Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Monatsrückblick Mai

Lars Kling­beil (SPD), hat das Pro­blem erkannt, war­um der SPD die Wäh­ler weg­lau­fen: »Uns ist der Cha­rak­ter als Par­tei der Arbeit abhan­den­ge­kom­men«, sag­te er über sei­ne Par­tei am 19.05. im Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (jW, 20.05.25).

Abhan­den­ge­kom­men wäre den Deut­schen bei­na­he ein Kanz­ler. Am 06. Mai erhielt Fried­rich Merz, der ein­zi­ge Kanz­ler­kan­di­dat, im ersten Wahl­gang des Bun­des­tags kei­ne abso­lu­te Mehr­heit. Die Bör­se reagier­te mit Kurs­stür­zen, die Abge­ord­ne­ten und die Medi­en mit Panik. Kur­zer­hand wur­de die im Gesetz vor­ge­schrie­be­ne Frist für einen zwei­ten Wahl­gang auf­ge­ho­ben und am glei­chen Nach­mit­tag noch­mal gewählt. Dies­mal stimm­te die Mehr­heit für ihn, aber drei Abge­ord­ne­te aus den Koali­ti­ons­par­tei­en blie­ben bei ihrer Geg­ner­schaft: Nur 325 statt der 328 Regie­rungs­bünd­ler stimm­ten für Merz. In bei­den Wahl­gän­gen stimm­te die Zahl der abge­ge­be­nen Stim­men nicht mit der Zahl der Anwe­sen­den über­ein. Ein knap­pes Dut­zend blieb der Wahl fern. Komi­scher­wei­se inter­es­sier­te das die Medi­en über­haupt nicht, aber jeder kann die Zah­len im Netz über­prü­fen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1611973/umfrage/ergebnis-der-wahl-des-bundeskanzlers/).

Nicht abhan­den­kom­men wird uns der Feind. Denn »Russ­land wird immer ein Feind für uns blei­ben«, äußer­te Johann Wade­phul, desi­gnier­ter Außen­mi­ni­ster der Regie­rung Merz (Ber­li­ner Zei­tung, 28.04.25). Da scheint Herr Wade­phul die Rus­sen für wah­re Chri­sten zu hal­ten. »Lie­bet Eure Fein­de, tut wohl denen, die euch has­sen«, steht das nicht so in der Bibel? Und haben die Rus­sen uns Deut­schen nicht »wohl­ge­tan«, als sie uns die Ein­heit schenk­ten – unter gewis­sen Bedin­gun­gen, von denen heu­te kei­ner mehr wis­sen will: Kei­ne Nato-Trup­pen auf dem Boden der Staa­ten des ehe­ma­li­gen War­schau­er Vertrags?

Und ist nicht die Sache mit dem »Erb­feind« nach dem 3. Reich ver­jährt? O.K., die Füh­rung kam den Deut­schen abhan­den, aber jetzt haben wir sie wie­der: »Deutsch­land ist zurück. Wir sind wie­der ein ver­läss­li­cher Part­ner, für Euro­pa, für die Wirt­schaft, für die Ver­kehrs­bran­che«, tön­te Ver­kehrs­mi­ni­ster Patrik Schnie­der (jW, 15.05.25). Deutsch­land ein ver­läss­li­cher Part­ner? Nach EU-Regu­la­ri­en dür­fen die Staats­aus­ga­ben mit­tel­fri­stig die Schul­den­quo­te von 60 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts nicht über­schrei­ten. Das noch vom alten Bun­des­tag mit Zwei­drit­tel­mehr­heit ver­ab­schie­de­te Auf­rü­stungs- und Infra­struk­tur­pa­ket wird die Ver­schul­dung jedoch auf min­de­stens 80 Pro­zent hin­auf­trei­ben. Das Han­dels­blatt vom 27.04. befürch­tet, dass die EU Deutsch­lands Ver­schul­dungs­plä­ne nicht durch­ge­hen lässt (jW, 28.04.25).

Gut, das sind erst­mal nur Befürch­tun­gen. Gehen wir lie­ber von gesi­cher­ten Tat­sa­chen aus. »Gesi­chert rechts­extre­mi­stisch« sei die AfD, erklärt der Ver­fas­sungs­schutz, und alle Bun­des­tags­par­tei­en – außer natür­lich der AfD – erklä­ren das für gut. Nun ist aber der Begriff »gesi­chert rechts­extre­mi­stisch« nichts, was justi­zia­bel ist, es ist ein Kampf­be­griff. Genau wie »frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung«, die auch nicht im Grund­ge­setz steht, auf der man aber ste­hen muss, um in den öffent­li­chen Dienst zu kom­men. Ganz zu schwei­gen von der »wer­te­ba­sier­ten Grund­ord­nung«, die den Nato-Staa­ten alles erlaubt, was ande­ren ver­bo­ten ist. Gewohn­heits­recht für die staats­tra­gen­den Par­tei­en ist es, sol­che Kate­go­rien zu benut­zen, um poli­ti­sche Geg­ner außen vor zu halten.

Kommt viel­leicht lang­sam, aber sicher auch der Rechts­staat abhan­den? Das stellt jeden­falls der Grund­rech­te­re­port 2025 fest. »Die Aus­übung zivi­ler Frei­hei­ten wird offen­siv und mit bis­lang nie dage­we­se­ner Inten­si­tät behin­dert oder ver­bo­ten«, ist in dem am Mitt­woch vor­ge­stell­ten Grund­rech­te-Report 2025 zu lesen. Frü­her habe man hin­zu­ge­won­ne­ne und ver­lo­re­ne Rech­te doku­men­tiert, sag­te Maxi­mi­li­an Stein­beis, Geschäfts­füh­rer des Ver­fas­sungs­blogs, auf der Pres­se­kon­fe­renz. Inzwi­schen wür­den die Fort­schrit­te »immer sel­te­ner« und Rück­schrit­te »immer häu­fi­ger« – ein »tin­ten­schwar­zes Bild«. Stein­beis mut­maß­te, dass die staat­li­che Macht das Recht womög­lich nicht mehr brau­che, »um Ver­trau­en in ihre Durch­set­zungs­fä­hig­keit zu mobi­li­sie­ren«. Heu­te gibt es dafür ande­re Mit­tel: umfas­sen­de Über­wa­chung, töd­li­che Gewalt und Zen­sur (jW, 21.05.25). Und inzwi­schen sogar Aus­bür­ge­rung neu­er Art: Zwei deut­sche Jour­na­li­sten, Ali­na Lipp und Tho­mas Röper, die in Russ­land leben und schrei­ben, dür­fen die EU nicht mehr betre­ten, kön­nen also ihre Hei­mat nicht mehr errei­chen. Ihre Kon­ten wer­den ein­ge­fro­ren, jeder, der sie unter­stützt, macht sich straf­bar. Im 17. Sank­ti­ons­pa­ket gegen Russ­land wer­den sogar afri­ka­ni­sche Jour­na­li­sten sank­tio­niert, weil sie »rus­si­sche Des­in­for­ma­ti­on« ver­brei­ten. Rück­kehr zur Vogelfreiheit?

Was ist das für eine Zeit, in der das Tra­gen einer schwar­zen Bas­ken­müt­ze im Bun­des­tag zum Aus­schluss von der Sit­zung führt, beglei­tet vom Applaus aus CDU/​CSU und AfD (jW, 15.05.25)?

Solan­ge uns die Furcht nicht abhan­den­kommt, kann sie sich nicht in Wider­stand verwandeln.

Trotz alle­dem
Doch hat der Staat sich nur blamiert
vor aller Welt trotzalledem,
und wenn die Pres­se Lügen schmiert,
das Fernseh’n schweigt trotzalledem,
 
Trotz Miss­traun, Angst und alledem, 
es kommt dazu, trotz alledem,
dass sich die Furcht in Widerstand
ver­wan­deln wird, trotz alledem!

(Melo­die: schot­ti­sche Wei­se, Ori­gi­nal­text: Fer­di­nand Frei­li­grath, aktua­li­siert von Han­nes Wader 1977, 5. und 6. Strophe)