Es begann – wie so oft – im Oval Office. Einem Raum, der einst das demokratische Rückgrat der Welt symbolisierte, heute aber eher als begehbares Requisit einer globalen Reality-Show dient, in der Donald Trump Regie führt, Hauptrolle spielt und sich selbst dabei beim Applaudieren zusieht.
Diesmal auf dem Spielplan: White Genocide in South Africa, ein reißerischer Polit-Thriller, produziert von Telegram-Kanälen, inszeniert vom rechten Rand und uraufgeführt – natürlich – auf dem Teppich der Macht in Washington. In der Hauptrolle neben Trump: Cyril Ramaphosa, Präsident der Republik Südafrika, Statist wider Willen in einem Spukstück kolonialer Umkehrfantasien.
Die Lichter gingen aus im Oval Office. Nicht metaphorisch – sondern buchstäblich. Trump ließ dimmen, um ein Video zu zeigen: weiße Holzkreuze, gestapelte Zitate, mal aus dem Kontext gerissen, mal ganz ohne. Es war eine Montage, wie sie sonst nur von verschwörungsgläubigen Telegramisten oder von Fox-News-Spätformaten verwurstet wird. Die Botschaft: Der weiße Mann stirbt – und keiner schaut hin.
Dass diese Kreuze keine echten Gräber markierten, sondern Symbolträgerschaften bei einer Protestaktion waren, interessierte den Präsidenten herzlich wenig. Es war die Wahrheit, wie sie ihm gefiel. In Trumps Universum bedeutet Wahrheit nicht correspondence with reality, sondern confirmation of emotion. Emotion heißt in diesem Fall: Ressentiment.
Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt – das Gespenst des weißen Mannes, der sich als bedrohte Minderheit inszeniert, obwohl er weiterhin die Mehrheit der Macht, der Medien und des Kapitals innehat. Trump ist nicht nur Symptom, sondern Lautsprecher dieser postkolonialen Paranoia, die sich als Verteidigung maskiert, aber Angriffsstrategie ist.
Der »white genocide« in Südafrika – eine Erzählung, so alt wie die Landnahme selbst. Dass 80 Prozent der Bevölkerung schwarz, aber über 70 Prozent des fruchtbaren Landes weiterhin in weißer Hand sind – ein Detail, das unter den Teppich fällt, wenn man sich lieber auf die Angst vor Rückgabe als auf die Notwendigkeit von Gerechtigkeit konzentriert.
Der koloniale Reflex ist tief verwurzelt: Wo Besitz einmal weiß war, kann jede Form der Rückforderung nur als Enteignung, als Terror, als »Rache« gelesen werden – nie als historische Korrektur. So verwandelt sich Sozialpolitik in den Augen der Rechten schnell in Genozid, Landreform in Pogrom.
Die Strohpuppe, an der Trump seine mediale Gabel wetzt, heißt Julius Malema. Der Kopf der EFF – eine Art marxistisch-leninistischer Operettenfunktionär mit Hang zur Tribunen-Rhetorik – wird zum Kronzeugen des Untergangs. Malemas »Kill the Boer«-Chant, ein historischer Befreiungssong, wird in Trumps Erzählung zur neuen Nationalhymne des Schlachtens.
Dass südafrikanische Gerichte das Lied nicht als Hassrede, sondern als kulturelles Erbe einordnen? Egal. In Trumps Welt genügt ein Screenshot, um ein Narrativ zu zementieren. Die Semantik des Liedes wird nicht analysiert – sie wird umgewidmet. Der Kontext spielt keine Rolle. Denn wer weiß, dass Worte Geschichte tragen, erkennt auch, dass nicht jedes »Kill« ein Aufruf zur Tötung ist, sondern mitunter ein symbolischer Schrei gegen eine erdrückende Vergangenheit.
Donald Trump ist kein gewöhnlicher Politiker. Er ist ein Kolonialrevisionist im Maßanzug, ein sentimentaler Chauvinist, der sich nach einer Welt sehnt, in der »the West« noch die Peitsche schwang und der Globus eine Sammlung willfähriger Bittsteller war.
Ramaphosa, der versuchte, über Handel zu sprechen, brachte nicht viel mit: gute Manieren, ein paar Golfer und ein Lächeln. Aber er vergaß das Wichtigste: einen Spiegel, um Trump sein Zerrbild vor Augen zu führen. Denn was sich da vor laufender Kamera abspielte, war keine Diplomatie – es war ein kolonialer Showprozess, in dem der Ankläger zugleich Richter und Publikum war.
Ein weiterer Nebendarsteller betrat die Bühne: Elon Musk. Der Selfmade-Prophet aus Pretoria, mittlerweile zur gallionsfiguralen Lichtgestalt der Rechten stilisiert, sekundierte Trump schweigend. Seine Tweets hatten den Mythos vom weißen Völkermord befeuert, sein Geld trug ihn. Musk ist der perfekte Komplize: ein global agierender Kapitalist, der sich als Opfer des Anti-Weißen Narrativs inszeniert, während er Raketen in den Orbit schießt und Fabriken in Niedriglohnzonen errichtet.
Die Ironie? Musk stammt aus Südafrika – seine Familie profitierte von Strukturen, die heute als Apartheid in die Geschichte eingegangen sind. Und dennoch stilisiert er sich als Fliehender vor der angeblichen Rache der Schwarzen. Moses mit Mars-Ticket.
Die semantische Akrobatik, die hier betrieben wird, ist nicht neu, aber in ihrer Skrupellosigkeit bemerkenswert. Die Täter der Geschichte – jene, die über Jahrhunderte systematisch Land, Leben und Würde raubten – verwandeln sich in Trumps Erzählung zu Opfern eines mörderischen Umsturzes.
Es ist der alte Trick: Man ruft Genozid, um jede Form von Gerechtigkeit als Ungerechtigkeit erscheinen zu lassen. Man verweist auf Einzelfälle, blendet Systematik aus. Man zeigt Kreuze auf Wiesen – und unterschlägt, wer jahrhundertelang unter dem Kreuz der kolonialen Gewalt litt.
Die Zahlenspiele sind eindeutig: Von über 26.000 Morden in Südafrika 2024 waren nur 44 mit landwirtschaftlichem Kontext verbunden. Acht der Opfer waren Farmer. Kein Muster, kein Völkermord, keine ethnische Säuberung. Aber das stört nur jene, die noch an Evidenz glauben.
Trump glaubt nicht an Evidenz – er glaubt an Effekt. Der Vorwurf wird zur Wahrheit, sobald er gesagt wurde. Wiederholt. Verstärkt. Bebildert. Die Rhetorik des Postfaktischen ist eine des Eindringens in die emotionale Rinde. Wer weint um einen ermordeten Schwarzen? Niemand, wenn der ermordete Weiße zu besseren Klickzahlen führt.
Cyril Ramaphosa verhielt sich still. Vielleicht zu still. Doch in dieser Stille lag Würde – eine Haltung, die im Vergleich zu Trumps Marktschreierei fast schon aristokratisch wirkte. Während der eine mit Zetteln wedelte, Videos zeigte und »death, death« murmelte wie ein Dämon aus einem Stephen-King-Roman, blieb der andere beim Faktischen.
Ramaphosa hätte sagen können: »Ihr wollt Gerechtigkeit ohne Geschichte. Das ist wie Medizin ohne Diagnose.« Doch er schwieg. Auch das ist Politik. Leider eine, die im postfaktischen Zeitalter kaum noch Gehör findet.
Es war ein denkwürdiger Moment. Nicht wegen seines Inhalts, sondern wegen seiner Form. Die Bühne war perfekt ausgeleuchtet – oder eben abgedunkelt. Der Populist führte Regie über ein Stück, das sich »Demokratie« nennt, aber längst zur Inszenierung einer Sehnsucht geworden ist: der nach Ordnung, nach Hierarchie, nach kolonialer Klarheit.
Der neue Genozid ist kein realer – er ist ein rhetorischer, ein Kampf um Deutungshoheit in einer Welt, die längst aus den Fugen geraten ist. Die Farce, die in Washington gespielt wurde, war nicht nur eine Beleidigung für Südafrika, sondern eine Warnung an den Rest der Welt: Wenn man den Opfern der Geschichte vorwirft, zu laut zu atmen, dann ist das nächste Verbot nur einen Tweet entfernt.
Die Parole des postfaktischen Zeitalters lautet nicht mehr: »Nie wieder!«, sondern: »Warum nicht nochmal?« Die Geschichtslügen feiern Comeback – maskiert als Schutz der Minderheiten. Doch wer schützt die Mehrheit, wenn der weiße Mann sich wieder zum Maß aller Dinge macht?
Trump zeigte in dieser Inszenierung nicht nur, was er glaubt. Er zeigte, was er braucht: Feindbilder, Fiktionen und falsche Fakten. Südafrika war nur die Bühne. Das eigentliche Stück trägt den Titel: Die Rückkehr des Kolonialgeistes – eine Tragikomödie in drei Akten.
Und das Publikum? Klatscht. Noch.