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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Politische Justiz in der Reithalle

»Wel­che Wahn­sin­ni­gen haben das zu ver­ant­wor­ten?«, frag­te Danie­la Klet­te, als sie im Mai 2025 zum ersten Mal in die eigens für ihren Straf­pro­zess umge­bau­te Reit­hal­le gebracht wur­de. Der tem­po­rä­re Gerichts­saal im nie­der­säch­si­schen Ver­den-Eit­ze ist nun einer der größ­ten in der Bun­des­re­pu­blik. Hier ver­han­delt das Land­ge­richt Ver­den gegen Danie­la Klet­te wegen eines Dut­zends bewaff­ne­ter Raub­über­fäl­le, die sie mit zwei wei­te­ren ehe­ma­li­gen Mili­tan­ten aus der Roten Armee Frak­ti­on (RAF) durch­ge­führt haben soll. Das Geld aus Super­märk­ten und Geld­trans­por­tern soll­te der Finan­zie­rung ihres Lebens in der Ille­ga­li­tät dienen.

Danie­la Klet­te war über 30 Jah­re unter fal­schem Namen »unter­ge­taucht«, die mei­ste Zeit davon leb­te sie in Ber­lin-Kreuz­berg, wo sie 2024 ver­haf­tet wur­de. Die 68-Jäh­ri­ge hat sich im lau­fen­den Ver­fah­ren wie­der­holt zu Wort gemel­det und erklärt, dass »die Tötung von Men­schen zur Geld­be­schaf­fung unse­rem Selbst­ver­ständ­nis als radi­ka­le Lin­ke voll­kom­men ent­ge­gen­steht«. Trotz­dem unter­stellt das Gericht eine Tötungs­be­reit­schaft, was eine höhe­re Ver­ur­tei­lung ermöglicht.

Die »Gel­dent­eig­nungs­ak­tio­nen« lie­gen bis zu 25 Jah­re zurück, die letz­te hat 2016 statt­ge­fun­den. Ent­spre­chend ver­blasst sind die Erin­ne­run­gen der Zeu­gen, und ihr Gedächt­nis spielt ihnen ver­mehrt Strei­che. Eine im Sep­tem­ber gela­de­ne Frau spricht bei­spiels­wei­se von einem roten Flucht­fahr­zeug, obwohl kei­nes der betei­lig­ten Fahr­zeu­ge die­se Far­be hatte.

Eine wei­te­re Zeu­gin hat vor Gericht aus­ge­sagt, dass sie auf einem Park­platz einen Knall gehört und dann sofort gedacht habe: »Das war die RAF.« Das sei »Ein­ge­bung« gewe­sen, meint die Frau auf dem Zeu­gen­stuhl. Sie sei ja schon älter, ant­wor­tet sie auf Fra­gen der Ver­tei­di­gung; sie habe in den 1970ern die Raster­fahn­dung mit­er­lebt und damals auch die Repor­ta­gen von Ste­fan Aust zur RAF gele­sen. Die deut­sche Stadt­gue­ril­la war für sie offen­sicht­lich span­nend. Und nun war sie live in eine Geld­be­schaf­fungs­ak­ti­on hin­ein­ge­ra­ten – 20 Jah­re nach der Selbst­auf­lö­sung der RAF.

Auch ande­re Zeu­gen erleb­ten die Über­fäl­le wie ein Aben­teu­er. Es sei »wie im Film« gewe­sen, berich­ten meh­re­re. Eine Zeu­gin dach­te an »Ver­steck­te Kame­ra« und brach­te die Gescheh­nis­se mit der Unter­hal­tungs­sen­dung »Ver­ste­hen Sie Spaß?« in Ver­bin­dung. Dage­gen ziel­ten die Fra­gen des Gerichts und der Staats­an­walt­schaft vor allem dar­auf, eine Trau­ma­ti­sie­rung der Zeu­gen fest­zu­stel­len. Bei die­sen Befra­gun­gen war die Erkennt­nis erschreckend, dass Geld­trans­port­fah­rer, die das beruf­li­che Risi­ko eines Über­falls ein­ge­hen, von ihren Arbeit­ge­bern weder vor Beschäf­ti­gungs­be­ginn auf ihre psy­chi­sche Sta­bi­li­tät über­prüft wer­den noch dies­be­züg­lich Schu­lun­gen erhalten.

Unter den gela­de­nen Zeu­gen sind auch sehr gesprä­chi­ge, die weit aus­schwei­fen, sich wie­der­ho­len und gar nicht mehr auf­hö­ren wol­len zu reden. Sie wer­den des­halb vom Vor­sit­zen­den Rich­ter unter­bro­chen, indem er eine neue Fra­ge stellt. Als Rechts­an­walt Lukas Theu­ne im Anschluss eben­so vor­geht, fällt ihm die Staats­an­wäl­tin Annet­te Mar­quardt mit gehäs­si­gem Ton ins Wort: Er sol­le die Zeu­gin aus­re­den las­sen. Als Zuhö­rer spürt man immer wie­der die teils bos­haf­te Abnei­gung, die Danie­la Klet­tes Rechts­an­wäl­ten von Sei­ten der Staats­an­walt­schaft entgegenschlägt.

Ins­ge­samt sind die Zeu­gen­aus­sa­gen nicht sehr beweis­kräf­tig. Zudem ist bis­lang die Anwe­sen­heit der Ange­klag­ten an kei­nem der Tat­or­te belegt. In einem sicher­ge­stell­ten Fahr­zeug fan­den sich ledig­lich DNA-Spu­ren von Danie­la Klet­te, außer­dem gab es in ihrer Kreuz­ber­ger Woh­nung neben Waf­fen auch älte­re Stadt­plä­ne von Orten, an denen Raub­über­fäl­le statt­ge­fun­den hat­ten. Zusam­men­ge­nom­men wird dies dem Gericht vor­aus­sicht­lich für eine Ver­ur­tei­lung ausreichen.

Der rie­si­ge, etwa 800 Qua­drat­me­ter gro­ße Gerichts­saal wirkt enorm über­di­men­sio­niert, vor allem auch durch die weit­ge­hen­de Lee­re des Raums. Zudem blei­ben vie­le Stüh­le unbe­setzt, auch die mei­sten der etwa 100 Zuschau­er- und Pres­se­plät­ze. Das Gebäu­de wäre eher als Kon­zert­hal­le geeig­net, wobei die auf­tre­ten­den Bands auf eine bes­se­re Ton- und Licht­an­la­ge bestehen wür­den. Denn das gespro­che­ne Wort aus den Laut­spre­chern im Zuschau­er­be­reich ist über­steu­ert, und der hin­zu­kom­men­de Hall erfor­dert kon­zen­trier­tes Zuhö­ren, was auf Dau­er anstren­gend ist.

Vom Besu­cher­be­reich aus wirkt der Saal düster. Eini­ge Außen­fen­ster sind mit schwar­zem Stoff abge­hängt, damit auf den Lap­tops der Pro­zess­be­tei­lig­ten und den instal­lier­ten Flat­screens die Son­ne nicht blen­det. Die übri­gen Fen­ster sind mit blick­dich­ter Milch­glas­fo­lie beklebt. Die Rich­ter­bank ist geschätzt 40 Meter von den Zuschau­er- und Pres­se­bän­ken ent­fernt, dahin­ter das schwar­ze, ehe­ma­li­ge Ein­gangs­tor zur Reit­hal­le. Die vier Rich­ter und die Rich­te­rin erschei­nen dort wie Minia­tu­ren. Ihre Mimik ist auf die Ent­fer­nung kaum wahr­zu­neh­men. Wäh­rend an der Wand hin­ter Danie­la Klet­te und ihren drei Anwäl­ten wei­ße Stoff­bah­nen her­un­ter­hän­gen, erscheint die gegen­über­lie­gen­de Sei­te – die der Ankla­ge – mit den schwar­zen Mar­ki­sen als die dunk­le Sei­te des Gerichtssaals.

Die Schwarz-Weiß-Optik des Rau­mes mit wei­ßen Tischen samt Front­blen­den, schwar­zen Stüh­len und Mikro­pho­nen sowie grau­em Tep­pich­bo­den, wird durch das rote nie­der­säch­si­sche Lan­des­wap­pen gebro­chen, das auf dem Dut­zend im Saal ver­teil­ten Flat­screens und dem Rich­ter­pult prangt – und allen ver­ge­gen­wär­tigt, wer hier Haus­herr ist. Das Land Nie­der­sach­sen hat sich den Umbau die­ses Bau­werks ins­ge­samt 3,6 Mil­lio­nen Euro kosten las­sen – ein­zig für die­sen Prozess.

Die ersten Pro­zess­ta­ge fan­den von Ende März bis Mit­te Mai noch in Cel­le statt, wo nur ein klei­ner Teil der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit Zugang zu den weni­gen Zuschau­er­plät­zen bekam. Der über­wie­gen­de Teil der Pres­se konn­te in einem Audio­saal das Pro­zess­ge­sche­hen aku­stisch ver­fol­gen, dabei aber nicht in jedem Moment wahr­neh­men, wer von den Pro­zess­be­tei­lig­ten gera­de spricht. Die vor­han­de­nen Flat­screens zeig­ten ledig­lich Stand­bil­der des lee­ren Gerichtssaals.

Inzwi­schen hat das Inter­es­se der Medi­en stark abge­nom­men. Mit­te Sep­tem­ber kamen nur noch zwei Medi­en­ver­tre­ter, die Zeu­gen­ver­neh­mun­gen ver­spre­chen kei­ne Schlag­zei­len. Des­halb könn­te auch im Schwur­ge­richts­saal des Land­ge­richts in der Ver­de­ner Innen­stadt ver­han­delt wer­den, der für die aktu­el­len Pro­zess­be­tei­lig­ten voll­kom­men aus­rei­chend wäre. Statt­des­sen wird aber wei­ter­hin im Stadt­teil Eit­ze pro­zes­siert, vom Bahn­hof etwa eine Stun­de Fuß­weg, vor­bei an ver­klin­ker­ten Ein­fa­mi­li­en­häu­sern und Pfer­de­kop­peln, ent­fernt. Vor­aus­sicht­lich erst zur Urteils­ver­kün­dung im kom­men­den Jahr wird das Medi­en­in­ter­es­se wie­der so groß sein, dass die Pres­se- und Zuschau­er­plät­ze weit­ge­hend besetzt sein werden.

Wie alle Zuschauer/​innen unter­lie­gen auch die Pressevertreter/​innen den außer­ge­wöhn­li­chen Sicher­heits­vor­keh­run­gen. Besu­cher müs­sen zur Kon­trol­le ihre Schu­he aus­zie­hen, durch eine Sicher­heits­schleu­se gehen und wer­den dann noch inten­siv abge­ta­stet. Jour­na­li­sten dür­fen auf rich­ter­li­che Anord­nung weder Han­dys noch Lap­tops in den Saal mit­neh­men, obwohl dies ihre zeit­ge­mä­ßen Arbeits­mit­tel sind. Dabei wür­de schon die Trenn­wand mit boden­tie­fen Glas­fen­stern, die den Besu­cher­be­reich vom Rest des Saals abtrennt, die denk­ba­re Gefahr aus­schlie­ßen, dass mit­ge­brach­te Gegen­stän­de auf Pro­zess­be­tei­lig­te gewor­fen werden.

Sogar die Rechts­an­wäl­te von Danie­la Klet­te muss­ten bis Okto­ber ihre Taschen vor Beginn jeder Sit­zung durch­leuch­ten las­sen, weil ihnen unter­stellt wur­de, uner­laub­te Gegen­stän­de mit in den Ver­hand­lungs­saal zu neh­men. Die Grün­de für die­sen maß­lo­sen Sicher­heits­auf­wand erschlie­ßen sich nicht, zumal das Ver­fah­ren bis­lang – 37 Pro­zess­ta­ge sind ver­gan­gen – stö­rungs­frei verlief.

Die Vor­keh­run­gen ver­mit­teln aller­dings gegen­über der Öffent­lich­keit, dass hier gegen eine höchst­ge­fähr­li­che Frau ver­han­delt wird. Die Rechts­an­wäl­te Danie­la Klet­tes spre­chen des­halb von einer Vor­ver­ur­tei­lung. Tat­säch­lich macht die­ser gan­ze Auf­wand deut­lich, dass es sich hier mit­nich­ten um einen gewöhn­li­chen Pro­zess han­delt. Die Reit­hal­le von Eit­ze ist zum Aus­druck poli­ti­scher Justiz gewor­den, der die Irra­tio­na­li­tät des Staa­tes bei der Bekämp­fung sei­ner Fein­de zeigt.