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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Programmheft

Das Pro­gramm­heft kauft man sich am Thea­ter­abend, das ist so ein Feh­ler, man wäre doch bes­ser bera­ten, es schon vor­her zu lesen.

Es ent­hält wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen über das Stück, über die Prot­ago­ni­sten und vie­le schö­ne Bil­der, deren Sinn mir nicht ganz ein­leuch­ten. Bil­der erzeu­gen eine Stim­mung oder erin­nern an eine: mei­stens bei­des. Also erin­nern wir uns an die Schau­spie­ler, das Büh­nen­bild und das Thea­ter-Erleb­nis. Anstands­hal­ber gibt es auch etwas Text: eine »Syn­op­sis« zu Beginn, eine Zusam­men­fas­sung deren Autorin sich der Gefahr bewusst ist, dass die­se in Phra­sen enden kann. Ist das unver­meid­lich? Nun, immer­hin, wir müs­sen bei dem Stück »unmit­tel­bar an heu­ti­ge Kriegs­schau­plät­ze den­ken«. Tat­säch­lich: »unmit­tel­bar« – oder sind die­se nicht durch genau jenen media­len Appa­rat (vor-)produziert, der Kraus immer wie­der herausforderte?

Die Schwie­rig­keit des Regis­seurs und der Syn­op­ti­ke­rin besteht dar­in, den Inhalt des Stückes in die heu­ti­ge Zeit ein­zu­pas­sen, damit nie­mand auf die Idee ver­fällt, dass es in der Geschich­te schon meh­re­re Angrif­fe auf Russ­land gab. Also der Kampf um den Platz an der Son­ne des deut­schen (und öster­rei­chi­schen) Imperialismus/​Kolonialismus Vor­gän­ger und Vor­läu­fer hat.

Wie macht man jeman­den unschäd­lich? Indem man ihn zeit­los macht, d. h. die »Insze­nie­rung (spürt) die Zeit­lo­sig­keit von Kraus‹ Text auf«. Damit ist der Regis­seur aus der Schuss­li­nie der west­li­chen revan­chi­sti­schen Regie­run­gen, da er ja nicht kon­kret den 1. Welt­krieg, son­dern den Krieg im All­ge­mei­nen beschreibt. Wer sagt da Frau Won­tor­ra, die uns syn­op­sie­rt, käme ohne Phra­sen aus? Was nicht passt, und das geht lei­der mit allen, wird ange­passt im »Reso­nanz­raum«, wo das schwingt, was wir hören sollen.

Herr Pari­zek, lesen wir, bekam 2007 und 2008 den MAX-Preis der Alli­anz Kul­tur­stif­tung, also den Preis einer jener Stif­tun­gen, die das Geld, das die Stif­ter ihren Arbei­tern, Ange­stell­ten und Kun­den »vor­ent­hal­ten« haben – wir sind hier ganz mil­de – nun dazu ver­wen­den, dass es so bleibt, wie es ist. Dazu dient auch die ent­spre­chend zurecht­ge­mach­te »Kul­tur«.

Pari­zek ver­wan­delt die poli­ti­sche Kri­se, die wir eher als Akku­mu­la­ti­ons­kri­se sehen und dabei nicht nur an Rosa Luxem­burg den­ken, in ein mora­li­sches Dilem­ma. Da sind wir dann ganz zufrie­den, denn aus die­sem Dilem­ma füh­ren uns die Salz­bur­ger Fest­spie­le sicher nicht her­aus. Übri­gens sind es bei P. die 140 Mil­lio­nen »Russ.innen«, die in erster Linie »geschichts­ver­ges­sen« sind, dann aber doch wir auch noch! Das ist das Ziel, dar­an hilft er mit. Und dabei dür­fen die ein­fa­chen Men­schen nicht feh­len, die doch auch mit­ver­ant­wort­lich sind, sie bekom­men dafür im Stück einen Dia­lekt ver­passt! Krau­se ist so schuld wie Krupp … Also erlau­be ich mir fol­gen­de Modernisierung:

Denn Krupp ist Mono­pol­herr /​ Und Krau­se ist Pro­let /​ Das ist der Klas­sen­ge­gen­satz /​ Den nie­mand mehr ver­steht! (Mein Ori­gi­nal stammt von der Münch­ner Songgrup­pe.)

Herr P. sorgt sich um sei­ne slo­wa­ki­schen Kol­le­gen, die Angrif­fen aus­ge­setzt sind, und nun sehen wir, wie schreck­lich die­se sind: »homo­phob, natio­na­li­stisch, pro-rus­sisch, anti-euro­pä­isch, per­sön­lich« (unklar, ob das eine auf- oder abstei­gen­de Rang­fol­ge ist). Also sind wir auf der Sei­te der Guten und freu­en uns dar­über, dass FPÖ-Mit­glie­der die Pre­mie­re nicht besu­chen. Ich mei­ne aber, sie hät­ten den Besuch drin­gend nötig gehabt.

Dann gibt es noch einen Text von Frau Hirn (sic), der den Nie­der­gang des schrei­ben­den Men­schen beklagt und den Sie­ges­zug des »Homo insi­pi­ens«. Nur, woher kommt der? Dumm­heit, wuss­te frü­her der lesen­de Mensch, ist ein Sozialprodukt.

Lesen Sie Karl Kraus, mög­lichst genau und dann schau­en Sie sich um, viel­leicht sehen Sie irgend­wo Karl Liebknecht.