Vorweg: Jede Initiative, die das sinnlose Töten im Nahen Osten beenden könnte, ist unbedingt zu begrüßen und zu unterstützen. Das gilt also auch für den nun von Donald Trump und Benjamin Netanjahu öffentlichkeitswirksam vorgestellten »Friedensplan«. Dennoch erlaube ich mir einen kleinen Einspruch, weil ich denke, dass die beiden Weltenlenker hier ein, von ihren »Strategen« erdachtes, falsches Spiel spielen. Die Karten liegen jedenfalls nicht offen auf dem Tisch. Der eine möchte mit dieser Initiative seiner vehementen Bewerbung für den Friedensnobelpreis Nachdruck verleihen (allerdings: die Umbenennung des Pentagons in »Kriegsministerium«, wenngleich eine für Trump außergewöhnliche Wahrheitsanwandlung, war da wenig hilfreich. »Friedensministerium«, das wärs gewesen); der andere kämpft um sein politisches Überleben. Der Frieden selbst ist für beide mehr Mittel als Zweck.
Von vorne: Der grauenhafte Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023, das Massaker an und die Geiselnahme von Hunderten israelischer Frauen, Männer und Kinder sind monströse Verbrechen, die selbstverständlich nicht tatenlos hingenommen werden konnten. Eine angemessene Strafe dafür ist aber kaum denkbar – oder wird selbst so monströs wie die israelische Reaktion auf den terroristischen Angriff. Den knapp 1200 getöteten Israelis (Männer, Frauen und Kinder) stehen, Stand heute, mehr als 65000 getötete Palästinenser (Männer, Frauen und Kinder) gegenüber. Selbstverteidigung? Strafaktion? Wer wird hier wofür bestraft?
Genau diese Eskalation war vermutlich – das klingt nun wiederum monströs – das Ziel der Hamas-Attacke. Deren Verantwortliche (Veranlasser und Planer) kennen die alttestamentarische Warnung des Propheten Hosea (8, Vers 7), von dem der Talmud behauptet, er sei der größte Prophet seiner Generation gewesen, offenbar besser als die gottesfürchtigen Israelis: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten.« Und sei es ein Sturm der Entrüstung.
In anderen Worten: Die sogenannte Miliz hat gewiss nicht vorgehabt, Israel in die Knie zu zwingen, sie wollte durch eigene Gewalt noch größere Gewalt entfesseln, die sich dann, das wird den Tätern vollauf bewusst gewesen sein, gegen die »eigenen Leute«, gegen die Palästinenser richtet – eine Art kollektives (Selbst-)Mordattentat, das an Zynismus nicht zu überbieten ist: Je mehr tote palästinensische Frauen, Kinder und Männer, desto besser für die Hamas, so das teuflische Kalkül. Und es ging auf! Als hätte die israelische Regierung nur auf einen solchen Anlass gewartet, ließ sie in grandioser Opferattitüde alle Hemmungen fallen und alle moralischen Werte fahren.
Der von unbändigem Hass erfüllte Terror-Plan war aus Sicht der Hamas gerade wegen der »eigenen« Opfer erfolgreich. Eine militärische Auseinandersetzung können die Terroristen nicht bestehen, also versuchen sie, den Staat Israel zu delegitimieren, ihn seinerseits als terroristisch, als faschistisch zu »demaskieren«. Nein, das ist keine Täter-Opfer-Umkehr, es zeigt, dass wir es auf beiden Seiten mit von gegenseitigem Hass getriebenen Tätern zu tun haben. Und siehe da, plötzlich gerät das bislang von allen hofierte Israel – die einzige Demokratie im Nahen Osten – tatsächlich unter immer größeren Druck. Am internationalen Gerichtshof sind inzwischen einige Klagen wegen Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen anhängig, weltweit gehen Hunderttausende gegen das Vorgehen der israelischen Führung in Gaza und für ein »freies Palästina« auf die Straße, ein Land nach dem anderen geht zu Israel auf Distanz und erkennt Palästina als eigenständigen Staat an.
Darin sehe ich den Hauptgrund für die aktuelle Friedensinitiative. Dass die Waffen schweigen, wird vielleicht als Möglichkeit durchaus in Erwägung gezogen. Und wenn das einträte, wären die Friedensstifter zu beglückwünschen und mit Dank zu überhäufen. Das eigentliche Motiv ist aber wohl nicht die Gewalt oder die unhaltbare humanitäre Situation in Gaza, sondern die öffentliche Meinung, die man durch einen »20-Punkte-Friedensplan« zu beeinflussen hofft. Man spielt den Ball gewissermaßen zur Hamas zurück. Wenn sie den Pass annimmt, die Waffen niederlegt, die verbliebenen Geiseln freilässt und dem Terror abschwört, sich also selbst abschafft, stehe einer friedlichen Einigung nichts im Wege – von einer Zweistaatenlösung ist dabei noch gar nicht die Rede. Wenn sie das nicht tut, liegt der »schwarze Peter« wieder bei ihr, nicht mehr bei Netanjahu, der ja seinerseits zu keinerlei Zugeständnissen gezwungen ist. Das Ganze ist also in erster Linie eine Art Image-Kampagne zugunsten (Trumps und) Israels.
Warum aber sollte die Hamas diesem »Friedensplan« zustimmen, nachdem ihre perfide Gewaltstrategie aufzugehen scheint? Ich vermute, dass die Initiatoren dieses Plans auch gar nicht mit so einem Szenario rechnen. Ihr apostolisch beschworener »Frieden« ist allenfalls ein Sekundärziel. Es geht ihnen primär um eine veränderte »Gut-und-Böse«-Wahrnehmung. Dabei gibt es unter den Akteuren dieses Konflikts, mindestens das sollte mittlerweile in aller Kenntlichkeit klar geworden sein, ganz gewiss keine »Guten«.
Wie aber wird die Hamas reagieren? Bis zum Redaktionsschluss dieses Heftes stand die Antwort noch aus. Lediglich zu einzelnen Punkten des Plans, etwa einem Geisel- und Gefangenenaustausch, hat die Hamas-Führung Gesprächsbereitschaft signalisiert. Klar ist, auch die Hamas hat erhebliche Verluste erlitten und steht unter immensem politischem und finanziellem Druck. Terror ist teuer. Sollten die Terroristen die Gunst ihrer Förderer (vor allem in den Golfstaaten) verlieren, die ihrerseits in arge Bedrängnis geraten und nicht auf irgendwelche roten Listen der USA landen wollen, ist »Schicht im Schacht«. Die Hamas wird also, trotz aller Ultimaten, weiter zu verhandeln versuchen.
Und die Palästinenser? Ihr Leiden wird so schnell nicht beendet werden. Sie bleiben weiterhin ein Spielball der Macht und der Gewalt. Sie sind die Opfer, sowohl der Israelis als auch der Hamas. Dabei wollen sie, wie wir alle, nichts anderes als leben, so gut es eben geht, essen und trinken, lieben, arbeiten und sich frei bewegen. Deshalb nochmal: Wenn sie nicht mehr getötet werden – das werden sie übrigens überwiegend nicht als »Kämpfer«, sondern als Bewohner ihrer Häuser, als Kranke, Schutz- und Nahrungssuchende –, wäre das ein beglückender Fortschritt.