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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Letzter Sommer in Frieden

Der deut­sche Mili­tär­hi­sto­ri­ker Sön­ke Neit­zel defi­niert nicht nur, was die Bun­des­wehr zur Sicher­heit in Euro­pa bei­tra­gen soll­te. Der Mili­tär­hi­sto­ri­ker hat sich in den letz­ten zehn Jah­ren, seit­dem er an der Uni­ver­si­tät Pots­dam »War und Con­flict Stu­dies« und »Kriegs­wis­sen­schaft« lehrt, dar­über hin­aus zu einem Pro­pa­gan­di­sten der Kriegs­füh­rungs­stra­te­gie und zum Stra­te­gen der Auf­rü­stung gemau­sert. Sei­ne Auf­trit­te in den Medi­en wir­ken über­zeu­gend. Wo aber Kri­tik und Kri­ti­ker aus­ge­schlos­sen blei­ben, kann nicht ermit­telt wer­den, was auf Fak­ten beruht und was pure Pro­pa­gan­da ist. Der Mili­tär­hi­sto­ri­ker lässt sei­ne Bot­schaft sanft und plau­si­bel ins Publi­kum flie­ßen, sodass der Gedan­ke an Pro­pa­gan­da schwer­fällt. Nur wenn histo­ri­sches Wis­sen und eine mutig-kri­ti­sche Hal­tung vor­han­den sind, kom­men Zwei­fel auf, und im Zwei­feln liegt bekannt­lich der Wahr­heit Anfang. Die­se Maxi­me René Des­car­tes soll­ten alle hoch­hal­ten, nicht nur wenn soge­nann­te Mili­tär- und Sicher­heits­exper­ten auf­tre­ten. Sie tre­ten zumeist apo­dik­tisch auf und sche­ren sich nicht dar­um, wel­che ande­ren, sinn­vol­le­ren Mög­lich­kei­ten es gäbe, mit kri­ti­scher Ver­nunft und histo­ri­scher Weis­heit ergrün­det. Abschreckung als Idee gehör­te noch nie dazu. Nicht ohne Grund ver­bie­tet die deut­sche Kul­tur der Moder­ne Gewalt als Mit­tel und lernt, sie durch zivi­le Kom­mu­ni­ka­ti­on zu erset­zen. Auch nach außen, gegen­über Staa­ten, gilt das Gewalt­ver­bots­prin­zip. Die Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en unse­res Grund­ge­set­zes ver­lan­gen, dem Frie­den in der Welt zu die­nen, ver­bie­ten Angriffs­krie­ge, schüt­zen die Wür­de des ein­zel­nen Men­schen und den sozia­len und demo­kra­ti­schen Rechts­staat; Mit­glied­schaf­ten in kol­lek­ti­ven Sicher­heits­sy­ste­men sind erlaubt, wenn sie dem Frie­den der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen ver­pflich­tet blei­ben und der Kriegs­ver­hin­de­rung die­nen. Doch offen­sicht­lich klafft zwi­schen der Auf­rü­stungs­pro­pa­gan­da und dem grund­ge­setz­li­chen Auf­trag der Bun­des­wehr, ihrem Frie­dens­ge­bot, eine gro­ße Lücke, die der Kon­fron­ta­ti­on und einem neu­en kal­ten Krieg Tür und Tor öffnet.

Beim Fern­seh­auf­tritt am Tag des Angriffs der rus­si­schen Armee auf die Ukrai­ne schien der »Exper­te« Neit­zel sicht­bar erregt, als gebe er kund, was die­ser Kon­flikt auch für ihn bedeu­te: Der Stra­te­ge wuss­te, dass nun all das, was er seit Jah­ren beschwo­ren hat­te, eine neue Dyna­mik erhal­ten wür­de. Die Bun­des­wehr müs­se wie­der die Tech­nik des Krie­ges ler­nen, for­der­te er schon lan­ge. Neit­zel woll­te die Bun­des­wehr zur Kampf­ein­satz­ar­mee umbau­en, als sie noch in Afgha­ni­stan kämpf­te, und kri­ti­sier­te Gene­ral­inspek­teu­re der Bun­des­wehr in aller Schär­fe, die sei­ner Marsch­rich­tung nicht fol­gen woll­ten. Seit Putins Ent­schei­dung, die rus­si­sche Armee in die Ukrai­ne ein­mar­schie­ren zu las­sen, switch­te er schnell um auf Lan­des­ver­tei­di­gung, die er »euro­pä­isch« defi­niert – mit Deutsch­land als zen­tra­ler Macht.

Sei­ne Kar­rie­re begann der spä­te­re Pro­fes­sor nach dem Abitur an der Claus-von-Stauf­fen­berg-Schu­le (!) im hes­si­schen Rod­gau-Duden­ho­fen 1987/​88 erst ein­mal mit dem Wehr­dienst, wo er als Tank­wart sei­nen Dienst lei­ste­te. Die­sen »Impuls« darf man nicht unter­schät­zen! Schon in jun­gen Jah­ren zeig­te sich sei­ne Raf­fi­nes­se, dabei sein zu wol­len, ohne wirk­lich an der Front kämp­fen zu müs­sen. »Im Kriegs­fall wür­de ein Tank­wart der Bun­des­wehr Kraft­fahr­zeu­ge und Son­der­ma­schi­nen bereit­stel­len, um die akti­ven Trup­pen zu versorgen.«

Der Luft­waf­fe über dem Atlan­tik und der Nord­see 1939 bis 1945 galt sei­ne erste wis­sen­schaft­li­che Lei­stung, die einen Preis erhielt, des­sen Namens­ge­bers (Wer­ner-Hahl­weg-Preis) anschei­nend uner­kannt Mit­glied in der NSDAP und SS gewe­sen war. Der Histo­ri­ker Stig För­ster för­der­te den Mili­tär­hi­sto­ri­ker früh, der nach Groß­bri­tan­ni­en in die Leh­re und For­schung ging. Dort lehn­te einen mög­li­chen Ruf an die renom­mier­te Lon­don School of Eco­no­mics ab, um an der Uni­ver­si­tät Pots­dam die erste Pro­fes­sur für Mili­tär­ge­schich­te in Deutsch­land nach 1945 zu eta­blie­ren (im WS 2015/​16). Natür­lich ging er nicht ein­fach so nach Ber­lin. In Lon­don wäre er einer unter vie­len gewe­sen. In Ber­lin fand er alles vor, was er brauch­te, vor allem, wen er brauch­te: das bun­des­deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­um, das Zen­trum für Mili­tär­ge­schich­te und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten der Bun­des­wehr, Kon­tak­te zu den Bun­des­wehr­ver­bän­den und in die deut­sche Gesell­schaft für Sicher­heits­po­li­tik. So konn­te er Leh­re, For­schung und Poli­tik zu einem Gesamt­kon­zept ver­ei­nen und auf sei­ne Medi­en­kon­tak­te zurückgreifen.

»Deut­sche Krie­ger«, heißt sein gro­ßes, apo­lo­ge­ti­sches, den Tra­di­tio­nen deut­scher Kriegs­kunst ver­schrie­be­nes Werk. In zahl­rei­chen Auf­la­gen und Aus­ga­ben – und von der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung in Ber­lin fast kosten­los ver­trie­ben – ruft er dazu auf, von der Wehr­macht zu ler­nen, wie rich­ti­ge deut­sche Sol­da­ten kämp­fen, wie aus ihnen wie­der »archai­sche Kämp­fer« wer­den, statt zu ler­nen, wie Kon­flik­te auf fried­li­chem Wege zu lösen sind. Der renom­mier­te Mar­bur­ger Histo­ri­ker Wer­ner Con­ze kri­ti­sier­te die­ses »Mach­werk« scharf: »Hin­ter dem Duk­tus der Sach­lich­keit frei­lich, der Vor­spie­ge­lung einer ›Geschichts­schrei­bung ohne nor­ma­ti­ven Bal­last‹ ver­birgt sich das Ziel einer Mili­tär­po­li­tik und Mili­tär­ge­schichts­schrei­bung ohne nor­ma­ti­ven Frie­dens­be­zug. Das ist erschreckend.« Jüngst erschien von Sön­ke Neit­zel eine Art Flug­schrift, hand­lich, in die Brief­ta­sche zu stecken: »Die Bun­des­wehr – Von der Wie­der­be­waff­nung bis zur Zei­ten­wen­de«. Der »Deut­sche Krie­ger« sozu­sa­gen im Scho­ko­la­den-For­mat »qua­dra­tisch, prak­tisch, gut«! Dar­in lie­fert er Vor­ga­ben für einen Pan­zer­kom­man­dan­ten oder einen Gre­na­dier, »des­sen Auf­ga­be im Ernst­fall ist, in Litau­en für das west­li­che Bünd­nis zu kämp­fen, zu töten und not­falls zu ster­ben«. Beim selbst zurecht­ge­zim­mer­ten Bild muss­te Stö­ren­des weg­fal­len, muss­te geglät­tet wer­den, damit die Rich­tung stimmt: Die Bedro­hung aus dem Osten. Ach­tung Deut­sche! »Die Rus­sen kommen!«

Neit­zel warnt davor, dass Russ­land in weni­gen Jah­ren mili­tä­risch so erstarkt sein könn­te, dass es das Nato-Bünd­nis in loka­len Kon­flik­ten her­aus­for­dert. Er schließt die Mög­lich­keit nicht aus, dass die­ser Som­mer der letz­te in Frie­den sei. Auch wenn die­se Per­spek­ti­ve den nüch­ter­nen Betrach­tun­gen ehe­mals füh­ren­der Gene­ra­le nicht stand­hal­ten, der Mili­tär­hi­sto­ri­ker ist Pro­pa­gan­dist eines angeb­lich bevor­ste­hen­den Krie­ges in Euro­pa. Oder wol­len er und sei­ne Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen ihn her­bei­pro­vo­zie­ren? Dazu gehört auch das Mit­tel der Umschrei­bung der Geschich­te: Putin-Russ­land als Bedro­hung von Anfang an. Der Pro­pa­gan­dist lebt von Nar­ra­ti­ven, die er nicht bele­gen muss, denn in die­ser Rol­le ist er nicht Wis­sen­schaft­ler. Er schickt sei­ne Sze­na­ri­en in die Welt, so wie es ihm gefällt, auch wenn Bewei­se oder Quel­len feh­len. Wenn Mili­tär­hi­sto­ri­ker oder ande­re Fach­wis­sen­schaft­ler zu Ideo­lo­gen wer­den, ist Vor­sicht geboten!