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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schloss statt Palast der Republik

Die Dis­kus­sio­nen um den Abriss des Pala­stes der Repu­blik und den »Wie­der­auf­bau« des Schlos­ses ver­lie­fen, meist auf Mes­ser­schnei­de geführt, über drei­ßig Jah­re hin­weg uner­hört dra­ma­tisch. In Öffent­lich­keit, Poli­tik, Kunst und Kul­tur ball­te sich ein undurch­dring­li­ches Knäu­el von Pro und Con­tra zusam­men, das auch jetzt kaum zu ent­wir­ren ist. Ent­schei­dun­gen in der Sache sind auf der jeweils höch­sten poli­ti­schen Ebe­ne getrof­fen wor­den. Ver­ant­wor­tung tru­gen zunächst Regie­rung und Polit­bü­ro der DDR und nach der Wen­de die Bun­des­re­gie­rung sowie das Abge­ord­ne­ten­haus. Das Spiel han­del­te immer auf der Königsebene.

Die Fra­ge, ob die Schlos­ser­neue­rung zugleich eine Reno­va­tio der 1918 ent­mach­te­ten Hohen­zol­lern­dy­na­stie bedeu­te, noch mehr des 1945 auf­ge­lö­sten Preu­ßen­staa­tes, blieb in den öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen stän­dig viru­lent. Das Schloss in sei­nen vor­ba­rocken Vari­an­ten war jahr­hun­der­te­lang die Resi­denz der Kur­für­sten von Bran­den­burg. Kur­fürst Fried­rich III. gelang der diplo­ma­ti­sche Coup, sich außer­halb des Hei­li­gen Römi­schen Reichs, in sei­nem Her­zog­tum Preu­ßen, in der Haupt­stadt Königs­berg, als »König in Preu­ßen« krö­nen zu las­sen. Für euro­päi­sche Königs­häu­ser und deren Diplo­ma­tie blieb die­se Wür­de gegen­stands­los. Sie nann­ten ihn wei­ter­hin nur »Kur­fürst von Bran­den­burg«. Erst König Fried­rich II. ist es 1772, nach dem Sie­ben­jäh­ri­gen Krieg, gelun­gen, die Königs­wür­de für Bran­den­burg zu erlan­gen, womit er als »König von Preu­ßen und Bran­den­burg« diplo­ma­tisch aner­kannt wur­de. Die­se Kon­stel­la­ti­on blieb bis 1918 erhal­ten. Im Zuge der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on ver­lor das Schloss sei­ne Funk­ti­on als Resi­denz und Herr­schafts­sitz der Hohen­zol­lern Für­sten und Kai­ser. Denn mit der Revo­lu­ti­on ging ihre Abdan­kung und Ent­eig­nung ein­her. Am 20.6.1926 gab es einen Volks­ent­scheid zur Ent­eig­nung. Seit­dem bis 1945 war das Schloss ein Miets­haus. Nur eini­ge Säle wur­den noch muse­al genutzt. Das blieb so bis zur Bom­bar­die­rung am Ende des Zwei­ten Welt­kriegs. Der Wert des Schlos­ses kann schluss­end­lich nicht an sei­ner poli­ti­schen Geschich­te gemes­sen wer­den. Es ist der größ­te und bedeu­tend­ste barocke Pro­fan­bau nörd­lich der Alpen. Die Fra­ge nach sei­nem Wie­der­auf­bau liegt des­halb nicht außer­halb auch kunst­ge­schicht­li­cher Beurteilungen.

Mit der Grün­dung des Hum­boldt-Forums war end­lich ein neu­er Inhalt des Gebäu­des gefun­den. Ent­ste­hen soll­te ein Haus für Kul­tu­ren der Welt, in erster Linie als Muse­um für die Außer­eu­ro­päi­sche, Ozea­ni­sche und Afri­ka­ni­sche Kunst. Das begrün­de­te eine sinn­vol­le Erwei­te­rung der Ber­li­ner Muse­ums­land­schaft, spe­zi­ell der Muse­ums­in­sel. Denn die Samm­lun­gen die­ser Kul­tu­ren befan­den sich jahr­zehn­te­lang am Stadt­rand in Dah­lem. In das Stadt­zen­trum geführt zu wer­den, könn­te die­ses Kon­zept in die Welt aus­strah­len, ähn­lich wie der Lou­vre in Paris. So argu­men­tier­ten die Ideen­fin­der. 2020 war der Neu­bau voll­endet, ein groß­ar­ti­ges Bau­werk steht wie­der an sei­nem Ort.

Doch an Aner­ken­nung man­gelt es bis heu­te. Von allen Sei­ten kamen und kom­men ver­ächt­li­che Wor­te: Kulis­sen­ar­chi­tek­tur, Hol­ly­wood Fas­sa­de usw. Mag sein, doch tref­fen sol­che Zuschrei­bun­gen nicht den Kern. Wer spricht vom Preis des Neu­baus, von Auf­wand und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen des Archi­tek­ten Fran­co Stel­la, von den Bild­hau­ern und Gestal­tungs­künst­lern mit ihren Son­der­lei­stun­gen in der Rekon­struk­ti­on der barocken Por­ta­le, von der Geduld aller Betei­lig­ten über zwan­zig Jah­re hin­weg? Wer kennt die größ­te jemals orga­ni­sier­te pri­va­te Spen­den­ak­ti­on von Wil­helm von Bod­dien? Sie war Vor­aus­set­zung für die wun­der­ba­re Fas­sa­de mit ihrem pla­sti­schen Figurenschmuck.

Die Zustim­mung der Öffent­lich­keit zum Wie­der­auf­bau die­ses Schlos­ses wuchs erst mit einer 3-D-Kulis­se schlag­ar­tig an. Mit ihr ist fast der gesam­te barocke Schloss­kor­pus auf dem Marx-Engels-Platz simu­liert wor­den. Wil­helm von Bod­dien wur­de fün­dig mit einer Monu­men­tal­ma­le­rin, der Pari­se­rin Cathe­ri­ne Feff. Er ver­wirk­lich­te mit ihr sei­ne Idee. Feff zeig­te sich in der Lage, das Schloss vor­über­ge­hend so hin­zu­stel­len, als ob es immer dort gestan­den hät­te. In kür­ze­ster Zeit haben sie und ihr Team die barocken Schloss­au­ßen­wän­de per Hand auf 9000 Qua­drat­me­ter PVC Stoff­bah­nen gemalt. Die Kosten dafür belie­fen sich auf fast 1,5 Mil­lio­nen Deut­sche Mark. Von Bod­dien stemm­te mit einer Hau­ruck-Spen­den­ak­ti­on das Geld dafür zusam­men. Der Gerüst-Her­stel­ler Thys­sen stell­te das Raum­ge­rüst frei zur Ver­fü­gung. So hat die Simu­la­ti­on von 1992/​93 tau­send­fünf­hun­dert Tage gestan­den. Die­se Akti­on reg­te den Spree-Insel­wett­be­werb an. Dar­an betei­lig­ten sich Tau­send Archi­tek­ten aus aller Welt. Die Archi­tek­ten­welt bekann­te sich zum Schloss. Gewin­ner der Pro­jekt­ein­sen­dun­gen wur­de der Ita­lie­ner Fran­co Stella.

Und der Palast der Repu­blik? Spä­ter viel­fach ver­teu­felt als Hon­eckers Lam­pen­la­den, war die­ses Gebäu­de das Lebens­werk von Heinz Graf­fun­der (1928-1994), ein gro­ßer Wurf, aber nur für eine kur­ze Zeit. Des­sen Plan wur­de 1973 bis 1976 von einem Kol­lek­tiv der Bau­aka­de­mie der DDR aus­ge­ar­bei­tet. Danach ist der Palast in zwei­und­drei­ßig Mona­ten errich­tet wor­den. Am 23. April 1976 fand sei­ne fei­er­li­che Eröff­nung statt. Der Län­ge nach 180 m (85 m Brei­te und 35 m Höhe), stand er direkt am Spree­ufer, gegen­über dem Marx-Engels-Forum, der Mari­en­kir­che und dem Roten Rat­haus. Er reich­te quer über den Schloß­platz (1950 bis 1994 in Marx-Engels-Platz umbe­nannt) vom Dom bis zum Mar­stall. Der Grund für sei­ne Quer­la­ge lag dar­in, die lee­re Platz­flä­che nach Westen hin, in Rich­tung Bran­den­bur­ger Tor, wei­ter­hin für die jähr­li­chen DDR-Mili­tär­pa­ra­den zum 1. Mai frei­hal­ten zu können.

Der all­ge­mein belieb­te und im Inne­ren mit viel­fäl­ti­gen Funk­tio­nen aus­ge­stat­te­te Palast, war so es etwas wie ein Traum­schloss für alle. Die­ser Palast auf dem ehe­ma­li­gen Schloß­platz war, oh Wun­der, nicht mehr für die Herr­schen­den allein, son­dern auch für uns bestimmt, die Bür­ger der DDR. Mate­ria­li­en sind ver­wen­det wor­den, die wir zuvor nie gese­hen hat­ten, Tech­nik in Welt­spit­zen­klas­se wur­de ver­wen­det. Es gab preis­wer­te Restau­rants, ein Thea­ter, den Gro­ßen Saal mit ver­stell­ba­ren Wän­den, wo die Schau »Ein Kes­sel Bun­tes« statt­fand, die Glä­ser­ne Blu­me im Foy­er begei­ster­te alle. Kunst­wer­ke von bedeu­ten­den DDR-Malern an den Wän­den im Foy­er waren so arran­giert wie König Fried­rich II. sei­ne Bil­der­ga­le­rie im Pots­da­mer Neu­en Palais um 1770 ein­ge­rich­tet hat­te. Wo hat es das sonst gege­ben? Unglaub­li­ches war da zu erle­ben. Wie­so soll­ten wir den Palast-Abriss nicht wie einen unheil­vol­len Ver­lust empfinden?

Die DDR-Regie­rung hat­te mit Auf­trags­er­tei­lung – unfrei­wil­lig – zugleich das Todes­ur­teil des Pala­stes gefällt. Die Grün­de dafür sind bis heu­te kaum in die Öffent­lich­keit gedrun­gen. Die quel­len­mä­ßi­ge Auf­ar­bei­tung der Bau­ge­schich­te des Pala­stes ist noch in vie­len Fra­gen offen, eben­so die Geschich­te der Ver­asbe­stung des Pala­stes. Akten lagen lan­ge bei aller­s­treng­ster Geheim­hal­tung unter Ver­schluss. Wer am Palast arbei­te­te, war Geheim­nis­trä­ger. In die Ver­scha­lun­gen des Stahl­ske­lett­baus sind 1974 ins­ge­samt 750 000 Ton­nen hoch­kon­zen­trier­tes Asbest­be­ton­ge­misch ver­spritzt wor­den. Asbest­be­ton galt damals zugleich als bestes Brand­schutz­mit­tel. Inter­na­tio­nal war Asbest­be­ton jedoch längst ver­pönt, daher bil­lig zu kau­fen. Aber auch in der DDR war die Ver­wen­dung von Asbest­be­ton schon seit 1969 per Gesetz ver­bo­ten wor­den. Für die­ses Groß­vor­ha­ben hat­te das Polit­bü­ro jedoch eine ein­ma­li­ge Bau­ge­neh­mi­gung zur Ver­wen­dung von Asbest­be­ton erteilt. Es war Eile gebo­ten, der Bau soll­te bis zu den Fei­er­lich­kei­ten zum 30-jäh­ri­gen Bestehen der DDR fer­tig werden.

Doch die nach Eröff­nung des Pala­stes 1976 fort­ge­setz­ten Mili­tär­pa­ra­den mit ihren Boden­er­schüt­te­run­gen scha­de­ten dem Palast. Pan­zer brach­ten die gold­brau­nen Glas­spie­gel­schei­ben im Rah­men der Stahl­kon­struk­tio­nen zum Schwin­gen. Die Asbest­be­ton­mi­schung im Palast wur­de eben­falls durch­ge­schüt­telt. Asbest wird mit Weich­ma­chern ver­mischt. Er trock­net schnel­ler als Beton. Der aus­ge­trock­ne­te Asbest rie­sel­te als wei­ßer Staub aus den Wän­den, wur­de mit der moder­nen Belüf­tungs­an­la­ge ein­ge­saugt, mit Frisch­luft auf­ge­füllt und zurück­ge­schleu­dert in das gesam­te Raum­sy­stem. Die Volks­kam­mer war davon am stärk­sten betrof­fen, weil dort eine Zusatz­be­lüf­tung exi­stier­te; der Asbest rie­sel­te auf die Tische der Abge­ord­ne­ten. Sie zogen des­halb um in das Polit­bü­ro neben­an, ein ehe­ma­li­ges Bankhaus.1990 wur­de der Palast, noch von der DDR-Regie­rung, gegen den Wider­spruch der Lin­ken, geschlos­sen. Er hat nur vier­zehn Jah­re gestan­den. 90 Mil­lio­nen Men­schen haben ihn besucht.

1998 ist die Aus­ker­nung des Pala­stes beschlos­sen wor­den mit der Absicht, die Wän­de zu ent­ker­nen und sie mit asbest­frei­em Füll­werk neu aus­zu­stat­ten. Es gab meh­re­re Ent­wür­fe zum Erhalt des Pala­stes, jedoch fehl­te jedes Nut­zungs­kon­zept. Die Zeit ver­strich, die neue Regie­rung beauf­trag­te die Aus­schrei­bung eines inter­na­tio­na­len Archi­tek­ten­wett­be­werbs. Eine Umge­stal­tung des Pala­stes war nicht unter den Ent­wür­fen. Sein Abriss dau­er­te von 2006 bis 2008 und koste­te schließ­lich 9,9 Mil­lio­nen Euro.

Das fer­ti­ge Bau­werk von Fran­co Stel­la als Hum­boldt-Forum hat vie­le Wider­sprü­che unse­rer Geschich­te und Gegen­wart in sich auf­ge­nom­men. Sie wer­den bestehen blei­ben. Wenn man bedenkt, dass die DDR in den Jahr­zehn­ten nach der Spren­gung des alten Schlos­ses zu kei­ner Neu­be­bau­ung des Schloss­plat­zes in der Lage war, kann ich im Nach­hin­ein nicht erken­nen, wie die Sache hät­te anders aus­lau­fen kön­nen. Für den neu­ge­bau­ten Palast der Repu­blik sehe ich nach der dar­ge­leg­ten Ein­sicht in die Pro­ble­ma­tik kei­ne ver­pass­te Mög­lich­keit sei­ner Erhal­tung. Damit ist auch das Argu­ment hin­fäl­lig: Den Palast hat uns der Westen weg­ge­nom­men, um das alte Hohen­zol­lern­schloss wie­der hinzusetzen.