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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Richtige« und »falsche« Juden

Die jüdi­sche Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin Iris Hefets, die aus Isra­el stammt und seit eini­gen Jah­ren in Ber­lin lebt, soll­te kürz­lich in der Bre­mer Uni­ver­si­tät einen Vor­trag zum The­ma Schwei­gen und Schuld – psy­cho­lo­gi­sche Mecha­nis­men im Umgang mit dem Geno­zid in Gaza hal­ten. Es kam nicht dazu. Die Lei­tung der Uni wit­ter­te Staats­ge­fähr­dung und unter­sag­te die Ver­an­stal­tung in ihren Räumen.

Die Rek­to­rin der Uni­ver­si­tät, Jut­ta Gün­ther, begrün­de­te die Ent­schei­dung damit, dass der Bun­des­ver­fas­sungs­schutz die Orga­ni­sa­ti­on Jüdi­sche Stim­me für gerech­ten Frie­den in Nah­ost, deren zwei­te Vor­sit­zen­de Iris Hefets ist, als »gesi­chert extre­mi­stisch« ein­ge­schätzt habe. Wei­ter argu­men­tier­te die Uni­ver­si­täts­lei­tung, dass die kon­kre­te Gefahr bestehe, dass Inhal­te der Ver­an­stal­tung gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung im Sin­ne des Grund­ge­set­zes ver­stie­ßen. Die Uni­ver­si­tät berief sich auch dar­auf, dass die in die­ser Insti­tu­ti­on ange­bo­te­nen Bil­dungs­an­ge­bo­te aus­ge­wo­gen und plu­ra­li­stisch sein müssten.

Das letz­te Argu­ment spricht ja eigent­lich dafür, dass für eine sol­che Ver­an­stal­tung eine Uni­ver­si­tät gera­de der rich­ti­ge Ort ist. Denn wo sonst kann ein welt­of­fe­ner wis­sen­schaft­li­cher Dis­kurs über wich­ti­ge Fra­gen der Gegen­wart bes­ser aus­ge­tra­gen wer­den? Aber in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam sehen beam­te­te Wis­sen­schaft­ler das ganz anders und erwei­sen damit der im Grund­ge­setzt garan­tier­ten Infor­ma­ti­ons- und Mei­nungs­frei­heit einen Bärendienst.

Ver­an­stal­tungs­ver­bo­te, wenn es um kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der israe­li­schen Poli­tik geht, sind im angeb­lich so libe­ra­len Rechts­staat Deutsch­land, der sich mit Stolz zur west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft zählt, Rou­ti­ne gewor­den. Sta­ti­sti­ker haben recher­chiert, dass inzwi­schen schon über 700 sol­cher Ver­an­stal­tun­gen der Zen­sur zum Opfer gefal­len sind. Der deutsch-jüdi­sche Publi­zist Micha Brum­lik hat für die­se Aus­wüch­se einer neu­en Into­le­ranz den Begriff »Neu­er McCar­thy­is­mus« ein­ge­führt – nach dem US-Poli­ti­ker John McCar­thy, der in den 1950er Jah­ren in den USA Kom­mu­ni­sten und Homo­se­xu­el­le poli­tisch ver­folgt hat.

Es fehl­te auch nicht an empör­ten Reak­tio­nen auf den Ver­bots­schritt der Uni­ver­si­tät. So sah die eme­ri­tier­te Pro­fes­so­rin für (Afro-)Amerikanistik Sabi­ne Broeck in dem Raum-Ver­bot eine kla­re Ein­schrän­kung der Wis­sen­schafts­frei­heit. Sie schrieb in einem Brief an das Rek­to­rat: Die Uni-Lei­tung habe sich »vor­aus­ei­lend loy­al zu einem deut­schen Staats­or­gan ver­hal­ten, das einer jüdi­schen Intel­lek­tu­el­len und der Orga­ni­sa­ti­on, für die sie sich enga­giert, den öffent­li­chen Raum für eine Dis­kus­si­on ihrer Arbeit ent­zieht und die­se kri­mi­na­li­siert«. Das sei »gera­de­zu mora­lisch degou­tant« und auch direkt »anti­se­mi­tisch«.

Der Vor­trag fand dann doch noch statt – im Saal einer Kir­chen­ge­mein­de. Der Pastor die­ser Gemein­de hat­te kei­ne Skru­pel, Iris Hefets spre­chen zu las­sen, obwohl sein Arbeit­ge­ber (die evan­ge­li­sche Kir­che) auch nicht gera­de als auf­ge­schlos­sen für kri­ti­sche Ana­ly­sen der israe­li­schen Poli­tik gilt. Viel­leicht wur­de des­halb die Tat­sa­che des Statt­fin­dens des Vor­tra­ges und die Uhr­zeit bis zuletzt wie ein Staats­ge­heim­nis gehü­tet und der Ter­min nur Insi­dern zugäng­lich gemacht.

Was Iris Hefets vor­trug, hat natür­lich Spreng­kraft in einem Land, des­sen Regie­rung den Geno­zid in Gaza ganz offi­zi­ell als legi­ti­men israe­li­schen »Ver­tei­di­gungs­krieg« ansieht und für das Mor­den sogar Waf­fen dort­hin lie­fert. Sie lei­tet die deut­sche Loya­li­tät zu Isra­el (Staats­rä­son) aus dem deut­schen Schuld­ge­fühl wegen des Holo­caust ab. Deutsch­land sei eine so tota­le Iden­ti­fi­zie­rung mit Isra­el ein­ge­gan­gen, um Süh­ne für die NS-Ver­bre­chen zu erlan­gen. Nur so kön­ne man die deut­sche Akzep­tanz und Dul­dung des­sen ver­ste­hen, was in Gaza geschieht. (Der Vor­trag kann im Inter­net abge­ru­fen werden.)

Inter­es­sant und auf­schluss­reich ist aber, was sich aus den Aus­füh­run­gen von Iris Hefets und dem Saal­ver­bot der Uni­ver­si­tät auto­ma­tisch ergibt: Die deut­sche Sym­bio­se mit dem zio­ni­sti­schen Staat ist so eng und total, dass für die deut­sche Poli­tik nur zio­ni­sti­sche Juden die »rich­ti­gen« und »guten« Juden sind, also die­je­ni­gen, die Isra­els rechts­ra­di­ka­ler Regie­rung Bei­fall für ihre Gewalt­po­li­tik (Besat­zung, Land­raub, Apart­heid und Geno­zid in Gaza) zol­len. Uni­ver­sa­li­stisch den­ken­de Juden, die Isra­els Poli­tik unter Beru­fung auf die Men­schen­rech­te und das Völ­ker­recht ableh­nen, sind in Deutsch­land die »fal­schen« und »bösen« Juden. Ihnen wird hier­zu­lan­de sogar das Eti­kett »Anti­se­mi­ten« ange­hef­tet. Ein unge­heu­rer Vor­wurf, wenn Deut­sche Juden als »Anti­se­mi­ten« diffamieren.

Wis­sen die­se Leu­te da eigent­lich, was sie reden? Nach dem Urteil von sechs israe­li­schen Holo­caust-Histo­ri­kern (Omer Bar­tov, Amos Gold­berg, Ahmu­el Leder­man, Lee Mord­e­chai, Raz Segal und Bar­ry Trach­ten­berg) und sehr vie­ler ande­rer israe­li­scher und jüdi­scher Intel­lek­tu­el­ler begeht Isra­el in Gaza einen Völ­ker­mord. Sind das alles »Anti­se­mi­ten«? Die­ser tota­le Wider­spruch belegt, in wel­che aus­weg­lo­se Apo­rie und in wel­chen mora­li­schen Abgrund, die tota­le Sym­bio­se mit Isra­el die deut­sche Poli­tik manö­vriert hat. Anstatt Süh­ne für die NS-Ver­bre­chen zu erlan­gen, wur­de die deut­sche Poli­tik zum Mit­tä­ter an einem neu­en Völkermord.

Der israe­li­sche Sozi­al­wis­sen­schaft­ler und Histo­ri­ker Mos­he Zucker­mann hat die­ses Phä­no­men der deut­schen Iden­ti­fi­zie­rung mit dem Zio­nis­mus schon vor Jah­ren ana­ly­siert. Er fragt: »Soll­te sich etwa die abstrak­te Soli­da­ri­tät mit einem völ­ker­recht­lich ver­kom­me­nen und ver­bre­che­ri­schen Isra­el als eine psy­cho-ideo­lo­gisch moti­vier­te Ent­la­stung der histo­ri­schen Schuld erwei­sen?« Er stellt dann fest: »Denn allein schon die Vor­stel­lung, dass Deut­sche sich anma­ßen, Juden und erst recht jüdi­sche Israe­lis wegen ihrer Isra­el­kri­tik des Anti­se­mi­tis­mus zu bezich­ti­gen, ist als nichts ande­res zu begrei­fen als ein zur Per­ver­si­on ver­kom­me­nes deut­schen Befindlichkeitsproblem.«

Zucker­mann fährt dann fort, dass vie­le Deut­sche mit »Hit­lers ver­län­ger­tem Arm« offen­bar noch lan­ge nicht durch sei­en. Er ent­deckt bei ihnen ein »Resi­du­um eines laten­ten anti­se­mi­ti­schen Res­sen­ti­ments«, das sich – im heu­ti­gen Deutsch­land tabui­siert – neue Wege und Bah­nen der legi­ti­men Mani­fe­sta­ti­on suche. Er schluss­fol­gert dann: »Nur Anti­se­mi­ten kön­nen Juden als Anti­se­mi­ten besu­deln, um sich selbst vor der erbärm­li­chen Unwirt­lich­keit ihres deut­schen, all­zu deut­schen Anti­deutsch­seins zu erlösen.«

Die­se Fest­stel­lun­gen Zucker­manns wer­fen ein ganz neu­es und ande­res Licht auf Leu­te, die Ver­an­stal­tun­gen von kri­ti­schen Juden bzw. Israe­lis verbieten.

Die Zita­te von Mos­he Zucker­mann stam­men aus sei­nem Buch: Der all­ge­gen­wär­ti­ge Anti­se­mit oder Die Angst der Deut­schen vor der Ver­gan­gen­heit, West­end Ver­lag 2018, S. 195 f.