Dublin: Ein paar Informationen vorab:
Das in der Diskussion über die Abwehr von Flüchtlingen immer wieder erwähnte Dublin-Verfahren hat seinen Namen, weil die europäischen Regelungen zur Zuständigkeit für Asylverfahren ursprünglich in der irischen Hauptstadt vereinbart wurden. Inzwischen gilt hierfür die Dublin-III-Verordnung. Neben den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union wenden die Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island die Verordnung an.
Im sogenannten Dublin-Verfahren wird geprüft, welches der Länder, die die europarechtliche Dublin-Verordnung anwenden, für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. In der Regel handelt es sich um das Vertragsland, in das ein Geflüchteter als erstes eingereist ist. Innerhalb der EU soll so sichergestellt werden, dass nur in einem Mitgliedsland Asyl beantragt wird.
Dublin-Zentren wiederum fungieren als zentrale Unterbringung von allen Antragstellenden während des Dublin-Verfahrens. Hierhin kommen die Antragstellenden, bei denen – im Sinne des Dublin-Verfahrens – ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.
Im neuen Dublin-Zentrum in Eisenhüttenstadt werden die Flüchtlinge während des gesamten Dublin-Verfahrens untergebracht. Durch die zentrale Unterbringung und die »konsequente Anwendung des Rechts« soll die Anzahl der Dublin-Überstellungen signifikant erhöht werden. Alle maßgeblichen Behörden – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Ausländerbehörden (ABH) sowie Gerichtsantragstellen – sind auf dem Gelände der Unterbringung vertreten. Das Dublin-Zentrum Eisenhüttenstadt hat damit einen Modellcharakter für alle anderen Bundesländer. Das Dublin-Zentrum Eisenhüttenstadt soll besonders für Menschen mit EURODAC-Treffer für Polen spezialisiert werden. In der Datenbank EURODAC werden die Fingerabdrücke von Asylsuchenden europaweit abgeglichen.
Von Dublin nach Eisenhüttenstadt
Im Februar 2025 kündigte Innenministerin Nancy Faeser die Eröffnung von zwei sogenannten Dublin-Zentren in Hamburg-Rahlstedt und im brandenburgischen Eisenhüttenstadt an. Ziel dieser »Zentren« sei es, Dublin-Verfahren effizienter zu gestalten und Menschen schneller in die jeweils zuständigen EU-Staaten abzuschieben. »Wenn Menschen nach Deutschland kommen, obwohl sie ihr Asylverfahren in einem anderen EU-Staat durchlaufen müssen, müssen sie schneller dorthin überstellt werden.«
In Eisenhüttenstadt, wo das Zentrum mit derzeit 150 Plätzen am 13. März 2025 seine Arbeit aufnahm, sollen Asylsuchende innerhalb von zwei bis drei Wochen nach ihrer Ankunft in Deutschland nach Polen überstellt werden. Zugleich sollten die Flüchtlinge dort – wie es im Oktober 2024 der damalige FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte – nur noch »Brot, Bett und Seife« bekommen. Mit der Ankündigung wollte die alte SPD-geführte Ampelregierung noch einmal punkten im Überbietungswettbewerb der Parteien um die härteste Anti-Migrationspolitik.
»Brot, Bett und große Angst« (taz, 6.6.2025)
Pro Asyl berichtete am 9. Juli: »Viele Schutzsuchende, die über Polen nach Deutschland einreisen, befinden sich bei ihrer Ankunft in einem äußerst schlechten physischen und psychischen Zustand. Die meisten von ihnen haben auf ihrer Flucht im polnisch-belarussischen Grenzgebiet massive Gewalt und wiederholte rechtswidrige Zurückweisungen – sogenannte Pushbacks – erlebt. Einige mussten monatelang in den Wäldern unter katastrophalen Bedingungen ausharren. Berater im Dublin-Zentrum Eisenhüttenstadt berichten von sichtbaren Verletzungen, Erfrierungen und deutlichen Anzeichen schwerer Traumatisierung.« Ein großer Teil der Schutzsuchenden stammt nach Angaben des örtlichen Flüchtlingsrates aus dem Bürgerkriegsland Sudan, aber auch aus Somalia, Kongo und Syrien.
Das Leben im Dublin-Zentrum destabilisiert die Schutzsuchenden zusätzlich. Pro Asyl: »Nach Erhalt des Dublin-Bescheids, der Polen als zuständigen Staat für das Asylverfahrens ausweist, erhalten die Bewohner lediglich »Bett, Brot und Seife« – also Unterkunft, Verpflegung und Hygieneartikel –, jedoch kein Taschengeld für den täglichen Bedarf. Den Bus nehmen, Anwaltskosten bezahlen oder notwendige Kleidung kaufen – all das geht also nicht. Diese drastischen und aus Sicht von Pro Asyl eindeutig verfassungswidrigen Sozialleistungskürzungen wurden unter der letzten Regierung im August 2024 im Rahmen des sogenannten Sicherheitspaketes eingeführt.«
Dazu kommt: Informelle Bescheinigungen statt gesetzlich geregelte Aufenthaltspapiere führen im Alltag zu Problemen und den Asylsuchenden bleibt durch die beschleunigten Verfahren kaum Zeit, sich rechtlich beraten zu lassen. Über eine so genannte Nachtzeitverfügung sind die Bewohner verpflichtet, sich zwischen 22 Uhr und 6 Uhr im Dublin-Zentrum aufzuhalten. Zudem gilt durchgängig die Residenzpflicht: Die Bewohner dürfen das Stadtgebiet Eisenhüttenstadt nur in Ausnahmefällen verlassen.
Offener Brief der Flüchtlinge aus dem Dublin-Zentrum Eisenhüttenstadt
Anfang Juni haben sich die Bewohnerinnen und Bewohner des Dublin-Zentrums in Eisenhüttenstadt in einem dramatischen Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Sie prangern darin ihre Lebensbedingungen und ihre Perspektivlosigkeit an:
Eisenhüttenstadt, 05. Juni 2025
Liebe Öffentlichkeit,
wir verfolgen die Nachrichten hier. Es wird viel über uns gesprochen. Nun möchten wir uns selbst äußern.
Wir sind vor Krieg und extremer Gewalt geflohen. Wir sind nach Deutschland gekommen auf der Suche nach Sicherheit, und um Teil dieser Gesellschaft zu werden. Die meisten von uns leben im so genannten »Dublin Polen Zentrum« und sollen nach Polen abgeschoben werden.
Wir möchten erklären, warum es in Polen für uns nicht sicher ist: Polen will uns nicht haben. (…) Viele von uns mussten in Asylgefängnissen, umzäunt von vier bis fünf Zäunen (mit Elektro- und Stacheldrahtzäunen) leben. Es gab zeitliche Beschränkungen, wann wir den Raum verlassen durften, um an die frische Luft zu kommen (nur mit Wärter). Eine Person unter uns bekam dort ein Baby, es gab andere schwangere Frauen und Minderjährige ohne Eltern in diesem Asylgefängnis. Wir hatten in diesem Gefängnis keinen Zugang zu einem fairen Prozess. (…) Wenn wir nach Polen abgeschoben werden, ist das Risiko für uns sehr hoch, wieder ins Gefängnis zu kommen. Das sagte uns auch die polnische Grenzpolizei.
Wir haben in Polen noch mehr Leid erfahren. Die meisten von uns mussten die Grenze von Belarus nach Polen überqueren. Im Grenzwald haben wir extreme Gewalt erlebt. Freunde sind im Wald an den Folgen von Pushbacks gestorben, da sie zu Unterernährung und Dehydrierung führten. Wir wurden geschlagen, Telefone wurden zerstört, Hunde bissen uns, und wegen der Zurückdrängungen konnten wir kein Asyl beantragen. (…)
Im »Dublin Polen Zentrum« leben wir mit Problemen wie diesen: Auf unserer Plastikkarte steht ein »D« für »Dublin«. Jeder weiß, dass wir die zukünftig nach Polen Abzuschiebenden sind. Wir werden anders behandelt als die anderen im Lager. Wir wurden ins Dublin-Lager ausgesondert. Es ist beschämend für uns. Wir werden gezwungen, in einen speziellen Bereich zu ziehen und haben noch weniger Privatsphäre: Jeden Tag werden Zimmer und manchmal sogar Schränke von Sozialarbeitern oder Sicherheitsleuten kontrolliert. Die Türen lassen sich nicht abschließen und die meisten unserer Schränke sind nicht abschließbar, was dazu führt, dass unsere Sachen ständig verschwinden. Wir werden von der Lagerverwaltung unter Druck gesetzt, nach Polen zurückzukehren. Es ist uns verboten, das Lager von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens zu verlassen. Wir stehen also unter Hausarrest. Wir bekommen bisher keine finanzielle Unterstützung in Form von Taschengeld. Einige von uns leben seit drei Monaten hier, ohne Geld zu bekommen. Wir sind nicht in der Lage, Anwälte, Kleidung und andere notwendige Dinge zu finanzieren.
Unter uns gibt es Frauen mit Babys, die unbedingt Unterstützung brauchen. Das Migrationsamt erlaubt uns nicht, Eisenhüttenstadt zu verlassen. Wir leiden und sind in ständiger Angst und Furcht vor Abschiebung, weil wir häufig unangekündigte Polizeibesuche bekommen.