Mein Schuhlöffel hat sich inzwischen wieder angefunden, allerdings unter bedenklichen Umständen, die außerdem unterschiedlich interpretierbar waren (vgl.: »Verlegte Schuhlöffel«, Ossietzky 19/2025). In der Zwischenzeit ist auch das in jenem Artikel erwähnte und inzwischen bekannte Nato-Manöver beendet. Das Thema »Red Storm Bravo« kann nun also rückblickend auch aus der »Froschperspektive«, in diesem Falle: aus der Perspektive des »Kriegsklotzes«, dargestellt werden.
Der Begriff »Kriegsklotz« ist eine angemessen despektierliche Bezeichnung für ein militaristisches Denkmal, das in der NS-Zeit in der Nähe des Fernbahnhofs Hamburg-Dammtor errichtet worden ist. Es steht in einer Art Fußgängerzone und hat bisher gegenüber allen insgeheimen und bisweilen auch öffentlich geäußerten Wünschen nach seinem Abriss standgehalten, musste sich allerdings mit der Nachbarschaft zweier Gegendenkmäler abfinden.
Das eine ist, genauer gesagt, ein Anti-Kriegsdenkmal-Ensemble, das überregionale »Hrdlicka-Denkmal«. Von ihm sind nur zwei der geplanten vier Teile fertiggestellt. Die Geschichte der Nichtfertigstellung muss hier allerdings übergangen werden, so interessant sie auch sein mag. Auch das im November 2015 eingeweihte Hamburger Deserteursdenkmal des Künstlers Volker Lang, das eine lange Vorgeschichte hatte, kann hier nur kurz erwähnt werden (vgl. »Im Hamburger Deserteursdenkmal«, Ossietzky 2/2016).
Noch in der Woche, bevor »Red Storm Bravo« stattfinden sollte, gab es vor dem Kriegsklotz eine Veranstaltung, die der Hamburger »Kulturverein OLMO« ausrichtete. Ihr Motto sprach für sich: »Nein zu Militärmanövern in Hamburg! Gegen Kriegsertüchtigung und Rekrutierung«. Das Programm – »Bannerhängung«, Lesungen, Musik, Filme – war, wie immer, sehr vielfältig, die Stoßrichtung eindeutig.
Am 23. September, einem Dienstag, sollte das 8 Meter breite Banner (»Nein zu Kriegsübungen in Hamburg«) an der Rückseite des Kriegsklotzes mit technisch aufwendigen Mitteln angebracht werden. Dies unterband jedoch die Polizei. Sie gestattete aber, es an der Rückseite des benachbarten Deserteursdenkmals aufzuhängen; dies allerdings unter einer kuriosen Bedingung. Die Bedingung war, dass OLMO gezwungen wurde, solange das Banner hängen sollte, Kundgebungen auf der Freifläche vor dem Kriegsklotz abzuhalten. In der gesamten Woche, in der »Red Storm Bravo« stattfand, wurden also polizeilich angeordnete Lesungen und Musik geboten.
Dabei gab es einige Zwischenfälle: Zwischenzeitlich wurde das Banner von der Polizei abgehängt, konnte dann aber bald wieder angehängt werden. Auch kleinere Vorfälle mit aufgebrachten Bürgern ereigneten sich.
Aber als ich am Freitag, 26. September, dem zweiten Tag des Manövers, am Kriegsklotz ankam, wo ich mich an einer der Lesungen beteiligen wollte, und mich René Senenko, der Veranstalter von OLMO, mit der Bemerkung begrüßte, ich hätte gerade »das Beste versäumt«, ahnte ich nicht, was vorgefallen war. (Ich zitiere im Folgenden seinen Bericht, den er per E-Mail versandte, wörtlich, weil er einige Details enthält, die kaum glaublich klingen; da ich aber bei seiner Aussage vor Ort anwesend war, kann ich sie bestätigen.)
Hier nun sein Bericht: »Die Nervosität nimmt zu. Zwölf (oder mehr) durchtrainierte Polizeibeamte in drei Polizeifahrzeugen rückten heute gegen 15.20 Uhr an, nachdem ein von der Drohnen-Hysterie angesteckter Bürger unser Banner ›Nein zu Kriegsübungen‹ heruntergefetzt hatte und wir (vier Aktivisten) in wildestem Handgemenge dem Mann das riesige Banner zu entreißen suchten, wobei der wütende Mann ›Ihr Putinschweine‹ schrie.
Bevor das Einsatzkommando eintraf, hatten zwei Polizeibeamte vom Revier 23, die gerade von der Aufnahme eines Verkehrsunfalls kamen, in die Keilerei eingegriffen. Wie wir später erfuhren, waren die beiden Beamten tel(efonisch) nicht erreichbar [gewesen], sodass die Einsatzleitung offenbar annahm, dass linke Chaoten am Werk seien und deshalb die erwähnte Kompanie ausrücken ließ. Als dieses Einsatzkommando (…) eintraf, waren wir gerade dabei, das Banner wieder aufzuhängen. Ganz wie im Film sprangen diese Männer auf uns zu und herrschten uns an: ›Sofort aufhören, das Banner aufzuhängen!‹ Wir spürten, wir waren Teil des Manövers geworden. (Dazu ist zu bemerken, dass die »Demonstranten«, die im Rahmen des Manövers zu »behandeln« waren, von der Bundeswehr gestellt wurden (…). Nach einer Stunde Zeugenvernehmung konnten wir unser Programm mit Saxophon und Textlesungen fortsetzen. Der Protest gegen die Manöver hat zugenommen.«
Doch das ist eine andere Geschichte.