Im ersten Ostermarschaufruf von vor 65 Jahren hieß es: »Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung.«
Es war der Schwur »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!«, der alle vernünftigen Menschen in Deutschland im Jahr 1945 einte. Für den 8. Mai 1945 hat es die widersprüchlichsten Begriffe gegeben: Zusammenbruch, Niederlage, Kriegsende, Kapitulation, Besatzung. Zu befürchten ist, dass es demnächst heißt: Tag des Waffenstillstandes – den Putin zu brechen beabsichtige. Ich meine: Es ist scharf zu verurteilen, dass das Land, das uns nie angriff, aber zweimal von Deutschland überfallen wurde, immer noch und immer mehr dämonisiert wird. Das Volk der UdSSR hat 27 Millionen Menschen im Kampf für unser aller Befreiung geopfert. Ewig ist ihm zu danken. Der Angriff Putins auf die Ukraine ist zu verurteilen, die Unterschrift unter die Kapitulation vom 8. Mai 1945 jedoch niemals.
Der Schwur der Häftlinge von Buchenwald vom April 1945 stellt die Aufgabe: Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln. Sie ist nicht erfüllt. Neben den ökonomischen und ideologischen Ursachen – den Wurzeln – des deutschen Faschismus gab es den über hundertjährigen preußisch-deutschen Militarismus und die Macht der Bosse der Rüstungsindustrie als Voraussetzung für das Naziregime. Und solcher Militarismus feiert heute seinen Wiederaufstieg. Man nennt es Zeitenwende. Oder: Verantwortung übernehmen. Oder einfach: Koalitionsvertrag. Gegen den gibt es viele Einwände. Weil er die Migration und das Asylrecht behindert und zum Klima kaum etwas aussagt. Und weil er unsozial ist, den Armen nicht hilft und den Reichen dient. Aber eins sagen die Kritiker von den Jusos leider nicht: All diese Schieflagen im Koalitionsvertrag sind Resultat einer ungeheuren Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, man benennt es ganz offen: Kriegstüchtig sollen wir werden. Das kritisieren wir, ebenso wie den Abbau der Demokratie durch Duldung der AfD, durch Beschränkung der Meinungsfreiheit für Kritiker der israelischen Regierung und das Vorgehen gegen Solidaritäts-Bekundungen für Palästina.
Bereits kurz vor Kriegsende 1945 haben die Führer der UdSSR, USA und Großbritanniens, die Anti-Hitler-Koalition, die »Zerschmetterung des deutschen Militarismus« (so US-Präsident Roosevelt) als vorrangiges Kriegsziel genannt. So stand es auch im Potsdamer Abkommen. Im Bericht der Jalta-Konferenz der Alliierten vom Februar 1945 heißt es: »Es ist unser unbeugsamer Wille (…), dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.«
Und auch unser Grundgesetz lautet ähnlich: Die zur »Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus« erlassenen Rechtsvorschriften bleiben gültig. So heißt es im Artikel 139 GG von 1949. Damit werden die auf Frieden gerichtete Präambel des Grundgesetzes und der GG-Artikel 26 gegen jeden Krieg von deutschem Boden aus bekräftigt. Grundgesetz-Artikel 139 fußt auch auf dem alliierten Kontrollratsbeschluss vom 10. Oktober 1945, der das Verbot der NSDAP und möglicher Ersatz- und Folgeorganisationen vorschreibt. Die Existenz der AfD verstößt daher eindeutig gegen das Grundgesetz.
Die seit 2014 sich entwickelnden militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine steigerten sich im Februar 2022 zum Angriffskrieg Russlands. Wenige Tage danach beschwor Bundeskanzler Olaf Scholz daraufhin die Zeitenwende. Ein gewaltiges Hochrüstungspaket wurde durchgesetzt. Was war das für eine Wende der Zeiten? Eine vom Vorkrieg in den großen Krieg!
Es waren die Generäle der Bundeswehr, der heimliche Generalstab, der dies seit Jahren ganz offen bekundete – aber es wird heute darüber geschwiegen. Der SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein schrieb 1961 in »Bilanz der Bundesrepublik« ausnahmsweise ganz offen: »Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.« Das scheint noch immer zu gelten, wenn es auch heute »Russen« statt »Sowjets« heißt. Über die Rolle dieser Bundeswehr plauderte 1964 ein anderer Eingeweihter in der FAZ: »Nicht Landesverteidigung darf der Programmpunkt unserer Sicherheit heißen. Der einzige militärische Auftrag, den sie zu erfüllen vermag, (ist) Zünder zu sein für die große Explosion.« So der damalige Generalinspekteur Ulrich de Maiziere, vormals (bis 1945) Chef im Generalstab der Naziwehrmacht. Auch ein späterer Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 berichtete, »über bisher Undenkbares« nachgedacht. Über die Frage nämlich, »ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen«. Was seinerzeit »undenkbar« war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert:
Nun bekommen wir einen Bundeskanzler, der Rücksichtnahmen auf die Lehren der Geschichte abschaffen will. Er sagte: »Wir brauchen in Zukunft die Zuwanderung von Menschen, die wir haben wollen. Aber das setzt voraus, dass wir sagen, wen wir nicht haben wollen. Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen.«
Und wir bekommen einen Vizekanzler, der ebenfalls alle Lehren der Geschichte über Bord wirft. Lars Klingbeil, der die einstige große Arbeiterpartei SPD anführt, nimmt Partei für Rheinmetall. Kurz nach dem russischen Kriegsbeginn im Jahr 2022 verkündete er laut Spiegel auf einer SPD-Konferenz: Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung habe Deutschland »heute eine neue Rolle«, die darin bestehe, eine militärische »Führungsmacht« zu sein. Mit Russland sei kein Frieden möglich.
Wir bekräftigen dagegen: Die völkerrechtlich gültigen antimilitaristischen Aussagen von 1945/1949 waren und bleiben die Grundlagen des Kampfes der Antifaschisten und Friedensbewegten. Die auf Demokratie und Frieden gerichteten Dokumente der Alliierten sowie der sich formierenden Parteien und Gewerkschaften hatten alle eine gleiche Zielrichtung – ich fasse zusammen: 1. Entmilitarisierung, 2. Entnazifizierung, 3. Entmonopolisierung, 4. Demokratisierung der gesamten Gesellschaft, 5. Durchsetzung des Sozialstaatsprinzips, 6. Völkerverständigung.
Was wurde daraus? Schon bald begann die Remilitarisierung; zehn Jahre nach dem 8. Mai 1945 wurde die Bundeswehr gegründet. Das Prinzip »Nie wieder Krieg von deutschem Boden« gilt nicht mehr. Mit Milliardenbeträgen wird Deutschland »kriegstüchtig« gemacht. Die Entnazifizierung war eine Farce. Der Kalte Krieg beendete sie in Westdeutschland endgültig. Die Behörden, vor allem die Polizei und die Justiz, waren in den 50er Jahren fest in den Händen ehemaliger hoher Nazis, ebenso die Bundeswehr ab 1956. Es gehört zu den militaristischen Schändlichkeiten der BRD, dass im Jahr 1956 bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen wurde, auch den Jahrgang 1921 wieder einzuziehen, also die zwölfjährigen Jungen von 1933, die ab 1939 verheizt wurden. Scharfer Protest vereitelte die Einberufung. Und heute ist scharfer Protest gegen die Wehrpflicht nötig.
Zudem ist festzustellen: Das für alle Zeiten 1945 erlassene Verbot der NSDAP wird heute umgangen; die profaschistische AfD ist zweitstärkste Partei. Zudem: Wer reich ist, der herrscht politisch. Denn das Großkapital herrschte bald nach Gründung der BRD wieder unumwunden – und die Demokratisierung der Wirtschaft unterblieb. Und damit ist und bleibt diese unsere Demokratie unvollständig, ja, sie ist in Frage gestellt. Im Jahr 1963 stellte der DGB-Bundeskongress von Düsseldorf fest: »Die Entwicklung hat zu einer Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse geführt«.
Zur Verwirklichung des Auftrags des 8. Mai und des Schwurs von Buchenwald bleibt viel zu tun. Denn wir sind weiter davon entfernt denn je, von Krieg und Faschismus wirklich befreit zu sein. Die Befreiungsbewegung des 8. Mai muss vollendet werden. Die Erbfeinde müssen »entfeindet« werden; was im Falle Frankreichs gelang, muss auch im Fall Russland gelingen.
Der 80. Jahrestag ist daher nicht nur Gedenktag, sondern Kampftag. Aber ein Feiertag im Sinne von Esther Bejarano sollte er in jedem Fall werden. Und nicht nur der Tag eines Waffenstillstands, der nach 80 Jahren wieder brüchig erscheint.
Dagegen wenden sich nun auch viele Gewerkschafter um Horst Schmitthenner: »CDU/CSU, SPD und Grüne haben gemeinsam das Grundgesetz geändert, um künftig alle Militärausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus den Begrenzungen der Schuldenbremse auszunehmen. Sie wollen massiv aufrüsten (…). Es geht um viele Hunderte Milliarden Euro. (…). Begründet wird das alles mit der Verschwörungstheorie, dass Russland nach der Ukraine die EU überfallen wolle, und dass die USA nichts dagegen tun würden, weil Trump ja geradezu auf Putins Seite übergelaufen sei. Zwar ist das eine schwachsinniger als das andere, aber das hindert angebliche ›Experten‹, Politiker und Massenmedien nicht, der Bevölkerung diese Propaganda täglich einzuhämmern. Und allzu viele glauben es und plappern es nach.
Von den Gewerkschaften gibt es keinerlei Widerstand gegen diese Politik, die nicht nur die Gefahr eines alles zerstörenden Krieges enorm erhöht, sondern auch Ressourcen, Arbeitskraft und Geld verschwendet, die dringend für den Sozialstaat gebraucht würden. Stattdessen unterwerfen sie sich immer mehr der herrschenden Militarisierung und Kriegspolitik.«
Der dringende Appell zur Änderung der Gewerkschaftspolitik im Gesamttext:
https://gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/wp-content/uploads/2025/03/NEIN_zu_Hochruestung_und_Kriegsvorbereitung_Flyer.pdf.
Der Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung der Ostermarsch-Rede des Autors in Wattenscheid am Ostersonntag.