»Vor den Augen der Öffentlichkeit einen Menschen zum Problem machen – das ist der erste Akt der Entrechtung.« Dieser Satz, der Hannah Arendt zugeschrieben wird, trifft mit brutaler Präzision auf die sprachpolitische Praxis zu, mit der in Europa das Phänomen der Migration behandelt wird. Wer heute in Parlamentsreden, Talkshows oder Boulevardmedien aufmerksam zuhört, stößt auf ein Vokabular, das weniger beschreibt als verurteilt, weniger erklärt als verunglimpft. Im Zentrum dieser diskursiven Eskalation steht ein Begriff, der mit fast magischer Wirkung ganze Existenzen delegitimiert: »illegal«.
Das Wort ist kurz, schneidend, endgültig – und es ist falsch. Es unterstellt eine Straftat, wo keine ist, einen Vorsatz, wo oft Verzweiflung herrscht, und eine Rechtswidrigkeit, wo das Recht selbst den Schutz gebietet. Die Formel von der »illegalen Migration« hat sich tief in den politischen Diskurs gefressen – nicht als neutrale Beschreibung, sondern als ideologische Kampfansage gegen die Idee universeller Menschenrechte.
Aber woher stammt dieser Begriff? Wie wird er politisch, juristisch und medial verwendet? Welche Funktionen erfüllt er? Und was bedeutet seine inflationäre Anwendung für die Betroffenen – für die Menschen, denen nicht Flucht, sondern Fluchtursachen vorgeworfen werden?
Die Antwort basiert auf juristischen Analysen, sprachkritischen Studien und menschenrechtlichen Recherchen – vor allem von Organisationen wie Pro Asyl, Amnesty International, dem Netzwerk Flüchtlingsforschung und Correctiv. Ihr Ziel ist nicht nur die Analyse, sondern auch die politische Entwaffnung eines Wortes, das nicht nur eine Grenze markiert, sondern eine gefährliche Linie im Kopf zieht: zwischen »uns« und »denen«.
I.
»Kein Mensch ist illegal.« – Dieser Satz, der seit den 1990er-Jahren auf Plakaten, Mauern und Transparenten steht, ist kein gefühliger Appell, sondern eine präzise juristische Zurückweisung. Denn wer »illegale Migranten« sagt, ignoriert nicht nur sprachliche Feinheiten, sondern verkennt geltendes Recht.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, dem Zivilpakt der Vereinten Nationen sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hat jeder Mensch das Recht, Schutz vor Verfolgung zu suchen – unabhängig von der Art der Einreise. Auch Artikel 16a des Grundgesetzes garantiert Asyl für politisch Verfolgte, wenn auch mit Einschränkungen durch die sogenannten »sicheren Drittstaaten«.
Die juristische Realität ist klar: Die Einreise zum Zweck der Asylbeantragung ist nicht illegal – selbst wenn sie »unerlaubt« im technischen Sinne geschieht, also ohne Pass, Visum oder über eine »nicht genehmigte« Grenze. Diese Unterscheidung ist entscheidend. Denn das Strafrecht macht einen deutlichen Unterschied zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit – und noch einmal zwischen einer solchen und einem menschenrechtlich gedeckten Verhalten.
Die Verwirrung entsteht nicht zufällig, sondern systemisch. Im Rahmen der Dublin-Verordnungen wird Geflüchteten vorgeschrieben, im »ersten sicheren EU-Land« Asyl zu beantragen. Das führt zu absurden Zuständen: Wer etwa über Italien oder Griechenland nach Deutschland kommt, gilt formal als »unerlaubt eingereist« – selbst wenn er oder sie in Italien oder Griechenland nie Schutz oder Bleibeperspektive hatte. Das Problem ist also nicht »illegale Migration«, sondern ein EU-internes Zuständigkeitspingpong, das Fluchtwege kriminalisiert, statt sie zu koordinieren.
§95 Aufenthaltsgesetz stellt das Verbleiben ohne gültigen Aufenthaltstitel unter Strafe. Doch auch hier gilt: Wer einen Asylantrag stellt, befindet sich im Verfahren – und hat bis zur Entscheidung einen legalen Aufenthaltsstatus. Auch hier versagt die gängige Rhetorik: Denn die »Illegalität« beginnt erst dann, wenn jemand ausreisepflichtig wird – und selbst das ist kein Straftatbestand, sondern häufig Resultat einer langen Kette aus Behördenversagen, Verfahrenswirrwarr und sachfremden Härteentscheidungen.
Dass Menschen in Deutschland oder Europa »illegalisiert« werden, ist daher keine Folge ihres Tuns – sondern der politischen Kategorisierung. Wie die Politologin Lea Müller-Funk schreibt, ist Illegalität »nicht Eigenschaft, sondern Zustand« – ein Status, der von außen zugewiesen wird. Er markiert nicht eine Tat, sondern einen Ausschluss. Und dieser Ausschluss hat eine gravierende Konsequenz: Wer als »illegal« gilt, hat weniger Rechte – manchmal gar keine.
II.
Sprache ist nicht neutral. Sie schafft Wirklichkeit, formt Wahrnehmung und legitimiert Handeln. Wer den Begriff »illegale Migration« gebraucht, stellt nicht nur eine Kategorie auf – er trifft eine Wertung. Diese semantische Entscheidung ist politisch, denn sie signalisiert: Da kommt jemand, der sich nicht an Regeln hält, der sich vordrängelt, der nicht dazugehört.
In kaum einem journalistischen Bereich wird das deutlicher als im Boulevard. Die Bild-Zeitung titelte etwa im Oktober 2023: »Illegale Migranten stürmen deutsche Grenze – Polizei hilflos!« (Bild, 16.10.2023). Eine faktische Grundlage? Fehlanzeige. Der Begriff »illegale Migranten« wird hier reflexartig gebraucht, auch wenn es sich um Asylbewerber handelte, die ihr Menschenrecht auf Schutz wahrnehmen wollten. Die Wortwahl suggeriert Grenzbruch, Invasion, Chaos. Und sie trägt Früchte: Studien der Universität Leipzig zeigen, dass Menschen, die regelmäßig Boulevard konsumieren, Geflüchtete überdurchschnittlich häufig mit Kriminalität und Kontrollverlust assoziieren.
Doch die eigentliche Gefahr lauert nicht am äußersten Rand, sondern in der Mitte des politischen Diskurses. Wenn etwa der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Herbst 2023 von »illegaler Migration in unsere Sozialsysteme« spricht (Bundestagsrede vom 27.09.2023), ist das mehr als Polemik – es ist rhetorischer Diebstahl. Denn mit dieser Wortwahl übernimmt Merz den Jargon rechtspopulistischer Bewegungen, die längst von einem »Asyl-Tourismus« sprechen und suggerieren, Schutzsuchende würden Sozialleistungen plündern statt Schutz suchen. Die Formulierung impliziert Betrug – und bereitet ideologisch die Abschottungspolitik vor.
Ein weiteres Beispiel: Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt sprach 2022 im Bundestag von einer »Welle illegaler Armutsmigration, die unsere Ordnung herausfordert«. Auch hier wieder: der Begriff »illegal«, verbunden mit einer Wertung des Motivs (»Armutsmigration«) – als ob Armut kein legitimer Fluchtgrund sei. Dass Armut oft Folge von Krieg, Klimakrise, Korruption oder westlicher Außenwirtschaftspolitik ist, bleibt ausgeblendet.
Besonders alarmierend ist, dass auch öffentlich-rechtliche Medien die Begriffe übernehmen. So spricht die Tagesschau ständig von »illegaler Einreise«. Zwar wird gelegentlich klargestellt, dass es sich um eine juristische Bewertung nach dem Aufenthaltsgesetz handelt – doch der Begriff wird unkommentiert in Titel und Anmoderation übernommen. Die Wirkung bleibt: Der Ausdruck »illegal« erzeugt Bilder von Regelbruch, von Schuld und von Gefahr. Sprachlich entsteht ein Konnex zwischen Migration und Kriminalität – und dieser Konnex wirkt, selbst wenn er sachlich falsch ist.
Wie Josef Klein in seiner Analyse »Politik und Rhetorik« (2022) zeigt, ist Sprache das zentrale Medium politischer Deutungshoheit. Die Wiederholung von Begriffen schafft Plausibilität. Wer täglich von »illegaler Migration« liest oder hört, wird irgendwann glauben, dass Menschen ohne gültige Papiere grundsätzlich kriminell seien – obwohl das Gegenteil richtig ist: Wer in Not flieht und Asyl beantragt, handelt rechtlich gedeckt und moralisch begründet.
Der Diskurs erzeugt also keine Beschreibung, sondern ein Deutungsangebot. Und dieses Deutungsangebot erfüllt eine Funktion: Es verschiebt die Verantwortung für die Migrationsbewegungen vom globalen Ungleichgewicht hin zum Individuum. Der Mensch auf der Flucht wird nicht als Opfer, sondern als Täter beschrieben – nicht als Subjekt des Schutzrechts, sondern als Objekt der Abwehr.
III.
Migration ist nicht erst seit der sogenannten »Flüchtlingskrise« 2015 ein politisches Reizthema – aber die Art, wie über Migration gesprochen wird, hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. Die Sprache, die einst administrative Ordnung schaffen sollte, ist zum Vehikel moralischer Abwertung geworden. Aus Kontrolle wurde Verachtung.
Die französische Politikwissenschaftlerin Catherine Wihtol de Wenden spricht von einem »autoritären Konsens« in der europäischen Migrationspolitik: Ein Konsens, der sich nicht auf das Recht stützt, sondern auf Angst. Ausgehend von einem vermeintlichen Kontrollverlust – verstärkt durch mediale Inszenierungen – entsteht ein Klima, in dem migrationspolitische Härte nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalfall gilt.
Die Debatte verschiebt sich so: vom Recht auf Asyl zur Frage, wie schnell abgeschoben wird. Vom Schutz vulnerabler Gruppen zur Begrenzung von Zuzug. Vom globalen Nord-Süd-Verhältnis zur »Belastungsgrenze Deutschlands«. Die Ursachen von Flucht – Krieg, Ausbeutung, Klimakrise – verschwinden hinter Schlagworten wie »Pull-Faktoren« oder »Asylmissbrauch«.
Mit der semantischen Aufladung des Begriffs »illegal« wird ein gefährlicher Nebeneffekt erzeugt: Nicht nur das Verhalten, sondern die Person wird kriminalisiert. Geflüchtete werden nicht nur als »illegal eingereist«, sondern als per se illegal markiert. Die Adjektivierung wird zur Identität. Das befeuert eine moralische Abwertung, die im öffentlichen Diskurs längst in offene Feindseligkeit umgeschlagen ist.
Rechte Gruppen sprechen von »Invasoren«, bürgerliche Politiker:innen von »Bevölkerungsersatz« und selbst liberale Medien greifen zur Floskel »unkontrollierter Migration«, als ob Migration per se ein Risiko darstelle. Diese Rhetorik funktioniert wie eine Schleuse: Was gestern noch als unakzeptabel galt, wird heute als Realpolitik diskutiert. Sprache bereitet den Boden – für Maßnahmen, die früher undenkbar schienen.
Warum geschieht diese Verschiebung? Die Antwort ist so einfach wie bitter: Weil es politisch nützlich ist. Migration ist das ideale Projektionsfeld für gesellschaftliche Ängste: ökonomisch, kulturell, identitär. Wer Kontrolle über Migration verspricht – oder zumindest Härte signalisiert –, gewinnt Stimmen. Es ist eine Politik des autoritären Pragmatismus: Wer sich stark zeigt gegen »illegale Migration«, muss nichts erklären zu Wohnungskrise, Prekarisierung, Pflegenotstand oder Klimapolitik.
Im Schatten der Illegalisierungsrhetorik gedeiht so eine Symbolpolitik, die die Betroffenen entrechtet, um die Mehrheitsgesellschaft zu beruhigen. Das funktioniert, weil der mediale Diskurs die Begriffe der Politik übernimmt – und weil sich kaum jemand die Mühe macht, zwischen Grenzüberschreitung und Rechtsbruch, zwischen Fluchtgrund und Visaregelung zu unterscheiden.
Die Folgen sind fatal. Was als sprachliche Verschiebung beginnt, endet in gesellschaftlicher Verrohung. In Abschiebungen in Kriegsgebiete. In Haft für Minderjährige. In Pushbacks im Mittelmeer. Die Sprache geht der Gewalt voraus. Der französische Soziologe Didier Fassin nennt das den »kalten Tod durch Bürokratie« – eine Mischung aus Indifferenz und Entmenschlichung, die das Migrationsregime Europas prägt.
Und doch ist diese Entwicklung kein Naturgesetz. Sie ist das Resultat politischer Entscheidungen – und damit auch veränderbar.
IV.
Wenn Begriffe wie »illegal« zur Alltagssprache werden, bleibt das nicht ohne Folgen. Die diskursive Abwertung von Geflüchteten schafft ein Klima, in dem Gewalt gegen sie nicht nur geduldet, sondern strukturell vorbereitet wird. Die folgenden Fallbeispiele zeigen: Die Linie zwischen Sprache und Praxis ist schmal – und oft tödlich.
Ein junger Mann aus Eritrea steht in einem Regionalzug von Frankfurt nach Fulda. Er ist dunkelhäutig, spricht Deutsch mit Akzent, zeigt ein Ticket. Und trotzdem wird er kontrolliert – nicht von der Bahn, sondern von der Bundespolizei. Der Vorwurf: Verdacht auf »illegalen Aufenthalt«. Dieses Szenario ist Alltag. Die Polizei selektiert nicht zufällig, sondern auf Grundlage »personenbezogener Lagebilder« – ein Euphemismus für Racial Profiling.
Zahlreiche Gerichte haben dieses Vorgehen bereits kritisiert (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 28.02.2020, Az. 4 K 123/19.KO), doch die Praxis geht weiter. Warum? Weil die Sprachregelung »illegale Einreise« eine ständige Kontrollbereitschaft legitimiert. Wer als »illegal« gilt, hat keine Unschuldsvermutung – sondern ist verdächtig qua Existenz.
In Deutschland sitzen Menschen monatelang in Haft – ohne Straftat, ohne Gerichtsverhandlung, allein aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status. Das nennt sich Abschiebehaft. Die Begründung: Fluchtgefahr. Die Realität: Viele dieser Menschen sind Opfer von Krieg, Folter oder politischer Verfolgung. Sie haben Familie hier, Arbeit, Perspektive. Doch das Ausländerrecht kennt keine sozialethischen Erwägungen. Wer als »illegal aufhältig« gilt, kann eingesperrt werden – wie ein Verbrecher.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 betont, dass Abschiebehaft strengen Anforderungen unterliegt (BVerfG, Beschluss v. 14.05.2011, 2 BvR 2365/09). Doch die Praxis bleibt restriktiv – befeuert von einem Diskurs, der »illegal« nicht als bürokratischen Zustand, sondern als moralisches Urteil versteht.
Besonders dramatisch ist die Lage von Familien mit Kindern. Immer wieder berichten Organisationen wie Pro Asyl oder terre des hommes von Fällen, in denen Minderjährige mit ihren Eltern in Abschiebehaft genommen werden – oder nach der Abschiebung in Lagern oder auf der Straße landen. Die Begründung ist stets dieselbe: fehlender Aufenthaltstitel, also »illegale« Anwesenheit.
Ein besonders erschütternder Fall ereignete sich im März 2023 in Niedersachsen: Eine Familie aus dem Irak, seit sechs Jahren in Deutschland, wurde nachts von der Polizei abgeholt. Die Kinder – elf und vierzehn Jahre alt – mussten in Handschellen mit ins Flugzeug. Der Bürgermeister des Ortes protestierte, selbst die Schule zeigte sich entsetzt. Doch das zuständige Innenministerium verteidigte die Maßnahme – mit Verweis auf den »nicht legalen Aufenthalt«.
Am gravierendsten aber sind die Folgen an den Außengrenzen Europas. Immer wieder dokumentieren NGOs wie Border Violence Monitoring, Human Rights Watch oder die Ärzte ohne Grenzen, wie Geflüchtete gewaltsam zurück über Grenzen gedrängt werden – ohne Verfahren, ohne Anhörung, ohne Rechte. Diese sogenannten Pushbacks sind völkerrechtswidrig, denn sie verletzen das Non-Refoulement-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention.
Und doch geschehen sie tausendfach – auf dem Mittelmeer, am Evros, in Kroatien, in der Sahara. Der Begriff »illegale Migration« dient hier als Rechtfertigung: Wer illegal sei, habe kein Recht auf Aufnahme. Wer kein Recht auf Aufnahme habe, könne auch keine Rechte geltend machen. Die Logik ist perfide – aber sie funktioniert. Weil Sprache hier zur Grenzwaffe wird.
V.
Der Begriff »illegale Migration« ist mehr als nur eine rhetorische Entgleisung – er ist Teil einer Ideologieproduktion, die das Asylrecht systematisch aushöhlt. Doch dieser Prozess ist kein Schicksal. Er lässt sich benennen, kritisieren – und unterbrechen. Überall in Europa formieren sich Gegenbewegungen, die sich dem toxischen Sprachspiel verweigern und für menschenrechtliche Integrität eintreten.
Die Parole »Kein Mensch ist illegal« entstand 1997 auf der documenta X in Kassel und wurde rasch zum Leitsatz einer ganzen Bewegung. Was als künstlerisch-politisches Statement begann, ist heute ein weitverzweigtes Netzwerk aus NGOs, Kircheninitiativen, Seenotrettern, Studierendenkollektiven und Jurist:innen. Ziel: Den Diskurs umdrehen. Nicht der Mensch sei illegal, sondern das System, das ihn entrechtet.
Projekte wie Seebrücke, Borderline Europe oder die Refugee Law Clinics leisten nicht nur praktische Hilfe, sondern auch Aufklärungsarbeit. Sie zeigen, dass Rechtsprechung nicht neutral ist, sondern politisch formbar – und dass Begriffe wie »illegal« nicht der Realität entsprechen, sondern deren politische Verzerrung sind.
Ein zentrales Element der Gegenstrategie ist die Sprachkritik. Initiativen wie die »Neuen deutschen Medienmacher*innen« oder das Projekt »Claim – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit« bieten Handreichungen für diskriminierungssensible Sprache, analysieren Medienberichte und benennen rassistische Framings. Sie fordern einen Perspektivwechsel: vom vermeintlich »objektiven« Sprachgebrauch zur reflexiven Medienethik.
Auch juristische Organisationen wie Pro Asyl oder der Deutsche Anwaltverein fordern seit Jahren, den Begriff »illegal« aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu streichen – zugunsten präziser, rechtskonformer Begriffe wie »nicht regulär«, »ohne Aufenthaltstitel« oder »asylsuchend«.
In Einzelfällen gelingt es auch vor Gericht, den Begriff zu entkräften. So hat etwa das Verwaltungsgericht Düsseldorf 2021 entschieden, dass eine Geflüchtete aus Afghanistan nicht als »illegal eingereist« gelten könne, da sie durch humanitäre Gründe zur Grenzüberschreitung gezwungen war (VG Düsseldorf, Urteil vom 13.08.2021, Az. 9 K 1477/20.A). Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach betont, dass Asylsuchende Anspruch auf ein faires Verfahren haben – unabhängig von ihrem Einreiseweg (vgl. EuGH, C-36/20).
Doch die Justiz ist kein Automatismus. Was fehlt, ist eine klare politische Linie, die nicht auf Abschreckung, sondern auf Menschenrechte setzt.
Ein zentraler Hebel liegt daher in der Rückeroberung der Öffentlichkeit. Aufklärung muss nicht defensiv sein – sie kann offensiv, polemisch und poetisch zugleich sein. Die Kunst, die Literatur, das Theater, der investigative Journalismus: All diese Formen können Räume öffnen, in denen das herrschende Narrativ durchbrochen wird. Stücke wie Elfriede Jelineks »Die Schutzbefohlenen« oder Performances von Milo Rau setzen genau hier an – sie machen aus »illegalen« Menschen wieder sichtbare Subjekte.
Auch alternative Medien wie nd, taz, Ossietzky, jW, MiGAZIN oder Analyse & Kritik leisten Aufklärungsarbeit, die über das »Problem Migration« hinausweist – und hinführt zu einer Kritik an globaler Ungleichheit, kapitalistischer Verwertung und autoritärer Regierungskunst.
VI.
Sprache ist nie harmlos. Sie trägt, was Hannah Arendt einst die »Macht der Namensgebung« nannte – und mit ihr das Privileg, zu entscheiden, was als normal gilt und was als Abweichung. Wer den Begriff »illegale Migration« benutzt, stellt eine solche Entscheidung: Er rückt den Menschen ins Unrecht, bevor geprüft wurde, ob er ein Recht auf Schutz hat. Er rückt das Asylrecht vom Zentrum an den Rand, vom Prinzip zur Ausnahme.
Dabei ist nichts an Flucht per se »illegal«. Illegal ist allenfalls das, was im Namen der Sicherheit geschieht: Pushbacks auf hoher See, Abschiebehaft ohne richterlichen Beschluss, Sprachregelungen, die Menschen entmenschlichen, bevor man ihnen je begegnet ist. Illegal ist die Verweigerung von Schutz bei gleichzeitiger Verantwortung für die Ursachen der Flucht.
Der Kampf um Begriffe ist also nicht bloß ein akademischer. Er ist konkret, existenziell, politisch. Es geht nicht um Wortklauberei, sondern um Menschenleben. Um das Recht, Rechte zu haben – unabhängig davon, ob man mit oder ohne Papiere die Grenze übertritt.
Die Rede von der »illegalen Migration« kaschiert nicht nur globale Ungleichheit, sie reproduziert sie. Sie entlastet den globalen Norden moralisch und lädt die Schuld auf die Schultern derer ab, die vor seinen Folgen fliehen. Sie ersetzt Ursachenanalyse durch Schuldvermutung, Solidarität durch Abwehr.
Wer dagegen anschreibt, spricht nicht »für die Migranten«, sondern gegen ein System, das den Menschen zum Risiko erklärt. Wer das Wort »illegal« hinterfragt, betreibt nicht Relativierung, sondern Rekonstruktion. Eine Rückgewinnung des Politischen gegen das Technokratische, des Ethos gegen die Bürokratie.
Denn letztlich ist es nicht das Asylrecht, das Europa bedroht. Es ist die Bereitschaft, es für Stimmengewinn, Machterhalt oder symbolische Sicherheit zu opfern.
Der Aufruf ist klar: Beenden wir das Geschäft mit dem Wort »illegal«. Beginnen wir, das Asylrecht wieder als das zu verstehen, was es ist – ein Akt der Menschlichkeit inmitten eines unmenschlichen Systems.