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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ramelow und die Dialektik des Verschwindens

»Bin ich dabei, die Par­tei zu ver­las­sen – oder ver­lässt mei­ne Par­tei gera­de mich?« (Bodo Rame­low, Tage­buch­ein­trag vom 18. Juni 2025)

Von Anfang an war alles eine Fra­ge des Maß­stabs. Doch die­ser war nie revo­lu­tio­när, sel­ten system­kri­tisch und stets bemüht, sich nicht zu weit vom guten Ton der Ber­li­ner Repu­blik zu ent­fer­nen. Die »Bewe­gungs­lin­ke« in Thü­rin­gen hat sich in zehn Jah­ren Regie­rung zu einem Bewe­gungs­mel­der des gesell­schaft­li­chen Main­streams ver­wan­delt: Bei Gefahr schnell reagie­ren, bei Däm­me­rung leuch­ten, aber nie selbst strah­len wollen.

Nun steht Bodo Rame­low am Rand sei­nes eige­nen Wir­kens, schaut zurück auf eine Deka­de lin­ker Regie­rungs­ver­ant­wor­tung – und sieht, was er zu ver­mei­den hoff­te: den Auf­stieg derer, die jede Idee von Soli­da­ri­tät, Gleich­heit und Mit­mensch­lich­keit aus dem poli­ti­schen Raum ent­fer­nen wol­len. Die AfD liegt in Thü­rin­gen bei über 30 Pro­zent, wäh­rend die Lin­ke durch Spal­tung, Mut­lo­sig­keit und seman­ti­sches Selbst­mit­leid am Ran­de des par­la­men­ta­ri­schen Über­le­bens balanciert.

Es ist ein gro­tes­ker Wider­spruch – und Rame­low erkennt ihn sogar. Doch er zieht dar­aus nicht den Schluss, dass sei­ne Par­tei auf das fal­sche Tor gespielt hat. Viel­mehr beklagt er, dass das Publi­kum sich für das Spiel (auf ein Tor) nicht mehr interessiert.

Rame­low war ein Mini­ster­prä­si­dent, der stets dar­um bemüht war, nicht als lin­ker Mini­ster­prä­si­dent auf­zu­fal­len. Er war Prag­ma­ti­ker, Ver­mitt­ler, Lan­des­va­ter – also das, was die SPD gern gewe­sen wäre, wenn sie in Ost­deutsch­land noch ein sozia­les Sen­so­ri­um hät­te. Sei­ne Regie­rungs­zeit glich einem unent­weg­ten Ver­such, mit den Kon­ven­tio­nen des poli­tisch Mach­ba­ren zu tan­zen, ohne aus der Rei­he zu fallen.

Doch wer sich dem neo­li­be­ra­len Cho­reo­gra­fen andient, tanzt am Ende nach frem­den Rhyth­men. Die Thü­rin­ger Lin­ke woll­te den »Thü­rin­ger Weg« nicht als radi­ka­le Syste­mal­ter­na­ti­ve ver­stan­den wis­sen, son­dern als bes­ser ver­wal­te­ten Refor­mis­mus mit huma­nem Ant­litz. Die gro­ße Trans­for­ma­ti­on – sie wur­de ins Reich der Lese­krei­se verbannt.

Wohin das führ­te, ließ sich bei der letz­ten Land­tags­wahl besich­ti­gen: Die Wagen­knecht-Abspal­tung hol­te, was die Lin­ke ver­lor. Die AfD wuchs im sel­ben Atem­zug wei­ter. Und die poli­ti­sche Mit­te? Sie wan­der­te ab – in Rich­tung derer, die kei­ne Mit­te mehr wollen.

Rame­low beklagt in sei­nem jüng­sten Tage­buch­text die Ver­ro­hung der öffent­li­chen Debat­te, das Gift von Tele­gram, das Auf­blü­hen des Popu­lis­mus, die Sehn­sucht nach dem »star­ken Mann mit Ket­ten­sä­ge«. Doch sein Ton bleibt der eines ver­ständ­nis­vol­len Ver­wal­ters, nicht der eines ent­schlos­se­nen Gegenspielers.

»Ich war gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen – aber bit­te auch gegen rus­si­sche«, schreibt er. Ein Satz, der alles sagen will, aber nichts bewegt. Zwi­schen Pazi­fis­mus und Loya­li­tät zur Nato bleibt kein Platz für wirk­li­che Oppo­si­ti­on. Rame­low wählt den Spa­gat – und fällt dabei in die Mitte.

Der Rea­lis­mus, auf den er pocht, war nie revo­lu­tio­när, son­dern stets real­po­li­ti­scher Eska­pis­mus: lie­ber dem Bun­des­rat gefal­len als der Arbei­ter­klas­se, lie­ber als Anti­po­de zur AfD, denn als Alter­na­ti­ve zum Kapi­ta­lis­mus. So ging auch die Miet­preis­brem­se flö­ten, so blieb Hartz IV auch unter neu­er Bezeich­nung erhal­ten – und so bekam Thü­rin­gen kei­ne Ver­mö­gens­steu­er, son­dern Wer­be­vi­de­os für Demo­kra­tie und »Zusam­men­halt«.

Die Lin­ke in Thü­rin­gen hat in zehn Jah­ren Regie­rung kein System in Fra­ge gestellt. Sie hat sich bemüht, mit den Grü­nen zu har­mo­nie­ren und die SPD zu ertra­gen – bei­des kei­ne klei­nen Auf­ga­ben. Doch wäh­rend man auf Bun­des­ebe­ne Robert Habecks Heiz­plä­ne dis­ku­tier­te, dis­ku­tier­te man in Thü­rin­gen lie­ber nicht über Eigen­tums­ver­hält­nis­se oder Kon­zern­macht, son­dern über Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten und Satzungsfragen.

»Par­tei in Bewe­gung«, schreibt Rame­low. Doch bewegt wur­de – nichts. Statt eines lin­ken Auf­bruchs gab es einen links ver­wal­te­ten Still­stand. Die Bewe­gungs­lin­ke wur­de zur Bewe­gungs­ver­mei­dungs­par­tei. Ihre Geg­ner über­hol­ten sie rechts, wäh­rend sie links abbie­gen woll­ten, aber den Blin­ker nie setzten.

Wenn ein Mini­ster­prä­si­dent sich am Ende sei­ner Lauf­bahn damit trö­stet, dass er per­sön­lich »noch zuge­legt« habe, obwohl sei­ne Par­tei im frei­en Fall ist, dann ver­rät das vor allem eines: das Miss­ver­ständ­nis, Per­so­nen­kult mit Poli­tik zu ver­wech­seln. Die wich­tig­ste Fra­ge hin­ge­gen stell­te Rame­low nie: War­um gelang es der Lin­ken nicht, in Thü­rin­gen – wo sie zehn Jah­re lang den Regie­rungs­chef stell­te – die AfD kleinzuhalten?

Man war doch »nah bei den Leu­ten«, wie es heißt. Man war prä­sent auf Dorf­fe­sten und im Kreis­tag. Man kann­te die Bäcker, die För­ster, die Ver­eins­vor­stän­de. Und doch: 2024 jubel­te das hal­be Land Höcke zu, wäh­rend die Lin­ke in den Mei­nungs­um­fra­gen kaum noch mess­bar war.

Wie konn­te das gesche­hen? Die Ant­wort liegt auf der Hand – und wird doch von Rame­low umkreist wie ein Denk­mal, das man lie­ber nicht entweiht.

Der poli­ti­sche Prag­ma­tis­mus der Lin­ken war in Wahr­heit ein Zwang zur Anschluss­fä­hig­keit an jene Koali­ti­ons­part­ner, die von Anfang an nicht auf Ver­än­de­rung, son­dern auf Regie­rungs­macht aus waren. Die SPD träum­te von einer Sozi­al­de­mo­kra­tie, die längst im Muse­um steht. Die Grü­nen von tech­no­lo­gi­schen Inno­va­tio­nen, die das Kli­ma ret­ten sol­len, ohne das System zu berüh­ren. Und die Linke?

Sie ver­wal­te­te die Harmonie.

Die sozia­le Fra­ge, der Klas­sen­kampf, der Umbau des Eigen­tums – all das wur­de in den Kel­ler der poli­ti­schen Debat­te ver­bannt, weil es gestört hät­te. Weil es nicht mehr­heits­fä­hig war. Weil die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler damit nicht zu gewin­nen seien.

Doch was gewann man statt­des­sen? Nichts – außer den Vor­wurf, selbst Teil des Systems zu sein, das man einst abschaf­fen woll­te. Und genau die­sen Vor­wurf nutz­te die AfD für sich. Sie sprach von Eli­ten, von System­par­tei­en, von Volks­ver­rä­tern – und die Lin­ke war, wie durch ein Wun­der, plötz­lich in der Auf­zäh­lung mitgemeint.

In Rame­lows Text wim­melt es von Bekennt­nis­sen zur Ver­ant­wor­tung, zur Ver­wal­tung, zur Par­tei. Aber es fehlt das Ein­ge­ständ­nis des eige­nen Versagens.

Er war Regie­rungs­chef – und doch blieb er poli­ti­scher Sta­tist im Stück des unter­ge­hen­den Sozi­al­staats. Er beklagt den Ver­lust der »leben­di­gen Dis­kus­si­on über Ost­deutsch­land«, aber hat selbst kei­ne poli­ti­sche Visi­on für den Osten for­mu­liert, die über Ver­wal­tungs­recht hinausging.

Er spricht von Strüt­zel und Gram­sci, von mar­xi­sti­scher Dia­lek­tik und real­po­li­ti­scher Hand­lungs­fä­hig­keit – doch was dabei fehlt, ist die poli­ti­sche Ima­gi­na­ti­on. Man kann Gram­sci nicht zitie­ren und gleich­zei­tig den gesell­schaft­li­chen Kon­sens zur Richt­schnur des Regie­rungs­han­delns machen. Man kann Marx nicht beschwö­ren und zugleich in zehn Jah­ren nicht eine ein­zi­ge struk­tu­rel­le Eigen­tums­fra­ge im Land­tag stel­len. Und man kann die SED-Gleich­set­zung nicht bekla­gen, wenn man im sel­ben Atem­zug der Kla­ge jede grund­le­gen­de Kri­tik an Macht­ver­hält­nis­sen in den Appa­rat der prag­ma­ti­schen Rück­sicht­nah­me einspeist.

Die Lin­ke in Thü­rin­gen ist kein Opfer ihrer Geg­ner, son­dern ihrer selbst. Sie hat es ver­säumt, als sozia­li­sti­sche Kraft eine ande­re Wirk­lich­keit zu ent­wer­fen. Sie war so sehr mit ihrer Regie­rungs­fä­hig­keit beschäf­tigt, dass sie ver­gaß, wor­um es ging: Gerech­tig­keit, Gleich­heit, sozia­le Umwälzung.

Sie hat sich ein­ge­las­sen auf Koali­tio­nen, die nie auf Ver­än­de­rung, son­dern auf Selbst­be­stä­ti­gung aus waren. Und sie hat sich trei­ben las­sen von der Illu­si­on, man kön­ne System­kri­tik institutionalisieren.

Doch das System hat das Spiel längst gewon­nen. Es absor­bier­te die Lin­ke – und spuck­te sie wie­der aus, als sie nicht mehr nütz­lich war.

Rame­low hat sich bemüht. Er war bemüht. Und man darf ihm abneh­men, dass er es ernst mein­te mit der sozia­len Gerech­tig­keit. Doch Ernst­haf­tig­keit ersetzt kei­ne Visi­on. Und Popu­la­ri­tät kein poli­ti­sches Profil.

Wenn man sich am Ende sei­ner Kar­rie­re damit trö­stet, dass Men­schen »Team Bodo«-Shirts tra­gen, dann ist das kein Zei­chen von Stär­ke, son­dern von poli­ti­schem End­sta­di­um: Per­son statt Pro­gramm, Figur statt Forderung.

Thü­rin­gen steht heu­te vor einem poli­ti­schen Abgrund – und das hat auch mit zehn Jah­ren Regie­rung zu tun, in denen die Lin­ke nicht wag­te, wirk­lich links zu sein.