Kanzler Merz sieht überall Probleme. Nicht nur im Stadtbild! Seufzend stellte er am 3. Oktober in seiner Rede zu 35 Jahre DDR-Kolonisierung fest: »Die Ausstrahlungskraft dessen, was wir den freien Westen nennen, nimmt jedenfalls erkennbar ab« (jW, 08.10.25). Herr Merz erkennt also auch Probleme im Weltbild. Aber wahrscheinlich sind daran für ihn auch die Migranten schuld, die die Regierung nicht abschieben kann. Weil sie gar nicht hier sind. Er sollte doch froh sein, dass die »Ausstrahlungskraft« abnimmt, dann kommen doch weniger, die unser Stadtbild verschandeln.
Vielleicht hängt das Abnehmen der Ausstrahlung auch damit zusammen, dass etwas anderes zunimmt: Die Vermögen der Milliardäre in der EU sind laut einer Analyse der Organisation Oxfam in der ersten Hälfte dieses Jahres um mehr als 400 Milliarden Euro gestiegen (jW, 10.10.25). Also mehr als zwei Milliarden Euro pro Tag, wie Oxfam ausgerechnet hat. Und die verteilt auf nur 287 Milliardäre. (Nicht »Menschen«, wie es im Original steht, das muss man fein unterscheiden.) In Deutschland ist das zum Beispiel Dieter Schwarz, der Gründer der Supermarktketten Lidl und Kaufland. Mit einem Vermögen von 46,5 Milliarden Euro behauptete er den ersten Platz auf der Liste der 500 reichsten Deutschen, die das Manager-Magazin am 08.10.25 präsentierte. Seit 2001, als das Magazin die Liste erstmals herausgab, hat sich das Gesamtvermögen der Top 100 von 263 Milliarden Euro auf 758 Milliarden Euro knapp verdreifacht. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich im selben Zeitraum lediglich verdoppelt.
Das alles hat aber keine Auswirkungen auf das »Stadtbild«, das seit Neuerem in aller Munde ist. Das Stadtbild von Herrn Merz – und seinen Töchtern! – wird nur gestört von Problemen, die mithilfe von Abschiebungen gelöst werden können. Merz hatte am 14.10. bei einem Besuch in Potsdam auf eine Frage nach der Migrationspolitik geantwortet, die Regierung sei hier »sehr weit«. »Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen.« Und auf Rückfragen äußerte er eine Woche später: »Fragen Sie mal Ihre Töchter!» Dieser Satz hat das Potential, die lästigen »Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin und schlagen Sie Ihre(n) ApothekerIn«-Hinweise zu ersetzen. Dankenswerterweise haben sich schon einige Töchter anderer Leute zu Wort gemeldet und Vorschläge gemacht, wie unsichere Orte im Stadtbild sicher gemacht werden könnten – ohne rassistische Hetze (tagesschau.de, 21.10.25).
Vielleicht lässt die Ausstrahlungskraft des Westens ja auch nach, wenn die Welt auf Gaza sieht. Dort sind die Ruinenlandschaften auch jetzt noch, nach dem Waffenstillstand vom 10. Oktober, zum Fürchten, und ihre Bewohner müssen jederzeit bangen, wieder beschossen oder bombardiert zu werden, wenn es der israelischen Regierung gefällt. Bilanz des Vernichtungskrieges: Die Zahl der Toten, wird auf 80.000 geschätzt, die Mehrzahl Frauen und Kinder. Israels Militär soll seit dem 7. Oktober 2023 200.000 Tonnen Sprengstoff abgeworfen haben. Zum Vergleich: Im Zweiten Weltkrieg wurden insgesamt 60.000 Tonnen Sprengstoff eingesetzt (jW, 11.10.25). Klar, die Hamas ist ja auch eine Terror-Organisation, gegen die Nazis geradezu harmlos sind.
Deren Schmierereien allerdings auch wieder zunehmen. Aber hey, im Stadtbild von Herrn Merz werden die gern stillschweigend übersehen!
Übersehen hat auch die Bundeswehr etwas: Es gibt so etwas wie eine friedlich vor sich hinlebende Bevölkerung in Deutschland, die beunruhigt die Polizei ruft, wenn bewaffnete, zivil gekleidete Banden in ihrer Nähe herumschleichen. In Erding wurde dabei ein Soldat verletzt, denn die Polizei schoss beim Einsatz gegen die vermeintlichen Verbrecher nicht mit Platzpatronen (jW, 24.10.25). »Vermeintlich«? »Soldaten sind Mörder«, Tucholskys berühmtes Zitat wird wieder gerichtsnotorisch: Ein Schüler postete ein Bild, das einen Jugendoffizier mit Waffe vor einer Schulklasse zeigte, darauf der sarkastische Schriftzug: »Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben?« Die Bundeswehr stellte Strafanzeige gegen den Schüler – wegen Beleidigung (jW, 31.10.25).
Das zukünftige Kanonenfutter darf keine Probleme im Weltbild äußern!