Es ist Sommer. Es ist heiß. Lassen Sie sich entführen zu einem überraschenden Mikroabenteuer in Ihrer Nähe – an einen Ort, der sich in jeder Stadt befindet, den Sie aber garantiert noch nie betreten haben. Wenn Sie Glück haben, ist er sogar klimatisiert. Es ist das Ausländeramt; kein Witz: Diese Behörde nennt sich wirklich so. Müsste eigentlich Migrationshintergrundangelegenheitenamt heißen. Ich kläre gerne auf, wie es da so zugeht.
Ich kenne diesen Laden gut, in dem man vorsprechen muss, wenn man - wie desorientierte Politiker gerne sagen – die deutsche Staatsbürgerschaft hinterhergeschmissen kriegt. Ich bin in Texas geboren, also Amerikanerin. Dort habe ich zwar nur ein Jahr gelebt (meine Mutter ist nach dem Tod meines US-Amerikanischen Vaters wieder in ihre deutsche Heimatstadt gezogen, wo ich aufwuchs); will aber nun nach 65 Jahren in Deutschland Deutsche werden. Und ich kann versichern: Wäre mein Antrag auf Einbürgerung ein Ball, der geworfen wurde – der Begriff »hinterhergeschmissen« bekäme eine völlig neue Bedeutung: Schneckentempo!
Auf den Termin, bei dem ich mich als Bewerberin für die deutsche Staatsbürgerschaft vorstellen durfte, habe ich 14 Monate gewartet. Personalmangel, was sonst. Angeblich standen 70 städtische Fachleute 8000 Anträgen gegenüber. Wir haben also Zeit, Ihnen meinen derzeitigen Aufenthaltstitel zu erklären. Es gibt gefühlt hundert verschiedene Ebenen von Aufenthaltsgenehmigungen; meine nennt sich Niederlassungserlaubnis, sie ist unbefristet, braucht nie mehr verlängert zu werden und soll die beste Voraussetzung für eine Einbürgerung sein; ist also ausländerinnentechnisch das Beste, was man haben kann. Jedenfalls hatte ich Zeit genug, alle Unterlagen zusammenzustellen, vorzulegen in Original und Kopie: Das viele Seiten lange Antragsformular enthielt eine Menge nachvollziehbarer Fragen; die nach mehrfacher paralleler Ehe hat mich eher belustigt. (Das Bekenntnis zur Demokratie war übrigens ausgesprochen klein gedruckt.) Hinzu gesellten sich: Geburtsurkunde nebst beglaubigter Übersetzung, Rentenversicherungsverlauf zum Nachweis, dass ich keine Sozialleistungen beziehe (meist ein Ausschlussgrund für eine Einbürgerung), der aktuelle Mietvertrag mit den Kontoauszügen der letzten drei Mietüberweisungen … Ich bin seit 40 Jahren beim Einwohneramt der Stadt gemeldet, die ich nunmehr um Einbürgerung ersuche. Vermutlich will man ausschließen, dass ich zur Mietnomadin mutiert bin.
Doch jetzt: Ihr Mikroabenteuer beginnt. Es ist April. Endlich dürfen Sie mit mir das Bezirksrathaus betreten und mich in den zweiten Stock begleiten. Vor jedem Raum stehen Sicherheitskräfte. Wo über schicksalhafte aufenthaltsrechtliche Angelegenheiten von Ausländern, einschließlich der Ausstellung von Aufenthaltstiteln, oder Einbürgerungen entschieden wird, zittert sogar die Luft.
Ich halte meine Tasche umklammert. In ihr quetschen sich alle wichtigen Papiere meines Lebens in Original und Kopie. Und frage mich, was eigentlich passiert, wenn mir jemand die Tasche klaut – und warum ich zuhause keine dritte Kopie deponiert habe.
Zimmer XY. Ich trete ein. 16 Quadratmeter, zwei Schreibtische, meine Sachbearbeiterin sitzt links, ihr Kollege auf der anderen Seite ist umringt von einer dreiköpfigen jesidischen Familie, einer Übersetzerin und einer Anwältin. Wie durch ein Wunder passt die geballte Penetranz der Bürokratie problemlos mit hinein. Nur Diskretion nicht.
Gut, dass ich meine Unterlagen in einen Papphefter mit der Aufschrift »Karma« gesammelt habe – zu Zeiten, als ich noch nicht ahnte, wie sehr mich bei dieser Antragsabgabe Hitzewellen quälen würden, so heftig, wie ich sie sonst nur in den Wechseljahren hatte.
Die Papiere werden übergeben, geprüft – nichts fehlt. Allerdings habe ich meine aktuelle Aufenthaltstitelkarte nicht kopiert. Die Sachbearbeiterin klärt mich auf, dass sie Kopien aus Kostengründen nicht ausführen darf, tut es aber doch. Mein Atem wird regelmäßiger. Und dann: »Wo ist der B2-Nachweis zu Ihren Deutschkenntnissen?«. Habe ich nicht. Aber ich habe vom Kindergarten an in Deutschland gelebt und 43 Jahre als Journalistin schreibend gearbeitet. Ich erwähne peinlicherweise sogar meinen Journalistenpreis. Zählt nicht. Die Sachbearbeiterin braucht unbedingt »B2«. Ich brabbele etwas vom Ermessensspielraum einer Beamtin, sie wisse doch nun, dass ich … Nein! »Aber ich kann Ihnen einen Schnelltermin in acht Wochen anbieten, da können Sie als Beleg Ihr Abiturzeugnis vorbeibringen.« Stille. Übrigens auch bei den Jesiden nebenan. Dann die Stimme meiner Sachbearbeiterin: »Ich sehe gerade, Sie sind ja über 66, da brauchen Sie keinen Deutschnachweis mehr.« Nie war ich für mein Alter so dankbar.
Die Zeiten, in denen ich nur den Ausländerbeirat wählen durfte, seien nun ja endlich passé, sage ich, und dass ich mich auf die Kommunalwahl im Herbst freue, meine erste … Das, antwortet die Sachbearbeiterin, könne knapp werden – und überreicht mir den Gebührenzettel, 191 Euro. Drei Monate passiert in meiner Kausa nichts für mich Wahrnehmbares. Ich halte Ruhe, es wird von Amts wegen gebeten, von Rückfragen Abstand zu nehmen. Anfang Juli erhalte ich dann die Aufforderung, meinen Mietvertrag samt Kontoauszügen nachzureichen. Zum zweiten Mal, siehe oben. Und einen Lebenslauf. Und die Adressen, an denen ich seit meiner Einreise (1960!) gemeldet war. Wird prompt erledigt. Per mail. Kritiklos. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen übrigens versichern, dass man nicht an Ungesagtem erstickt.
Die nun für mich zuständige Beamtin (jetzt eine Dr. jur. mit türkischem Namen) bestätigt, alles sei angekommen. Ob’s denn nun bis zum Herbst klappt? Wegen der Kommunalwahl! »Nein, das schaffe ich nicht.»
Willkommen in Deutschland. Im nächsten Leben werde ich tschechische Profi-Eishockeyspielerin oder Bundesliga-Star aus Großbritannien, dann bräuchte das ganze Procedere nur acht Wochen. Weil die Saison im Stadion sonst gefährdet wäre. Und nicht nur meine Kommunalwahl.