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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gute Flüchtlinge – schlechte Flüchtlinge

Der Viet­nam­krieg ende­te 1975. Um dem Elend des kriegs­zer­stör­ten Lan­des und dem sieg­rei­chen kom­mu­ni­sti­schen Regime zu ent­kom­men, wag­ten rund andert­halb Mil­lio­nen Viet­na­me­sen die Flucht übers offe­ne Meer. Am 3. Dezem­ber 1978 kamen die ersten so genann­ten »Boat Peo­p­le« in Deutsch­land an. Dank der Initia­ti­ve des nie­der­säch­si­schen CDU-Mini­ster­prä­si­den­ten Ernst Albrecht. Als die Bil­der von den ent­kräf­te­ten Flücht­lin­gen, die nahe den Küsten Malay­si­as oder Thai­lands unter men­schen­un­wür­di­gen Zustän­den auf ihren Schif­fen oder in über­füll­ten Lagern aus­har­ren muss­ten, um die Welt gin­gen, ent­schied Albrecht spon­tan und im Kreis sei­ner Fami­lie, die ersten 1.000 »Boat Peo­p­le« in sei­nem Bun­des­land auf­zu­neh­men und schick­te sei­nen Mini­ster Wil­fried Has­sel­mann nach Malay­sia, um zunächst 163 Flücht­lin­ge von der schrott­rei­fen »Hai Hong« abzu­ho­len: »Es war ein ganz trau­ri­ges Bild, wenn ich es so sagen darf, für uns alle, in sol­chem Zustand, ver­hun­gert, ängst­lich, lei­se, kein lau­tes Wort, auch unge­wiss, in wel­che Zukunft sie jetzt kom­men, aber doch dank­bar, dass sie vom Schiff weg waren.«

Die Ankunft der Viet­na­me­sen in Han­no­ver geriet zu einem Medi­en­er­eig­nis. Ein­ge­hüllt in Decken des Roten Kreu­zes, wur­de den über­mü­de­ten Flücht­lin­gen in der Flug­ha­fen­hal­le an weiß gedeck­ten Tischen Sup­pe, Tee und Obst ser­viert. Eini­ge Flücht­lin­ge, gezeich­net von Hun­ger, Durst und Ver­bren­nun­gen, brach­te man ins Kran­ken­haus. Die ande­ren fuh­ren in das Durch­gangs­la­ger Friedland.

Den ersten 163 Flücht­lin­gen folg­ten schließ­lich ins­ge­samt knapp 40.000, dar­un­ter 10.000, die von dem Frach­ter »Cap Ana­mur« geret­tet wur­den. Der Köl­ner Jour­na­list Rupert Neu­deck und sei­ne Ehe­frau Chri­stel hat­ten Anfang 1979 die Initia­ti­ve »Ein Schiff für Viet­nam« gegrün­det, um – mit der Unter­stüt­zung von pro­mi­nen­ten Poli­ti­kern und Schrift­stel­lern wie Nor­bert Blüm, Mar­tin Wal­ser und Hein­rich Böll – ein gro­ßes Schiff zu char­tern und mög­lichst vie­le Flücht­lin­ge aus Viet­nam aufzunehmen.

Den Viet­na­me­sen blieb im Rah­men die­ser huma­ni­tä­ren Hilfs­ak­ti­on ein lan­ges Asyl­ver­fah­ren erspart, im Unter­schied zu poli­ti­schen Flücht­lin­gen zum Bei­spiel aus Chi­le, Argen­ti­ni­en oder dem Nahen Osten, denen kei­ne Vor­zugs­be­hand­lung gewährt wur­de, weil sie nicht vor einem kom­mu­ni­sti­schen Regime geflo­hen waren, son­dern wie die Flücht­lin­ge aus Chi­le vor rech­ten Put­schi­sten, unter­stützt von den USA. Ein ent­spre­chen­des Gesetz pri­vi­le­gier­te Kon­tin­gent­flücht­lin­ge wie die »Boat Peo­p­le« gegen­über Asyl­be­wer­bern und begün­stig­te sie bei Sprach­kur­sen sowie der Arbeits- und Woh­nungs­su­che. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen, gepaart mit hoher Bil­dungs­be­reit­schaft und dem Wunsch nach gesell­schaft­li­cher Ein­glie­de­rung, gelang vie­len Viet­na­me­sen der wirt­schaft­li­che und sozia­le Aufstieg.

 

Ausgabe 15.16/2025