Unsere Städte geben ein schlechtes Bild ab – meint kein Geringerer als unser Kanzler. Oje. Zu wenig »gute deutsche Gesichter« auf den Straßen, konkretisiert das einer meiner Nachbarn sekundierend. Nochmal: Oje.
Zu des Kanzlers Klage, ist nun schon jede Menge gesagt worden. Praktisch alles. Nur noch nicht von allen. Nicht von mir beispielsweise, weshalb ich mich aufgerufen fühle, ebenfalls dazu Stellung zu nehmen. Ist doch wirklich wichtig!
Recht hat er, der Kanzler. Ja, auf den Bahnhöfen in vielen deutschen Städten (Ausnahme: Magdeburg, gerade wegen seiner guten Aufenthaltsqualität zum »Bahnhof des Jahres 2025« gewählt) hält man sich mit seinen Töchtern nicht gern auf. Da drücken sich viele dunkle Gestalten rum, es ist laut, wuselig, und es stinkt. Echt nicht schön! Die geben kein gutes Bild ab, unsere Bahnhöfe. Deswegen mache ich da schon lange keinen Ausflug mehr hin, sondern nutze solche Orte für gewöhnlich nur als Durchgangsstation – wofür sie wohl ursprünglich auch mal gedacht waren.
Klar, es gibt auch andere Nutzungsgewohnheiten. Dort ist es – wahlweise – wärmer oder kühler als draußen, man ist vor Wind und Wetter geschützt, man findet von Reisenden achtlos stehengelassenes Pfandgut und anderes mehr. Es sind also durchaus lohnenswerte Orte für Menschen, die kein zuhause haben, die arm oder anderweitig in Not sind und auf Wohlstandsreste hoffen. Ob sich darunter auch »illegale Einwanderer« befinden, halte ich wegen der Polizeipräsenz auf Bahnhöfen eher für wenig wahrscheinlich. Erkennbar ist das ohnehin nicht. Wie und woran auch?
Das sehen die Töchter des Kanzlers angeblich anders als ich. Ja, unbekannte Männer laufen da herum, die sicher nicht alle Gutes im Schilde führen, mutmaßlich »Illegale«, die uns nach Leib, Leben und Eigentum trachten. Gott oh Gott. Vielleicht warten die aber auch nur auf ihren Zug zum Abschiebeflug. Man weiß es nicht. Aber, Vorsicht ist auf jeden Fall geboten. Auf Bahnhöfen und in Innenstädten drohen viele Gefahren – auch unter »Legalen« und, Entschuldigung, unter »Bio-Deutschen« soll es ja üble Typen geben.
Für viel gefährlicher als einen Aufenthalt auf Bahnhöfen halte ich allerdings die Merz’schen Invektiven. Ganz besonders für seine Töchter, die nun für die Dummheit des Papas – weil der alte Herr sich selbst vermutlich äußerst selten auf Bahnhöfen aufhält – als Zeuginnen einstehen müssen. Für seinen perfiden Populismus. Er greift ein allgemeines Unbehagen auf – ja, viele Bahnhöfe und Innenstädte sind nicht schön; gehen Sie mal durch Manhattan! –, erfindet hierfür eine Ursache – die »illegale Einwanderung« nämlich macht unsere Innenstädte, samt Bahnhöfen zu unwirtlichen Orten –, erklärt deren Bekämpfung zum politischen Programm und gaukelt den Wählerinnen und Wählern (samt deren Töchtern) vor, damit »ihr Problem« zu lösen, ihr Unbehagen zu beseitigen. Wie er das anstellen will (durch Abschiebungen?) bleibt zwar sein Geheimnis, aber immerhin: Endlich jemand, der unsere echten Sorgen, die wirklichen Nöte der Menschen ernst nimmt. Danke dafür! So können wir uns also, vor allem unsere Töchter, demnächst endlich wieder auf Bahnhöfen wohlfühlen.
Hä? Geht’s noch? Mieten, Inflation, Gesundheitskosten, Altersarmut, Staatsverschuldung, Umweltzerstörung, Erderwärmung, Rüstungswahn u.a.m. – alles Peanuts? Ja, jedenfalls randständig, wenn man die öffentliche Reaktion auf die Kanzlerdummheit zum Maßstab nimmt. Da rauscht eine Hysteriewelle durch den Blätterwald und die Sendeanstalten, als gäbe es kein Morgen, die Pro- und Contra-Kommentare reißen nicht ab, oppositionelle und mitregierende Politiker fordern einen »Kanzlergipfel«, Populisten vom rechten Rand machen Freudensprünge: »Der arbeitet ja für uns! Honorarfrei!« Politische Öffentlichkeit als Realsatire.
Und was ist eigentlich mit den Flughäfen? Über die machen wir uns ja ebenfalls ernste Sorgen. Vielleicht sollten die dort kürzlich in seltsamer Häufung beklagten und unsere Reiselust behindernden Drohnenflüge illegale Einwanderungswege ausspähen. Aber nein, Quatsch, das waren ja alles Putins Flugobjekte – obwohl, der nutzt ja die Migrantenströme als Kriegswaffe. Nachtigall, … Ja, da brauchen wir doch nur eins und eins zusammenzuzählen. Weder auf Flughäfen noch in Bahnhöfen sind wir vor Putins Schattenkriegern sicher. Also ehrlich! Da beginne auch ich langsam zu denken, dass wir diesem Fiesling endlich mal zeigen sollten, wo der Hammer hängt.
Aber das führte hier jetzt zu weit. Jedenfalls gehören auch die Drohnen künftig abgeschoben, pardon, abgeschossen. »Die Politik« muss auch das jetzt zur Chefsache machen und unverzüglich handeln. Dafür haben wir unsere »Vertreter« doch gewählt.