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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Marc Aurel, der Philosoph auf dem Thron

»Heu­te bin ich bei Euch«, mit die­sen Wor­ten kam Marc Aurel in sei­ne Kai­ser­re­si­denz Trier, das römi­sche Augu­sta Tre­verorum. Da den Phi­lo­so­phen auf dem Kai­ser­thron, außer Fach­leu­ten, heu­te nur weni­ge genau­er ken­nen, waren für die Eröff­nung der Gro­ßen Lan­des­aus­stel­lung zwei Tei­le erfor­der­lich: »Marc Aurel Kai­ser, Feld­herr, Phi­lo­soph« im Rhei­ni­schen Lan­des­mu­se­um und »Was ist gute Herr­schaft« im Stadt­mu­se­um Sime­on-Stift. Die Gene­ral­di­rek­ti­on »Kul­tu­rel­les Erbe Rhein­land-Pfalz«, die für die­ses Pro­jekt neun Mil­lio­nen Euro ein­ge­wor­ben hat, ver­bin­det mit dem Pro­jekt die Absicht, einem gro­ßen Publi­kum ein span­nen­des Bil­dungs­er­leb­nis anzu­bie­ten. Dazu bedien­te man sich zwei­er kura­to­ri­scher Kunst­grif­fe: Kniff eins besteht dar­in, zuerst Kai­ser und Phi­lo­soph »real« vor­zu­stel­len. Schau­spie­ler Udo Schenk spiel­te den Kai­ser bei der Eröff­nung in der Ich-Per­son – und erzähl­te in »unge­kün­stel­ter Wür­de«, eben sto­isch, wie man sich den Poli­ti­ker aus sei­nen »Selbst­be­trach­tun­gen« vor­stel­len kann. Kniff zwei ist noch raf­fi­nier­ter: Der Medi­en­künst­ler Dani­el Vos­hart hat ein fil­mi­sches, foto­rea­li­sti­sches Por­trät von Marc Aurel aus den Mar­mor­bü­sten, Münz­bild­nis­sen und lite­ra­ri­schen Beschrei­bun­gen her­ge­stellt, in dem der Kai­ser erschreckend leib­haf­tig vor uns erscheint. Mit dem Mikro­fon kann jeder an ihn Fra­gen stel­len, die Marc Aurel beant­wor­tet wie in einem rea­len Inter­view. Da hören wir bei­spiels­wei­se, wie er von sich selbst erzählt. »Von den letz­ten fünf römi­schen Kai­sern war mir die läng­ste Regie­rungs­zeit ver­gönnt. Sech­zig Jah­re habe ich gelebt (von 121 bis 180 n. u. Z.) und davon zwei Drit­tel gestal­tet. Ich bin zwan­zig Jah­re unun­ter­bro­chen in Feld­la­gern unter­wegs gewe­sen.« Hier erin­nert der Kai­ser an die Mar­ko­man­nen­krie­ge gegen die Ein­wan­de­rung ger­ma­ni­scher Stäm­me jen­seits des Limes in Pan­no­ni­en, in den Donau­pro­vin­zen, wo er jah­re­lang lager­te. »Dort hat mei­nem Heer die Anto­ni­ni­sche Pest größ­te Ver­lu­ste zuge­fügt. Auch ich bin dar­an erkrankt.«

Im Jahr 140 hat­te Marc Aurel neun­zehn­jäh­rig den Thron bestie­gen, den er, wohl­über­legt, in eine Dop­pel­spit­ze ver­wan­del­te, geteilt mit sei­nem Halb­bru­der Luci­us Verus. Erst als die­ser jung starb, trat er im Jahr 61 die Allein­herr­schaft an. Aurel beherrsch­te ein Welt­reich. Das zog sich vom Per­si­schen Golf, über Afri­ka, Nord Gal­li­en, zur Ger­ma­nia magna und im Nor­den bis nach Schott­land. Sech­zig Mil­lio­nen Men­schen unter­stan­den sei­ner Ver­wal­tung, sei­ner aus­ge­klü­gel­ten Recht­spre­chung, sei­nen neu­en Erschlie­ßungs-Syste­men und Hee­res­ge­set­zen. Mit 40 000 Ein­woh­nern war Augu­sta Tre­verorum – nach Rom – die größ­te Stadt im West­rö­mi­schen Reich. Wie Per­len an einer Ket­te reih­ten sich damals 461 Tore an der Stadt­mau­er ent­lang in der unvor­stell­ba­ren Län­ge von 6400 Metern. Sie soll­te Schutz vor Bar­ba­ren­ein­fäl­len aus den Nord­pro­vin­zen schaf­fen. Zu den her­aus­ra­gen­den for­ti­fi­ka­to­ri­schen Lei­stun­gen gehört die Por­ta Nigra. Sie gilt als das monu­men­tal­ste Stadt­tor im gesam­ten Römi­schen Reich. Heu­te ist es das fast ein­zig erhal­te­ne Trie­rer Stadt­tor, nur des­we­gen nicht geschlif­fen, weil es spä­ter als Kir­che genutzt wurde.

Die »Selbst­be­trach­tun­gen«, die in 1.970 Abschrif­ten vor­lie­gen, haben bis heu­te eine Mil­li­on-Auf­la­ge erfah­ren. Sie sind in acht­zig Spra­chen über­setzt. Damit wur­den sie zum Welt­klas­si­ker. Es war die letz­te Schrift der neu­en Stoa. Als Schü­ler ist Aurel mit die­ser Phi­lo­so­phie auf­ge­wach­sen. Die »Selbst­be­trach­tun­gen« hat­te er aller­dings in Grie­chisch ver­fasst. Jah­re in der Stoi­schen Gei­stes­hal­tung geübt, über­prüf­te Aurel an deren Kern­fra­gen täg­lich sei­ne Hand­lun­gen, um künf­tig Feh­ler zu ver­mei­den und Richt­li­ni­en abzu­lei­ten. Denn so ide­al, wie er aus die­ser, erst viel spä­ter gedruck­ten Schrift erscheint, konn­te er tat­säch­lich nicht gewe­sen sein. In Deutsch­land ist die­se Schrift 1494 von Johan­nes Reuch­lin teil­ver­öf­fent­licht worden.

Epi­kur war auch einer von Aurels Leh­rern, der die grie­chi­sche Idee von der guten und schlech­ten Herr­schaft aktua­li­siert hat, die Aurel als Kai­ser immer im Auge behielt, ja, ziel­stre­big trai­nier­te. Ihm berei­te­te das Ler­nen dau­er­haft größ­te Freu­de, auch weil ihm sehr gute Pri­vat­leh­rer zuteil­ge­wor­den sind, u.a. Sene­ca. Durch ihn hat Aurel zu sei­nem spar­ta­ni­schen Lebens­stil gefun­den, dem­zu­fol­ge er auf fell­be­leg­ten Holz­prit­schen schlief. Obwohl er als Kron­prinz sol­che Beschei­den­heit nicht nötig hat­te und an Gla­dia­to­ren- und blu­ti­gen Tier­kämp­fen in Are­nen hät­te teil­neh­men sol­len, zog er das Stu­di­um vor. Es ging ihm um gutes und ehr­li­ches Leben. Das hat ihm sein Zieh­va­ter und För­de­rer, Kai­ser Hadri­an, antrai­niert. Hadri­an war der drit­te Kai­ser, der ohne Erben blieb. Des­we­gen adop­tier­te er Aurel.

Das Lan­des­mu­se­um Trier und das Städ­ti­schen Sime­on-Stift tei­len sich 223 Leih­ga­ben von 117 Leih­ge­bern auf 1600 m². Mit einem drei­jäh­ri­gen Vor­lauf steht das Pro­jekt vor­läu­fig am Ende einer Fol­ge her­aus­ra­gen­der Prä­sen­ta­tio­nen im Archäo­lo­gi­schen Muse­um Trier: 2007 »Kai­ser Kon­stan­tin der Gro­ße«, 2016 »Nero – Kai­ser, Künst­ler, Tyrann«, 2018 Karl Marx, 2022 »Der Unter­gang des Römi­schen Rei­ches«. Damit ist Trier zum Anti­ken­zen­trum Deutsch­lands gewach­sen. Außer­dem hat­ten die monu­men­ta­len römi­schen Bau­wer­ke: Por­ta Nigra, Kon­stan­tin­ba­si­li­ka, Dom St. Peter und Paul, Kai­ser­ther­men und Römer­brücke die Stadt bereits für das UNESCO-Welt­erbe qualifiziert.

Alles zusam­men­ge­führt sind wert­vol­le, man­che bis­her nie aus­ge­lie­he­nen Samm­lungs­stücke zu sehen. Leih­ga­ben kom­men u.a. aus Frank­reich (Musée du Lou­vre), Lon­don (Bri­tish Muse­um), Flo­renz (Le Gal­le­rie degli Uffi­zi), Rom, den drei Kapi­to­li­ni­schen Muse­en sowie dem Vati­kan und aus Athen, aus der Anci­ent Ago­ra. Tsche­chi­en und die Slo­wa­kei stel­len neue Aus­gra­bungs­fun­de aus Pan­no­ni­en zur Ver­fü­gung und gaben damit ihre neue­sten For­schungs­er­geb­nis­se frei. Umfang, Qua­li­tät und Prä­sen­ta­ti­on der Leih­ga­ben bewe­gen sich auf höch­stem Niveau.

Wel­che Schwer­punk­te setzt die Prä­sen­ta­ti­on? Her­vor­ge­ho­ben wird die Bio­gra­fie Marc Aurels. Auf­grund gün­sti­ger Quel­len­la­ge und der »Selbst­be­trach­tun­gen« kann sie – im Unter­schied zum Leben ande­rer römi­scher Kai­ser – aus­führ­lich und viel­sei­tig beleuch­tet wer­den, immer mit Blick dar­auf, The­sen älte­rer archäo­lo­gi­scher For­schung kri­tisch zu prü­fen oder zu revi­die­ren. Neue Les­ar­ten erge­ben sich zur Adop­ti­on, Erzie­hung und zum Stu­di­um des Kron­prin­zen Marc Aurels (Hele­na Huber). Über­zeu­gend revi­diert wird die Sicht auf den Mit­kai­ser Luci­us Verus (Sil­va Bru­der). Die vor­lie­gen­de Sekun­där­li­te­ra­tur deu­tet ihn als ober­fläch­li­chen, dem Luxus ver­fal­le­nen Herr­scher. Dahin­ter steht die Absicht, Marc Aurel für die Nach­welt zu über­hö­hen. Sin­gu­la­ri­tät und Ein­zig­ar­tig­keit sei­ner Per­son durch­zie­hen die gesam­te älte­re Lite­ra­tur. Eben­so nach­tei­lig erscheint dar­in das Bild von Fausti­na der Jün­ge­ren, Ehe­frau des Kai­sers, mit der er elf Kin­der hat­te. In den »Selbst­be­trach­tun­gen« ent­wirft der Kai­ser ein zärt­li­ches, lie­be­vol­les Bild von ihr. Schon zeit­ge­nös­si­sche Histo­rio­gra­fen wie Cas­si­us Dio haben die­se Erste Frau im Reich inter­pre­tiert als Ver­kör­pe­rung von Bos­heit und Hin­ter­häl­tig­keit, die den Kai­ser betrog und ihn mit Hil­fe der miss­lun­ge­nen Usur­pa­ti­on des Avi­di­us Cas­si­us im Jahr 177 zu ent­mach­ten ver­such­te. Die­ser über Jahr­hun­der­te fort­ge­schrie­be­nen Her­ab­set­zung geht K. Acker­heil in ihrer fein­sin­ni­gen Ent­hül­lung nach, nobi­li­tiert sie, ohne in Femi­nis­mus zu ver­fal­len. Auf­ge­räumt wird auch mit dem Ver­dikt des Kai­sers als Chri­sten­ver­fol­ger. C. Mot­sch­mann weist am Chri­sten­po­grom von Lyon 177 nach, dass sich Marc Aurel gegen­über ande­ren Reli­gio­nen an die Tole­ranz-Vor­sät­ze in den »Selbst­be­trach­tun­gen« gehal­ten habe. Natur­wis­sen­schaft­ler lesen die Quel­len zur »Anto­ni­ni­sche Pest« neu. Hier­zu ist man­gels Mate­ri­als ernüch­ternd wenig, fast nichts Neu­es her­aus­ge­kom­men. Jedoch zu den Krie­gen, die Marc Aurel als Feld­herr geführt hat, vor allem den Mar­ko­man­nen­krie­gen im Donau­ge­biet, wer­den neue For­schungs­er­geb­nis­se von M. Reu­ter, Ch. Schä­fer und B. Komoróc­zy vor­ge­stellt. Beglei­tet sind sie von Rekon­struk­tio­nen, Grab­fun­den, Diora­men und Video­fil­men. Nach­denk­lich stim­men die zu plötz­li­chen Kriegs­an­läs­sen rasend schnell erfolg­ten und mit unvor­stell­ba­rem Mate­ri­al­auf­wand betrie­be­nen Hee­res­aus­he­bun­gen und Kohor­ten­bil­dun­gen. Legio­nen hat­ten Stär­ken von drei bis Fünf­tau­send Söld­nern. Das damit ver­bun­de­ne Ver­wal­tungs­sy­stem, die Per­so­nal- und Wirt­schafts­po­li­tik Marc Aurels nöti­gen Hoch­ach­tung ab. Stan­dards wur­den geschaf­fen, die in Euro­pa über Jahr­hun­der­te uner­reicht geblie­ben sind.

Die Marc-Aurel-Ehren­säu­le auf der Piaz­za Colon­na in Rom ver­le­ben­digt auf einem Reli­ef­band, das sich mit 23 Win­dun­gen spi­ral­för­mig drei­ßig Meter hoch­zieht, die­se vie­len Sei­ten der Per­sön­lich­keit von Marc Aurel, die in der Aus­stel­lung facet­tiert zer­legt sind in über zwei­hun­dert Expo­na­te. In Trier ist eine Sequenz die­ser Säu­le rekon­stru­iert worden.

Marc Aurel: Kai­ser, Feld­herr, Phi­lo­soph, Rhei­ni­sches Lan­des­mu­se­um Trier, Begleit­band: wbg Theiss Imprint Her­der Verlag.
Marc Aurel: Was ist gute Herr­schaft? Stadt­mu­se­um Sime­on­stift Trier, Aus­stel­lungs­ka­ta­log: Niko­laus Basti­an Druck und Ver­lag. Föhren 
15. Juni bis 23. Novem­ber 2025.