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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heilmittel Lyrik

Tho­mas Bach­mann schreibt klar, knapp, deut­lich. Zudem bleibt er beharr­lich, ist unbe­irr­bar, ehr­lich und ein­dring­lich. Ein kri­tisch wacher Chro­nist sei­ner Zeit. Dies gilt für sei­ne Pro­sa wie z. B. die knei­pen­phi­lo­so­phi­schen Betrach­tun­gen, und es gilt ganz beson­ders für sei­ne Lyrik.

Es sind fein­füh­li­ge Wahr­neh­mun­gen, oft nüch­tern abge­klär­te Beob­ach­tun­gen des bana­len All­tags in die­sem Land und unse­rer Zeit, die sich als roter Faden durch die 180 Sei­ten des neu­en, nun­mehr vier­ten Lyrik­ban­des Übers Jahr zie­hen. Es beginnt mit einer ein­fa­chen Bestands­auf­nah­me, einem Ein­ge­ständ­nis unter der Über­schrift Ich geb’s ja zu:

»es fällt mir schwer /​ zu funk­tio­nie­ren /​ wie gewünscht /​ im Ham­ster­rad zu /​ lau­fen, dies und das /​ dazu zu kau­fen /​ mich wie üblich /​ dann und wann /​ gründ­lich zu besau­fen /​ und anson­sten still /​ und fein ein /​ Wackel­kopf zu sein /​ der bei jedem /​ Schlag­loch nickt /​ tut mir leid, ich /​ krieg’s nicht hin.«

In sei­ner Lyrik aber schafft Tho­mas Bach­mann es immer wie­der neu, den rich­ti­gen Dreh zu fin­den und es lyrisch hin­zu­krie­gen, ob gereimt oder unge­reimt die rich­ti­gen Schlüs­se zu zie­hen. Ob bal­la­den­haft erzäh­lend oder kurz und knapp, prä­zi­se auf den Punkt gebracht. Stets bie­tet der Leip­zi­ger Mul­ti­künst­ler sei­nen Lese­rin­nen und Lesern wohl­do­sier­te lyri­sche Heil­mit­tel gegen man­che Krank­heit, so gegen Feind­den­ken und Krieg:

»Der Feind ist der Feind /​ und wenn er Lie­der singt /​ so ist das gräss­lich, und /​ wenn er Kla­vier spielt /​ so ist das uner­hört, und /​ wenn er Frie­den wünscht /​ so ist das ver­schla­gen /​ der Feind ist der Feind.«

Über 138 sei­ner fei­nen Wort­ge­fü­ge hat Tho­mas Bach­mann hier zusam­men­ge­tra­gen, Gedich­te über Abend und Mor­gen, über Tages­ge­sche­hen und Jah­res­läu­fe, über mensch­li­che Tugen­den und Schwä­chen, Frie­den und Krieg, gebeu­tel­te Umwelt und Natur.

»Geruh­sam /​ geht der Abend /​ in die Nacht hin­über /​ als ein hage­rer Mann /​ mit ruhi­gem Schritt /​ hält er an sei­ner Hand /​ schon das Kind /​ des kom­men­den Tags /​ Abschied und Gruß /​ zugleich. /​ Schau, wie er geht /​ der Vater, und wie /​ schön er ist. /​ Und wie die Nacht /​ die Mut­ter das Kind /​ wach­sen lässt.«

Frank Schu­mann vom Ber­li­ner Ver­lag am Park zählt als Ver­le­ger der nun­mehr vier Übers Jahr-Lyrik­bän­de und der von Tho­mas Bach­mann betreu­ten Antho­lo­gie-Rei­he Schla­fen­de Hun­de gewiss zu den­je­ni­gen, die immer noch auf die Heil­kräf­te der Lite­ra­tur gene­rell set­zen, und Rai­ner Maria Ril­kes Wort von der Lyrik als pro­ba­tes Heil­mit­tel gegen die nüch­ter­ne Unrast der Zeit gilt nicht nur für deren unbe­irr­ba­re Ver­fas­ser wie dem Lite­ra­ten und Musi­ker Tho­mas Bach­mann, des­sen aktu­el­le Lyrik der geneig­ten Leser­schaft wie­der jede Men­ge Gedan­ken­ge­winn und wohl­do­sier­te, geeig­ne­te Heil­kräf­te lie­fert zum täg­li­chen Gebrauch.

Tho­mas Bach­mann: Übers Jahr IV, Gedich­te & Lie­der 2024/​25, Ver­lag am Park, Ber­lin 2025, 185 S., 15 €.