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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Blick in ein Geschichtsbuch

Ange­sichts der von der Rüstungs­in­du­strie im eige­nen mone­tä­ren Inter­es­se gepush­ten For­de­rung nach mehr Kriegs­be­reit­schaft des Lan­des, die gegen den in der deut­schen Geschich­te schon immer im Osten aus­ge­mach­ten »Feind« gerich­tet ist, lohnt es sich ein­mal, einen kur­zen Blick in das Gesche­hen wäh­rend des letz­ten deut­schen Ver­suchs, einen Krieg im Osten Euro­pas zu gewin­nen, zu wer­fen. Denn kriegs­be­reit und kriegs­tüch­tig zu sein, meint ja nichts ande­res, als zukünf­tig Krieg füh­ren zu wol­len. Anläs­se hier­für, so zeigt die Geschich­te, fin­det man immer, näm­lich dann, wenn man sich stark genug auf­ge­rü­stet fühlt.

Die USA im Unter­schied zu ande­ren Län­dern unter­hal­ten in Deutsch­land immer noch Trup­pen, von deren Stand­or­ten völ­ker­rechts­wid­ri­ge Droh­nen- und ande­re Angrif­fe auf ver­schie­de­ne Län­der Nord­afri­kas und nach Afgha­ni­stan geflo­gen wer­den, wobei man sich gern als »Welt­gen­darm« aus­gibt. Für Deutsch­land und sei­nen »atlan­ti­schen Part­ner«, der welt­weit die mei­sten Mili­tär­stütz­punk­te unter­hält, war und ist in erster Linie Russ­land der Feind, frü­her die Sowjet­uni­on. Und der Aus­bau des Feind­bil­des geht nicht zuletzt mit Hil­fe der Medi­en wei­ter, wenn­gleich es kei­ner­lei Bele­ge für ernst­haf­te Bemü­hun­gen gibt, die dar­auf schlie­ßen las­sen, dass die Rus­sen wie­der ein­mal eine Fah­ne auf dem Bran­den­bur­ger Tor his­sen möch­ten. Dass lässt aber einen über­zeug­ten Russ­land­feind nicht von sei­nen krie­ge­ri­schen Dog­men abbrin­gen. Man habe, so könn­te man ange­sichts der vie­len als Tat­sa­chen demon­strier­ten Phan­ta­ste­rei­en den­ken, mit Hil­fe der KI eine Mög­lich­keit gefun­den, in das Hirn Putins zu schau­en. Hier­aus spinnt man sich dann Gefah­ren­si­tua­tio­nen zusam­men. Ernst­haf­te Bele­ge für ein bevor­ste­hen­des Angriffs­sze­na­rio blei­ben – zumal es erst in eini­gen Jah­ren, wenn die Nato auf­ge­rü­stet hat, ein­tre­ten soll – natür­lich aus, genau­so wie wir es vom Beginn fast jeden Krie­ges kennen.

Aller­dings hat ein Schwei­zer Gar­dist aus Vati­kan­stadt aus­ge­plau­dert, dass er ein­mal in die deut­sche Haupt­stadt kom­men möch­te. Das ist doch gefähr­lich für Deutsch­land, und es müss­te sich bedroht fühlen!

Aber da im Osten weit mehr Roh­stoff­ka­pa­zi­tä­ten vor­han­den sind als unter dem Ter­ri­to­ri­um der Vati­kan­stadt, bleibt der Osten, also Russ­land, der roh­stoff­ef­fek­ti­ve­re Feind. Und da Deutsch­land gemes­sen an den abso­lu­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen immer noch einer der größ­ten Emit­ten­ten der Welt ist und die welt­wei­ten Roh­stoff­re­ser­ven zu Ende gehen, braucht man für den Rüstungs­aus­bau, der zudem die maro­de Wirt­schaft ankur­beln und die Arbeits­lo­sig­keit sen­ken soll, neu­en »Lebens­raum im Osten«. Die dadurch hin­ten­an­ge­stell­ten Zie­le zur Ret­tung des Welt­kli­mas spie­len da kei­ne Rol­le. Allen dies­be­züg­li­chen War­nun­gen zum Trotz, die es ja durch­aus gibt, greift man auf Bedro­hungs­lü­gen von 1939 zurück.

Wer das für Hirn­ge­spin­ste hält, möge ein­mal in die stra­te­gi­schen Pla­nungs­un­ter­la­gen der Bun­des­wehr schau­en – wenn er darf! Da könn­te man viel­leicht schon aus­ge­ar­bei­te­te Vor­schlä­ge fin­den, um ans rus­si­sche Erd­öl, eben­so wie an die Lager­stät­ten von sel­te­nen Erden (was ja auch, wie Trump kürz­lich zu ver­ste­hen gab, im Fokus der USA liegt) in benach­bar­ten Län­dern zu kom­men. Im Prin­zip wären das die glei­chen Zie­le, die Hit­ler mit sei­ner Wehr­macht zu errei­chen ver­such­te. Wie bekannt, schei­ter­te die damit beauf­trag­te 6. Armee der Deut­schen Wehr­macht unter Gene­ral­feld­mar­schall Fried­rich Pau­lus, wel­che auf dem Weg zu den kriegs­wich­ti­gen Roh­stof­fen unter­wegs war, bereits an der Wolga.

Ange­sichts die­ser histo­ri­schen Tat­sa­che lohnt sich ein Blick in die in der DDR ver­öf­fent­lich­te Auto­bio­gra­fie des Oberst Wil­helm Adam, ehe­ma­li­ger Erster Adju­tant der deut­schen 6. Armee. Er hat­te wesent­lich dazu bei­getra­gen, dass die Reste der ein­ge­kes­sel­ten, dann nur noch aus etwa einer vier­tel Mil­li­on demo­ra­li­sier­ter Wehr­machts­an­ge­hö­ri­gen bestehen­den Armee den Wider­stand auf­ga­ben und sich gefan­gen neh­men lie­ßen. Er wur­de dafür von den Nazis in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt. Spä­ter schwor er in Gefan­gen­schaft dem Nazis­mus ab, wur­de dann in der DDR Mit­be­grün­der der NDPD, Poli­ti­ker in Sach­sen sowie Offi­zier der NVA.

Meh­re­re Jah­re nach sei­nen unter Lebens­ge­fah­ren und Todes­äng­sten gewon­ne­nen Erkennt­nis­sen an der Wol­ga schrieb er über sei­nen »schwe­ren Ent­schluss« (so auch der Titel sei­nes auto­bio­gra­fi­schen Buches), der das sinn­lo­se Mas­sen­ster­ben der Sol­da­ten been­de­te und die Über­le­ben­den in die Gefan­gen­schaft der Roten Armee führ­te. Dar­in fin­den sich für die Gegen­wart wich­ti­ge Über­le­gun­gen, die heu­te den Kriegs­trei­bern zur Lek­tü­re emp­foh­len sei­en. Adam fragt nach dem »Schick­sal«, das ihn und vie­le wei­te­re Wehr­machts­an­ge­hö­ri­ge nach Sta­lin­grad gebracht hat­te, wo die Reste der einst stol­zen Armee vom Feind umzin­gelt dahin­ve­ge­tier­ten: »Das Schick­sal? War es wirk­lich Schick­sal, das ihn (sei­nen Vor­ge­setz­ten, Gene­ral­feld­mar­schall Pau­lus – UvdH) und sei­ne Vier­tel­mil­lio­nen­ar­mee zum Unter­gang ver­ur­teilt hat­te? Inwie­weit waren eige­ne Schuld, mili­tä­ri­sches und mensch­li­ches Ver­sa­gen an dem Unglück betei­ligt? War die Ursa­che unse­res Deba­kels nicht viel frü­her, lan­ge vor der Schlacht an der Wol­ga zu suchen? (…) Wäre es nicht viel bes­ser gewe­sen, den Ost­feld­zug, ja den gan­zen Krieg nicht zu begin­nen? Gab es über­haupt ein Kriegs­ziel, das die­se Strö­me ver­gos­se­nen Blu­tes, Ber­ge von Trüm­mern, Trä­nen des Leids recht­fer­ti­gen konn­te? Der Krieg gegen Sowjet­russ­land sei aus Prä­ven­tiv­grün­den nötig gewe­sen, sag­te man uns, nötig, um den uns dro­hen­den Bol­sche­wis­mus abzu­weh­ren. Eigent­lich konn­te ich die­ses Argu­ment nie so recht glau­ben. Was ich am 22. Juli 1941 und in den nach­fol­gen­den Wochen des Ost­feld­zu­ges per­sön­lich erleb­te, sprach kei­nes­falls dafür, dass sich die Rote Armee zu einem Angriffs­krieg bereit gestellt hat­te, son­dern ließ viel­mehr dar­auf schlie­ßen, dass sie über­haupt nicht kriegs­be­reit und nicht ein­mal genü­gend für die Ver­tei­di­gung vor­be­rei­tet war (…) War es eigent­lich nicht logisch, dass die Herr­scher im Kreml zunächst die rie­si­gen Mög­lich­kei­ten ihres gewal­ti­gen Lan­des erschlos­sen, anstatt mit den frag­wür­di­gen Gedan­ken zu spie­len, Deutsch­land über­fal­len zu wol­len? Wie aber, wenn das stimm­te, wenn die­ser Krieg von unse­rer Sei­te gar nicht der Abwehr gedient hät­te, gar nicht not­wen­dig gewe­sen wäre?

Ent­setz­lich! Dann wür­de all das Blut und all der Dreck die­ses Krie­ges aus­schließ­lich an unse­ren Fin­gern klebenbleiben!«

Es ist hin­läng­lich bekannt, mit wel­chen Fol­gen der Zwei­te Welt­krieg, der von einem sich »kriegs­tüch­tig« füh­len­den Deutsch­land aus­ging, ende­te. War­um las­sen sich den­noch Deut­sche nun­mehr wie­der in Rich­tung Osten auf die Schlacht­bank führen?

Wo ist eine star­ke Frie­dens­be­we­gung? Wo ist der Wider­stand der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on, die ja das Kriegs­hand­werk aus­füh­ren sol­len. Wir brau­chen deren Stim­men! Damit uns nicht das glei­che Schick­sal ereilt, wie die etwa vier Mil­lio­nen deut­schen Sol­da­ten und die 1,65 Mil­lio­nen deut­scher Zivi­li­sten, ganz zu schwei­gen von den nicht­deut­schen Opfern, die die­ses »Schick­sal« das Leben kostete.

Mit vor­be­rei­tet haben die seit eini­ger Zeit all­täg­li­che Kriegs­hy­ste­rie sicher­lich sol­che Aus­sa­gen, wie die vom heu­ti­gen deut­schen Außen­mi­ni­ster Johann Wade­phul: »Russ­land wird immer ein Feind für uns blei­ben«, womit er sich wohl auch den Weg ins Aus­wär­ti­ge Amt ebne­te. Es ist gera­de­zu per­vers, wenn heu­te Bun­des­wehr-Stra­te­gen mit täg­lich 1.000 Ver­wun­de­ten im Fal­le eines Krie­ges mit Russ­land rech­nen; von wie vie­len Toten sie aus­ge­hen, ist nicht bekannt. Falls doch, sei die Fra­ge gestellt, ob sich die stra­te­gi­schen Rech­ner selbst und ihre Kin­der auch zu den »Ver­lu­sten« zählen.

Wird die ange­streb­te Kriegs­be­reit­schaft von den Bel­li­zi­sten als not­wen­dig erach­tet, weil die von deut­schen Mili­tärs als schänd­li­che Nie­der­la­ge emp­fun­de­ne welt­weit größ­te Pan­zer­schlacht bei Kursk 1943 nun­mehr Jahr­zehn­te spä­ter erfolg­rei­cher aus­ge­foch­ten wer­den soll? Oder weil eini­ge nicht ver­win­den kön­nen, dass Rot­ar­mi­sten auf dem Bran­den­bur­ger Tor 1945 die rote Fah­ne hiss­ten? Ein sowje­ti­scher Gene­ral hat­te übri­gens 1945 nach der Kapi­tu­la­ti­on des Nazi­re­gimes in Ber­lin schon vor­her­ge­sagt: »Das wer­den uns die Deut­schen nie verzeihen!«

Was steckt wirk­lich hin­ter dem Rüstungs­wahn­sinn? Schon Karl Marx hat­te die Pro­fit­gier der Kapi­ta­li­sten, und dazu zäh­len heu­te ins­be­son­de­re die­je­ni­gen der Rüstungs­in­du­strie und deren Lob­by­isten, die bis heu­te gül­ti­ge Erkennt­nis: »Das Kapi­tal hat einen Hor­ror vor Abwe­sen­heit von Pro­fit oder sehr klei­nem Pro­fit, wie die Natur vor der Lee­re. Mit ent­spre­chen­dem Pro­fit wird Kapi­tal kühn. Zehn Pro­zent sicher, und man kann es über­all anwen­den; 20 Pro­zent, es wird leb­haft; 50 Pro­zent, posi­tiv wag­hal­sig; für 100 Pro­zent stampft es alle mensch­li­chen Geset­ze unter sei­nen Fuß; 300 Pro­zent, und es exi­stiert kein Ver­bre­chen, das es nicht ris­kiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«

Irgend­wie bzw. irgend­wann muss das doch auch den Kriegs­be­gei­ster­ten und poten­ti­el­len Kriegs­ge­winn­lern bewusst­wer­den, näm­lich, dass sie, wie alle ande­ren, einen Atom­krieg nicht über­le­ben wür­den. Denn sie und ihre Fami­li­en kön­nen sich nicht auf den Mars in Sicher­heit brin­gen, und der Kon­junk­tur haben­de Kauf von Luft­schutz­bun­kern hilft nicht lang­fri­stig. Nach einem ato­mar aus­ge­foch­te­nen Krieg wer­den auch sie nicht mehr die Son­ne und den Mond sehen. Aber sie wol­len, ja müs­sen, zur Wah­rung ihrer eige­nen öko­no­mi­schen, poli­ti­schen und media­len Bedeu­tung, inklu­si­ve der Mög­lich­keit sich die Taschen zu fül­len, so der aner­kann­te Spe­zia­list für Inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen, Rafae­le Mar­chet­ti, dem Bedeu­tungs­ver­lust des Westens zu Gun­sten des Glo­ba­len Südens etwas ent­ge­gen­set­zen. Sei­en es Zöl­le und Pro­tek­tio­nis­mus, wis­sen­schaft­li­che Abschot­tung, Akti­vie­rung exklu­si­ver welt­wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Clubs, öffent­li­che Äch­tung von anders­den­ken­den Indi­vi­du­en, Insti­tu­tio­nen und Staa­ten, aber auch Unter­stüt­zung von Sank­tio­nen und Stell­ver­tre­ter­krie­gen sowie auch die Erwei­te­rung der Nato, was Russ­land bekannt­lich als Bedro­hung ansah und ansieht.

Wenn es nicht wie­der Nürn­ber­ger Pro­zes­se geben soll, falls es dann über­haupt noch ein Deutsch­land geben wird, muss schon jetzt etwas gesche­hen. Denn nie­mals wie­der ist jetzt!