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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Medien: Verwertungslogik statt Öffentlichkeit

Es gibt Bücher, die sich nicht in die Gegen­wart ein­schrei­ben, son­dern sich ihr mit dem Skal­pell nähern. Man­fred Kno­ches »Cri­tique of the Poli­ti­cal Eco­no­my of the Media« ist ein sol­ches Werk: weni­ger Mono­gra­fie als Sezier­mes­ser, das die Ober­flä­che kapi­ta­li­sti­scher Medi­en­rhe­to­rik auf­schlitzt, um die dar­un­ter­lie­gen­den Ver­wer­tungs­im­pe­ra­ti­ve sicht­bar zu machen. In einer Zeit, in der selbst medi­en­kri­ti­sche Dis­kur­se all­zu oft an der Ober­flä­che der Empö­rung ver­har­ren, schafft Kno­che einen system­ana­ly­ti­schen Tief­gang, der den herr­schen­den Medi­en­be­trieb nicht als Betriebs­un­fall, son­dern als logi­sche Kon­se­quenz kapi­ta­li­sti­scher Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se rekon­stru­iert. Die­ses Buch ist kein Appell – es ist ein ana­ly­ti­sches Manifest.

Schon in der Ein­lei­tung stellt Kno­che klar, dass sein Zugang nichts mit den gän­gi­gen, mora­lisch auf­ge­la­de­nen Kla­gen über Medi­en­ver­fla­chung, Click­bait oder Bou­le­var­di­sie­rung zu tun hat. Er wählt – ganz im Sin­ne der mate­ria­li­sti­schen Gesell­schafts­ana­ly­se – den Weg über die Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie. Was das bedeu­tet, erläu­tert er an Marx ori­en­tiert: Die Medi­en sind nicht bloß Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel, son­dern Bestand­tei­le eines spe­zi­fi­schen kapi­ta­li­sti­schen Akku­mu­la­ti­ons­re­gimes, das auch die Pro­duk­ti­on, Dis­tri­bu­ti­on und Kon­sum­ti­on von Infor­ma­ti­on dem Ver­wer­tungs­zwang unter­wirft. Der medi­en­in­du­stri­el­le Kom­plex wird so nicht zufäl­lig, son­dern not­wen­dig ideo­lo­gisch, kapi­ta­li­stisch, selektiv.

Kno­che argu­men­tiert nicht von einem ethi­schen Ide­al öffent­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on her, son­dern legt offen, wie die Logik des Kapi­tals – die Pro­duk­ti­on von Tausch­wer­ten unter Maxi­mie­rung der Pro­fi­te – zwangs­läu­fig zu einer Ent­stel­lung der Medi­en­öf­fent­lich­keit führt. Das macht sei­ne Ana­ly­se anschluss­fä­hig für eine mar­xi­stisch fun­dier­te Kri­tik, aber eben­so für jene sozi­al­phi­lo­so­phi­sche Tra­di­ti­on, die von Ador­no über Alt­husser bis zu Nan­cy Fra­ser reicht.

Im ersten Teil – den theo­re­ti­schen »Foun­da­ti­ons« – ent­wickelt Kno­che die Grund­an­nah­men sei­ner Kri­tik. Dabei wird die »Kapi­ta­li­sie­rung der Medi­en­in­du­strie« als histo­risch fort­schrei­ten­de Inte­gra­ti­on sämt­li­cher media­ler Pro­duk­ti­ons- und Dis­tri­bu­ti­ons­pro­zes­se in die all­ge­mei­ne Kapi­tal­ver­wer­tung beschrie­ben. Was auf den ersten Blick wie ein All­ge­mein­platz wir­ken könn­te, ent­fal­tet durch die minu­tiö­se Dar­stel­lung kon­kre­ter Dyna­mi­ken – etwa bei der Rol­le des Staa­tes, der Dere­gu­lie­rungs­po­li­tik oder der Kon­zen­tra­ti­ons­ef­fek­te – eine erschrecken­de Evi­denz: Medi­en­un­ter­neh­men agie­ren längst nicht mehr pri­mär als Pro­du­zen­ten von Öffent­lich­keit, son­dern als Akteu­re inner­halb glo­ba­ler Verwertungsketten.

Die Pri­va­ti­sie­rung vor­mals öffent­li­cher Infra­struk­tu­ren (z. B. Rund­funk, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on), die Ver­schmel­zung von Medi­en­kon­zer­nen mit Invest­ment­ka­pi­tal sowie die Ver­la­ge­rung redak­tio­nel­ler Ent­schei­dun­gen in den Bereich betriebs­wirt­schaft­li­cher Kal­kü­le sind kei­ne Fehl­ent­wick­lun­gen, son­dern kon­se­quen­te Resul­ta­te eines Systems, das Kno­che mit ana­ly­ti­scher Nüch­tern­heit entlarvt.

Kno­ches Dar­stel­lung des »kapi­ta­li­sti­schen Eigen­tums­mo­dells der Medi­en« erin­nert an Alt­huss­ers Begriff der ideo­lo­gi­schen Staats­ap­pa­ra­te – mit einem Unter­schied: Bei Kno­che bleibt die Kate­go­rie der »Ideo­lo­gie« nicht bloß im Über­bau stecken, son­dern wird aus den Bedin­gun­gen mate­ri­el­ler Repro­duk­ti­on ent­wickelt. Das macht sei­ne Ana­ly­se dop­pelt anschluss­fä­hig: einer­seits für klas­si­sche mar­xi­sti­sche Ansät­ze, ande­rer­seits für kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs­ana­ly­sen, die sich gegen neo­li­be­ra­le Ver­harm­lo­sun­gen der Medi­en­macht stemmen.

Beson­ders über­zeu­gend ist das vier­te Kapi­tel über die Eigen­tü­mer­struk­tur der Medi­en: Hier legt Kno­che die fata­le Ver­quickung von Fami­li­en­ka­pi­tal, Eigen­tums­macht und publi­zi­sti­scher Hege­mo­nie offen. Der Mythos vom »unab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus« wird dekon­stru­iert – nicht durch Pole­mik, son­dern durch empi­risch unter­füt­ter­te Strukturkritik.

Im zwei­ten Teil – der Anwen­dung der Theo­rie – zeigt Kno­che, wie sich die Kapi­tal­ver­wer­tungs­lo­gik in unter­schied­li­chen Sub­fel­dern der Medi­en­pra­xis kon­kre­ti­siert. Drei Kapi­tel ste­chen her­vor: Kapi­tel 7: Wer­bung als »Eli­xier des Kapi­ta­lis­mus« – Hier gelingt es Kno­che, die ver­meint­li­che Neben­sa­che der Wer­be­öko­no­mie als syste­mi­sches Haupt­mo­ment zu ent­lar­ven. Wer­bung sei nicht nur »not­wen­dig«, son­dern die ideo­lo­gi­sche und öko­no­mi­sche Brücke zwi­schen Waren­pro­duk­ti­on und Medi­en­pro­duk­ti­on – ein Instru­ment zur »Repro­duk­ti­on des Kapi­tal­ver­hält­nis­ses durch Kon­sum­an­rei­ze«. Die von Ador­no einst benann­te Dia­lek­tik von Auf­klä­rung und Mas­sen­be­trug wird hier öko­no­misch auf den Punkt gebracht.

Kapi­tel 8: Alter­na­ti­ve Medi­en – Hier nimmt Kno­che die wohl­mei­nen­den Ansät­ze einer nicht­kom­mer­zi­el­len Medi­en­pra­xis kri­tisch unter die Lupe. Sein Fazit ist ernüch­ternd: Solan­ge alter­na­ti­ve Medi­en kei­ne struk­tu­rel­le Befrei­ung von Markt- und Staats­ab­hän­gig­kei­ten errei­chen, ver­blei­ben sie im Sta­di­um pre­kä­rer Nischen­pro­duk­te oder lau­fen Gefahr, sich über Dritt­mit­tel-Logi­ken wie­der kapi­ta­li­stisch zu repro­du­zie­ren. Hier wird deut­lich: Eman­zi­pa­ti­on ist nicht mit Platt­form­bau getan, son­dern bedarf struk­tu­rel­ler Umwälzung.

Kapi­tel 10: Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on – In der Kri­tik kapi­ta­li­sti­scher Wis­sen­schafts­ver­la­ge sieht Kno­che nicht nur ein Pro­blem von Open-Access-Model­len, son­dern eine struk­tu­rel­le Ideo­lo­gie­pro­duk­ti­on im Dien­ste aka­de­mi­scher Waren­för­mig­keit. For­schung wird zur Ware, Peer-Review zur Macht­res­sour­ce und aka­de­mi­sche Öffent­lich­keit zur pri­vi­le­gier­ten Echo­kam­mer. Die alter­na­ti­ve Visi­on: »Dia­mond Open Access«, frei von kom­mer­zi­el­len Inter­es­sen, getra­gen von öffent­li­cher Verantwortung.

Wer Kno­ches Buch liest, wird kei­ne Lösungs­vor­schlä­ge im klas­si­schen Sinn fin­den. Und genau dar­in liegt sei­ne Stär­ke. Er ver­wei­gert sich der neo­li­be­ra­len Sug­ge­sti­on, jede Kri­tik müs­se in einem kon­struk­ti­ven »Call to Action« mün­den. Statt­des­sen bleibt er bei der Metho­de der Kri­tik – einer Kri­tik, die sich nicht im Gejam­mer über schlech­ten Jour­na­lis­mus erschöpft, son­dern die struk­tu­rel­le Ursa­che der Mise­re im kapi­ta­li­sti­schen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis verortet.

Was dem Buch an uto­pi­scher Ener­gie fehlt, kom­pen­siert es durch ana­ly­ti­sche Klar­heit und poli­ti­sche Unver­söhn­lich­keit. Es ist ein Werk, das sich sei­ner Ohn­macht ange­sichts hege­mo­nia­ler Macht bewusst ist – und genau dar­in sei­ne Wür­de behauptet.

Wenn Tuchol­sky einst schrieb, die Auf­ga­be des Intel­lek­tu­el­len sei es, »Sand ins Getrie­be« zu streu­en, dann ist Man­fred Kno­ches Buch ein Eimer vol­ler Sand. Es schleift nicht nur die Zahn­rä­der, es fragt, wem die Maschi­ne über­haupt gehört – und ob wir sie nicht bes­ser abschal­ten soll­ten. Die­ses Buch ist kein Kanon für Vor­le­sun­gen – es ist ein Auf­ruf zur intel­lek­tu­el­len Insub­or­di­na­ti­on, ein Mani­fest gegen die Illu­si­on, Medi­en könn­ten im Kapi­ta­lis­mus frei sein. Wer die Gegen­wart ver­ste­hen will, kommt an Kno­che nicht vor­bei. Wer sie ver­än­dern will, wird mit ihm begin­nen müssen.

Kno­che, Man­fred: Cri­tique of the Poli­ti­cal Eco­no­my of the Media: Foun­da­ti­ons and Appli­ca­ti­ons, Lon­don: Uni­ver­si­ty of West­min­ster Press 2025.