Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Warum die AfD so stark ist

Die Kom­mu­nal­wah­len in NRW im Sep­tem­ber 2025 doku­men­tie­ren den wei­te­ren wahl­po­li­ti­schen Vor­marsch der AfD. Sie gewinnt in den ent­in­du­stria­li­sier­ten NRW-Städ­ten wie Gel­sen­kir­chen und Duis­burg etc. deut­lich hin­zu. Die Zuge­win­ne der Par­tei Die Lin­ke hin­ge­gen fal­len sehr mode­rat aus. Die SPD ist in ihrem »Stamm­land« der Wahlverlierer.

Die Fra­ge, war­um die AfD fast ohne eige­nes Zutun ihre par­la­men­ta­ri­schen Posi­tio­nen aus­bau­en konn­te, obwohl die Par­tei – man­gels Kan­di­da­ten – in vie­len Kom­mu­nen NRW´s über­haupt nicht kan­di­dier­te, und die Lin­ke abschmier­te bzw. nicht pro­fi­tier­te, wird nicht gestellt. Hier wird wohl in die Zeit der Coro­na-Kri­se der Jah­re 2020 und 2021 zurück­zu­blicken sein. Wie hat sich damals z. B. die Par­tei Die Lin­ke ver­hal­ten, und wie ver­hielt sich die poli­ti­sche Lin­ke über­haupt? Wie wirk­ten sich die – pan­de­mie­be­grün­de­ten – Ver­samm­lungs­ver­bo­te, die flä­chen­decken­den Lock­downs und die irr­wit­zi­gen Aus­geh­ver­bo­te ab 21 Uhr aus? Die­se Maß­nah­men lie­ßen fast das gesam­te (außer­par­la­men­ta­ri­sche) poli­ti­sche Leben weg­bre­chen! Tei­le der poli­ti­schen Lin­ken for­der­ten sogar einen mehr­wö­chi­gen gesell­schaft­li­chen Total­still­stand. Wer waren damals die han­deln­den Per­so­nen, und wie ste­hen die­se zu ihren dama­li­gen Forderungen?

Die indu­stri­el­le Pro­duk­ti­on hin­ge­gen lief wei­ter; und die Schutz­maß­nah­men der dort Beschäf­tig­ten kor­re­spon­dier­ten nicht mit den im öffent­li­chen Raum auf­er­leg­ten Regeln. Regeln, die unter demo­kra­tie­po­li­ti­schen Aspek­ten min­de­stens frag­wür­dig sind; ent­spre­chend wur­de die Aus­he­be­lung von Grund­rech­ten, die das Grund­ge­setz vor­sieht, von eini­gen zu Recht kri­ti­siert. Eine staats­kri­ti­sche poli­ti­sche Lin­ke, die das frag­wür­di­ge Regie­rungs­han­deln und die »Poli­tik der Küchen­ka­bi­net­te« anpran­ger­te, gab es dage­gen nicht. Im Gegen­teil: Klei­ne (Solo-)Selbständige, die sich durch ihre »Coro­na-Pro­te­ste« gegen Auf­tritts­ver­bo­te (Künst­le­rIn­nen etc.), Betriebs­schlie­ßun­gen (Fri­sö­re, Restau­rants, Cafés etc.) und die Unter­sa­gung per­so­nen­na­her Dienst­lei­stun­gen zur Wehr setz­ten, um ihre Exi­stenz nicht zu ver­lie­ren, wur­den in die Nähe von Nazis gerückt und ihr Pro­test so diffamiert.

Selbst die »Anti­fa« bekämpf­te sol­che »Sozi­al­pro­te­ste«; es inter­es­sier­te die selbst­er­klär­ten Anti­fa­schi­sten auch nicht, dass aus den Rei­hen der Sozi­al­pro­test­ler eben­falls der Ruf erschall: »Nazis raus!« Auch eine nicht hilf­rei­che und (außer­par­la­men­ta­risch) inak­ti­ve (deut­sche) poli­ti­sche Lin­ke kan­zel­te die Gegen­wehr als nazi­durch­seucht ab. Die »Anti­fa« in Paris hin­ge­gen tum­mel­te sich staats­kri­tisch auf der Sei­te der Coro­na-Maß­nah­men-Kri­ti­ker, unse­re »Anti­fa« for­der­te hin­ge­gen: »Impft sie alle!«.

Die »Mit­tel­stands­lin­ke« konn­te sich im Home­of­fice und in gro­ßen Wohnungen/​Wohnhäusern mit Gär­ten schön und mit über­schau­ba­ren Ein­schrän­kun­gen ein­rich­ten. Nor­mal­be­schäf­tig­te immer­hin konn­ten von einem erwei­ter­ten Kurz­ar­bei­ter­geld pro­fi­tie­ren – wäh­rend die klei­nen (Solo-)Selbständigen – ohne Netz und Boden – zu Hun­dert­tau­sen­den unter­gin­gen und gro­ße Fami­li­en in ihren zu klei­nen Sozi­al­bau-Woh­nun­gen ver­zwei­fel­ten. Über die sozia­len Nöte und die tota­le Iso­la­ti­on von Kin­dern und Jugend­li­chen – im Kon­text der Spiel­platz- und Schul­schlie­ßun­gen etc. – wol­len wir gleich ganz schwei­gen. Sie waren ja als »Pan­de­mietrei­ber« und töd­li­che Sub­jek­te, die das Leben ihrer Groß­el­tern aufs Spiel setz­ten, gebrandmarkt.

Jetzt nach einem hal­ben Jahr­zehnt soll es zu einer auch par­la­men­ta­ri­schen Auf­ar­bei­tung kom­men. Der Bun­des­tag rich­te­te eine Enquete-Kom­mis­si­on ein. Auf Initia­ti­ve der AfD in Hes­sen (!) gibt es in die­sem Bun­des­land sogar einen Unter­su­chungs­aus­schuss. Dabei wird drin­gend auch ein neu­er Punkt zu ver­han­deln sein.

Nicht nur die dubio­sen Mas­ken­be­schaf­fun­gen (CDU-Spahn!), son­dern auch die ab April 2020 gewähr­ten Coro­na-Bei­hil­fen bedür­fen im Nach­gang der Auf­hel­lung. – So erreich­te kürz­lich in den hes­si­schen Som­mer­fe­ri­en 2025 knapp 100.000 (Solo-)Klein-Selbständige wie Fri­sö­re, Gastro­no­men, frei­schaf­fen­de Künst­ler etc. per E-Mail die Rück­for­de­rung von Coro­na-Hil­fen vom Regie­rungs­prä­si­di­um Kas­sel. Der Rech­nungs­hof habe das ver­an­lasst, hieß es dar­in. Jetzt sol­len also die zu Unrecht gewähr­ten Coro­na-Sub­ven­tio­nen zusam­men­ge­kratzt wer­den, die vor 5 ½ Jah­ren unter denk­wür­di­gen Bedin­gun­gen für »Lockdown«-Geschädigte gewährt wurden.

Die Anträ­ge konn­ten nur begrün­det gestellt wer­den. Auf Coro­na-Hil­fen (Sub­ven­tio­nen!) besteht und bestand kein Rechts­an­spruch. Es kann/​konnte des­halb auch sehr will­kür­lich zuge­hen. Die Hil­fen waren nur auf elek­tro­ni­schem Wege zu bean­tra­gen; Papier­an­trä­ge gin­gen nicht. Tags­über war oft kein Durch­kom­men im Inter­net (die Syste­me waren dem Ansturm schlicht nicht gewach­sen); die Anträ­ge konn­ten erfolg­reich nicht sel­ten nur nachts gestellt wer­den. Häu­fig wur­den die Sub­ven­ti­ons­be­din­gun­gen geän­dert. Ohne Inter­net­zu­gang ging man über­haupt leer aus. Wie vie­le klei­ne Selb­stän­di­ge sind des­halb damals schon unter­ge­gan­gen und muss­ten ihren Betrieb auf­ge­ben, weil sie kei­ne Hil­fen erhiel­ten? Wen inter­es­siert das überhaupt?

Klei­ne Selb­stän­di­ge, die sich gegen Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen, Lock­down und Unter­sa­gung ihrer Berufstätigkeit/​Betätigung durch Sozi­al­pro­test wehr­ten, wur­den nicht sel­ten der Kon­takt­schuld mit Nazis von Sei­ten der Lin­ken bezich­tigt. Einer poli­ti­schen Lin­ken, die sich mehr­heit­lich und unkri­tisch mit den Coro­na-Ein­däm­mungs­maß­nah­men der (kon­ser­va­tiv-bür­ger­li­chen) Regie­rungs-Kräf­te ein­ver­stan­den erklär­te – übri­gens auch in die­ser Zeit­schrift (Ossietzky 06/​2021 »Soli­da­ri­tät ist kei­ne Angst-Pan­de­mie«). Die sehr unzu­rei­chen­den Coro­na-Finanz­hil­fen und ihre jet­zi­gen Rück­for­de­run­gen bedür­fen – neben vie­len ande­ren Fra­gen – einer drin­gen­den Auf­ar­bei­tung. War­um? Weil sonst ein­sei­tig nur die AfD profitiert!

Hier ist beson­ders die poli­ti­sche Lin­ke gefor­dert, die viel Grund hät­te, »selbst­kri­tisch« auf das dama­li­ge Gesche­hen zurück­zu­blicken. Das ist auch des­halb not­wen­dig, um zu ver­hin­dern, dass die AfD berech­tig­te Kri­tik nicht auf ihre Müh­len umlei­ten kann.