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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Hitzewellen

Es ist Som­mer. Es ist heiß. Las­sen Sie sich ent­füh­ren zu einem über­ra­schen­den Mikro­aben­teu­er in Ihrer Nähe – an einen Ort, der sich in jeder Stadt befin­det, den Sie aber garan­tiert noch nie betre­ten haben. Wenn Sie Glück haben, ist er sogar kli­ma­ti­siert. Es ist das Aus­län­der­amt; kein Witz: Die­se Behör­de nennt sich wirk­lich so. Müss­te eigent­lich Migra­ti­ons­hin­ter­grund­an­ge­le­gen­hei­ten­amt hei­ßen. Ich klä­re ger­ne auf, wie es da so zugeht.

Ich ken­ne die­sen Laden gut, in dem man vor­spre­chen muss, wenn man - wie des­ori­en­tier­te Poli­ti­ker ger­ne sagen – die deut­sche Staats­bür­ger­schaft hin­ter­her­ge­schmis­sen kriegt. Ich bin in Texas gebo­ren, also Ame­ri­ka­ne­rin. Dort habe ich zwar nur ein Jahr gelebt (mei­ne Mut­ter ist nach dem Tod mei­nes US-Ame­ri­ka­ni­schen Vaters wie­der in ihre deut­sche Hei­mat­stadt gezo­gen, wo ich auf­wuchs); will aber nun nach 65 Jah­ren in Deutsch­land Deut­sche wer­den. Und ich kann ver­si­chern: Wäre mein Antrag auf Ein­bür­ge­rung ein Ball, der gewor­fen wur­de – der Begriff »hin­ter­her­ge­schmis­sen« bekä­me eine völ­lig neue Bedeu­tung: Schneckentempo!

Auf den Ter­min, bei dem ich mich als Bewer­be­rin für die deut­sche Staats­bür­ger­schaft vor­stel­len durf­te, habe ich 14 Mona­te gewar­tet. Per­so­nal­man­gel, was sonst. Angeb­lich stan­den 70 städ­ti­sche Fach­leu­te 8000 Anträ­gen gegen­über. Wir haben also Zeit, Ihnen mei­nen der­zei­ti­gen Auf­ent­halts­ti­tel zu erklä­ren. Es gibt gefühlt hun­dert ver­schie­de­ne Ebe­nen von Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gun­gen; mei­ne nennt sich Nie­der­las­sungs­er­laub­nis, sie ist unbe­fri­stet, braucht nie mehr ver­län­gert zu wer­den und soll die beste Vor­aus­set­zung für eine Ein­bür­ge­rung sein; ist also aus­län­de­rin­nen­tech­nisch das Beste, was man haben kann. Jeden­falls hat­te ich Zeit genug, alle Unter­la­gen zusam­men­zu­stel­len, vor­zu­le­gen in Ori­gi­nal und Kopie: Das vie­le Sei­ten lan­ge Antrags­for­mu­lar ent­hielt eine Men­ge nach­voll­zieh­ba­rer Fra­gen; die nach mehr­fa­cher par­al­le­ler Ehe hat mich eher belu­stigt. (Das Bekennt­nis zur Demo­kra­tie war übri­gens aus­ge­spro­chen klein gedruckt.) Hin­zu gesell­ten sich: Geburts­ur­kun­de nebst beglau­big­ter Über­set­zung, Ren­ten­ver­si­che­rungs­ver­lauf zum Nach­weis, dass ich kei­ne Sozi­al­lei­stun­gen bezie­he (meist ein Aus­schluss­grund für eine Ein­bür­ge­rung), der aktu­el­le Miet­ver­trag mit den Kon­to­aus­zü­gen der letz­ten drei Miet­über­wei­sun­gen … Ich bin seit 40 Jah­ren beim Ein­woh­ner­amt der Stadt gemel­det, die ich nun­mehr um Ein­bür­ge­rung ersu­che. Ver­mut­lich will man aus­schlie­ßen, dass ich zur Miet­no­ma­din mutiert bin.

Doch jetzt: Ihr Mikro­aben­teu­er beginnt. Es ist April. End­lich dür­fen Sie mit mir das Bezirks­rat­haus betre­ten und mich in den zwei­ten Stock beglei­ten. Vor jedem Raum ste­hen Sicher­heits­kräf­te. Wo über schick­sal­haf­te auf­ent­halts­recht­li­che Ange­le­gen­hei­ten von Aus­län­dern, ein­schließ­lich der Aus­stel­lung von Auf­ent­halts­ti­teln, oder Ein­bür­ge­run­gen ent­schie­den wird, zit­tert sogar die Luft.

Ich hal­te mei­ne Tasche umklam­mert. In ihr quet­schen sich alle wich­ti­gen Papie­re mei­nes Lebens in Ori­gi­nal und Kopie. Und fra­ge mich, was eigent­lich pas­siert, wenn mir jemand die Tasche klaut – und war­um ich zuhau­se kei­ne drit­te Kopie depo­niert habe.

Zim­mer XY. Ich tre­te ein. 16 Qua­drat­me­ter, zwei Schreib­ti­sche, mei­ne Sach­be­ar­bei­te­rin sitzt links, ihr Kol­le­ge auf der ande­ren Sei­te ist umringt von einer drei­köp­fi­gen jesi­di­schen Fami­lie, einer Über­set­ze­rin und einer Anwäl­tin. Wie durch ein Wun­der passt die geball­te Pene­tranz der Büro­kra­tie pro­blem­los mit hin­ein. Nur Dis­kre­ti­on nicht.

Gut, dass ich mei­ne Unter­la­gen in einen Papp­hef­ter mit der Auf­schrift »Kar­ma« gesam­melt habe – zu Zei­ten, als ich noch nicht ahn­te, wie sehr mich bei die­ser Antrags­ab­ga­be Hit­ze­wel­len quä­len wür­den, so hef­tig, wie ich sie sonst nur in den Wech­sel­jah­ren hatte.

Die Papie­re wer­den über­ge­ben, geprüft – nichts fehlt. Aller­dings habe ich mei­ne aktu­el­le Auf­ent­halts­ti­tel­kar­te nicht kopiert. Die Sach­be­ar­bei­te­rin klärt mich auf, dass sie Kopien aus Kosten­grün­den nicht aus­füh­ren darf, tut es aber doch. Mein Atem wird regel­mä­ßi­ger. Und dann: »Wo ist der B2-Nach­weis zu Ihren Deutsch­kennt­nis­sen?«. Habe ich nicht. Aber ich habe vom Kin­der­gar­ten an in Deutsch­land gelebt und 43 Jah­re als Jour­na­li­stin schrei­bend gear­bei­tet. Ich erwäh­ne pein­li­cher­wei­se sogar mei­nen Jour­na­li­sten­preis. Zählt nicht. Die Sach­be­ar­bei­te­rin braucht unbe­dingt »B2«. Ich brab­be­le etwas vom Ermes­sens­spiel­raum einer Beam­tin, sie wis­se doch nun, dass ich … Nein! »Aber ich kann Ihnen einen Schnell­ter­min in acht Wochen anbie­ten, da kön­nen Sie als Beleg Ihr Abitur­zeug­nis vor­bei­brin­gen.« Stil­le. Übri­gens auch bei den Jesi­den neben­an. Dann die Stim­me mei­ner Sach­be­ar­bei­te­rin: »Ich sehe gera­de, Sie sind ja über 66, da brau­chen Sie kei­nen Deutsch­nach­weis mehr.« Nie war ich für mein Alter so dankbar.

Die Zei­ten, in denen ich nur den Aus­län­der­bei­rat wäh­len durf­te, sei­en nun ja end­lich pas­sé, sage ich, und dass ich mich auf die Kom­mu­nal­wahl im Herbst freue, mei­ne erste … Das, ant­wor­tet die Sach­be­ar­bei­te­rin, kön­ne knapp wer­den – und über­reicht mir den Gebüh­ren­zet­tel, 191 Euro. Drei Mona­te pas­siert in mei­ner Kau­sa nichts für mich Wahr­nehm­ba­res. Ich hal­te Ruhe, es wird von Amts wegen gebe­ten, von Rück­fra­gen Abstand zu neh­men. Anfang Juli erhal­te ich dann die Auf­for­de­rung, mei­nen Miet­ver­trag samt Kon­to­aus­zü­gen nach­zu­rei­chen. Zum zwei­ten Mal, sie­he oben. Und einen Lebens­lauf. Und die Adres­sen, an denen ich seit mei­ner Ein­rei­se (1960!) gemel­det war. Wird prompt erle­digt. Per mail. Kri­tik­los. In die­sem Zusam­men­hang kann ich Ihnen übri­gens ver­si­chern, dass man nicht an Unge­sag­tem erstickt.

Die nun für mich zustän­di­ge Beam­tin (jetzt eine Dr. jur. mit tür­ki­schem Namen) bestä­tigt, alles sei ange­kom­men. Ob’s denn nun bis zum Herbst klappt? Wegen der Kom­mu­nal­wahl! »Nein, das schaf­fe ich nicht.»

Will­kom­men in Deutsch­land. Im näch­sten Leben wer­de ich tsche­chi­sche Pro­fi-Eis­hockey­spie­le­rin oder Bun­des­li­ga-Star aus Groß­bri­tan­ni­en, dann bräuch­te das gan­ze Pro­ce­de­re nur acht Wochen. Weil die Sai­son im Sta­di­on sonst gefähr­det wäre. Und nicht nur mei­ne Kommunalwahl.

 

Ausgabe 15.16/2025