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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Allein gegen Hitler

Vor acht­zig Jah­ren, am 9. April 1945, wur­de der Schrei­ner­ge­sel­le Georg Elser im KZ Dach­au ermor­det. Mit einer selbst­ge­ba­stel­ten Bom­be hat­te er ein Atten­tat auf Hit­ler geplant, wäh­rend die­ser im Münch­ner Bür­ger­bräu­kel­ler eine Rede hielt. Doch der »Füh­rer« ver­ließ vor­zei­tig den Saal und kam mit dem Leben davon. Elser wur­de als »Son­der­häft­ling« jah­re­lang inhaf­tiert – und kurz vor Kriegs­en­de auf Befehl der Gesta­po erschossen.

In der Gale­rie deut­scher Wider­stands­kämp­fer führ­te Georg Elser bis vor weni­gen Jah­ren ein Schat­ten­da­sein. Anders als der vier Jah­re älte­re Graf von Stauf­fen­berg eig­ne­te er sich nicht für die Rol­le des staat­lich ver­klär­ten Hel­den. Hier der gebil­de­te Offi­zier, der zunächst den Ver­hei­ßun­gen des NS-Regimes ver­traut, enga­giert mit­ge­macht hat und erst spä­ter umge­kehrt ist, dann aber ent­schie­den zur Tat schritt. Dort der sprö­de, zurück­hal­ten­de Elser, der bereits 1939, als Stauf­fen­berg und Mil­lio­nen ande­re Deut­sche noch dem Füh­rer zuju­bel­ten, als Schrei­ner­ge­sel­le mit Volks­schul­ab­schluss den mör­de­ri­schen Cha­rak­ter des Regimes erkann­te und den Ent­schluss zum Atten­tat fasste.

Stauf­fen­berg ver­stand sich zuerst als Sol­dat, ganz nach der jahr­hun­der­te­al­ten Tra­di­ti­on sei­ner Fami­lie. Obwohl er spä­ter jeg­li­che Begei­ste­rung zum Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­lie­ren soll­te, hat­te er für die par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie zeit­le­bens nur Ver­ach­tung übrig. Sein Moral­ver­ständ­nis war ein viel­schich­ti­ges Kon­glo­me­rat aus katho­li­scher Leh­re, einem ari­sto­kra­ti­schen Ehren­ko­dex, dem Ethos des alten Grie­chen­lands und deut­scher roman­ti­scher Dich­tung. Sein küh­ner Ent­schluss, Hit­ler mit einer Bom­be zu töten, war eher Aus­druck von mili­tä­ri­schen als von mora­li­schen Über­le­gun­gen. Der Zufall, durch den Hit­ler mit dem Leben davon­kam, die aus­sicht­lo­se Lage der Mit­ver­schwö­rer, die hasti­ge Hin­rich­tung Stauf­fen­bergs – das alles ist eine tie­fe Tra­gö­die. Graf von Stauf­fen­berg war ein muti­ger Patri­ot – aber auch ein strik­ter Anti-Demokrat.

Inter­es­sant sind in die­sem Zusam­men­hang die Äuße­run­gen von Ian Ker­s­haw, der als einer der ange­se­hen­sten Histo­ri­ker gilt und sich seit bei­na­he vier­zig Jah­ren mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land beschäf­tigt. In Zusam­men­hang mit sei­nem Buch »Das Ende – Kampf bis in den Unter­gang, NS-Deutsch­land 1944/​45« meint er, dass das miss­glück­te Atten­tat auf Hit­ler am 20. Juli 1944 zumin­dest vor­über­ge­hend eher zu einer Stär­kung des NS-Regimes bei­getra­gen habe. Ker­s­haw: »In der Bevöl­ke­rung gab es einen deut­li­chen Anstieg der Popu­la­ri­tät Hit­lers. Der Schock­ef­fekt des Anschlags war enorm, wie man aus vie­len pri­va­ten Auf­zeich­nun­gen erse­hen kann. Wich­ti­ger aber noch ist, dass es danach bei der Wehr­macht zu einer Säu­be­rung der Offi­ziers­rän­ge kam. An die Stel­le von Leu­ten, die als unzu­ver­läs­sig gal­ten, tra­ten Erz-Loya­li­sten. Damit war jeder wei­te­re Wider­stand aus­ge­schlos­sen« (DER SPIEGEL, Nr. 46, 2011).

Die Tat­sa­che, dass geschei­ter­te Atten­tats­ver­su­che auf Hit­ler von den NS-Pro­pa­gan­di­sten mas­siv genutzt wur­den, um die Unver­wund­bar­keit des Füh­rers zu beschwö­ren und des­sen Vor­her­se­hungs-Mythos zu näh­ren, ist histo­risch belegt. Dass die Gehei­me Staats­po­li­zei (Gesta­po) und Son­der­ge­rich­te dafür sorg­ten, dass alle Betei­lig­ten und Ver­däch­ti­gen ver­folgt, inhaf­tiert und ermor­det wur­den, die­ses Schick­sal war nicht allein den Offi­zie­ren des 20.-Juli-Widerstands beschieden.

Auch Georg Elsers Hei­mat­ge­mein­de Königs­bronn war nach sei­nem geschei­ter­ten Münch­ner Atten­tat von NS-Ermitt­lern auf mög­li­che Unter­stüt­zer und Mit­wis­ser obser­viert wor­den. Bis nach dem Krieg, ja, bis weit in die Mit­te der Sieb­zi­ger Jah­re, war Elser in sei­ner Hei­mat­re­gi­on des­halb nicht nur eine bewun­der­te Figur. Es fan­den sich vie­le, die für sei­ne Tat allein des­halb wenig Ver­ständ­nis hat­ten, weil damals »Men­schen mit hin­ein­ge­zo­gen wor­den waren, die nichts mit der Sache zu tun hat­ten«. Es gab Bewun­de­rer und Kri­ti­ker. Und noch fünf­zig Jah­re nach Ende des 2. Welt­krie­ges stan­den sie sich unver­söhn­lich gegenüber.

Kei­ne Fra­ge: Georg Elser war eine Her­aus­for­de­rung – nicht nur für sei­ne Hei­mat­re­gi­on, auch für die deut­sche Öffent­lich­keit. Er mach­te deut­lich, dass ein ein­fa­cher Mann aus dem Volk sich zu einer welt­ge­schicht­li­chen Tat auf­raf­fen konn­te. Er straf­te all jene Lügen, die sich wei­ter­hin ein­re­de­ten, sie hät­ten dem Ter­ror des NS-Staa­tes nichts ent­ge­gen­set­zen kön­nen. Sei­ne Tat beschäm­te vie­le Deutsche.

Elser war immer ein Ein­zel­gän­ger. Er fühl­te sich zwar der Arbei­ter­be­we­gung ver­bun­den, stand der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei nahe, ohne Mit­glied zu sein. Zum festen, gar vor­bild­li­chen Genos­sen ließ er sich nicht sti­li­sie­ren. Ideo­lo­gi­sche Fra­gen inter­es­sier­ten ihn wenig. Wie aber kann die öffent­li­che Wür­di­gung für einen sol­chen Mann aus­se­hen? Wie das Erinnern?

Gesell­schaf­ten erin­nern sich der Ver­gan­gen­heit nicht allein in Aner­ken­nung gro­ßer Taten. Erin­ne­rung bedarf einer sie tra­gen­den Grup­pe: der ade­li­ge, mili­tä­ri­sche, sozi­al­de­mo­kra­ti­sche, der kom­mu­ni­sti­sche oder kirch­li­che Wider­stand wird von Adel, Mili­tär, Par­tei oder Kir­che im Gedächt­nis gehal­ten. Wohin also mit Elser?

Jahr­zehn­te­lang wur­de etwa in Mün­chen über Elsers Tat gestrit­ten, ehe sich die Stadt zu einer Ehrung durch­rang: An einer Schu­le leuch­tet nun jeden Abend um 21.20 Uhr – dem Zeit­punkt der Explo­si­on – ein roter Neon­schrift­zug auf. Mehr als vier­zig Stra­ßen und Plät­ze und drei Schu­len sind mitt­ler­wei­le in ganz Deutsch­land nach ihm benannt, und die Post leg­te sogar 2003 eine Georg-Elser-Son­der­mar­ke auf. In sei­nem Geburts­ort erin­nert eine Stahl­skulp­tur an den muti­gen Sohn der Gemein­de. Sie ist 2,10 Meter hoch und steht gleich am Bahn­hof der schwä­bi­schen Klein­stadt. Im Ber­li­ner Regie­rungs­vier­tel wie­der­um steht am Spree­ufer in der »Stra­ße der Erin­ne­rung« eine Elser-Büste, neben Tho­mas Mann, Edith Stein und Wal­ter Rathen­au, dem ermor­de­ten Außen­mi­ni­ster der Wei­ma­rer Repu­blik. Und es gibt seit Novem­ber 2011 eine sieb­zehn Meter hohe Skulp­tur inmit­ten des alten Regie­rungs­be­zir­kes an der Wil­helms­stra­ße, ein Stahl­band mit Lich­ter­ket­te, das Pro­fil Elsers skiz­zie­rend. Die Sil­hou­et­te, so woll­ten es die Initia­to­ren um den Schrift­stel­ler Rolf Hoch­huth ver­stan­den sehen, soll sich in der Nähe des ein­sti­gen Bun­kers von Adolf Hit­ler »über den Ort der Täter erhe­ben«. Der flüch­ti­ge Pas­sant, der Elser weder kennt noch erkennt, erfährt durch eine klei­ne Infor­ma­ti­ons­ta­fel, wer hier geehrt wird. Das »Denk­zei­chen« mit den geschwun­ge­nen Neon­röh­ren ist ein wenig rekla­me­haft gera­ten, das Indi­vi­du­um wird erst auf den zwei­ten Blick sichtbar.

Georg Elser, der Zurück­ge­zo­ge­ne, der sich zum Wider­stand ent­schloss, der Soli­tär, der ein­zig sei­nem Gerech­tig­keits­sinn folg­te, ist ein­mal mehr anonym geblieben.

Mitt­ler­wei­le gibt es hör­bar auch Kri­tik an der »unheim­li­chen Gedenk­kul­tur des Georg Elser«. Die Kri­ti­ker stel­len fest, Elser bie­te sich als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur wohl des­halb an, weil er »weit leich­ter zur Selbst­ver­ge­wis­se­rung« zu nut­zen sei als etwa der eli­tä­re Offi­zier Stauf­fen­berg, ein hoch­kon­ser­va­ti­ver Ade­li­ger, oder wie der Poli­ti­ker Carl Fried­rich Goer­de­ler oder gar Mit­glie­der kom­mu­ni­sti­scher Wider­stand­zel­len wie der »Roten Kapel­le«. Er tau­ge des­halb als opti­ma­le Pro­jek­ti­ons­flä­che für all die nach­ge­hol­te Oppo­si­ti­on gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus, eig­ne sich ide­al als Vor­bild für alle »zeit­gei­sti­gen Gut-Men­schen«. Als sei allein das Bekennt­nis für Elser und sei­ne Tat schon eine muti­ge Haltung.

An der Ehren­haf­tig­keit Georg Elsers ändert das nichts. Spä­te­stens seit der ehe­ma­li­ge Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl – ein Mann, der einst ganz offi­zi­ell mit sei­nem Staats­gast Ronald Rea­gan einem SS-Sol­da­ten­fried­hof sei­ne Refe­renz erwies – Elser öffent­lich wür­dig­te, ist die Fra­ge »Wem gehört Elser?« obsolet.

Der Histo­ri­ker Joseph Peter Stern nann­te Elser ein­mal einen »Mann ohne Ideo­lo­gie«. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Buch-Hin­weis: Hel­mut Ort­ner, DER EINSAME ATTENTÄTER. Georg Elser – Der Mann, der Hit­ler töten woll­te, Nomen Ver­lag, 246 S., 18 €.