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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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kein Mensch ist illegal: Manifest

»Ihr sollt wis­sen, dass kein Mensch ille­gal ist. Das ist ein Wider­spruch in sich. Men­schen kön­nen schön sein oder noch schö­ner. Sie kön­nen gerecht sein oder unge­recht. Aber ille­gal? Wie kann ein Mensch ille­gal sein?« (Elie Wie­sel)

Migran­tIn­nen und Flücht­lin­ge sind in Euro­pa uner­wünscht. Nach­dem es für sie nahe­zu unmög­lich ist, auf lega­lem Weg hier­her zu flie­hen, ein­zu­rei­sen oder ein­zu­wan­dern, ist die Über­schrei­tung der Staats­gren­zen nur noch »ille­gal« mög­lich und nicht sel­ten mit töd­li­chen Gefah­ren ver­bun­den. »Ille­gal« wird, wer bleibt, obwohl der Auf­ent­halt nicht mehr erlaubt, gestat­tet oder gedul­det ist. Syste­ma­tisch wer­den die ver­blie­be­nen Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­mög­lich­kei­ten redu­ziert. So wird eine immer grö­ße­re Zahl von Men­schen in die Ille­ga­li­tät gezwungen.

Gren­zen tren­nen nicht mehr nur Ter­ri­to­ri­en, Gren­zen tren­nen Men­schen. Gren­zen ver­lau­fen über­all: im Sozi­al­amt wie auf dem Bahn­hof, in der Innen­stadt wie an der Staats­gren­ze. Die Gren­ze ist über­all, wo Men­schen befürch­ten müs­sen, nach Papie­ren gefragt zu werden.

In ent­rech­te­tem, unge­si­cher­tem oder ille­ga­li­sier­tem Sta­tus zu leben, bedeu­tet die stän­di­ge Angst vor Denun­zia­ti­on und Erpres­sung, weil die Ent­deckung Bestra­fung, Abschie­be­haft oder die sofor­ti­ge Abschie­bung zur Fol­ge hat. Es bedeu­tet Schutz- und Recht­lo­sig­keit gegen­über Behör­den, Arbeit­ge­bern und Ver­mie­tern, aber auch im Fal­le von Krank­hei­ten, Unfäl­len oder Über­grif­fen. Es bedeu­tet auch, sozia­le Kon­tak­te fürch­ten zu müs­sen. Kin­der kön­nen kei­ne Schu­le und kei­nen Kin­der­gar­ten besu­chen, Jugend­li­che kei­ne Aus­bil­dung anfan­gen. Es bedeu­tet, stän­dig auf der Hut zu sein.

Im Kampf gegen Ras­sis­mus wird es immer wich­ti­ger, Migran­tIn­nen in ihren Kämp­fen gegen Ille­ga­li­sie­rung und für ihr Recht, über­haupt Rech­te zu haben, poli­tisch und prak­tisch zu unterstützen.

Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu ent­schei­den, wo und wie er leben will. Der Regu­lie­rung von Migra­ti­on und der syste­ma­ti­schen Ver­wei­ge­rung von Rech­ten steht die For­de­rung nach Gleich­heit in allen sozia­len und poli­ti­schen Belan­gen ent­ge­gen, nach der Respek­tie­rung der Men­schen­rech­te jeder Per­son unab­hän­gig von Her­kunft und Papieren.

Des­halb rufen wir dazu auf, Migran­tIn­nen bei der Ein- oder Wei­ter­rei­se zu unter­stüt­zen. Wir rufen dazu auf, Migran­tIn­nen Arbeit und Papie­re zu ver­schaf­fen. Wir rufen dazu auf, Migran­tIn­nen medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, Schu­le und Aus­bil­dung, Unter­kunft und mate­ri­el­les Über­le­ben zu gewährleisten.

Denn kein Mensch ist illegal.

docu­men­ta X, Kas­sel 1997
Hin­weis: Elie Wie­sel, rumä­nisch-US-ame­ri­ka­ni­scher Schrift­stel­ler, über­leb­te Ausch­witz und Buchen­wald. Er erhielt den Frie­dens­no­bel­preis 1986 für sei­ne Vor­bild­funk­ti­on im Kampf gegen Gewalt, Unter­drückung und Rassismus.

 

Ausgabe 15.16/2025