Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Anstöße zum Umgang mit »links« und »rechts«

Wir aber haben Feh­ler gemacht,
es ist nicht zu leugnen.
Unse­re Zahl schwin­det hin.
Unse­re Paro­len sind in Unordnung.
Einen Teil unse­rer Wörter
hat der Feind verdreht
bis zur Unkenntlichkeit
(Brecht, An den Schwankenden)

Obwohl »links« ins Gere­de gekom­men ist: Die­ser Text rich­tet sich an sol­che, die sich noch unüber­hör­bar »Lin­ke« nen­nen. Aber wür­den sie dies auch tun, hät­ten sie die Ehre, in einer BRICS-Kon­fe­renz mit deren Reprä­sen­tan­ten dis­ku­tie­ren zu dür­fen? Sie wür­den dort womög­lich ihren Genos­sin­nen und Genos­sen aus Chi­na, Bra­si­li­en und Russ­land die Koope­ra­ti­on unter 40 Staa­ten nur erschwe­ren, weil die Mehr­heit sich nicht unter lin­ken Vor­zei­chen sieht

Selbst wis­sen­schaft­li­che Begrif­fe wie »Gra­vi­ta­ti­on« wur­den in 200 Jah­ren, also seit New­ton, von Ein­stein u.a. gewis­sen Über­prü­fun­gen unter­zo­gen. War­um soll­te es dann bei »links« und »rechts« seit der Sitz­ord­nung der fran­zö­si­schen Natio­nal­ver­samm­lung 1789 nur Unum­stöß­lich­keit geben?

»Links« ist wie »rot«: zwar kämp­fe­risch, aber viel­deu­tig und ohne wis­sen­schaft­li­chen Unter­bau. Und dar­um auch miss­bräuch­lich – spä­te­stens seit der SPD-Lin­ke Haa­se 1914 den Kriegs­kre­di­ten zuge­stimmt hat­te, der Ex-Juso Voigt für Nato-Atom­ra­ke­ten warb und der »Linken«-MP Rame­low noch schwe­re­re Rüstung für Selen­skyj gefor­dert hat­ten. Sicher, wir kämp­fen für Zei­ten, in wel­chen »links« wie­der im popu­lä­ren Ver­ständ­nis Klar­heit bedeu­ten soll­te: gegen Auf­rü­stung und sozia­le Will­kür­herr­schaft. Aber gegen­wär­tig ist das nicht so.

Wenn Frau Wei­del den Anti­kom­mu­ni­sten Hit­ler »einen Kom­mu­ni­sten« nennt, den Black­Rock-Merz einen »lin­ken Regie­rungs­chef« und Faeser­sche Gesin­nungs­schnüf­fe­lei »links­ra­di­kal«, ist das nur die Spit­ze des baby­lo­ni­schen Verwirrungs-Eisbergs.

Leu­te, die sich selbst bis­lang »rechts« ver­or­tet haben – von Gau­wei­ler bis Höcke – wol­len kei­ne Pan­zer mehr gegen Mos­kau rol­len las­sen, ste­hen dafür aber unter gna­den­lo­sem Beschuss des Obrig­keits- und des tie­fen Staats – wie bis vor Jahr­zehn­ten: Gewerk­schaf­ten und lin­ke Parteien.

In der aktu­el­len histo­ri­schen Etap­pe raten wir somit eher zu einem spar­sa­men Gebrauch von »links und rechts«. Ja, es gibt prä­zi­se­re Bezeich­nun­gen für die Anschau­un­gen der Welt.

Heu­te geht es ganz prak­tisch gegen einen uni­po­la­ren Impe­ria­lis­mus aus den Befehls­zen­tren und Unter­grün­den der Nato, der die Welt in einen drit­ten, womög­lich ato­ma­ren Welt­krieg hin­ein­schwat­zen und -füh­ren will.

Natür­lich bleibt unser Bezugs­punkt das Pro­le­ta­ri­at als poten­zi­al­stärk­stem Ant­agon gegen Impe­ria­lis­mus – und der gro­ßen Kraft für die Auf­wer­tung mensch­li­cher Arbeits­kraft und Wür­de. Auch als Wis­sen­schaft­ler, Künst­ler, Gewer­be­trei­ben­de und Unter­neh­mer – in der guten Tra­di­ti­on von Fried­rich Engels und Ber­tolt Brecht, also auch als Nicht­pro­le­ta­ri­er – haben wir einen pro­pro­le­ta­ri­schen Standpunkt.

Wir sind in die­sem Sin­ne dafür, »pro­pro­le­ta­risch« zu han­deln wie die chi­ne­si­sche KP, anti­im­pe­ria­li­stisch wie die welt­wei­te Frie­dens­be­we­gung gegen den Viet­nam­krieg und popu­lär wie die Uni­dad Popu­lar, die mit dem Ver­spre­chen von einem hal­ben Liter Milch für jedes Kind in Chi­le an die Regie­rung kam.

Revo­lu­tio­när zu sein, ist kei­ne woh­li­ge Pose eige­ner Befind­lich­kei­ten im eit­len Spie­gel inter­ner Bubbles, son­dern das stän­di­ge Bemü­hen, ande­re revo­lu­tio­nä­rer zu machen.

Wo und wäh­rend wir »Lin­ke« neben­ein­an­der mit »Rech­ten« für Frie­den demon­strie­ren, wer­den wir doch auch dort Gesprä­che über offe­ne Fra­gen (z. B. hin­sicht­lich der Steu­er­ge­rech­tig­keit und der Nato-Mit­glied­schaft), die uns tren­nen, nicht scheu­en! Im Sin­ne unse­rer soli­da­ri­schen Über­zeu­gung: »Schwar­zer, Wei­ßer, Brau­ner, Gel­ber – endet eure Schläch­ter­ein!« (Brecht).

Aber Inter­na­tio­na­lis­mus ist kein Frei­brief dafür, Anders­den­ken­den in der Frie­dens­be­we­gung leicht­fer­tig Ver­bre­chen des Faschis­mus vor­zu­wer­fen, wenn die­se sich Patrio­ten nen­nen: natio­nal­ge­sinnt und stolz auf Hei­mat und Vater­land – auch wenn dies sehr unschar­fe Begrif­fe sind (sie­he Rüdi­ger Dam­mann »Hei­mat­klän­ge«, in: Ossietzky 14/​2023).

Unser Kampf um ordent­li­che Begrif­fe, aber auch die Dis­kurs­pi­ra­te­rie der Kriegs­trei­ber sind alles Pro­zes­se, die auch vor »links« und »rechts« kei­nen Halt gemacht haben.

Wo Rhein­me­tall auf sei­nen Pan­zern das Haken­kreuz gegen die Regen­bo­gen­fah­ne aus­ge­tauscht hat, wo sich das Kriegs­mi­ni­ste­ri­um als Frie­dens­mi­ni­ste­ri­um aus­gibt, wo die Gen­der-Anar­chie LGBTQ+Diverse in einer Uni­form zu ein­heit­li­chem Kano­nen­fut­ter machen will, ändern auch natio­na­le Paro­len »von rechts« ihren Klang.

Erin­nern wir uns an das Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land, das 1943 für »volks- und vater­land­s­treue Kräf­te in der Armee« 32 Wehr­machts-Gene­rä­le für Frie­den gewann. Oder an des­sen dich­ten­den Spa­ni­en­kämp­fer Erich Wei­nert: »Auf ein­mal hat­te für mich das hoh­le ver­ach­te­te Wort Patri­ot einen neu­en Sinn bekom­men. Denn wir kämpf­ten ja hier nicht nur gegen Fran­co und sei­ne Kom­pli­zen, wir kämpf­ten ja auch für die Ehre all unse­rer Vater­län­der.« Oder den­ken wir an den Gra­fen von Ein­sie­del und Richard Sche­rin­ger, die als frü­he rech­te Patrio­ten zunächst zu Anhän­gern der Frie­dens­be­we­gung und dann zu orga­ni­sier­ten Sozia­li­sten wurden.

Wenn sol­che frü­he­ren Nazis heu­te als Mit­strei­ter für Frie­den mit Russ­land in die Akten des Ver­fas­sungs­schut­zes oder ins Memo­ry von Wiki­pe­dia gera­ten wür­den, hät­ten sie wohl lebens­lang ihr Framing als »gesi­chert rechts­extrem« abbe­kom­men. Auch dage­gen stand Brecht: »Ler­nen kannst du bis zum letz­ten Atemzug. «

Darf uns also staat­li­che Repres­si­on egal sein, weil sie gra­de mal ja nur »Rech­te« betrifft? Wenn Gesell­schafts­kri­ti­ker, Quer- und Vor-Den­ker ein­ge­schüch­tert und berufs­ver­bo­ten wer­den? Oder soll­ten wir nicht punk­tu­ell auch an der Sei­te von „Rech­ten“ im öffent­li­chen und recht­li­chen Streit gegen Behör­den-Will­kür ste­hen? Den demo­kra­ti­schen Rechts­staat auch für die Rech­te von »Rech­ten« ver­tei­di­gen? Weil das ein kate­go­ri­scher Impe­ra­tiv ist für Plu­ra­li­tät in Gesell­schaft und Friedensbewegung?

»Der Kampf um den Lohn­gro­schen und um das Tee­was­ser«, den Brecht dem Revo­lu­tio­när emp­fahl, ist heu­te der Kampf für Abrü­stung, um preis­wer­te Ener­gien, also auch für Gas aus Russland.

Diver­gen­zen in den Ori­en­tie­run­gen auf Natio­nal­staat, Hei­mat und regio­na­le Selbst­er­mäch­ti­gung – sogar, wenn sie von rechts über­zo­gen daher­kom­men – ste­hen weit hin­ter den Gefähr­dungs­po­ten­zia­len von Krie­gen zurück, in die die Mensch­heit gera­de hin­ein­ge­zo­gen wer­den soll.

Scha­den­freu­dig als pas­si­ve Zuschau­er am Rand einer Mane­ge zu sit­zen, wenn sich dort womög­lich eini­ge Koali­ti­ons­über­eif­ri­ge in der AfD ihrer ehr­li­chen Frie­dens­freun­de bald zu ent­le­di­gen suchen, um dann die Rol­le der SPD als Steig­bü­gel­hal­ter von Black­Rock-Merz ein­zu­neh­men, dürf­te auch uns auf Dau­er nicht gut bekommen.

Krieg und Frie­den hat­te immer auch mit Löh­nen, Sozi­al­staat­lich­keit und gewerk­schaft­li­chen Rech­ten zu tun. Wer heu­te wirk­lich links han­delt, mag gele­gent­lich das schö­ne Wort »links« an Info­stän­den ein­spa­ren, wenn er nur öfter in sei­nen Taten die Front gegen die Kriegs­ge­winn­ler ver­brei­tern hilft.

»Nie wie­der Krieg« ist näm­lich jetzt!