den Prä­si­den­ten sind noch kei­ner­lei Abkom­men getrof­fen wor­den. Sie und ihre Außen­mi­ni­ster, haben ledig­lich ohne Belei­di­gun­gen und Her­ab­wür­di­gun­gen, mit­ein­an­der gespro­chen. Trump hat nur das getan, wozu EU-Regie­run­gen bis­lang unfä­hig sind: Er hat die Rea­li­tät der Nie­der­la­ge im Stell­ver­tre­ter­krieg der Nato gegen Russ­land aner­kannt. Man hat­te nach 2014 die ukrai­ni­sche Armee hoch­ge­rü­stet bis zu einer Stär­ke, die 2022 grö­ßer war als die der bri­ti­schen, deut­schen, fran­zö­si­schen und ita­lie­ni­schen Armeen zusam­men­ge­nom­men. Nach­dem die­se bis 2022 gegen die rus­so­pho­ne Bevöl­ke­rung im Don­bas einen »nie­der­schwel­li­gen« Krieg mit 14.000 Todes­op­fern geführt hat­te, griff Russ­land 2022 ein; zunächst mit dem Ziel, schnell zu Ver­hand­lun­gen zu kom­men. Das gelang zunächst auch, schei­ter­te aber nach Inter­ven­ti­on der Bri­ten und Ame­ri­ka­ner. Danach ging Russ­land zur Stra­te­gie des Abnut­zungs­kriegs über. Die mili­tä­ri­sche Lage der Ukrai­ne gilt als aussichtslos.

Trump kann mit sei­ner Ukraine­po­li­tik auch am eige­nen Poli­ti­kestab­lish­ment noch schei­tern. Er kämpft an vie­len Fron­ten zugleich: In West­asi­en dro­hen Krieg und Völ­ker­mord aus­ge­wei­tet zu wer­den, in Ost­asi­en wer­den die Anstren­gun­gen ver­viel­facht, den Ein­fluss Chi­nas ein­zu­däm­men, in den US-Mini­ste­ri­en und Behör­den fin­den Mas­sen­ent­las­sun­gen und poli­ti­sche Säu­be­run­gen in nie dage­we­se­nem Umfang statt, Ein­fuhr­zöl­le gegen ver­bün­de­te Staa­ten und somit star­ke Preis­er­hö­hun­gen sto­ßen auf innen­po­li­ti­schen Wider­stand, Mas­sen von »ille­ga­len« Ein­wan­de­rern sol­len abge­scho­ben wer­den, die zugleich bil­li­ge Arbeits­kräf­te sind u. v. a. m. In die­sem Gewirr von Inter­es­sen­kon­flik­ten sind Nie­der­la­gen, Tausch­ge­schäf­te und Zuge­ständ­nis­se an die »Fal­ken« nicht auszuschließen.

  1. Der Krieg ist noch nicht been­det. Das wird wahr­schein­lich auch so bald nicht der Fall sein. Immer noch flie­ßen die Waf­fen­strö­me aus dem Westen, und immer wei­ter wer­den jun­ge Män­ner ein­ge­zo­gen und an die Front gewor­fen. Um den Zusam­men­bruch der ukrai­ni­schen Armee und die bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­ti­on zu ver­mei­den, muss die Nato bereit sein, den rus­si­schen Vor­stel­lun­gen weit entgegenzukommen.

Von der Rui­nie­rung und Zer­tei­lung Russ­lands redet man in Brüs­sel und Ber­lin zwar nicht mehr so laut, aber man­che plap­pern Plä­ne nach, den Krieg nach korea­ni­schem Muster »ein­zu­frie­ren«. Auch dem liegt wie­der illu­sio­nä­res Wunsch­den­ken zugrun­de: Erstens kal­ku­lie­ren Exper­ten, dass allein zur effek­ti­ven Siche­rung des Waf­fen­still­stands an einer 1.300 km lan­gen Front­li­nie (Korea 300 km) eine Armee von ca. 200.000 Sol­da­ten erfor­der­lich wäre. Woher sol­len die kom­men? Zwei­tens wer­den die Rus­sen den opfer­rei­chen Krieg nicht been­den, nur um an einer neu­en Gren­ze mit der Ukrai­ne das zu haben, was sie an der vor­he­ri­gen Gren­ze schon hat­ten: ein von den USA und ihren Vasal­len beherrsch­tes und bewaff­ne­tes feind­se­li­ges Land. Sie wer­den daher kei­ne »Frie­dens­trup­pen« aus Nato-Län­dern akzep­tie­ren. Ohne fak­tisch gesi­cher­te Neu­tra­li­tät des­sen, was von der Ukrai­ne am Ende übrig­bleibt, wird es nicht gehen.

  1. Ent­schei­dend für den wei­te­ren Ver­lauf ist, dass es Russ­land nicht nur um das Kriegs­en­de in der Ukrai­ne geht, son­dern um eine umfas­sen­de, über die Ukrai­ne hin­aus­ge­hen­de Frie­dens­si­che­rung. Daher wird Mos­kau den Abnut­zungs­krieg so lan­ge wei­ter­füh­ren und sei­ne Armee so lan­ge lang­sam nach Westen ver­schie­ben, bis das Ziel einer Sicher­heits­struk­tur erreicht sein wird. Ein mili­tä­ri­sches Ein­grei­fen west­li­cher Län­der wäre kein »Spiel mit dem Feu­er«, son­dern das Feu­er selbst – mit Deutsch­land als Kriegsschauplatz.
  2. Ein wei­te­res Hin­der­nis ist der in den US-Macht­eli­ten vor­herr­schen­de »Excep­tio­na­lism«; der besagt, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten die »außer­ge­wöhn­li­che« und für die Welt »unver­zicht­ba­re Nati­on« sei­en, der es jeder­zeit gestat­tet ist, jeden Ver­trag und jedes Gesetz zu bre­chen, sobald es ihre eige­nen Inter­es­sen erfor­dern. Das wis­sen aller­dings auch die rus­si­schen Ver­hand­lungs­part­ner. Die Zahl gebro­che­ner Ver­trä­ge ist Legi­on. Sie wer­den also mehr als nur papie­re­ne Sicher­hei­ten ver­lan­gen und über den Ukrai­ne­kon­flikt hin­aus eine eura­si­sche Sicher­heits­ar­chi­tek­tur anstre­ben, eine neu­tra­le und waf­fen­re­du­zier­te Rest-Ukrai­ne inbegriffen.
  3. Aus Brüs­sel, Ber­lin, Paris und Lon­don ist seit 2014 nicht ein ein­zi­ger Frie­den­vor­schlag ein­ge­bracht wor­den. Allei­ni­ges Ziel war und ist die Nie­der­la­ge Russ­lands auf der Basis fan­ta­sier­ter eige­ner Über­le­gen­heit. Nach all den Fehl­schlä­gen sind die Außen­po­li­ti­ker der EU nicht ein­mal fähig, einen »Plan B« aus der Tasche zie­hen, wie das im All­tags­le­ben jeder ver­nünf­ti­ge Mensch tun wür­de. Sie sind nicht bereit, sich von ihren selbst­schä­di­gen­den Hirn­ge­spin­sten zu ver­ab­schie­den. Arro­ganz und Igno­ranz haben sich ver­mählt und hei­ßen nun »Sicher­heit durch Stär­ke«. Das sind untrüg­li­che Zei­chen für eine unfä­hi­ge, hass­ge­trie­be­ne und nihi­li­sti­sche Pseudo-Elite.
  4. Druck und Ver­lu­ste, denen eine Grup­pe von außen aus­ge­setzt ist, wer­den in der Regel inner­halb der Grup­pe von den Star­ken an die Schwä­che­ren wei­ter­ge­ge­ben. So wird sich inner­halb der Nato-Län­der die US-Macht­eli­te an den Ver­bün­de­ten in Euro­pa und Japan schad­los hal­ten. Die gespreng­te Nord­stream-Pipe­line ist nur ein Bei­spiel. Trump for­mu­liert das nun so deut­lich, dass es auch die treu­her­zig­sten und hirn­ge­wa­schen­sten Transatlantiker/​innen kapie­ren müss­ten. Es ist irr­sin­nig, sich die­ser impe­ria­len Macht wei­ter­hin aus­zu­set­zen und sich zugleich durch Feind­se­lig­keit gegen Russ­land und Chi­na den Weg zu alter­na­ti­ven Wirt­schafts- und Han­dels­be­zie­hun­gen abzuschneiden.
  5. Die G7-Staa­ten befin­den sich in einer lang­fri­sti­gen öko­no­mi­schen Sta­gna­ti­on, auch wenn die­se immer mal wie­der durch kür­zer und schwä­cher wer­den­de kon­junk­tu­rel­le Erho­lun­gen unter­bro­chen wird. Unter die­sen Bedin­gun­gen müs­sen die sozia­len und öko­lo­gi­schen Fol­gen im Inter­es­se der arbei­ten­den Bevöl­ke­run­gen begrenzt wer­den, weil die Gesell­schaft anson­sten dar­an zer­bre­chen wird. Das schreit gera­de­zu nach koope­ra­ti­ven und fried­li­chen Bezie­hun­gen mit den BRICS-Län­dern. Dort leben etwa 50 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung, bei zuneh­men­der Zahl der Mit­glieds­staa­ten, wäh­rend in den G7-Län­dern etwa 9 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung leben. Die­sen Rea­li­tä­ten mit »hybri­den Krie­gen« begeg­nen zu wol­len, anstatt sich posi­tiv und koope­ra­tiv dar­auf ein­zu­stel­len, ist vermessen.
  6. Die Rus­sen haben gegen­über Deutsch­land wahr­lich kei­nen Grund zur Dank­bar­keit; sie sind aber nach allem erstaun­li­cher­wei­se immer noch koope­ra­ti­ons­be­reit. Seit Bis­marcks Aus­schei­den aus der Poli­tik vor 135 Jah­ren schla­gen Deutsch­lands jewei­li­ge Macht­eli­ten immer wie­der auf die aus­ge­streck­te rus­si­sche Hand und ler­nen nichts aus den schlech­ten Erfah­run­gen, die sie jedes Mal damit machen muss­ten. Russ­land wird immer Deutsch­lands Nach­bar blei­ben. Die ver­fehl­te anti­rus­si­sche Poli­tik for­dert selbst bei einer posi­ti­ven Eini­gung mit Russ­land noch ihren Preis, denn Märk­te, die man auf­ge­ge­ben, Ener­gie­zu­flüs­se, die man ver­schmäht hat, sind größ­ten­teils bereits an ande­re gegan­gen. Russ­land, von dem die deut­schen Medi­en Tag für Tag ein häss­li­ches Zerr­bild ver­mit­teln, wird in Zukunft Deutsch­lands wich­tig­ster Koope­ra­ti­ons­part­ner wer­den müs­sen, ohne dass die ande­ren euro­päi­schen Nach­barn davon Scha­den neh­men. Wer das nicht erkennt, ist den vor uns lie­gen­den Kri­sen nicht gewachsen
  7. Deut­sche Poli­ti­ker wer­den im Aus­land nur dann wie­der ernst genom­men, wenn sie als Ver­tre­ter eines sou­ve­rä­nen Lan­des auf­tre­ten und nicht als Sprech­pup­pen der ame­ri­ka­ni­schen Neo­cons. Glaub­wür­dig­keit kann nur durch ver­mit­teln­des, an der UNO-Char­ta ori­en­tier­tes Vor­ge­hen zurück­ge­won­nen wer­den. Das war nach 1945 nie­mals wich­ti­ger als in der gegen­wär­ti­gen gefähr­li­chen Pha­se der glo­ba­len Umbrüche.

Der deut­sche Poli­tik­be­trieb erweist sich ange­sichts der Tie­fe und Inten­si­tät der vor uns lie­gen­den Kri­sen als unfä­hig, etwas Bes­se­res her­vor­zu­brin­gen, als einen Cum-Ex-Kanz­ler durch einen Black­Rock-Kanz­ler zu erset­zen. Die Fra­ge, ob eine »Poli­tik der guten Nach­bar­schaft« (Brandt) unter den Ver­hält­nis­sen der Kon­zern- und Staats­me­di­en, der öko­no­mi­schen Kri­se und des repres­siv ein­ge­schnür­ten öffent­li­chen Debat­ten­raums erreicht wer­den kann, bleibt offen. Wie es aus­sieht, wird die Ant­wort außer­par­la­men­ta­risch in den Betrie­ben und auf den Stra­ßen gege­ben wer­den müssen.