Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Merz und das Recht (Teil 2)

Fried­rich Merz hat sich nicht nur, wie im vor­aus­ge­gan­ge­nen Arti­kel beschrie­ben, mit Rück­sicht auf popu­lä­re Strö­mun­gen bei den von ihm pro­pa­gier­ten Zurück­wei­sun­gen Asyl­su­chen­der an den deut­schen Gren­zen über EU-Recht hin­weg­ge­setzt. Er hat auch betont, es wer­de »Mit­tel und Wege« geben, den israe­li­schen Pre­mier­mi­ni­ster Net­an­y­a­hu trotz des gegen ihn bestehen­den Haft­be­fehls des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs (IStGH) in Deutsch­land zu emp­fan­gen. »Ich hal­te es für eine ganz abwe­gi­ge Vor­stel­lung, dass ein israe­li­scher Mini­ster­prä­si­dent Deutsch­land nicht besu­chen kann.« Eine sol­che Ankün­di­gung, die Merz in die Nähe des Ungarn Vik­tor Orbán rückt, ist aber noch evi­den­ter rechts­wid­rig als die ein­ge­lei­te­te Zurück­wei­sungs­pra­xis an den deut­schen Gren­zen. Denn sie ver­stößt gegen inter­na­tio­na­le Ver­pflich­tun­gen der Bun­des­re­pu­blik und wür­de den IStGH diskreditieren.

Das von 125 Ver­trags­staa­ten unter­zeich­ne­te Sta­tut des IStGH (Römi­sches Sta­tut) ver­pflich­tet die­se Staa­ten nach des­sen Art. 86 mit dem Gericht zu koope­rie­ren und ein von ihm aus­ge­stell­tes Fest­nah­me­ersu­chen durch­zu­füh­ren. Das gilt auch trotz Immu­ni­tät von Staats­ober­häup­tern, zu denen auch Mini­ster­prä­si­den­ten gehö­ren. Die­se Aus­nah­me von der Immu­ni­tät gilt selbst für Nicht-Ver­trags­staa­ten wie Isra­el auf­grund von Völ­ker­ge­wohn­heits­recht, wie der IStGH 2019 aus­ge­führt hat. Damals ging es um die nicht erfolg­te Über­stel­lung des ehe­ma­li­gen suda­ne­si­schen Prä­si­den­ten Al-Bas­hir von Jor­da­ni­en an den IStGH. Jor­da­ni­en hat­te sich eben­falls auf die »Head of Sta­te immu­ni­ty« beru­fen. Doch der IStGH ließ die­ses Argu­ment nicht gel­ten. Aus Art. 27 des Römi­schen Sta­tuts fol­ge, dass sich Staats- und Regie­rungs­chefs vor dem IStGH gene­rell nicht auf ihre per­so­nel­le Immu­ni­tät beru­fen könn­ten. Dies gel­te auch dann, wenn der Hei­mat­staat der gesuch­ten Per­son – wie Sudan und Isra­el – kein Ver­trags­staat sei. Die­se Regel ist nach Auf­fas­sung vie­ler Völ­ker­recht­ler nun zu Gewohn­heits­recht erstarkt, auch weil sie sich mit Ent­schei­dun­gen eini­ger ande­rer völ­ker­straf­recht­li­cher Tri­bu­na­le decke.

Das deut­sche Recht bestä­tigt die­se Aus­le­gung mit dem 2002 zeit­gleich mit dem IStGH-Sta­tut in Kraft getre­te­nen Gesetz über die Zusam­men­ar­beit mit dem IStGH. Zustän­dig hier­für ist zunächst das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um der Justiz (jetzt für Justiz und Ver­brau­cher­schutz), für Fahn­dungs­maß­nah­men die Gene­ral­staats­an­walt­schaft Ber­lin und, wenn die Fest­nah­me durch­ge­führt wor­den ist, die ört­li­che Gene­ral­staats­an­walt­schaft. Dann muss das zustän­di­ge Ober­lan­des­ge­richt eine sog. vor­läu­fi­ge Über­stel­lungs­haft anord­nen, wobei es – ganz wich­tig – kein Ermes­sen hat, son­dern dem Haft­be­fehl des IStGH fol­gen muss.

Darf die Bun­des­re­gie­rung in die­se Abläu­fe ein­grei­fen? Grund­sätz­lich (wie Juri­sten gern for­mu­lie­ren) hat die Bun­des­re­gie­rung zwei sol­che Mög­lich­kei­ten. Ein­mal kann das schon genann­te Justiz­mi­ni­ste­ri­um tätig wer­den. Es soll näm­lich hier im Ein­ver­neh­men mit dem Aus­wär­ti­gen Amt (AA) und ggf. ande­ren betrof­fe­nen Mini­ste­ri­en han­deln. Ein Recht zur Über­prü­fung, ob der Haft­be­fehl des IStGH völ­ker­recht­lich kor­rekt ist, steht dem Mini­ste­ri­um aber nicht zu. Viel­mehr muss es den Haft­be­fehl und das Fest­nah­me- und Über­stel­lungs­er­su­chen an die zustän­di­ge Gene­ral­staats­an­walt­schaft zur Ver­an­las­sung der Fest­nah­me weiterleiten.

Jetzt befin­den wir uns also im Zustän­dig­keits­be­reich der Län­der­ju­stiz. Hier steht den ent­spre­chen­den Justiz­mi­ni­ste­rin­nen und -mini­stern nor­ma­ler­wei­se gegen­über der Staats­an­walt­schaft immer noch ein Wei­sungs­recht nach § 147 Nr. 2 des Gerichts­ver­fas­sungs­ge­set­zes zu. Eine sol­che Wei­sung darf aber nicht in Wider­spruch zu zwin­gen­dem Recht ste­hen. Sie wäre also hier nur zuläs­sig, wenn das IStGH-Gesetz der Gene­ral­staats­an­walt­schaft Ermes­sen ein­räu­men wür­de. Das ist aber, wie schon dar­ge­legt, nicht der Fall. Das sieht sogar die Gene­ral­staats­an­walt­schaft beim Kam­mer­ge­richt Ber­lin so, wie sie der Zeit­schrift Legal Tri­bu­ne Online (LTO) mit­teil­te.

Das könn­te nur dann anders sein, wenn der IStGH bei Erlass sei­nes Haft­be­fehls grob gegen sei­ne Kom­pe­ten­zen ver­sto­ßen hät­te. Die­se Ansicht wur­de in der Tat in Bei­trä­gen zwei­er Pro­fes­so­ren für öffent­li­ches und Völ­ker­recht ver­tre­ten, deren ent­spre­chen­de Kom­men­ta­re – wen wun­dert es – in Sprin­gers israel­treu­er WELT und in der FAZ erschie­nen. Gera­de der FAZ-Bei­trag löste eine Gegen­re­ak­ti­on von neun deut­schen Straf­recht­lern und Straf­recht­le­rin­nen aus, die hier kei­ne Ver­stö­ße des IStGH in die­sem Sin­ne zu sehen ver­moch­ten. LTO for­mu­lier­te dazu: »Dass Merz› Bun­des­re­gie­rung meint, den Stand des Völ­ker­ge­wohn­heits­rechts bes­ser ein­schät­zen zu kön­nen als inter­na­tio­na­le Gerich­te und eine gro­ße Mehr­heit renom­mier­ter Völ­ker­recht­ler, ist in die­sen Zei­ten nicht aus­zu­schlie­ßen. Dann wür­de er Netan­ja­hu frei­es Geleit mit der juri­sti­schen Brech­stan­ge garantieren.«

Solan­ge Fried­rich Merz kei­ne Ein­la­dung an Net­an­y­a­hu aus­spricht, bleibt die Dis­kus­si­on zuge­ge­be­ner­ma­ßen theo­re­tisch. Gleich­wohl wirft sie ein Licht (oder soll­te ich sagen: einen Schat­ten) auf das, was man als Rechts­treue des Bun­des­kanz­lers bezeich­nen kann. Dass er sich damit in gewis­sem Rah­men im Ein­klang mit ande­ren Regie­run­gen befin­det, die sich um die Errun­gen­schaf­ten des Völ­ker­rechts und die Unab­hän­gig­keit der Gerich­te nur dann küm­mern, wenn sie der eige­nen poli­ti­schen Mei­nung ent­spre­chen und sie sonst gern igno­rie­ren, trö­stet da wenig.