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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Genozid in Südafrika?

Es begann – wie so oft – im Oval Office. Einem Raum, der einst das demo­kra­ti­sche Rück­grat der Welt sym­bo­li­sier­te, heu­te aber eher als begeh­ba­res Requi­sit einer glo­ba­len Rea­li­ty-Show dient, in der Donald Trump Regie führt, Haupt­rol­le spielt und sich selbst dabei beim Applau­die­ren zusieht.

Dies­mal auf dem Spiel­plan: White Geno­ci­de in South Afri­ca, ein rei­ße­ri­scher Polit-Thril­ler, pro­du­ziert von Tele­gram-Kanä­len, insze­niert vom rech­ten Rand und urauf­ge­führt – natür­lich – auf dem Tep­pich der Macht in Washing­ton. In der Haupt­rol­le neben Trump: Cyril Rama­pho­sa, Prä­si­dent der Repu­blik Süd­afri­ka, Sta­tist wider Wil­len in einem Spuk­stück kolo­nia­ler Umkehrfantasien.

Die Lich­ter gin­gen aus im Oval Office. Nicht meta­pho­risch – son­dern buch­stäb­lich. Trump ließ dim­men, um ein Video zu zei­gen: wei­ße Holz­kreu­ze, gesta­pel­te Zita­te, mal aus dem Kon­text geris­sen, mal ganz ohne. Es war eine Mon­ta­ge, wie sie sonst nur von ver­schwö­rungs­gläu­bi­gen Tele­g­ra­mi­sten oder von Fox-News-Spät­for­ma­ten ver­wur­stet wird. Die Bot­schaft: Der wei­ße Mann stirbt – und kei­ner schaut hin.

Dass die­se Kreu­ze kei­ne ech­ten Grä­ber mar­kier­ten, son­dern Sym­bol­trä­ger­schaf­ten bei einer Pro­test­ak­ti­on waren, inter­es­sier­te den Prä­si­den­ten herz­lich wenig. Es war die Wahr­heit, wie sie ihm gefiel. In Trumps Uni­ver­sum bedeu­tet Wahr­heit nicht cor­re­spon­dence with rea­li­ty, son­dern con­fir­ma­ti­on of emo­ti­on. Emo­ti­on heißt in die­sem Fall: Ressentiment.

Ein Gespenst geht um in der west­li­chen Welt – das Gespenst des wei­ßen Man­nes, der sich als bedroh­te Min­der­heit insze­niert, obwohl er wei­ter­hin die Mehr­heit der Macht, der Medi­en und des Kapi­tals inne­hat. Trump ist nicht nur Sym­ptom, son­dern Laut­spre­cher die­ser post­ko­lo­nia­len Para­noia, die sich als Ver­tei­di­gung mas­kiert, aber Angriffs­stra­te­gie ist.

Der »white geno­ci­de« in Süd­afri­ka – eine Erzäh­lung, so alt wie die Land­nah­me selbst. Dass 80 Pro­zent der Bevöl­ke­rung schwarz, aber über 70 Pro­zent des frucht­ba­ren Lan­des wei­ter­hin in wei­ßer Hand sind – ein Detail, das unter den Tep­pich fällt, wenn man sich lie­ber auf die Angst vor Rück­ga­be als auf die Not­wen­dig­keit von Gerech­tig­keit konzentriert.

Der kolo­nia­le Reflex ist tief ver­wur­zelt: Wo Besitz ein­mal weiß war, kann jede Form der Rück­for­de­rung nur als Ent­eig­nung, als Ter­ror, als »Rache« gele­sen wer­den – nie als histo­ri­sche Kor­rek­tur. So ver­wan­delt sich Sozi­al­po­li­tik in den Augen der Rech­ten schnell in Geno­zid, Land­re­form in Pogrom.

Die Stroh­pup­pe, an der Trump sei­ne media­le Gabel wetzt, heißt Juli­us Male­ma. Der Kopf der EFF – eine Art mar­xi­stisch-leni­ni­sti­scher Ope­ret­ten­funk­tio­när mit Hang zur Tri­bu­nen-Rhe­to­rik – wird zum Kron­zeu­gen des Unter­gangs. Male­mas »Kill the Boer«-Chant, ein histo­ri­scher Befrei­ungs­song, wird in Trumps Erzäh­lung zur neu­en Natio­nal­hym­ne des Schlachtens.

Dass süd­afri­ka­ni­sche Gerich­te das Lied nicht als Hass­re­de, son­dern als kul­tu­rel­les Erbe ein­ord­nen? Egal. In Trumps Welt genügt ein Screen­shot, um ein Nar­ra­tiv zu zemen­tie­ren. Die Seman­tik des Lie­des wird nicht ana­ly­siert – sie wird umge­wid­met. Der Kon­text spielt kei­ne Rol­le. Denn wer weiß, dass Wor­te Geschich­te tra­gen, erkennt auch, dass nicht jedes »Kill« ein Auf­ruf zur Tötung ist, son­dern mit­un­ter ein sym­bo­li­scher Schrei gegen eine erdrücken­de Vergangenheit.

Donald Trump ist kein gewöhn­li­cher Poli­ti­ker. Er ist ein Kolo­ni­al­re­vi­sio­nist im Maß­an­zug, ein sen­ti­men­ta­ler Chau­vi­nist, der sich nach einer Welt sehnt, in der »the West« noch die Peit­sche schwang und der Glo­bus eine Samm­lung will­fäh­ri­ger Bitt­stel­ler war.

Rama­pho­sa, der ver­such­te, über Han­del zu spre­chen, brach­te nicht viel mit: gute Manie­ren, ein paar Gol­fer und ein Lächeln. Aber er ver­gaß das Wich­tig­ste: einen Spie­gel, um Trump sein Zerr­bild vor Augen zu füh­ren. Denn was sich da vor lau­fen­der Kame­ra abspiel­te, war kei­ne Diplo­ma­tie – es war ein kolo­nia­ler Show­pro­zess, in dem der Anklä­ger zugleich Rich­ter und Publi­kum war.

Ein wei­te­rer Neben­dar­stel­ler betrat die Büh­ne: Elon Musk. Der Self­ma­de-Pro­phet aus Pre­to­ria, mitt­ler­wei­le zur gal­li­ons­fi­gu­ra­len Licht­ge­stalt der Rech­ten sti­li­siert, sekun­dier­te Trump schwei­gend. Sei­ne Tweets hat­ten den Mythos vom wei­ßen Völ­ker­mord befeu­ert, sein Geld trug ihn. Musk ist der per­fek­te Kom­pli­ze: ein glo­bal agie­ren­der Kapi­ta­list, der sich als Opfer des Anti-Wei­ßen Nar­ra­tivs insze­niert, wäh­rend er Rake­ten in den Orbit schießt und Fabri­ken in Nied­rig­lohn­zo­nen errichtet.

Die Iro­nie? Musk stammt aus Süd­afri­ka – sei­ne Fami­lie pro­fi­tier­te von Struk­tu­ren, die heu­te als Apart­heid in die Geschich­te ein­ge­gan­gen sind. Und den­noch sti­li­siert er sich als Flie­hen­der vor der angeb­li­chen Rache der Schwar­zen. Moses mit Mars-Ticket.

Die seman­ti­sche Akro­ba­tik, die hier betrie­ben wird, ist nicht neu, aber in ihrer Skru­pel­lo­sig­keit bemer­kens­wert. Die Täter der Geschich­te – jene, die über Jahr­hun­der­te syste­ma­tisch Land, Leben und Wür­de raub­ten – ver­wan­deln sich in Trumps Erzäh­lung zu Opfern eines mör­de­ri­schen Umsturzes.

Es ist der alte Trick: Man ruft Geno­zid, um jede Form von Gerech­tig­keit als Unge­rech­tig­keit erschei­nen zu las­sen. Man ver­weist auf Ein­zel­fäl­le, blen­det Syste­ma­tik aus. Man zeigt Kreu­ze auf Wie­sen – und unter­schlägt, wer jahr­hun­der­te­lang unter dem Kreuz der kolo­nia­len Gewalt litt.

Die Zah­len­spie­le sind ein­deu­tig: Von über 26.000 Mor­den in Süd­afri­ka 2024 waren nur 44 mit land­wirt­schaft­li­chem Kon­text ver­bun­den. Acht der Opfer waren Far­mer. Kein Muster, kein Völ­ker­mord, kei­ne eth­ni­sche Säu­be­rung. Aber das stört nur jene, die noch an Evi­denz glauben.

Trump glaubt nicht an Evi­denz – er glaubt an Effekt. Der Vor­wurf wird zur Wahr­heit, sobald er gesagt wur­de. Wie­der­holt. Ver­stärkt. Bebil­dert. Die Rhe­to­rik des Post­fak­ti­schen ist eine des Ein­drin­gens in die emo­tio­na­le Rin­de. Wer weint um einen ermor­de­ten Schwar­zen? Nie­mand, wenn der ermor­de­te Wei­ße zu bes­se­ren Klick­zah­len führt.

Cyril Rama­pho­sa ver­hielt sich still. Viel­leicht zu still. Doch in die­ser Stil­le lag Wür­de – eine Hal­tung, die im Ver­gleich zu Trumps Markt­schreie­rei fast schon ari­sto­kra­tisch wirk­te. Wäh­rend der eine mit Zet­teln wedel­te, Vide­os zeig­te und »death, death« mur­mel­te wie ein Dämon aus einem Ste­phen-King-Roman, blieb der ande­re beim Faktischen.

Rama­pho­sa hät­te sagen kön­nen: »Ihr wollt Gerech­tig­keit ohne Geschich­te. Das ist wie Medi­zin ohne Dia­gno­se.« Doch er schwieg. Auch das ist Poli­tik. Lei­der eine, die im post­fak­ti­schen Zeit­al­ter kaum noch Gehör findet.

Es war ein denk­wür­di­ger Moment. Nicht wegen sei­nes Inhalts, son­dern wegen sei­ner Form. Die Büh­ne war per­fekt aus­ge­leuch­tet – oder eben abge­dun­kelt. Der Popu­list führ­te Regie über ein Stück, das sich »Demo­kra­tie« nennt, aber längst zur Insze­nie­rung einer Sehn­sucht gewor­den ist: der nach Ord­nung, nach Hier­ar­chie, nach kolo­nia­ler Klarheit.

Der neue Geno­zid ist kein rea­ler – er ist ein rhe­to­ri­scher, ein Kampf um Deu­tungs­ho­heit in einer Welt, die längst aus den Fugen gera­ten ist. Die Far­ce, die in Washing­ton gespielt wur­de, war nicht nur eine Belei­di­gung für Süd­afri­ka, son­dern eine War­nung an den Rest der Welt: Wenn man den Opfern der Geschich­te vor­wirft, zu laut zu atmen, dann ist das näch­ste Ver­bot nur einen Tweet entfernt.

Die Paro­le des post­fak­ti­schen Zeit­al­ters lau­tet nicht mehr: »Nie wie­der!«, son­dern: »War­um nicht noch­mal?« Die Geschichts­lü­gen fei­ern Come­back – mas­kiert als Schutz der Min­der­hei­ten. Doch wer schützt die Mehr­heit, wenn der wei­ße Mann sich wie­der zum Maß aller Din­ge macht?

Trump zeig­te in die­ser Insze­nie­rung nicht nur, was er glaubt. Er zeig­te, was er braucht: Feind­bil­der, Fik­tio­nen und fal­sche Fak­ten. Süd­afri­ka war nur die Büh­ne. Das eigent­li­che Stück trägt den Titel: Die Rück­kehr des Kolo­ni­al­gei­stes – eine Tra­gi­ko­mö­die in drei Akten.

Und das Publi­kum? Klatscht. Noch.