Zu Recht ist in den vergangenen Wochen viel über die Vorgänge um die nunmehr gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin geschrieben worden. Ich will hier nicht auf die an ihren wissenschaftlichen Auffassungen geäußerte Kritik eingehen, die ohnehin kaum haltbar ist. Mir geht es stattdessen um die Begleitmusik.
In rechten Kreisen war immer wieder von einer linken »Kampagne« die Rede, der sich die CDU/SCSU-Bundestagsfraktion heldenhaft entgegengestellt habe. Anderenorts heißt es, die Selbstachtung habe es Teilen der Fraktion verboten, dieser Personalie zuzustimmen. Und dann sind da noch einige Ausweichmanöver, um dem Vorwurf der Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts den Wind aus den geblähten Segeln zu nehmen.
Woher die Behauptung einer linken Kampagne genommen wird, ist mir rätselhaft. Dass der Vorschlag zur Wahl eines Verfassungsrichters oder einer Verfassungsrichterin von denjenigen, die diesen Vorschlag machen, mit gewissen Hoffnungen verknüpft wird, darf eigentlich nicht erstaunen. Das stellt für sich keine »Kampagne« dar. Ganz anders ist es, wenn mit Fehlzitaten und weiteren Unterstellungen versucht wird, die unerwünschte Kandidatin zu diskreditieren. Auf diese Art der Auseinandersetzung trifft in Wahrheit der Kampagnenbegriff zu, wie der Spiegel anhand der Analyse verschiedener Aufrufe rechter Gruppierungen in der Zeit von Anfang Juli ziemlich stimmig nachweist. Dass dann in letzter Sekunde auch noch die Plagiatskeule geschwungen werden musste, zeigt nur, wie schwach bzw. lügnerisch die übrigen Argumente waren. Außerdem unterstreicht der Vorgang, allen Beteuerungen der CDU-Spitze zum Trotz, wie eng der Schulterschluss mit der AfD bei vielen Bundestagsabgeordneten der Christenunion schon geworden ist.
Im Übrigen sollten Abgeordnete des Deutschen Bundestages gut genug informiert sein, um zu wissen, dass eine einzelne Person nur selten in der Lage ist, ein Gericht wie das Bundesverfassungsgericht politisch in ihre Richtung zu »drehen«. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass auch konservative Juristen, wie beispielsweise der Innenminister der Notstandsgesetze, Ernst Benda, später durchaus liberal am Gericht gewirkt haben. Es besteht also kein Automatismus zwischen politischer Auffassung und späterem richterlichen Handeln. Auch Roman Herzog, vormals Innen- und Polizeiminister in Baden-Württemberg, ist während seiner Zeit am Bundesverfassungsgericht meines Wissens nicht mit radikalen Law-and-Order-Parolen aufgefallen. Ebenso wenig hat Susanne Baer, bekennende Feministin und lesbisch, zu umstürzlerischen Entscheidungen des Verfassungsgerichts beigetragen. Die Verfassungsrichter selbst betonen immer wieder, dass klar politische Argumente in ihren Beratungen eher zurückgewiesen würden, als erfolgreich seien. Auch wenn man das als gewissen Selbstschutz gegen zu offensichtliche Kritik ansehen mag, so ist doch zu bedenken, dass hier ein Gremium mit acht Richterinnen und Richtern agiert, in dem die intensiven Beratungen sicherlich nicht spurlos an einzelnen Protagonisten und ihren Auffassungen vorübergehen werden.
Das Argument der »Selbstachtung« ist so diffus, dass es schwerfällt, darauf einzugehen. Nur so viel: Verliert jemand an Selbstachtung, wenn er oder sie sich bereit erklärt, eine abweichende Meinung gelten zu lassen? Basis unserer Demokratie und unserer Justiz ist ein Pluralismus, der abweichende Meinungen nicht per se diskriminiert. Dieses Prinzip haben diejenigen verletzt die sich mit dem Topos der Selbstachtung aus der Affäre zu ziehen versuchen.
Noch ein weiterer Aspekt fällt in der Debatte unangenehm auf. In manchen Kommentaren wird die Bedeutung der Verfassungsrichterwahl heruntergespielt, wenn etwa erklärt wird, kaum jemand habe den Namen Brosius-Gersdorf bis vor kurzem gekannt. Das mag zutreffen, insinuiert aber, dass die Wahl von Verfassungsrichtern oder -richterinnen doch eigentlich gar nicht so wichtig sei, als dass man sich dabei lange aufhalten müsse. Ich halte das für einen fatalen Fehlschluss. Das Bundesverfassungsgericht ist Hüterin der demokratischen Ordnung dieses Landes. Auch wenn es dabei nicht selten auf Kritik stößt, bleibt es ein wesentlicher Bestandteil unseres Gemeinwesens und genoss lange einen großen Vertrauensbonus in der Bevölkerung. Der könnte innerhalb der letzten Wochen durch das verantwortungslose Agieren rechter Kreise durchaus gelitten haben – und das wahrscheinlich noch mit Absicht. Hier scheint die Strategie auf, bestimmte Organe unseres Gemeinwesens bewusst zu diskreditieren. Das alles kleinzureden und frisch, fromm, fröhlich frei nach neuen Personen für die Richterwahl Ausschau zu halten, beschädigt unseren Rechtsstaat ebenfalls.
Ein letzter Punkt ist das Verhalten verschiedener konservativer Presseorgane, unter anderem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nach der Rückzugserklärung von Brosius-Gersdorf meinten gleich drei Herren der FAZ, noch einmal nachtreten zu müssen. Sie warfen der früheren Kandidatin vor, nichts von Pressefreiheit zu verstehen, und titelten: »Der linke Kulturkampf ist gescheitert« (Daniel Deckers) oder »Wie freie Presse geht, weiß Brosius-Gersdorf nicht« (Michael Hanfeld). Sogar ein Herausgeber der Zeitung, Jürgen Kaube, sah sich genötigt, in die Diskussion mit der Überschrift »Brosius-Gersdorf versteigt sich mächtig« einzugreifen. Es hatte den Anschein, als wenn sich die drei Herren gegenseitig noch anfeuerten, um die Rolle zu vertuschen, die die Zeitung vorher in dieser Auseinandersetzung gespielt hatte. »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass«, so könnte man das zusammenfassen. Zweifellos hatte die Zeitung mit ihren Berichten vom 2. und 3. Juli die Diskussion auf der Rechten weiter angefacht. Das mochten die Herren hinterher nicht mehr so richtig wahrhaben. In der Zeitschrift Cicero sah sich der Strafrechtler Holm Putzke zu einer Benotung der Rücktrittserklärung der Kandidatin mit den Worten »ein Mix aus Selbstverteidigung und Opferinszenierung« veranlasst und sprach ihr schlicht die Befähigung zum Amt einer Verfassungsrichterin ab. Auch die Neue Züricher Zeitung meinte, die Positionen von Brosius-Gersdorf seien schlicht nicht zustimmungsfähig gewesen.
So geht rechte Presse 2025 in der Bundesrepublik, heißen ihre Organe nun FAZ, Welt oder Nius, von der Bild-Zeitung ganz zu schweigen. Eine letzte Variante, die Affäre schnell zu beerdigen, ist der Versuch einiger juristischer Persönlichkeiten, die Legitimität des Wahlverfahrens zum Bundesverfassungsgericht zu bezweifeln, um damit entweder wieder Ruhe einkehren zu lassen oder aber den Widerstand der Abweichler in der CDU/CSU nachträglich zu legitimieren.
Mit den Worten von Susanne Baer, schon 2023 ausgesprochen, lässt sich das Schmierenstück gut wie folgt zusammenfassen: »erst Zweifel, dann Misstrauen, dann Diffamierung und Delegitimation«. Letztlich bleibt die bittere Erkenntnis, dass jemand mit prononciert fortschrittlichen juristischen Ideen es sich nach dieser Affäre sehr gut überlegen wird, ob er oder sie sich die Kandidatur für das Verfassungsgericht zumuten mag – zum Schaden unseres Gemeinwesens.