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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Martin Niemöller: Verantwortung übernehmen

Mar­tin Niem­öl­ler (1892 – 1984) war ein bekann­ter evan­ge­li­scher Pfar­rer, Wider­stands­kämp­fer gegen die Natio­nal­so­zia­li­sten und spä­ter wich­ti­ges Mit­glied der Frie­dens­be­we­gung. In den 1920er und 1930er Jah­ren sym­pa­thi­sier­te er jedoch zunächst mit vie­len Ansich­ten der Natio­nal­so­zia­li­sten und unter­stütz­te rechts­ra­di­ka­le poli­ti­sche Bewe­gun­gen. Im Ein­klang mit sei­ner rech­ten, anti­se­mi­ti­schen Hal­tung befür­wor­te­te Niem­öl­ler 1933 das NS-Regime und wähl­te im März des­sel­ben Jah­res die NSDAP.

Die Begei­ste­rung Niem­öl­lers für die neue Regie­rung unter Adolf Hit­ler schwand jedoch bald, als das Regime anfing, sich in die Kir­chen­po­li­tik ein­zu­mi­schen. 1933 sprach Hit­ler sei­ne Unter­stüt­zung für die Deut­schen Chri­sten aus, eine radi­ka­le Strö­mung inner­halb der evan­ge­li­schen Kir­che. Die Deut­schen Chri­sten por­trä­tier­ten Jesus als Ari­er statt als Juden. Sie lehn­ten das Alte Testa­ment ab und woll­ten Tei­le des Neu­en Testa­ments abän­dern. Ziel­set­zung war es, die aus ihrer Sicht »jüdi­schen Ele­men­te« des Chri­sten­tums zu besei­ti­gen. Dazu gehör­te auch die Ent­las­sung von Geist­li­chen mit jüdi­schen Vor­fah­ren aus der evan­ge­li­schen Kir­che. Niem­öl­ler wur­de zum füh­ren­den Kopf des Wider­stands gegen die Deut­schen Chri­sten und die NS-Kir­chen­po­li­tik. Für ihn war es undenk­bar, den Glau­ben und die damit ver­bun­de­nen Wer­te für die Natio­nal­so­zia­li­sten zu ver­ra­ten. Am 1. Juli 1937 wur­de Niem­öl­ler von der Gesta­po ver­haf­tet und war die fol­gen­den acht Jah­re als poli­ti­scher Gefan­ge­ner im KZ Sach­sen­hau­sen und im KZ Dach­au inter­niert. Zahl­rei­che reli­giö­se Füh­rer ver­schie­de­ner Län­der for­der­ten sei­ne Frei­las­sung. Niem­öl­ler kam jedoch erst mit dem Sieg der Alli­ier­ten im Mai 1945 frei.

Nach Ende des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de Niem­öl­ler auf­grund sei­ner Akti­vi­tät im Wider­stand auch inter­na­tio­nal bekannt. Er enga­gier­te sich für eine Neu­ord­nung der Evan­ge­li­schen Kir­che und trat der Frie­dens­be­we­gung bei. Wegen sei­ner frei­mü­ti­gen Ansich­ten stand er oft im Mit­tel­punkt von Kon­tro­ver­sen. So sprach er sich bei­spiels­wei­se gegen die Ent­na­zi­fi­zie­rungs­po­li­tik der Alli­ier­ten aus. Er war der Mei­nung, die­se wür­de die Lage eher ver­schlech­tern als ver­bes­sern. Er wei­ger­te sich auch, im Kal­ten Krieg ein­deu­tig Par­tei für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu ergreifen.

Schon 1946 begab sich Niem­öl­ler in den west­li­chen Zonen des von den Alli­ier­ten besetz­ten Lan­des auf eine Vor­trags­rei­se. Niem­öl­ler räum­te öffent­lich ein, in den ersten Jah­ren des NS-Regimes zur Ver­fol­gung ande­rer Deut­scher geschwie­gen zu haben – vor allem bei Mit­glie­dern lin­ker poli­ti­scher Bewe­gun­gen, die von dem kon­ser­va­ti­ven Niem­öl­ler damals ent­schie­den abge­lehnt wurden.

Niem­öl­lers Bekennt­nis war pri­mär an sei­ne deut­schen Mit­bür­ger gerich­tet. In sei­nen Vor­trä­gen beklag­te er, dass vie­le Deut­sche sich wei­ger­ten, Ver­ant­wor­tung für den Natio­nal­so­zia­lis­mus, für die Ver­fol­gung poli­tisch Anders­den­ken­der, für die Gräu­el­ta­ten in den besetz­ten Län­dern und für den Holo­caust zu über­neh­men. Niem­öl­ler kri­ti­sier­te, dass die Deut­schen die Schuld lie­ber ihren Nach­barn oder Vor­ge­setz­ten oder NS-Instan­zen wie der Gesta­po zuscho­ben. Mit sei­nem Bekennt­nis hoff­te er, den Deut­schen ein Bei­spiel für die Über­nah­me von per­sön­li­cher Ver­ant­wor­tung für die Gescheh­nis­se in der NS-Zeit zu geben.

 

 

Ausgabe 15.16/2025