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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Offener Brief aus dem Dublin-Zentrum

Dub­lin: Ein paar Infor­ma­tio­nen vorab:
Das in der Dis­kus­si­on über die Abwehr von Flücht­lin­gen immer wie­der erwähn­te Dub­lin-Ver­fah­ren hat sei­nen Namen, weil die euro­päi­schen Rege­lun­gen zur Zustän­dig­keit für Asyl­ver­fah­ren ursprüng­lich in der iri­schen Haupt­stadt ver­ein­bart wur­den. Inzwi­schen gilt hier­für die Dub­lin-III-Ver­ord­nung. Neben den 27 Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on wen­den die Schweiz, Nor­we­gen, Liech­ten­stein und Island die Ver­ord­nung an.

Im soge­nann­ten Dub­lin-Ver­fah­ren wird geprüft, wel­ches der Län­der, die die euro­pa­recht­li­che Dub­lin-Ver­ord­nung anwen­den, für die Durch­füh­rung eines Asyl­ver­fah­rens zustän­dig ist. In der Regel han­delt es sich um das Ver­trags­land, in das ein Geflüch­te­ter als erstes ein­ge­reist ist. Inner­halb der EU soll so sicher­ge­stellt wer­den, dass nur in einem Mit­glieds­land Asyl bean­tragt wird.

Dub­lin-Zen­tren wie­der­um fun­gie­ren als zen­tra­le Unter­brin­gung von allen Antrag­stel­len­den wäh­rend des Dub­lin-Ver­fah­rens. Hier­hin kom­men die Antrag­stel­len­den, bei denen – im Sin­ne des Dub­lin-Ver­fah­rens – ein ande­rer EU-Staat für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist.

Im neu­en Dub­lin-Zen­trum in Eisen­hüt­ten­stadt wer­den die Flücht­lin­ge wäh­rend des gesam­ten Dub­lin-Ver­fah­rens unter­ge­bracht. Durch die zen­tra­le Unter­brin­gung und die »kon­se­quen­te Anwen­dung des Rechts« soll die Anzahl der Dub­lin-Über­stel­lun­gen signi­fi­kant erhöht wer­den. Alle maß­geb­li­chen Behör­den – das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF), die Aus­län­der­be­hör­den (ABH) sowie Gerichts­an­trag­stel­len – sind auf dem Gelän­de der Unter­brin­gung ver­tre­ten. Das Dub­lin-Zen­trum Eisen­hüt­ten­stadt hat damit einen Modell­cha­rak­ter für alle ande­ren Bun­des­län­der. Das Dub­lin-Zen­trum Eisen­hüt­ten­stadt soll beson­ders für Men­schen mit EURO­DAC-Tref­fer für Polen spe­zia­li­siert wer­den. In der Daten­bank EURODAC wer­den die Fin­ger­ab­drücke von Asyl­su­chen­den euro­pa­weit abgeglichen.

Von Dub­lin nach Eisenhüttenstadt
Im Febru­ar 2025 kün­dig­te Innen­mi­ni­ste­rin Nan­cy Faeser die Eröff­nung von zwei soge­nann­ten Dub­lin-Zen­tren in Ham­burg-Rahl­stedt und im bran­den­bur­gi­schen Eisen­hüt­ten­stadt an. Ziel die­ser »Zen­tren« sei es, Dub­lin-Ver­fah­ren effi­zi­en­ter zu gestal­ten und Men­schen schnel­ler in die jeweils zustän­di­gen EU-Staa­ten abzu­schie­ben. »Wenn Men­schen nach Deutsch­land kom­men, obwohl sie ihr Asyl­ver­fah­ren in einem ande­ren EU-Staat durch­lau­fen müs­sen, müs­sen sie schnel­ler dort­hin über­stellt werden.«

In Eisen­hüt­ten­stadt, wo das Zen­trum mit der­zeit 150 Plät­zen am 13. März 2025 sei­ne Arbeit auf­nahm, sol­len Asyl­su­chen­de inner­halb von zwei bis drei Wochen nach ihrer Ankunft in Deutsch­land nach Polen über­stellt wer­den. Zugleich soll­ten die Flücht­lin­ge dort – wie es im Okto­ber 2024 der dama­li­ge FDP-Frak­ti­ons­chef Chri­sti­an Dürr for­der­te – nur noch »Brot, Bett und Sei­fe« bekom­men. Mit der Ankün­di­gung woll­te die alte SPD-geführ­te Ampel­re­gie­rung noch ein­mal punk­ten im Über­bie­tungs­wett­be­werb der Par­tei­en um die här­te­ste Anti-Migrationspolitik.

»Brot, Bett und gro­ße Angst« (taz, 6.6.2025)
Pro Asyl berich­te­te am 9. Juli: »Vie­le Schutz­su­chen­de, die über Polen nach Deutsch­land ein­rei­sen, befin­den sich bei ihrer Ankunft in einem äußerst schlech­ten phy­si­schen und psy­chi­schen Zustand. Die mei­sten von ihnen haben auf ihrer Flucht im pol­nisch-bela­rus­si­schen Grenz­ge­biet mas­si­ve Gewalt und wie­der­hol­te rechts­wid­ri­ge Zurück­wei­sun­gen – soge­nann­te Push­backs – erlebt. Eini­ge muss­ten mona­te­lang in den Wäl­dern unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen aus­har­ren. Bera­ter im Dub­lin-Zen­trum Eisen­hüt­ten­stadt berich­ten von sicht­ba­ren Ver­let­zun­gen, Erfrie­run­gen und deut­li­chen Anzei­chen schwe­rer Trau­ma­ti­sie­rung.« Ein gro­ßer Teil der Schutz­su­chen­den stammt nach Anga­ben des ört­li­chen Flücht­lings­ra­tes aus dem Bür­ger­kriegs­land Sudan, aber auch aus Soma­lia, Kon­go und Syrien.

Das Leben im Dub­lin-Zen­trum desta­bi­li­siert die Schutz­su­chen­den zusätz­lich. Pro Asyl: »Nach Erhalt des Dub­lin-Bescheids, der Polen als zustän­di­gen Staat für das Asyl­ver­fah­rens aus­weist, erhal­ten die Bewoh­ner ledig­lich »Bett, Brot und Sei­fe« – also Unter­kunft, Ver­pfle­gung und Hygie­ne­ar­ti­kel –, jedoch kein Taschen­geld für den täg­li­chen Bedarf. Den Bus neh­men, Anwalts­ko­sten bezah­len oder not­wen­di­ge Klei­dung kau­fen – all das geht also nicht. Die­se dra­sti­schen und aus Sicht von Pro Asyl ein­deu­tig ver­fas­sungs­wid­ri­gen Sozi­al­lei­stungs­kür­zun­gen wur­den unter der letz­ten Regie­rung im August 2024 im Rah­men des soge­nann­ten Sicher­heits­pa­ke­tes eingeführt.«

Dazu kommt: Infor­mel­le Beschei­ni­gun­gen statt gesetz­lich gere­gel­te Auf­ent­halts­pa­pie­re füh­ren im All­tag zu Pro­ble­men und den Asyl­su­chen­den bleibt durch die beschleu­nig­ten Ver­fah­ren kaum Zeit, sich recht­lich bera­ten zu las­sen. Über eine so genann­te Nacht­zeit­ver­fü­gung sind die Bewoh­ner ver­pflich­tet, sich zwi­schen 22 Uhr und 6 Uhr im Dub­lin-Zen­trum auf­zu­hal­ten. Zudem gilt durch­gän­gig die Resi­denz­pflicht: Die Bewoh­ner dür­fen das Stadt­ge­biet Eisen­hüt­ten­stadt nur in Aus­nah­me­fäl­len verlassen.

Offe­ner Brief der Flücht­lin­ge aus dem Dub­lin-Zen­trum Eisenhüttenstadt
Anfang Juni haben sich die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Dub­lin-Zen­trums in Eisen­hüt­ten­stadt in einem dra­ma­ti­schen Brief an die Öffent­lich­keit gewandt. Sie pran­gern dar­in ihre Lebens­be­din­gun­gen und ihre Per­spek­tiv­lo­sig­keit an:

Eisen­hüt­ten­stadt, 05. Juni 2025

Lie­be Öffentlichkeit,

wir ver­fol­gen die Nach­rich­ten hier. Es wird viel über uns gespro­chen. Nun möch­ten wir uns selbst äußern.

Wir sind vor Krieg und extre­mer Gewalt geflo­hen. Wir sind nach Deutsch­land gekom­men auf der Suche nach Sicher­heit, und um Teil die­ser Gesell­schaft zu wer­den. Die mei­sten von uns leben im so genann­ten »Dub­lin Polen Zen­trum« und sol­len nach Polen abge­scho­ben werden.

Wir möch­ten erklä­ren, war­um es in Polen für uns nicht sicher ist: Polen will uns nicht haben. (…) Vie­le von uns muss­ten in Asyl­ge­fäng­nis­sen, umzäunt von vier bis fünf Zäu­nen (mit Elek­tro- und Sta­chel­draht­zäu­nen) leben. Es gab zeit­li­che Beschrän­kun­gen, wann wir den Raum ver­las­sen durf­ten, um an die fri­sche Luft zu kom­men (nur mit Wär­ter). Eine Per­son unter uns bekam dort ein Baby, es gab ande­re schwan­ge­re Frau­en und Min­der­jäh­ri­ge ohne Eltern in die­sem Asyl­ge­fäng­nis. Wir hat­ten in die­sem Gefäng­nis kei­nen Zugang zu einem fai­ren Pro­zess. (…) Wenn wir nach Polen abge­scho­ben wer­den, ist das Risi­ko für uns sehr hoch, wie­der ins Gefäng­nis zu kom­men. Das sag­te uns auch die pol­ni­sche Grenzpolizei.

Wir haben in Polen noch mehr Leid erfah­ren. Die mei­sten von uns muss­ten die Gren­ze von Bela­rus nach Polen über­que­ren. Im Grenz­wald haben wir extre­me Gewalt erlebt. Freun­de sind im Wald an den Fol­gen von Push­backs gestor­ben, da sie zu Unter­ernäh­rung und Dehy­drie­rung führ­ten. Wir wur­den geschla­gen, Tele­fo­ne wur­den zer­stört, Hun­de bis­sen uns, und wegen der Zurück­drän­gun­gen konn­ten wir kein Asyl beantragen. (…)

Im »Dub­lin Polen Zen­trum« leben wir mit Pro­ble­men wie die­sen: Auf unse­rer Pla­stik­kar­te steht ein »D« für »Dub­lin«. Jeder weiß, dass wir die zukünf­tig nach Polen Abzu­schie­ben­den sind. Wir wer­den anders behan­delt als die ande­ren im Lager. Wir wur­den ins Dub­lin-Lager aus­ge­son­dert. Es ist beschä­mend für uns. Wir wer­den gezwun­gen, in einen spe­zi­el­len Bereich zu zie­hen und haben noch weni­ger Pri­vat­sphä­re: Jeden Tag wer­den Zim­mer und manch­mal sogar Schrän­ke von Sozi­al­ar­bei­tern oder Sicher­heits­leu­ten kon­trol­liert. Die Türen las­sen sich nicht abschlie­ßen und die mei­sten unse­rer Schrän­ke sind nicht abschließ­bar, was dazu führt, dass unse­re Sachen stän­dig ver­schwin­den. Wir wer­den von der Lager­ver­wal­tung unter Druck gesetzt, nach Polen zurück­zu­keh­ren. Es ist uns ver­bo­ten, das Lager von 22 Uhr bis 6 Uhr mor­gens zu ver­las­sen. Wir ste­hen also unter Haus­ar­rest. Wir bekom­men bis­her kei­ne finan­zi­el­le Unter­stüt­zung in Form von Taschen­geld. Eini­ge von uns leben seit drei Mona­ten hier, ohne Geld zu bekom­men. Wir sind nicht in der Lage, Anwäl­te, Klei­dung und ande­re not­wen­di­ge Din­ge zu finanzieren.

Unter uns gibt es Frau­en mit Babys, die unbe­dingt Unter­stüt­zung brau­chen. Das Migra­ti­ons­amt erlaubt uns nicht, Eisen­hüt­ten­stadt zu ver­las­sen. Wir lei­den und sind in stän­di­ger Angst und Furcht vor Abschie­bung, weil wir häu­fig unan­ge­kün­dig­te Poli­zei­be­su­che bekommen.

 

 

Ausgabe 15.16/2025