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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Hetze lohnt sich

Zu Recht ist in den ver­gan­ge­nen Wochen viel über die Vor­gän­ge um die nun­mehr geschei­ter­te Wahl von Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf zur Ver­fas­sungs­rich­te­rin geschrie­ben wor­den. Ich will hier nicht auf die an ihren wis­sen­schaft­li­chen Auf­fas­sun­gen geäu­ßer­te Kri­tik ein­ge­hen, die ohne­hin kaum halt­bar ist. Mir geht es statt­des­sen um die Begleitmusik.

In rech­ten Krei­sen war immer wie­der von einer lin­ken »Kam­pa­gne« die Rede, der sich die CDU/SC­SU-Bun­des­tags­frak­ti­on hel­den­haft ent­ge­gen­ge­stellt habe. Ande­ren­orts heißt es, die Selbst­ach­tung habe es Tei­len der Frak­ti­on ver­bo­ten, die­ser Per­so­na­lie zuzu­stim­men. Und dann sind da noch eini­ge Aus­weich­ma­nö­ver, um dem Vor­wurf der Beschä­di­gung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts den Wind aus den gebläh­ten Segeln zu nehmen.

Woher die Behaup­tung einer lin­ken Kam­pa­gne genom­men wird, ist mir rät­sel­haft. Dass der Vor­schlag zur Wahl eines Ver­fas­sungs­rich­ters oder einer Ver­fas­sungs­rich­te­rin von den­je­ni­gen, die die­sen Vor­schlag machen, mit gewis­sen Hoff­nun­gen ver­knüpft wird, darf eigent­lich nicht erstau­nen. Das stellt für sich kei­ne »Kam­pa­gne« dar. Ganz anders ist es, wenn mit Fehl­zi­ta­ten und wei­te­ren Unter­stel­lun­gen ver­sucht wird, die uner­wünsch­te Kan­di­da­tin zu dis­kre­di­tie­ren. Auf die­se Art der Aus­ein­an­der­set­zung trifft in Wahr­heit der Kam­pa­gnen­be­griff zu, wie der Spie­gel anhand der Ana­ly­se ver­schie­de­ner Auf­ru­fe rech­ter Grup­pie­run­gen in der Zeit von Anfang Juli ziem­lich stim­mig nach­weist. Dass dann in letz­ter Sekun­de auch noch die Pla­gi­ats­keu­le geschwun­gen wer­den muss­te, zeigt nur, wie schwach bzw. lüg­ne­risch die übri­gen Argu­men­te waren. Außer­dem unter­streicht der Vor­gang, allen Beteue­run­gen der CDU-Spit­ze zum Trotz, wie eng der Schul­ter­schluss mit der AfD bei vie­len Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Chri­sten­uni­on schon gewor­den ist.

Im Übri­gen soll­ten Abge­ord­ne­te des Deut­schen Bun­des­ta­ges gut genug infor­miert sein, um zu wis­sen, dass eine ein­zel­ne Per­son nur sel­ten in der Lage ist, ein Gericht wie das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt poli­tisch in ihre Rich­tung zu »dre­hen«. Die Erfah­rung zeigt viel­mehr, dass auch kon­ser­va­ti­ve Juri­sten, wie bei­spiels­wei­se der Innen­mi­ni­ster der Not­stands­ge­set­ze, Ernst Ben­da, spä­ter durch­aus libe­ral am Gericht gewirkt haben. Es besteht also kein Auto­ma­tis­mus zwi­schen poli­ti­scher Auf­fas­sung und spä­te­rem rich­ter­li­chen Han­deln. Auch Roman Her­zog, vor­mals Innen- und Poli­zei­mi­ni­ster in Baden-Würt­tem­berg, ist wäh­rend sei­ner Zeit am Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt mei­nes Wis­sens nicht mit radi­ka­len Law-and-Order-Paro­len auf­ge­fal­len. Eben­so wenig hat Susan­ne Baer, beken­nen­de Femi­ni­stin und les­bisch, zu umstürz­le­ri­schen Ent­schei­dun­gen des Ver­fas­sungs­ge­richts bei­getra­gen. Die Ver­fas­sungs­rich­ter selbst beto­nen immer wie­der, dass klar poli­ti­sche Argu­men­te in ihren Bera­tun­gen eher zurück­ge­wie­sen wür­den, als erfolg­reich sei­en. Auch wenn man das als gewis­sen Selbst­schutz gegen zu offen­sicht­li­che Kri­tik anse­hen mag, so ist doch zu beden­ken, dass hier ein Gre­mi­um mit acht Rich­te­rin­nen und Rich­tern agiert, in dem die inten­si­ven Bera­tun­gen sicher­lich nicht spur­los an ein­zel­nen Prot­ago­ni­sten und ihren Auf­fas­sun­gen vor­über­ge­hen werden.

Das Argu­ment der »Selbst­ach­tung« ist so dif­fus, dass es schwer­fällt, dar­auf ein­zu­ge­hen. Nur so viel: Ver­liert jemand an Selbst­ach­tung, wenn er oder sie sich bereit erklärt, eine abwei­chen­de Mei­nung gel­ten zu las­sen? Basis unse­rer Demo­kra­tie und unse­rer Justiz ist ein Plu­ra­lis­mus, der abwei­chen­de Mei­nun­gen nicht per se dis­kri­mi­niert. Die­ses Prin­zip haben die­je­ni­gen ver­letzt die sich mit dem Topos der Selbst­ach­tung aus der Affä­re zu zie­hen versuchen.

Noch ein wei­te­rer Aspekt fällt in der Debat­te unan­ge­nehm auf. In man­chen Kom­men­ta­ren wird die Bedeu­tung der Ver­fas­sungs­rich­ter­wahl her­un­ter­ge­spielt, wenn etwa erklärt wird, kaum jemand habe den Namen Bro­si­us-Gers­dorf bis vor kur­zem gekannt. Das mag zutref­fen, insi­nu­iert aber, dass die Wahl von Ver­fas­sungs­rich­tern oder -rich­te­rin­nen doch eigent­lich gar nicht so wich­tig sei, als dass man sich dabei lan­ge auf­hal­ten müs­se. Ich hal­te das für einen fata­len Fehl­schluss. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ist Hüte­rin der demo­kra­ti­schen Ord­nung die­ses Lan­des. Auch wenn es dabei nicht sel­ten auf Kri­tik stößt, bleibt es ein wesent­li­cher Bestand­teil unse­res Gemein­we­sens und genoss lan­ge einen gro­ßen Ver­trau­ens­bo­nus in der Bevöl­ke­rung. Der könn­te inner­halb der letz­ten Wochen durch das ver­ant­wor­tungs­lo­se Agie­ren rech­ter Krei­se durch­aus gelit­ten haben – und das wahr­schein­lich noch mit Absicht. Hier scheint die Stra­te­gie auf, bestimm­te Orga­ne unse­res Gemein­we­sens bewusst zu dis­kre­di­tie­ren. Das alles klein­zu­re­den und frisch, fromm, fröh­lich frei nach neu­en Per­so­nen für die Rich­ter­wahl Aus­schau zu hal­ten, beschä­digt unse­ren Rechts­staat ebenfalls.

Ein letz­ter Punkt ist das Ver­hal­ten ver­schie­de­ner kon­ser­va­ti­ver Pres­se­or­ga­ne, unter ande­rem der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung. Nach der Rück­zugs­er­klä­rung von Bro­si­us-Gers­dorf mein­ten gleich drei Her­ren der FAZ, noch ein­mal nach­tre­ten zu müs­sen. Sie war­fen der frü­he­ren Kan­di­da­tin vor, nichts von Pres­se­frei­heit zu ver­ste­hen, und titel­ten: »Der lin­ke Kul­tur­kampf ist geschei­tert« (Dani­el Deckers) oder »Wie freie Pres­se geht, weiß Bro­si­us-Gers­dorf nicht« (Micha­el Han­feld). Sogar ein Her­aus­ge­ber der Zei­tung, Jür­gen Kau­be, sah sich genö­tigt, in die Dis­kus­si­on mit der Über­schrift »Bro­si­us-Gers­dorf ver­steigt sich mäch­tig« ein­zu­grei­fen. Es hat­te den Anschein, als wenn sich die drei Her­ren gegen­sei­tig noch anfeu­er­ten, um die Rol­le zu ver­tu­schen, die die Zei­tung vor­her in die­ser Aus­ein­an­der­set­zung gespielt hat­te. »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass«, so könn­te man das zusam­men­fas­sen. Zwei­fel­los hat­te die Zei­tung mit ihren Berich­ten vom 2. und 3. Juli die Dis­kus­si­on auf der Rech­ten wei­ter ange­facht. Das moch­ten die Her­ren hin­ter­her nicht mehr so rich­tig wahr­ha­ben. In der Zeit­schrift Cice­ro sah sich der Straf­recht­ler Holm Putz­ke zu einer Beno­tung der Rück­tritts­er­klä­rung der Kan­di­da­tin mit den Wor­ten »ein Mix aus Selbst­ver­tei­di­gung und Opfer­in­sze­nie­rung« ver­an­lasst und sprach ihr schlicht die Befä­hi­gung zum Amt einer Ver­fas­sungs­rich­te­rin ab. Auch die Neue Züri­cher Zei­tung mein­te, die Posi­tio­nen von Bro­si­us-Gers­dorf sei­en schlicht nicht zustim­mungs­fä­hig gewesen.

So geht rech­te Pres­se 2025 in der Bun­des­re­pu­blik, hei­ßen ihre Orga­ne nun FAZ, Welt oder Nius, von der Bild-Zei­tung ganz zu schwei­gen. Eine letz­te Vari­an­te, die Affä­re schnell zu beer­di­gen, ist der Ver­such eini­ger juri­sti­scher Per­sön­lich­kei­ten, die Legi­ti­mi­tät des Wahl­ver­fah­rens zum Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zu bezwei­feln, um damit ent­we­der wie­der Ruhe ein­keh­ren zu las­sen oder aber den Wider­stand der Abweich­ler in der CDU/​CSU nach­träg­lich zu legitimieren.

Mit den Wor­ten von Susan­ne Baer, schon 2023 aus­ge­spro­chen, lässt sich das Schmie­ren­stück gut wie folgt zusam­men­fas­sen: »erst Zwei­fel, dann Miss­trau­en, dann Dif­fa­mie­rung und Dele­gi­ti­ma­ti­on«. Letzt­lich bleibt die bit­te­re Erkennt­nis, dass jemand mit pro­non­ciert fort­schritt­li­chen juri­sti­schen Ideen es sich nach die­ser Affä­re sehr gut über­le­gen wird, ob er oder sie sich die Kan­di­da­tur für das Ver­fas­sungs­ge­richt zumu­ten mag – zum Scha­den unse­res Gemeinwesens.