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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Advokaten sui generis

Mit Anwäl­ten ist das so eine Sache. Vie­le arbei­ten im Stil­len, und die Öffent­lich­keit bekommt wenig davon mit. Ande­re suchen gera­de­zu das Ram­pen­licht, um auf sich auf­merk­sam zu machen. Über die Erfol­ge die­ser Zunft sagt das wenig. Oft sind die im Ver­bor­ge­nen Täti­gen erfolg­rei­cher, hal­ten das aber nicht für beson­ders erwäh­nens­wert. Hier soll von zwei Ver­tre­tern die­ser Zunft die Rede sein, die auf­grund ihrer Arbeit eine gewis­se Pro­mi­nenz erreichten.

Der eine ist Hein­rich Han­no­ver, lan­ge Jah­re auch Ossietzky-Autor, der am 31. Okto­ber 2025 100 Jah­re alt gewor­den wäre. Der ande­re ist Wolf­gang Vogel, der die­ses Alter einen Tag frü­her erreicht hät­te. Bei­de haben durch ihre anwalt­li­che Tätig­keit auf ganz unter­schied­li­che Wei­se für blei­ben­de Spu­ren in der Rechts­ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik gesorgt.

Han­no­ver woll­te ursprüng­lich För­ster wer­den und hat sich nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges statt­des­sen für ein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft in Göt­tin­gen ent­schie­den. Sein Weg führ­te ihn dann nach Bre­men, wo er eine Anwalts­kanz­lei grün­de­te. Bereits zu Beginn sei­ner Kar­rie­re wur­de ihm die Pflicht­ver­tei­di­gung eines Kom­mu­ni­sten ange­tra­gen. Die­ser Umstand sorg­te dafür, dass er sich mit deren Über­zeu­gun­gen und poli­ti­schen Zie­len inten­si­ver aus­ein­an­der­setz­te. Sei­ne Sym­pa­thie erstreck­te sich bald auch auf ande­re Demo­kra­ten, die juri­sti­sche Hil­fe benö­tig­ten. Unter ihnen waren unter ande­rem Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer, Gewerk­schaf­ter und natür­lich auch zahl­rei­che pro­mi­nen­te Zeit­ge­nos­sen. Erwähnt sei­en bei­spiel­haft Dani­el Cohn-Ben­dit, Ulri­ke Mein­hof, Otto Schi­ly, Gün­ter Wall­raff und Hans Modrow.

In beson­de­rer Erin­ne­rung wird sein Bei­trag bei der Straf­ver­fol­gung der Mör­der Ernst Thäl­manns blei­ben, als er in einem Kla­ge­er­zwin­gungs­ver­fah­ren erreich­te, dass gegen den ein­zi­gen noch greif­ba­ren Tat­ver­däch­ti­gen 1985 Ankla­ge erho­ben wer­den muss­te. Zahl­rei­che Sach­bü­cher ent­stam­men sei­ner Feder, die sich vor allem mit der poli­ti­schen Justiz des 20. Jahr­hun­derts aus­ein­an­der­set­zen. Sei­ne Erin­ne­run­gen erschie­nen in zwei Bän­den Ende der 1990er Jah­re unter dem Titel »Die Repu­blik vor Gericht«. Sie geben einen tie­fen Ein­blick in zahl­rei­che Ver­fah­ren und Ereig­nis­se in einem lan­gen Anwalts­le­ben. Hein­rich Han­no­vers Wir­ken sorg­te nicht nur für einen gro­ßen Bekannt­heits­grad, son­dern auch für die Aner­ken­nung sei­ner Arbeit. So erhielt er 1973 den von der Huma­ni­sti­schen Uni­on gestif­te­ten Fritz-Bau­er-Preis, und die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin ver­lieh ihm 1986 die Ehrendoktorwürde.

Ab 1988 bemüh­te sich Han­no­ver zusam­men mit ande­ren Berufs­kol­le­gen um die Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens gegen den Weltbühne-Her­aus­ge­ber Carl von Ossietzky und die Auf­he­bung des Urteils des 4. Straf­se­nats des Reichs­ge­richts vom 23. Novem­ber 1931, was der Bun­des­ge­richts­hof aller­dings 1992 ablehn­te. Hein­rich Han­no­ver starb am 14. Janu­ar 2023.

Wolf­gang Vogel stu­dier­te eben­falls nach der Zer­schla­gung des Hit­ler­fa­schis­mus Rechts­wis­sen­schaft (in Jena) und war nach einer kur­zen Tätig­keit im Justiz­mi­ni­ste­ri­um der DDR ab 1954 als Rechts­an­walt tätig. Er gehör­te zu den weni­gen Ost-Juri­sten, die auch über eine Zulas­sung für die dama­li­ge Bun­des­re­pu­blik ver­füg­ten. Als 1962 der erste Agen­ten­aus­tausch auf der Glie­nicker Brücke statt­fand, war er einer der Orga­ni­sa­to­ren. Den US-Spio­na­ge­pi­lo­ten Fran­cis Gary Powers, der über sowje­ti­scher Luft­ho­heit abge­schos­sen wor­den war, tausch­te man gegen den KGB-Oberst Rudolf Abel aus. In der Fol­ge­zeit bis 1989 war Vogel am Aus­tausch von etwa 150 Agen­ten aus 23 Län­dern betei­ligt. Unter ihnen war auch der bei Wil­ly Brandt im Kanz­ler­amt täti­ge Gün­ter Guil­laume. 33.755 poli­ti­sche Häft­lin­ge wur­den in jener Zeit durch die Bun­des­re­pu­blik frei­ge­kauft. Die Ver­hand­lun­gen dazu führ­te Wolf­gang Vogel mit den zustän­di­gen Poli­ti­kern der BRD.

Als die Situa­ti­on im Herbst 1989 in der Pra­ger Bot­schaft der Bun­des­re­pu­blik zu eska­lie­ren droh­te, weil das Gelän­de mit Flücht­lin­gen völ­lig über­füllt war, rei­ste er in die ČSSR und sorg­te zusam­men mit Hans-Diet­rich Gen­scher und ande­ren für eine Ent­span­nung der Lage. Die wei­te­re Ent­wick­lung ist hin­läng­lich bekannt.

Vogels Wir­ken erfolg­te weit­ge­hend im Stil­len, auch wenn ab und an über ihn in der bun­des­deut­schen Pres­se zu lesen war. Ihm war stets bewusst, dass eine inten­si­ve Bericht­erstat­tung dem Anlie­gen der Lösung huma­ni­tä­rer Fra­gen gescha­det hät­te. Er genoss das Anse­hen von Hel­mut Schmidt, Her­bert Weh­ner und vie­len ande­ren west­deut­schen Poli­ti­kern, aber auch das Ver­trau­en von Erich Hon­ecker, der ihn gele­gent­lich als »Brief­trä­ger« in beson­de­ren Fäl­len einsetzte.

Wolf­gang Vogel wur­de mit meh­re­ren hohen staat­li­chen Aus­zeich­nun­gen der DDR geehrt, unter ande­rem dem Vater­län­di­schen Ver­dienst­or­den in Gold und dem Gro­ßen Stern der Völ­ker­freund­schaft. Die Aka­de­mie für Staats- und Rechts­wis­sen­schaft der DDR ver­lieh ihm 1969 die Ehren­dok­tor­wür­de und ernann­te ihn 1985 zum Pro­fes­sor. Wolf­gang Vogel starb am 21. August 2008.