Die Diskussionen um den Abriss des Palastes der Republik und den »Wiederaufbau« des Schlosses verliefen, meist auf Messerschneide geführt, über dreißig Jahre hinweg unerhört dramatisch. In Öffentlichkeit, Politik, Kunst und Kultur ballte sich ein undurchdringliches Knäuel von Pro und Contra zusammen, das auch jetzt kaum zu entwirren ist. Entscheidungen in der Sache sind auf der jeweils höchsten politischen Ebene getroffen worden. Verantwortung trugen zunächst Regierung und Politbüro der DDR und nach der Wende die Bundesregierung sowie das Abgeordnetenhaus. Das Spiel handelte immer auf der Königsebene.
Die Frage, ob die Schlosserneuerung zugleich eine Renovatio der 1918 entmachteten Hohenzollerndynastie bedeute, noch mehr des 1945 aufgelösten Preußenstaates, blieb in den öffentlichen Diskussionen ständig virulent. Das Schloss in seinen vorbarocken Varianten war jahrhundertelang die Residenz der Kurfürsten von Brandenburg. Kurfürst Friedrich III. gelang der diplomatische Coup, sich außerhalb des Heiligen Römischen Reichs, in seinem Herzogtum Preußen, in der Hauptstadt Königsberg, als »König in Preußen« krönen zu lassen. Für europäische Königshäuser und deren Diplomatie blieb diese Würde gegenstandslos. Sie nannten ihn weiterhin nur »Kurfürst von Brandenburg«. Erst König Friedrich II. ist es 1772, nach dem Siebenjährigen Krieg, gelungen, die Königswürde für Brandenburg zu erlangen, womit er als »König von Preußen und Brandenburg« diplomatisch anerkannt wurde. Diese Konstellation blieb bis 1918 erhalten. Im Zuge der Novemberrevolution verlor das Schloss seine Funktion als Residenz und Herrschaftssitz der Hohenzollern Fürsten und Kaiser. Denn mit der Revolution ging ihre Abdankung und Enteignung einher. Am 20.6.1926 gab es einen Volksentscheid zur Enteignung. Seitdem bis 1945 war das Schloss ein Mietshaus. Nur einige Säle wurden noch museal genutzt. Das blieb so bis zur Bombardierung am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Wert des Schlosses kann schlussendlich nicht an seiner politischen Geschichte gemessen werden. Es ist der größte und bedeutendste barocke Profanbau nördlich der Alpen. Die Frage nach seinem Wiederaufbau liegt deshalb nicht außerhalb auch kunstgeschichtlicher Beurteilungen.
Mit der Gründung des Humboldt-Forums war endlich ein neuer Inhalt des Gebäudes gefunden. Entstehen sollte ein Haus für Kulturen der Welt, in erster Linie als Museum für die Außereuropäische, Ozeanische und Afrikanische Kunst. Das begründete eine sinnvolle Erweiterung der Berliner Museumslandschaft, speziell der Museumsinsel. Denn die Sammlungen dieser Kulturen befanden sich jahrzehntelang am Stadtrand in Dahlem. In das Stadtzentrum geführt zu werden, könnte dieses Konzept in die Welt ausstrahlen, ähnlich wie der Louvre in Paris. So argumentierten die Ideenfinder. 2020 war der Neubau vollendet, ein großartiges Bauwerk steht wieder an seinem Ort.
Doch an Anerkennung mangelt es bis heute. Von allen Seiten kamen und kommen verächtliche Worte: Kulissenarchitektur, Hollywood Fassade usw. Mag sein, doch treffen solche Zuschreibungen nicht den Kern. Wer spricht vom Preis des Neubaus, von Aufwand und Einfühlungsvermögen des Architekten Franco Stella, von den Bildhauern und Gestaltungskünstlern mit ihren Sonderleistungen in der Rekonstruktion der barocken Portale, von der Geduld aller Beteiligten über zwanzig Jahre hinweg? Wer kennt die größte jemals organisierte private Spendenaktion von Wilhelm von Boddien? Sie war Voraussetzung für die wunderbare Fassade mit ihrem plastischen Figurenschmuck.
Die Zustimmung der Öffentlichkeit zum Wiederaufbau dieses Schlosses wuchs erst mit einer 3-D-Kulisse schlagartig an. Mit ihr ist fast der gesamte barocke Schlosskorpus auf dem Marx-Engels-Platz simuliert worden. Wilhelm von Boddien wurde fündig mit einer Monumentalmalerin, der Pariserin Catherine Feff. Er verwirklichte mit ihr seine Idee. Feff zeigte sich in der Lage, das Schloss vorübergehend so hinzustellen, als ob es immer dort gestanden hätte. In kürzester Zeit haben sie und ihr Team die barocken Schlossaußenwände per Hand auf 9000 Quadratmeter PVC Stoffbahnen gemalt. Die Kosten dafür beliefen sich auf fast 1,5 Millionen Deutsche Mark. Von Boddien stemmte mit einer Hauruck-Spendenaktion das Geld dafür zusammen. Der Gerüst-Hersteller Thyssen stellte das Raumgerüst frei zur Verfügung. So hat die Simulation von 1992/93 tausendfünfhundert Tage gestanden. Diese Aktion regte den Spree-Inselwettbewerb an. Daran beteiligten sich Tausend Architekten aus aller Welt. Die Architektenwelt bekannte sich zum Schloss. Gewinner der Projekteinsendungen wurde der Italiener Franco Stella.
Und der Palast der Republik? Später vielfach verteufelt als Honeckers Lampenladen, war dieses Gebäude das Lebenswerk von Heinz Graffunder (1928-1994), ein großer Wurf, aber nur für eine kurze Zeit. Dessen Plan wurde 1973 bis 1976 von einem Kollektiv der Bauakademie der DDR ausgearbeitet. Danach ist der Palast in zweiunddreißig Monaten errichtet worden. Am 23. April 1976 fand seine feierliche Eröffnung statt. Der Länge nach 180 m (85 m Breite und 35 m Höhe), stand er direkt am Spreeufer, gegenüber dem Marx-Engels-Forum, der Marienkirche und dem Roten Rathaus. Er reichte quer über den Schloßplatz (1950 bis 1994 in Marx-Engels-Platz umbenannt) vom Dom bis zum Marstall. Der Grund für seine Querlage lag darin, die leere Platzfläche nach Westen hin, in Richtung Brandenburger Tor, weiterhin für die jährlichen DDR-Militärparaden zum 1. Mai freihalten zu können.
Der allgemein beliebte und im Inneren mit vielfältigen Funktionen ausgestattete Palast, war so es etwas wie ein Traumschloss für alle. Dieser Palast auf dem ehemaligen Schloßplatz war, oh Wunder, nicht mehr für die Herrschenden allein, sondern auch für uns bestimmt, die Bürger der DDR. Materialien sind verwendet worden, die wir zuvor nie gesehen hatten, Technik in Weltspitzenklasse wurde verwendet. Es gab preiswerte Restaurants, ein Theater, den Großen Saal mit verstellbaren Wänden, wo die Schau »Ein Kessel Buntes« stattfand, die Gläserne Blume im Foyer begeisterte alle. Kunstwerke von bedeutenden DDR-Malern an den Wänden im Foyer waren so arrangiert wie König Friedrich II. seine Bildergalerie im Potsdamer Neuen Palais um 1770 eingerichtet hatte. Wo hat es das sonst gegeben? Unglaubliches war da zu erleben. Wieso sollten wir den Palast-Abriss nicht wie einen unheilvollen Verlust empfinden?
Die DDR-Regierung hatte mit Auftragserteilung – unfreiwillig – zugleich das Todesurteil des Palastes gefällt. Die Gründe dafür sind bis heute kaum in die Öffentlichkeit gedrungen. Die quellenmäßige Aufarbeitung der Baugeschichte des Palastes ist noch in vielen Fragen offen, ebenso die Geschichte der Verasbestung des Palastes. Akten lagen lange bei allerstrengster Geheimhaltung unter Verschluss. Wer am Palast arbeitete, war Geheimnisträger. In die Verschalungen des Stahlskelettbaus sind 1974 insgesamt 750 000 Tonnen hochkonzentriertes Asbestbetongemisch verspritzt worden. Asbestbeton galt damals zugleich als bestes Brandschutzmittel. International war Asbestbeton jedoch längst verpönt, daher billig zu kaufen. Aber auch in der DDR war die Verwendung von Asbestbeton schon seit 1969 per Gesetz verboten worden. Für dieses Großvorhaben hatte das Politbüro jedoch eine einmalige Baugenehmigung zur Verwendung von Asbestbeton erteilt. Es war Eile geboten, der Bau sollte bis zu den Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen der DDR fertig werden.
Doch die nach Eröffnung des Palastes 1976 fortgesetzten Militärparaden mit ihren Bodenerschütterungen schadeten dem Palast. Panzer brachten die goldbraunen Glasspiegelscheiben im Rahmen der Stahlkonstruktionen zum Schwingen. Die Asbestbetonmischung im Palast wurde ebenfalls durchgeschüttelt. Asbest wird mit Weichmachern vermischt. Er trocknet schneller als Beton. Der ausgetrocknete Asbest rieselte als weißer Staub aus den Wänden, wurde mit der modernen Belüftungsanlage eingesaugt, mit Frischluft aufgefüllt und zurückgeschleudert in das gesamte Raumsystem. Die Volkskammer war davon am stärksten betroffen, weil dort eine Zusatzbelüftung existierte; der Asbest rieselte auf die Tische der Abgeordneten. Sie zogen deshalb um in das Politbüro nebenan, ein ehemaliges Bankhaus.1990 wurde der Palast, noch von der DDR-Regierung, gegen den Widerspruch der Linken, geschlossen. Er hat nur vierzehn Jahre gestanden. 90 Millionen Menschen haben ihn besucht.
1998 ist die Auskernung des Palastes beschlossen worden mit der Absicht, die Wände zu entkernen und sie mit asbestfreiem Füllwerk neu auszustatten. Es gab mehrere Entwürfe zum Erhalt des Palastes, jedoch fehlte jedes Nutzungskonzept. Die Zeit verstrich, die neue Regierung beauftragte die Ausschreibung eines internationalen Architektenwettbewerbs. Eine Umgestaltung des Palastes war nicht unter den Entwürfen. Sein Abriss dauerte von 2006 bis 2008 und kostete schließlich 9,9 Millionen Euro.
Das fertige Bauwerk von Franco Stella als Humboldt-Forum hat viele Widersprüche unserer Geschichte und Gegenwart in sich aufgenommen. Sie werden bestehen bleiben. Wenn man bedenkt, dass die DDR in den Jahrzehnten nach der Sprengung des alten Schlosses zu keiner Neubebauung des Schlossplatzes in der Lage war, kann ich im Nachhinein nicht erkennen, wie die Sache hätte anders auslaufen können. Für den neugebauten Palast der Republik sehe ich nach der dargelegten Einsicht in die Problematik keine verpasste Möglichkeit seiner Erhaltung. Damit ist auch das Argument hinfällig: Den Palast hat uns der Westen weggenommen, um das alte Hohenzollernschloss wieder hinzusetzen.