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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Über die Bezeichnung Emigranten

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab:
Emigranten.

Das heißt doch Aus­wand­rer. Aber wir
Wan­der­ten doch nicht aus, nach frei­em Entschluss
Wäh­lend ein and­res Land. Wan­der­ten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu blei­ben, womög­lich für immer,
Son­dern wir flo­hen. Ver­trie­be­ne sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.

Unru­hig sit­zen wir so, mög­lichst nahe den Grenzen
War­tend des Tags der Rück­kehr, jede klein­ste Veränderung
Jen­seits der Gren­ze beob­ach­tend, jeden Ankömmling
Eif­rig befra­gend, nichts ver­ges­send und nichts aufgebend
Und auch ver­zei­hend nichts, was geschah, nichts verzeihend.
Ach, die Stil­le der Sun­de täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie
Aus ihren Lagern bis hier­her. Sind wir doch selber
Fast wie Gerüch­te von Unta­ten, die da entkamen
Über die Gren­zen. Jeder von uns
Der mit zer­ris­se­nen Schuhn durch die Men­ge geht
Zeugt von der Schan­de, die jetzt unser Land befleckt.
Aber kei­ner von uns
Wird hier­blei­ben. Das letz­te Wort
Ist noch nicht gesprochen.
(1937)
 
Quel­le: Svend­bor­ger Gedich­te. In: Ber­tolt Brecht: Gesam­mel­te Wer­ke. Band 9: Gedich­te 2. Hrsg. in Zusam­men­ar­beit mit Eli­sa­beth Haupt­mann, Frank­furt a. M.: Suhr­kamp Ver­lag 1967, S. 718.

Ausgabe 15.16/2025