»Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns »Flüchtlinge« nennt. Wir selbst bezeichnen uns als »Neuankömmlinge« oder als »Einwanderer«. (…) Als Flüchtling hatte bislang gegolten, wer aufgrund seiner Taten oder seiner politischen Anschauungen gezwungen war, Zuflucht zu suchen. Es stimmt, auch wir mussten Zuflucht suchen, aber wir hatten vorher nichts begangen, und die meisten unter uns hegten nicht einmal im Traum irgendwelche radikalen politischen Auffassungen. Mit uns hat sich die Bedeutung des Begriffs »Flüchtling« gewandelt. »Flüchtlinge« sind heutzutage jene unter uns, die das Pech hatten, mittellos in einem neuen Land anzukommen, und auf die Hilfe des Flüchtlingskomitees angewiesen waren.«
Aus: Wir Flüchtlinge (deutschsprachige Fassung erstmals 1986), im englischen Original We Refugees, Essay von Hannah Arendt über das politische Selbstverständnis von Flüchtlingen, den sie 1943 in der jüdischen Zeitschrift The Menorah Journal publizierte.