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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Unverantwortliche Siegespläne

Das Buch »Die Ukrai­ne im zer­stö­re­ri­schen Zugriff glo­ba­ler Poli­tik« von Peter-Alexis Albrecht (em. Prof. für Straf­recht und Kri­mi­no­lo­gie) und Her­wig Rog­ge­mann (em. Prof. für Ost­eu­ro­pa­kun­de) bie­tet zwei fun­dier­te Auf­sät­ze auf der Suche nach frie­dens­stif­ten­den Poli­tik­an­sät­zen, jen­seits tages­po­li­ti­scher Feind­bil­der und Ulti­ma­ten. In Ana­ly­sen zur Völ­ker­rechts­pro­ble­ma­tik und zu den geschicht­li­chen Hin­ter­grün­den des Ukrai­ne-Krie­ges fächern die Autoren die kom­pli­zier­te recht­li­che und geschicht­li­che Gemenge­la­ge auf, die bei einer Frie­dens­lö­sung berück­sich­tigt wer­den soll­te – so, nach Prof. Albrecht, etwa die Jahr­hun­der­te lan­ge kom­pli­zier­te Ver­floch­ten­heit rus­si­scher und ukrai­ni­scher Geschich­te, die eine föde­ra­le Lösung, statt einer sepa­ra­ti­sti­schen, zum gegen­sei­ti­gen Vor­teil aller Sei­ten nahe­ge­legt hät­te, oder den bis­her nicht berück­sich­tig­ten völ­ker­recht­li­chen Wider­spruch zwi­schen »frei­er Bünd­nis­wahl« einer­seits und »Gewähr­lei­stung unteil­ba­rer Sicher­heit« ande­rer­seits, wie es in der Schluss­ak­te von Hel­sin­ki for­mu­liert wur­de; wäh­rend Russ­land auf letz­te­rem besteht, ging es den USA und ihren Ver­bün­de­ten um erste­res, letzt­lich um die »Erle­di­gung« des Prin­zips gemein­sa­mer Sicher­heit. Hin­ter­grün­de dafür sei­en fun­da­men­ta­le öko­no­mi­sche Inter­es­sen der USA und des Westens, sowie ihr Rin­gen um glo­ba­le Hege­mo­nie. Nicht zu ver­ges­sen sei schließ­lich, dass Russ­land drei Mal von West­eu­ro­pa, ins­be­son­de­re Deutsch­land, ange­grif­fen wur­de: von Napo­le­on mit 2 Mil­lio­nen Opfern, im 1. Welt­krieg, mit 7 Mil­lio­nen und im 2. Welt­krieg mit 25 Mil­lio­nen Toten.

Prof. Rog­ge­mann ana­ly­siert u. a. die Hin­ter­grün­de der 2013 blu­tig enden­den Groß­de­mon­stra­tio­nen auf dem Mai­dan, die nach­weis­lich von rechts­ra­di­ka­len Natio­na­li­sten (faschi­sto­iden Ban­de­ra-Anhän­gern) mit west­li­cher Unter­stüt­zung, insze­niert wur­den, um die gewähl­te Janu­ko­witsch-Regie­rung zu stür­zen. Die­ser rechts­wid­ri­ge Staats­streich, der nie juri­stisch auf­ge­ar­bei­tet wur­de, hat den Kon­flikt mit der rus­si­schen Bevöl­ke­rung und schließ­lich mit Russ­land erst aus­ge­löst. Den­noch wird der Krieg Russ­lands gegen die ukrai­ni­schen Macht­ha­ber nicht gerecht­fer­tigt. Er sei »ein Kriegs­ver­bre­chen und eine der gro­ßen Fehl­ent­schei­dun­gen in der neue­ren rus­si­schen Geschich­te«. Es han­de­le sich nicht um einen »gerecht­fer­tig­ten Ver­tei­di­gungs­krieg«, sei aber »das bis­her letz­te Glied einer von den USA, Nato und EU (…) in Lauf gesetz­ten Kau­sal­ket­te von Fehl­ent­schei­dun­gen«. Auch die Poli­tik von Merz set­ze die­se Fehl­ent­schei­dun­gen mit der mas­si­ven Auf­rü­stungs­po­li­tik fort, »mit der unbe­grün­de­ten Behaup­tung, dass Putin« so Merz »einen Angriffs­krieg gegen Euro­pa und nicht nur gegen die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne« füh­re. Dabei wird auf die Erklä­rung der ein­sti­gen CDU-Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel ver­wie­sen, wonach »es kein Ent­we­der-oder zwi­schen einer Annä­he­rung (…) an die EU und dem rus­si­schen Bemü­hen um enge­re Part­ner­schaft mit die­sen Län­dern« gebe.

Das Fazit lau­tet: alle »Sie­ges­plä­ne« gegen Russ­land wären »ohne eine unver­ant­wort­li­che, exi­sten­zi­el­le Selbst­ge­fähr­dung Euro­pas nicht durchsetzbar«.

Obwohl bei­de Auf­sät­ze wich­ti­ge Ursa­chen die­ses Glo­bal­kon­flikts zutref­fend ana­ly­sie­ren, wird eine wich­ti­ge histo­ri­sche Ein­ord­nung m.E. im Buch nicht expli­zit behan­delt: Die heu­ti­ge gefähr­li­che inter­na­tio­na­le Lage, nicht nur im Ukrai­ne-Kon­flikt, basiert auf der Fort­set­zung des Ost-West-Kamp­fes im »Kal­ten Krieg«, der lei­der in hei­ße Krie­ge, pri­mär durch den Westen, über­ge­gan­gen ist. Es ist die Aus­ein­an­der­set­zung um die u.a. von Marx gestell­te Grund­fra­ge, ob der impe­ria­len Glo­ba­li­sie­rung des kapi­ta­li­sti­schen Westens die Zukunft gehört, oder doch einer stär­ker staats­wirt­schaft­lich-zen­tra­li­sier­ten Gesell­schaft, die dem sozia­len, öko­lo­gi­schen und demo­kra­ti­schen Gemein­wohl der Mensch­heit auf Dau­er bes­ser dien­lich ist, um ein Über­le­ben von Natur und Welt­be­völ­ke­rung in Zukunft zu sichern.

Peter-Alexis Albrecht/​Herwig Rog­ge­mann: Die Ukrai­ne im zer­stö­re­ri­schen Zugriff glo­ba­ler Poli­tik, Ber­lin 2025, 240 S., 18 €.