Wir aber haben Fehler gemacht,
es ist nicht zu leugnen.
Unsere Zahl schwindet hin.
Unsere Parolen sind in Unordnung.
Einen Teil unserer Wörter
hat der Feind verdreht
bis zur Unkenntlichkeit
(Brecht, An den Schwankenden)
Obwohl »links« ins Gerede gekommen ist: Dieser Text richtet sich an solche, die sich noch unüberhörbar »Linke« nennen. Aber würden sie dies auch tun, hätten sie die Ehre, in einer BRICS-Konferenz mit deren Repräsentanten diskutieren zu dürfen? Sie würden dort womöglich ihren Genossinnen und Genossen aus China, Brasilien und Russland die Kooperation unter 40 Staaten nur erschweren, weil die Mehrheit sich nicht unter linken Vorzeichen sieht
Selbst wissenschaftliche Begriffe wie »Gravitation« wurden in 200 Jahren, also seit Newton, von Einstein u.a. gewissen Überprüfungen unterzogen. Warum sollte es dann bei »links« und »rechts« seit der Sitzordnung der französischen Nationalversammlung 1789 nur Unumstößlichkeit geben?
»Links« ist wie »rot«: zwar kämpferisch, aber vieldeutig und ohne wissenschaftlichen Unterbau. Und darum auch missbräuchlich – spätestens seit der SPD-Linke Haase 1914 den Kriegskrediten zugestimmt hatte, der Ex-Juso Voigt für Nato-Atomraketen warb und der »Linken«-MP Ramelow noch schwerere Rüstung für Selenskyj gefordert hatten. Sicher, wir kämpfen für Zeiten, in welchen »links« wieder im populären Verständnis Klarheit bedeuten sollte: gegen Aufrüstung und soziale Willkürherrschaft. Aber gegenwärtig ist das nicht so.
Wenn Frau Weidel den Antikommunisten Hitler »einen Kommunisten« nennt, den BlackRock-Merz einen »linken Regierungschef« und Faesersche Gesinnungsschnüffelei »linksradikal«, ist das nur die Spitze des babylonischen Verwirrungs-Eisbergs.
Leute, die sich selbst bislang »rechts« verortet haben – von Gauweiler bis Höcke – wollen keine Panzer mehr gegen Moskau rollen lassen, stehen dafür aber unter gnadenlosem Beschuss des Obrigkeits- und des tiefen Staats – wie bis vor Jahrzehnten: Gewerkschaften und linke Parteien.
In der aktuellen historischen Etappe raten wir somit eher zu einem sparsamen Gebrauch von »links und rechts«. Ja, es gibt präzisere Bezeichnungen für die Anschauungen der Welt.
Heute geht es ganz praktisch gegen einen unipolaren Imperialismus aus den Befehlszentren und Untergründen der Nato, der die Welt in einen dritten, womöglich atomaren Weltkrieg hineinschwatzen und -führen will.
Natürlich bleibt unser Bezugspunkt das Proletariat als potenzialstärkstem Antagon gegen Imperialismus – und der großen Kraft für die Aufwertung menschlicher Arbeitskraft und Würde. Auch als Wissenschaftler, Künstler, Gewerbetreibende und Unternehmer – in der guten Tradition von Friedrich Engels und Bertolt Brecht, also auch als Nichtproletarier – haben wir einen proproletarischen Standpunkt.
Wir sind in diesem Sinne dafür, »proproletarisch« zu handeln wie die chinesische KP, antiimperialistisch wie die weltweite Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg und populär wie die Unidad Popular, die mit dem Versprechen von einem halben Liter Milch für jedes Kind in Chile an die Regierung kam.
Revolutionär zu sein, ist keine wohlige Pose eigener Befindlichkeiten im eitlen Spiegel interner Bubbles, sondern das ständige Bemühen, andere revolutionärer zu machen.
Wo und während wir »Linke« nebeneinander mit »Rechten« für Frieden demonstrieren, werden wir doch auch dort Gespräche über offene Fragen (z. B. hinsichtlich der Steuergerechtigkeit und der Nato-Mitgliedschaft), die uns trennen, nicht scheuen! Im Sinne unserer solidarischen Überzeugung: »Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber – endet eure Schlächterein!« (Brecht).
Aber Internationalismus ist kein Freibrief dafür, Andersdenkenden in der Friedensbewegung leichtfertig Verbrechen des Faschismus vorzuwerfen, wenn diese sich Patrioten nennen: nationalgesinnt und stolz auf Heimat und Vaterland – auch wenn dies sehr unscharfe Begriffe sind (siehe Rüdiger Dammann »Heimatklänge«, in: Ossietzky 14/2023).
Unser Kampf um ordentliche Begriffe, aber auch die Diskurspiraterie der Kriegstreiber sind alles Prozesse, die auch vor »links« und »rechts« keinen Halt gemacht haben.
Wo Rheinmetall auf seinen Panzern das Hakenkreuz gegen die Regenbogenfahne ausgetauscht hat, wo sich das Kriegsministerium als Friedensministerium ausgibt, wo die Gender-Anarchie LGBTQ+Diverse in einer Uniform zu einheitlichem Kanonenfutter machen will, ändern auch nationale Parolen »von rechts« ihren Klang.
Erinnern wir uns an das Nationalkomitee Freies Deutschland, das 1943 für »volks- und vaterlandstreue Kräfte in der Armee« 32 Wehrmachts-Generäle für Frieden gewann. Oder an dessen dichtenden Spanienkämpfer Erich Weinert: »Auf einmal hatte für mich das hohle verachtete Wort Patriot einen neuen Sinn bekommen. Denn wir kämpften ja hier nicht nur gegen Franco und seine Komplizen, wir kämpften ja auch für die Ehre all unserer Vaterländer.« Oder denken wir an den Grafen von Einsiedel und Richard Scheringer, die als frühe rechte Patrioten zunächst zu Anhängern der Friedensbewegung und dann zu organisierten Sozialisten wurden.
Wenn solche früheren Nazis heute als Mitstreiter für Frieden mit Russland in die Akten des Verfassungsschutzes oder ins Memory von Wikipedia geraten würden, hätten sie wohl lebenslang ihr Framing als »gesichert rechtsextrem« abbekommen. Auch dagegen stand Brecht: »Lernen kannst du bis zum letzten Atemzug. «
Darf uns also staatliche Repression egal sein, weil sie grade mal ja nur »Rechte« betrifft? Wenn Gesellschaftskritiker, Quer- und Vor-Denker eingeschüchtert und berufsverboten werden? Oder sollten wir nicht punktuell auch an der Seite von „Rechten“ im öffentlichen und rechtlichen Streit gegen Behörden-Willkür stehen? Den demokratischen Rechtsstaat auch für die Rechte von »Rechten« verteidigen? Weil das ein kategorischer Imperativ ist für Pluralität in Gesellschaft und Friedensbewegung?
»Der Kampf um den Lohngroschen und um das Teewasser«, den Brecht dem Revolutionär empfahl, ist heute der Kampf für Abrüstung, um preiswerte Energien, also auch für Gas aus Russland.
Divergenzen in den Orientierungen auf Nationalstaat, Heimat und regionale Selbstermächtigung – sogar, wenn sie von rechts überzogen daherkommen – stehen weit hinter den Gefährdungspotenzialen von Kriegen zurück, in die die Menschheit gerade hineingezogen werden soll.
Schadenfreudig als passive Zuschauer am Rand einer Manege zu sitzen, wenn sich dort womöglich einige Koalitionsübereifrige in der AfD ihrer ehrlichen Friedensfreunde bald zu entledigen suchen, um dann die Rolle der SPD als Steigbügelhalter von BlackRock-Merz einzunehmen, dürfte auch uns auf Dauer nicht gut bekommen.
Krieg und Frieden hatte immer auch mit Löhnen, Sozialstaatlichkeit und gewerkschaftlichen Rechten zu tun. Wer heute wirklich links handelt, mag gelegentlich das schöne Wort »links« an Infoständen einsparen, wenn er nur öfter in seinen Taten die Front gegen die Kriegsgewinnler verbreitern hilft.
»Nie wieder Krieg« ist nämlich jetzt!