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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Allerhand Sprachdummheiten II

Bei Sprach­mo­den, die man ver­wun­dert betrach­tet und für ver­gäng­li­che Erschei­nun­gen hält, bleibt es meist unge­wiss, ob sie nicht eines fer­nen Tages doch zur Stan­dard­spra­che wer­den. Der Sprach­pfle­ger Gustav Wust­mann bemän­gel­te vor 130 Jah­ren in sei­ner »Gram­ma­tik des Zwei­fel­haf­ten, des Fal­schen und des Häß­li­chen« die Ten­denz, bestimm­te Umstands­wör­ter – süd­lich, links, unweit usw. – als Prä­po­si­ti­on zu benut­zen. Das sei grund­falsch. Heu­te aber ist es durch­aus statt­haft, zu sagen: süd­lich der Donau, unweit der Kli­nik, nahe der Schu­le. Er ver­damm­te auch die Mode, Umstands­wör­ter adjek­ti­visch zu gebrau­chen, zum Bei­spiel: die aus­nahms­wei­se Erlaub­nis, die fall­wei­se /​ ver­gleichs­wei­se Erle­di­gung, die teil­wei­se Erneue­rung. Doch sie­he da, wäh­rend die ersten zwei auch für uns falsch klin­gen, ist das letz­te­re heu­te erlaubt. Man kann dies Adverb schon in den drit­ten Fall beu­gen: Einer teil­wei­sen Erneue­rung stim­me ich zu.

Wust­mann miss­bil­lig­te nahe­zu (statt fast/​beinahe) sowie das Mix-Wort offen­sicht­lich, das damals auf­tauch­te, als eine dum­me Mischung aus offen­bar und sicht­lich. Bei Jour­na­li­sten wer­de eine Fra­ge nicht mehr berührt oder ange­regt, monier­te er, son­dern sie wird ange­schnit­ten wie eine Blut­wurst oder auf­ge­rollt wie ein Tep­pich. Das unschö­ne Büro­kra­ten­wort ein­schät­zen, von dem Wust­mann zu Recht wuss­te, »ein­ge­schätzt wird man bei der Steu­er, sonst nir­gends«, wirkt immer noch häss­lich. Man sage lie­ber (be)urteilen.

Wie wird es mit dem Verb tei­len aus­ge­hen? Neu­lich teil­te mir mein Dis­play mit: »Sie kön­nen Ihren Stand­ort tei­len.« In einem Leser­brief lese ich: »Kürz­lich habe ich ein Bild geteilt.« Bis­her kann­te ich bzw. konn­te ich nur einen Apfel tei­len oder eine Ansicht tei­len. Jetzt soll das Verb wohl bedeu­ten, dass man (etwas) mit­teilt; anders gesagt im Netz ver­brei­tet. Es bleibt abzu­war­ten, erst in eini­gen Jahr­zehn­ten wird man sehen, ob die Neue­rung in Ver­ges­sen­heit ver­sinkt, wie knor­ke und duf­te, oder ob sie bestän­dig bleibt, wie pri­ma und super.

Besit­zen und haben sind nicht belie­big aus­tausch­bar. Haben ist ganz oft Hilfs­zeit­wort, ursprüng­lich meint es »in der Hand hal­ten«. Besit­zen dage­gen ist ein juri­sti­sches Inne­ha­ben wie beim Grund­ei­gen­tü­mer, der sei­nen Boden »besitzt«. Eltern haben Kin­der, aber besit­zen sie nicht. Man besitzt kei­nen Onkel, son­dern hat ihn. Falsch ist eben­so: der Dom besitzt meh­re­re Türm­chen, oder: Bor­sig besaß ein Ohr für die Nöte der Arbei­ter. Die Nei­gung, besit­zen zu schrei­ben, wo haben gemeint ist, kann man aller­dings schon bei unse­ren Klas­si­kern beob­ach­ten. Goe­the im Faust: »Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hau­se tragen.«

Der Papier­mensch liebt die Anfüh­rungs­stri­che, und wenn er einen Buch-, Film- oder Song­ti­tel zwi­schen die Gän­se­füß­chen gebannt hat, ist das Gan­ze für ihn ver­stei­nert und unbeug­bar: die Redak­ti­on des »Wie­ner Frem­den­blatt«, wir hör­ten die Ouver­tü­re zu »Die Fle­der­maus«, ein Abend in »Tipi, das Zelt«, ein Kon­to bei der »Deut­sche Kre­dit­bank« usw. Das geht natür­lich nur geschrie­ben oder zitie­rend vor­ge­le­sen. Denn im Gespräch sagt jeder rich­tig und flüs­sig: ein Kon­to bei der Deut­schen Kre­dit­bank, wir waren im Tipi, dem Zelt, die Ouver­tü­re zur »Fle­der­maus«.

»Ich dach­te, das sagt man jetzt so«, gestand mir ein Autor, der auf ein­mal, von des Gedan­kens Bläs­se nicht ange­haucht, nur noch sexua­li­siert für sexu­ell benutzt. Nach kur­zem Nach­den­ken gestand er zu, dass ein poli­ti­scher Mensch doch etwas ande­res sei als ein poli­ti­sier­ter Mensch, dass ideel­le Gewalt wohl zu unter­schei­den wäre von idea­li­sier­ter Gewalt. Und eine aro­ma­ti­sche Spei­se muss nicht aro­ma­ti­siert sein. Ergo: Die sexua­li­sier­te Gewalt ist eine bit­te­re Tat­sa­che in einem unmög­li­chen, auf­ge­plu­ster­ten Sprach­kleid. Der Gip­fel­punkt der Manie­riert­heit, kürz­lich zu lesen: »sexua­li­sier­te Gewalt gegen ras­si­fi­zier­te Frau­en«. Hof­fent­lich eine ver­gäng­li­che Modetorheit.

Der Mensch, Lieb­ling, Geiz­kra­gen, Zwil­ling, Star – alles nur Män­ner? Man erkennt unschwer, dass das gram­ma­tisch Mas­ku­li­ne nicht an das Bio-Geschlecht gebun­den ist. Eben­so wie vie­le femi­ni­ne Voka­beln viel­ge­schlecht­lich leuch­ten: die Wai­se, Kory­phäe, Gei­sel, Mem­me, Füh­rungs­kraft. In unse­rer Spra­che herrscht Will­kür bei der Ver­ga­be des Genus, des gram­ma­ti­schen Geschlechts. Zuge­ge­ben, mit den Stan­des- und Berufs­be­zeich­nun­gen ist es eine eige­ne Sache. Denn der Pastor, der Baron, der Fri­seur, der Frei­herr zei­gen das Ver­lan­gen nach einer weib­li­chen Form als Pen­dant; dar­um Pasto­rin, Baro­ness, Fri­seu­se, Frei­frau. Dar­um wer­den auch neue Rang­be­zeich­nun­gen kre­iert (Bischö­fin, Gene­ra­lin, Offi­zie­rin, viel­leicht in Zukunft: Päp­stin). Aus­nah­men wider­le­gen aber nicht die Grund­re­gel, die da lau­tet, dass Genus nicht gleich Sexus ist. Die­ses an die Adres­se aller selbst­er­nann­ten Lin­gu­isten der Geschlech­ter-Gerech­tig­keit: Ob ihr wollt oder nicht, das gram­ma­ti­sche »Geschlecht« hat eine Funk­ti­on jen­seits eures binä­ren oder mul­ti­plen Mann-Frau-Divers-Denkschemas.

Den­ken wir denn an Per­so­nen bio­lo­gi­scher Zuord­nung, wenn wir Wahl­hel­fer lesen? Kaum. Wochen­lang wur­den aber öffent­lich »Wahl­hel­fen­de« gesucht (die neue Par­ti­zip-Mode). Dies schräg kon­stru­ier­te Wort – der Hel­fen­de hilft eigent­lich dem Wahl­lei­ter, nicht »der Wahl« – kam aus der Küche von Turm­wäch­tern, die in einer Art Dau­er­wut­mo­dus stets neue Anzei­chen von Dis­kri­mi­nie­rung suchen. Es gab Zei­ten, da wur­de die Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung in schlich­tem Deutsch gehal­ten, ohne dass es Miss­ver­ständ­nis­se gab. Der Para­graph 26 lau­te­te ein hal­bes Jahr­hun­dert oder län­ger: An Fuß­gän­ger­über­we­gen haben Fahr­zeu­ge den Fuß­gän­gern (…) das Über­que­ren der Fahr­bahn zu ermög­li­chen. Eines Tages jedoch fühl­ten sich Juri­sten im Ver­kehrs­mi­ni­ste­ri­um einem törich­ten Reform­geist ver­pflich­tet und for­mu­lier­ten neu: »An Fuß­gän­ger­über­we­gen (sic! bleibt unver­än­dert) haben Fahr­zeu­ge den zu Fuß Gehen­den sowie den Fah­ren­den von Kran­ken­fahr­stüh­len das Über­que­ren der Fahr­bahn zu ermög­li­chen.« Ja geht’s noch? Weil wir ernst­haft blei­ben, wol­len wir nicht sati­risch fra­gen, war­um nicht auch Zufuß­ge­hen­de-Über­we­ge dasteht, wenn doch der Fuß­gän­ger eine Zumu­tung dar­stellt. Was ist mit dem gan­zen Auf­wand an Sprach­pla­nung letzt­lich gewon­nen? Logik, Geschmack und Genau­ig­keit blei­ben auf der Strecke, wenn eine Mode­tor­heit um sich greift. Stu­die­ren­de anstatt Stu­den­ten? Max Goldt, der Sprach­äs­thet, zeigt die Tor­heit am Bei­spiel­satz: »Im Fern­se­hen sah man die ster­ben­den Stu­die­ren­den.« Die natür­li­che Spra­che drückt mit dem ersten Par­ti­zip (Gerun­di­um) einen akti­ven Voll­zug, eine Situa­ti­on aus. Dar­um ist ein For­scher kein For­schen­der, wenn er Urlaub macht. Das gen­deröse Par­ti­zip-Getue ist ein Holz­weg; die Leser die­ses Ossietzky-Hef­tes sind nicht durch­weg Lesen­de (zumin­dest nicht als Schla­fen­de wäh­rend der Nacht­ru­he).

Der Phi­lo­soph Micha­el And­rick erklärt in sei­nem neue­sten Buch, war­um Can­cel Cul­tu­re und Gen­der­spra­che nicht zu mehr Sen­si­bi­li­tät füh­ren. Er zieht ein radi­ka­les Fazit: »Das Gen­dern muss mit allen ande­ren ideo­lo­gi­schen Sprach­ma­ni­pu­la­tio­nen sozi­al geäch­tet und in öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen dienst­vor­schrift­lich ver­bo­ten wer­den. Es scha­det dem Gemein­wohl, indem es die Grund­la­ge offe­ner Dis­kus­sio­nen unter­gräbt: (näm­lich) die gemein­sam und sicher beherrsch­te Sprache.«

Zum Schluss etwas Sprach­ko­mik mit Heinz Erhardt. Das Erfolgs­re­zept lau­tet: mixe zwei Nuan­cen eines Verbs in den­sel­ben Satz. Zum Bei­spiel indem du haben gleich­zei­tig als Hilfs­verb und Voll­verb bemühst, »ich habe dich immer geliebt und außer­dem zehn Bücher«. Oder »zuerst fiel ich vom Stuhl und dann aus allen Wol­ken«. Erhardts berühm­te­ste Begrü­ßung ans Publi­kum lau­te­te: »Ich hei­ße Heinz und Sie herz­lich willkommen!«