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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Apostel des Friedens?

Vor­weg: Jede Initia­ti­ve, die das sinn­lo­se Töten im Nahen Osten been­den könn­te, ist unbe­dingt zu begrü­ßen und zu unter­stüt­zen. Das gilt also auch für den nun von Donald Trump und Ben­ja­min Netan­ja­hu öffent­lich­keits­wirk­sam vor­ge­stell­ten »Frie­dens­plan«. Den­noch erlau­be ich mir einen klei­nen Ein­spruch, weil ich den­ke, dass die bei­den Wel­ten­len­ker hier ein, von ihren »Stra­te­gen« erdach­tes, fal­sches Spiel spie­len. Die Kar­ten lie­gen jeden­falls nicht offen auf dem Tisch. Der eine möch­te mit die­ser Initia­ti­ve sei­ner vehe­men­ten Bewer­bung für den Frie­dens­no­bel­preis Nach­druck ver­lei­hen (aller­dings: die Umbe­nen­nung des Pen­ta­gons in »Kriegs­mi­ni­ste­ri­um«, wenn­gleich eine für Trump außer­ge­wöhn­li­che Wahr­heits­an­wand­lung, war da wenig hilf­reich. »Frie­dens­mi­ni­ste­ri­um«, das wärs gewe­sen); der ande­re kämpft um sein poli­ti­sches Über­le­ben. Der Frie­den selbst ist für bei­de mehr Mit­tel als Zweck.

Von vor­ne: Der grau­en­haf­te Hamas-Ter­ror vom 7. Okto­ber 2023, das Mas­sa­ker an und die Gei­sel­nah­me von Hun­der­ten israe­li­scher Frau­en, Män­ner und Kin­der sind mon­strö­se Ver­bre­chen, die selbst­ver­ständ­lich nicht taten­los hin­ge­nom­men wer­den konn­ten. Eine ange­mes­se­ne Stra­fe dafür ist aber kaum denk­bar – oder wird selbst so mon­strös wie die israe­li­sche Reak­ti­on auf den ter­ro­ri­sti­schen Angriff. Den knapp 1200 getö­te­ten Israe­lis (Män­ner, Frau­en und Kin­der) ste­hen, Stand heu­te, mehr als 65000 getö­te­te Palä­sti­nen­ser (Män­ner, Frau­en und Kin­der) gegen­über. Selbst­ver­tei­di­gung? Straf­ak­ti­on? Wer wird hier wofür bestraft?

Genau die­se Eska­la­ti­on war ver­mut­lich – das klingt nun wie­der­um mon­strös – das Ziel der Hamas-Attacke. Deren Ver­ant­wort­li­che (Ver­an­las­ser und Pla­ner) ken­nen die alt­te­sta­men­ta­ri­sche War­nung des Pro­phe­ten Hosea (8, Vers 7), von dem der Tal­mud behaup­tet, er sei der größ­te Pro­phet sei­ner Gene­ra­ti­on gewe­sen, offen­bar bes­ser als die got­tes­fürch­ti­gen Israe­lis: »Wer Wind sät, wird Sturm ern­ten.« Und sei es ein Sturm der Entrüstung.

In ande­ren Wor­ten: Die soge­nann­te Miliz hat gewiss nicht vor­ge­habt, Isra­el in die Knie zu zwin­gen, sie woll­te durch eige­ne Gewalt noch grö­ße­re Gewalt ent­fes­seln, die sich dann, das wird den Tätern voll­auf bewusst gewe­sen sein, gegen die »eige­nen Leu­te«, gegen die Palä­sti­nen­ser rich­tet – eine Art kol­lek­ti­ves (Selbst-)Mordattentat, das an Zynis­mus nicht zu über­bie­ten ist: Je mehr tote palä­sti­nen­si­sche Frau­en, Kin­der und Män­ner, desto bes­ser für die Hamas, so das teuf­li­sche Kal­kül. Und es ging auf! Als hät­te die israe­li­sche Regie­rung nur auf einen sol­chen Anlass gewar­tet, ließ sie in gran­dio­ser Opfer­at­ti­tü­de alle Hem­mun­gen fal­len und alle mora­li­schen Wer­te fahren.

Der von unbän­di­gem Hass erfüll­te Ter­ror-Plan war aus Sicht der Hamas gera­de wegen der »eige­nen« Opfer erfolg­reich. Eine mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung kön­nen die Ter­ro­ri­sten nicht bestehen, also ver­su­chen sie, den Staat Isra­el zu dele­gi­ti­mie­ren, ihn sei­ner­seits als ter­ro­ri­stisch, als faschi­stisch zu »demas­kie­ren«. Nein, das ist kei­ne Täter-Opfer-Umkehr, es zeigt, dass wir es auf bei­den Sei­ten mit von gegen­sei­ti­gem Hass getrie­be­nen Tätern zu tun haben. Und sie­he da, plötz­lich gerät das bis­lang von allen hofier­te Isra­el – die ein­zi­ge Demo­kra­tie im Nahen Osten – tat­säch­lich unter immer grö­ße­ren Druck. Am inter­na­tio­na­len Gerichts­hof sind inzwi­schen eini­ge Kla­gen wegen Völ­ker­rechts- und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen anhän­gig, welt­weit gehen Hun­dert­tau­sen­de gegen das Vor­ge­hen der israe­li­schen Füh­rung in Gaza und für ein »frei­es Palä­sti­na« auf die Stra­ße, ein Land nach dem ande­ren geht zu Isra­el auf Distanz und erkennt Palä­sti­na als eigen­stän­di­gen Staat an.

Dar­in sehe ich den Haupt­grund für die aktu­el­le Frie­dens­in­itia­ti­ve. Dass die Waf­fen schwei­gen, wird viel­leicht als Mög­lich­keit durch­aus in Erwä­gung gezo­gen. Und wenn das ein­trä­te, wären die Frie­dens­stif­ter zu beglück­wün­schen und mit Dank zu über­häu­fen. Das eigent­li­che Motiv ist aber wohl nicht die Gewalt oder die unhalt­ba­re huma­ni­tä­re Situa­ti­on in Gaza, son­dern die öffent­li­che Mei­nung, die man durch einen »20-Punk­te-Frie­dens­plan« zu beein­flus­sen hofft. Man spielt den Ball gewis­ser­ma­ßen zur Hamas zurück. Wenn sie den Pass annimmt, die Waf­fen nie­der­legt, die ver­blie­be­nen Gei­seln frei­lässt und dem Ter­ror abschwört, sich also selbst abschafft, ste­he einer fried­li­chen Eini­gung nichts im Wege – von einer Zwei­staa­ten­lö­sung ist dabei noch gar nicht die Rede. Wenn sie das nicht tut, liegt der »schwar­ze Peter« wie­der bei ihr, nicht mehr bei Netan­ja­hu, der ja sei­ner­seits zu kei­ner­lei Zuge­ständ­nis­sen gezwun­gen ist. Das Gan­ze ist also in erster Linie eine Art Image-Kam­pa­gne zugun­sten (Trumps und) Israels.

War­um aber soll­te die Hamas die­sem »Frie­dens­plan« zustim­men, nach­dem ihre per­fi­de Gewalt­stra­te­gie auf­zu­ge­hen scheint? Ich ver­mu­te, dass die Initia­to­ren die­ses Plans auch gar nicht mit so einem Sze­na­rio rech­nen. Ihr apo­sto­lisch beschwo­re­ner »Frie­den« ist allen­falls ein Sekun­där­ziel. Es geht ihnen pri­mär um eine ver­än­der­te »Gut-und-Böse«-Wahrnehmung. Dabei gibt es unter den Akteu­ren die­ses Kon­flikts, min­de­stens das soll­te mitt­ler­wei­le in aller Kennt­lich­keit klar gewor­den sein, ganz gewiss kei­ne »Guten«.

Wie aber wird die Hamas reagie­ren? Bis zum Redak­ti­ons­schluss die­ses Hef­tes stand die Ant­wort noch aus. Ledig­lich zu ein­zel­nen Punk­ten des Plans, etwa einem Gei­sel- und Gefan­ge­nen­aus­tausch, hat die Hamas-Füh­rung Gesprächs­be­reit­schaft signa­li­siert. Klar ist, auch die Hamas hat erheb­li­che Ver­lu­ste erlit­ten und steht unter immensem poli­ti­schem und finan­zi­el­lem Druck. Ter­ror ist teu­er. Soll­ten die Ter­ro­ri­sten die Gunst ihrer För­de­rer (vor allem in den Golf­staa­ten) ver­lie­ren, die ihrer­seits in arge Bedräng­nis gera­ten und nicht auf irgend­wel­che roten Listen der USA lan­den wol­len, ist »Schicht im Schacht«. Die Hamas wird also, trotz aller Ulti­ma­ten, wei­ter zu ver­han­deln versuchen.

Und die Palä­sti­nen­ser? Ihr Lei­den wird so schnell nicht been­det wer­den. Sie blei­ben wei­ter­hin ein Spiel­ball der Macht und der Gewalt. Sie sind die Opfer, sowohl der Israe­lis als auch der Hamas. Dabei wol­len sie, wie wir alle, nichts ande­res als leben, so gut es eben geht, essen und trin­ken, lie­ben, arbei­ten und sich frei bewe­gen. Des­halb noch­mal: Wenn sie nicht mehr getö­tet wer­den – das wer­den sie übri­gens über­wie­gend nicht als »Kämp­fer«, son­dern als Bewoh­ner ihrer Häu­ser, als Kran­ke, Schutz- und Nah­rungs­su­chen­de –, wäre das ein beglücken­der Fortschritt.