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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Probleme im Weltbild

Kanz­ler Merz sieht über­all Pro­ble­me. Nicht nur im Stadt­bild! Seuf­zend stell­te er am 3. Okto­ber in sei­ner Rede zu 35 Jah­re DDR-Kolo­ni­sie­rung fest: »Die Aus­strah­lungs­kraft des­sen, was wir den frei­en Westen nen­nen, nimmt jeden­falls erkenn­bar ab« (jW, 08.10.25). Herr Merz erkennt also auch Pro­ble­me im Welt­bild. Aber wahr­schein­lich sind dar­an für ihn auch die Migran­ten schuld, die die Regie­rung nicht abschie­ben kann. Weil sie gar nicht hier sind. Er soll­te doch froh sein, dass die »Aus­strah­lungs­kraft« abnimmt, dann kom­men doch weni­ger, die unser Stadt­bild verschandeln.

Viel­leicht hängt das Abneh­men der Aus­strah­lung auch damit zusam­men, dass etwas ande­res zunimmt: Die Ver­mö­gen der Mil­li­ar­dä­re in der EU sind laut einer Ana­ly­se der Orga­ni­sa­ti­on Oxfam in der ersten Hälf­te die­ses Jah­res um mehr als 400 Mil­li­ar­den Euro gestie­gen (jW, 10.10.25). Also mehr als zwei Mil­li­ar­den Euro pro Tag, wie Oxfam aus­ge­rech­net hat. Und die ver­teilt auf nur 287 Mil­li­ar­dä­re. (Nicht »Men­schen«, wie es im Ori­gi­nal steht, das muss man fein unter­schei­den.) In Deutsch­land ist das zum Bei­spiel Die­ter Schwarz, der Grün­der der Super­markt­ket­ten Lidl und Kauf­land. Mit einem Ver­mö­gen von 46,5 Mil­li­ar­den Euro behaup­te­te er den ersten Platz auf der Liste der 500 reich­sten Deut­schen, die das Mana­ger-Maga­zin am 08.10.25 prä­sen­tier­te. Seit 2001, als das Maga­zin die Liste erst­mals her­aus­gab, hat sich das Gesamt­ver­mö­gen der Top 100 von 263 Mil­li­ar­den Euro auf 758 Mil­li­ar­den Euro knapp ver­drei­facht. Das Brut­to­in­lands­pro­dukt hat sich im sel­ben Zeit­raum ledig­lich verdoppelt.

Das alles hat aber kei­ne Aus­wir­kun­gen auf das »Stadt­bild«, das seit Neue­rem in aller Mun­de ist. Das Stadt­bild von Herrn Merz – und sei­nen Töch­tern! – wird nur gestört von Pro­ble­men, die mit­hil­fe von Abschie­bun­gen gelöst wer­den kön­nen. Merz hat­te am 14.10. bei einem Besuch in Pots­dam auf eine Fra­ge nach der Migra­ti­ons­po­li­tik geant­wor­tet, die Regie­rung sei hier »sehr weit«. »Aber wir haben natür­lich immer im Stadt­bild noch die­ses Pro­blem und des­we­gen ist der Bun­des­in­nen­mi­ni­ster ja auch dabei, jetzt in sehr gro­ßem Umfang auch Rück­füh­run­gen zu ermög­li­chen.« Und auf Rück­fra­gen äußer­te er eine Woche spä­ter: »Fra­gen Sie mal Ihre Töch­ter!» Die­ser Satz hat das Poten­ti­al, die lästi­gen »Zu Risi­ken und Neben­wir­kun­gen fra­gen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärz­tin und schla­gen Sie Ihre(n) ApothekerIn«-Hinweise zu erset­zen. Dan­kens­wer­ter­wei­se haben sich schon eini­ge Töch­ter ande­rer Leu­te zu Wort gemel­det und Vor­schlä­ge gemacht, wie unsi­che­re Orte im Stadt­bild sicher gemacht wer­den könn­ten – ohne ras­si­sti­sche Het­ze (tagesschau.de, 21.10.25).

Viel­leicht lässt die Aus­strah­lungs­kraft des Westens ja auch nach, wenn die Welt auf Gaza sieht. Dort sind die Rui­nen­land­schaf­ten auch jetzt noch, nach dem Waf­fen­still­stand vom 10. Okto­ber, zum Fürch­ten, und ihre Bewoh­ner müs­sen jeder­zeit ban­gen, wie­der beschos­sen oder bom­bar­diert zu wer­den, wenn es der israe­li­schen Regie­rung gefällt. Bilanz des Ver­nich­tungs­krie­ges: Die Zahl der Toten, wird auf 80.000 geschätzt, die Mehr­zahl Frau­en und Kin­der. Isra­els Mili­tär soll seit dem 7. Okto­ber 2023 200.000 Ton­nen Spreng­stoff abge­wor­fen haben. Zum Ver­gleich: Im Zwei­ten Welt­krieg wur­den ins­ge­samt 60.000 Ton­nen Spreng­stoff ein­ge­setzt (jW, 11.10.25). Klar, die Hamas ist ja auch eine Ter­ror-Orga­ni­sa­ti­on, gegen die Nazis gera­de­zu harm­los sind.

Deren Schmie­re­rei­en aller­dings auch wie­der zuneh­men. Aber hey, im Stadt­bild von Herrn Merz wer­den die gern still­schwei­gend übersehen!

Über­se­hen hat auch die Bun­des­wehr etwas: Es gibt so etwas wie eine fried­lich vor sich hin­le­ben­de Bevöl­ke­rung in Deutsch­land, die beun­ru­higt die Poli­zei ruft, wenn bewaff­ne­te, zivil geklei­de­te Ban­den in ihrer Nähe her­um­schlei­chen. In Erding wur­de dabei ein Sol­dat ver­letzt, denn die Poli­zei schoss beim Ein­satz gegen die ver­meint­li­chen Ver­bre­cher nicht mit Platz­pa­tro­nen (jW, 24.10.25). »Ver­meint­lich«? »Sol­da­ten sind Mör­der«, Tuchol­skys berühm­tes Zitat wird wie­der gerichts­no­to­risch: Ein Schü­ler poste­te ein Bild, das einen Jugend­of­fi­zier mit Waf­fe vor einer Schul­klas­se zeig­te, dar­auf der sar­ka­sti­sche Schrift­zug: »Also Kin­der, wer von euch wür­de ger­ne an der Ost­front ster­ben?« Die Bun­des­wehr stell­te Straf­an­zei­ge gegen den Schü­ler – wegen Belei­di­gung (jW, 31.10.25).

Das zukünf­ti­ge Kano­nen­fut­ter darf kei­ne Pro­ble­me im Welt­bild äußern!