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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Auftrag des 8. Mai 1945

Im ersten Oster­mar­sch­auf­ruf von vor 65 Jah­ren hieß es: »Schon ein­mal hat man dem deut­schen Volk den Vor­wurf gemacht, geschwie­gen zu haben, wo muti­ge Wor­te und Taten not­wen­dig waren. In den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern kamen Mil­lio­nen Men­schen ums Leben. Bei Fort­set­zung der ato­ma­ren Auf­rü­stung aber dro­hen der gesam­ten Mensch­heit Vernichtung.«

Es war der Schwur »Nie wie­der Krieg – nie wie­der Faschis­mus!«, der alle ver­nünf­ti­gen Men­schen in Deutsch­land im Jahr 1945 ein­te. Für den 8. Mai 1945 hat es die wider­sprüch­lich­sten Begrif­fe gege­ben: Zusam­men­bruch, Nie­der­la­ge, Kriegs­en­de, Kapi­tu­la­ti­on, Besat­zung. Zu befürch­ten ist, dass es dem­nächst heißt: Tag des Waf­fen­still­stan­des – den Putin zu bre­chen beab­sich­ti­ge. Ich mei­ne: Es ist scharf zu ver­ur­tei­len, dass das Land, das uns nie angriff, aber zwei­mal von Deutsch­land über­fal­len wur­de, immer noch und immer mehr dämo­ni­siert wird. Das Volk der UdSSR hat 27 Mil­lio­nen Men­schen im Kampf für unser aller Befrei­ung geop­fert. Ewig ist ihm zu dan­ken. Der Angriff Putins auf die Ukrai­ne ist zu ver­ur­tei­len, die Unter­schrift unter die Kapi­tu­la­ti­on vom 8. Mai 1945 jedoch niemals.

Der Schwur der Häft­lin­ge von Buchen­wald vom April 1945 stellt die Auf­ga­be: Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln. Sie ist nicht erfüllt. Neben den öko­no­mi­schen und ideo­lo­gi­schen Ursa­chen – den Wur­zeln – des deut­schen Faschis­mus gab es den über hun­dert­jäh­ri­gen preu­ßisch-deut­schen Mili­ta­ris­mus und die Macht der Bos­se der Rüstungs­in­du­strie als Vor­aus­set­zung für das Nazi­re­gime. Und sol­cher Mili­ta­ris­mus fei­ert heu­te sei­nen Wie­der­auf­stieg. Man nennt es Zei­ten­wen­de. Oder: Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Oder ein­fach: Koali­ti­ons­ver­trag. Gegen den gibt es vie­le Ein­wän­de. Weil er die Migra­ti­on und das Asyl­recht behin­dert und zum Kli­ma kaum etwas aus­sagt. Und weil er unso­zi­al ist, den Armen nicht hilft und den Rei­chen dient. Aber eins sagen die Kri­ti­ker von den Jusos lei­der nicht: All die­se Schief­la­gen im Koali­ti­ons­ver­trag sind Resul­tat einer unge­heu­ren Auf­rü­stung und Kriegs­vor­be­rei­tung, man benennt es ganz offen: Kriegs­tüch­tig sol­len wir wer­den. Das kri­ti­sie­ren wir, eben­so wie den Abbau der Demo­kra­tie durch Dul­dung der AfD, durch Beschrän­kung der Mei­nungs­frei­heit für Kri­ti­ker der israe­li­schen Regie­rung und das Vor­ge­hen gegen Soli­da­ri­täts-Bekun­dun­gen für Palästina.

Bereits kurz vor Kriegs­en­de 1945 haben die Füh­rer der UdSSR, USA und Groß­bri­tan­ni­ens, die Anti-Hit­ler-Koali­ti­on, die »Zer­schmet­te­rung des deut­schen Mili­ta­ris­mus« (so US-Prä­si­dent Roo­se­velt) als vor­ran­gi­ges Kriegs­ziel genannt. So stand es auch im Pots­da­mer Abkom­men. Im Bericht der Jal­ta-Kon­fe­renz der Alli­ier­ten vom Febru­ar 1945 heißt es: »Es ist unser unbeug­sa­mer Wil­le (…), dafür Sor­ge zu tra­gen, dass Deutsch­land nie wie­der imstan­de ist, den Welt­frie­den zu stören.«

Und auch unser Grund­ge­setz lau­tet ähn­lich: Die zur »Befrei­ung des deut­schen Vol­kes vom Natio­nal­so­zia­lis­mus und Mili­ta­ris­mus« erlas­se­nen Rechts­vor­schrif­ten blei­ben gül­tig. So heißt es im Arti­kel 139 GG von 1949. Damit wer­den die auf Frie­den gerich­te­te Prä­am­bel des Grund­ge­set­zes und der GG-Arti­kel 26 gegen jeden Krieg von deut­schem Boden aus bekräf­tigt. Grund­ge­setz-Arti­kel 139 fußt auch auf dem alli­ier­ten Kon­troll­rats­be­schluss vom 10. Okto­ber 1945, der das Ver­bot der NSDAP und mög­li­cher Ersatz- und Fol­ge­or­ga­ni­sa­tio­nen vor­schreibt. Die Exi­stenz der AfD ver­stößt daher ein­deu­tig gegen das Grundgesetz.

Die seit 2014 sich ent­wickeln­den mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Ukrai­ne stei­ger­ten sich im Febru­ar 2022 zum Angriffs­krieg Russ­lands. Weni­ge Tage danach beschwor Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz dar­auf­hin die Zei­ten­wen­de. Ein gewal­ti­ges Hoch­rü­stungs­pa­ket wur­de durch­ge­setzt. Was war das für eine Wen­de der Zei­ten? Eine vom Vor­krieg in den gro­ßen Krieg!

Es waren die Gene­rä­le der Bun­des­wehr, der heim­li­che Gene­ral­stab, der dies seit Jah­ren ganz offen bekun­de­te – aber es wird heu­te dar­über geschwie­gen. Der SPIEGEL-Chef Rudolf Aug­stein schrieb 1961 in »Bilanz der Bun­des­re­pu­blik« aus­nahms­wei­se ganz offen: »Die neue deut­sche Armee wur­de nicht gegrün­det, um den Bon­ner Staat zu schüt­zen, son­dern der neue Staat wur­de gegrün­det, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stel­len.« Das scheint noch immer zu gel­ten, wenn es auch heu­te »Rus­sen« statt »Sowjets« heißt. Über die Rol­le die­ser Bun­des­wehr plau­der­te 1964 ein ande­rer Ein­ge­weih­ter in der FAZ: »Nicht Lan­des­ver­tei­di­gung darf der Pro­gramm­punkt unse­rer Sicher­heit hei­ßen. Der ein­zi­ge mili­tä­ri­sche Auf­trag, den sie zu erfül­len ver­mag, (ist) Zün­der zu sein für die gro­ße Explo­si­on.« So der dama­li­ge Gene­ral­inspek­teur Ulrich de Mai­zie­re, vor­mals (bis 1945) Chef im Gene­ral­stab der Nazi­wehr­macht. Auch ein spä­te­rer Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr, Gene­ral Wolf­gang Schnei­der­han, hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 berich­te­te, »über bis­her Undenk­ba­res« nach­ge­dacht. Über die Fra­ge näm­lich, »ob es rich­tig sein kann, nicht abzu­war­ten, ob man von einem ande­ren ange­grif­fen wird, son­dern sich gegen die­se mög­li­che Gefahr vor­aus­ei­lend zu schüt­zen und selbst die Initia­ti­ve zu ergrei­fen«. Was sei­ner­zeit »undenk­bar« war, wird in der Bun­des­wehr heu­te praktiziert:

Nun bekom­men wir einen Bun­des­kanz­ler, der Rück­sicht­nah­men auf die Leh­ren der Geschich­te abschaf­fen will. Er sag­te: »Wir brau­chen in Zukunft die Zuwan­de­rung von Men­schen, die wir haben wol­len. Aber das setzt vor­aus, dass wir sagen, wen wir nicht haben wol­len. Unse­re Gene­ra­ti­on will sich nicht mehr der­art in Haf­tung für unse­re Ver­gan­gen­heit neh­men lassen.«

Und wir bekom­men einen Vize­kanz­ler, der eben­falls alle Leh­ren der Geschich­te über Bord wirft. Lars Kling­beil, der die ein­sti­ge gro­ße Arbei­ter­par­tei SPD anführt, nimmt Par­tei für Rhein­me­tall. Kurz nach dem rus­si­schen Kriegs­be­ginn im Jahr 2022 ver­kün­de­te er laut Spie­gel auf einer SPD-Kon­fe­renz: Nach knapp 80 Jah­ren der Zurück­hal­tung habe Deutsch­land »heu­te eine neue Rol­le«, die dar­in bestehe, eine mili­tä­ri­sche »Füh­rungs­macht« zu sein. Mit Russ­land sei kein Frie­den möglich.

Wir bekräf­ti­gen dage­gen: Die völ­ker­recht­lich gül­ti­gen anti­mi­li­ta­ri­sti­schen Aus­sa­gen von 1945/​1949 waren und blei­ben die Grund­la­gen des Kamp­fes der Anti­fa­schi­sten und Frie­dens­be­weg­ten. Die auf Demo­kra­tie und Frie­den gerich­te­ten Doku­men­te der Alli­ier­ten sowie der sich for­mie­ren­den Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten hat­ten alle eine glei­che Ziel­rich­tung – ich fas­se zusam­men: 1. Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung, 2. Ent­na­zi­fi­zie­rung, 3. Ent­mo­no­po­li­sie­rung, 4. Demo­kra­ti­sie­rung der gesam­ten Gesell­schaft, 5. Durch­set­zung des Sozi­al­staats­prin­zips, 6. Völkerverständigung.

Was wur­de dar­aus? Schon bald begann die Remi­li­ta­ri­sie­rung; zehn Jah­re nach dem 8. Mai 1945 wur­de die Bun­des­wehr gegrün­det. Das Prin­zip »Nie wie­der Krieg von deut­schem Boden« gilt nicht mehr. Mit Mil­li­ar­den­be­trä­gen wird Deutsch­land »kriegs­tüch­tig« gemacht. Die Ent­na­zi­fi­zie­rung war eine Far­ce. Der Kal­te Krieg been­de­te sie in West­deutsch­land end­gül­tig. Die Behör­den, vor allem die Poli­zei und die Justiz, waren in den 50er Jah­ren fest in den Hän­den ehe­ma­li­ger hoher Nazis, eben­so die Bun­des­wehr ab 1956. Es gehört zu den mili­ta­ri­sti­schen Schänd­lich­kei­ten der BRD, dass im Jahr 1956 bei Ein­füh­rung der all­ge­mei­nen Wehr­pflicht beschlos­sen wur­de, auch den Jahr­gang 1921 wie­der ein­zu­zie­hen, also die zwölf­jäh­ri­gen Jun­gen von 1933, die ab 1939 ver­heizt wur­den. Schar­fer Pro­test ver­ei­tel­te die Ein­be­ru­fung. Und heu­te ist schar­fer Pro­test gegen die Wehr­pflicht nötig.

Zudem ist fest­zu­stel­len: Das für alle Zei­ten 1945 erlas­se­ne Ver­bot der NSDAP wird heu­te umgan­gen; die pro­fa­schi­sti­sche AfD ist zweit­stärk­ste Par­tei. Zudem: Wer reich ist, der herrscht poli­tisch. Denn das Groß­ka­pi­tal herrsch­te bald nach Grün­dung der BRD wie­der unum­wun­den – und die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft unter­blieb. Und damit ist und bleibt die­se unse­re Demo­kra­tie unvoll­stän­dig, ja, sie ist in Fra­ge gestellt. Im Jahr 1963 stell­te der DGB-Bun­des­kon­gress von Düs­sel­dorf fest: »Die Ent­wick­lung hat zu einer Wie­der­her­stel­lung der alten Besitz- und Macht­ver­hält­nis­se geführt«.

Zur Ver­wirk­li­chung des Auf­trags des 8. Mai und des Schwurs von Buchen­wald bleibt viel zu tun. Denn wir sind wei­ter davon ent­fernt denn je, von Krieg und Faschis­mus wirk­lich befreit zu sein. Die Befrei­ungs­be­we­gung des 8. Mai muss voll­endet wer­den. Die Erb­fein­de müs­sen »ent­fein­det« wer­den; was im Fal­le Frank­reichs gelang, muss auch im Fall Russ­land gelingen.

Der 80. Jah­res­tag ist daher nicht nur Gedenk­tag, son­dern Kampf­tag. Aber ein Fei­er­tag im Sin­ne von Esther Beja­ra­no soll­te er in jedem Fall wer­den. Und nicht nur der Tag eines Waf­fen­still­stands, der nach 80 Jah­ren wie­der brü­chig erscheint.

Dage­gen wen­den sich nun auch vie­le Gewerk­schaf­ter um Horst Schmit­t­hen­ner: »CDU/​CSU, SPD und Grü­ne haben gemein­sam das Grund­ge­setz geän­dert, um künf­tig alle Mili­tär­aus­ga­ben ober­halb von einem Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts aus den Begren­zun­gen der Schul­den­brem­se aus­zu­neh­men. Sie wol­len mas­siv auf­rü­sten (…). Es geht um vie­le Hun­der­te Mil­li­ar­den Euro. (…). Begrün­det wird das alles mit der Ver­schwö­rungs­theo­rie, dass Russ­land nach der Ukrai­ne die EU über­fal­len wol­le, und dass die USA nichts dage­gen tun wür­den, weil Trump ja gera­de­zu auf Putins Sei­te über­ge­lau­fen sei. Zwar ist das eine schwach­sin­ni­ger als das ande­re, aber das hin­dert angeb­li­che ›Exper­ten‹, Poli­ti­ker und Mas­sen­me­di­en nicht, der Bevöl­ke­rung die­se Pro­pa­gan­da täg­lich ein­zu­häm­mern. Und all­zu vie­le glau­ben es und plap­pern es nach.

Von den Gewerk­schaf­ten gibt es kei­ner­lei Wider­stand gegen die­se Poli­tik, die nicht nur die Gefahr eines alles zer­stö­ren­den Krie­ges enorm erhöht, son­dern auch Res­sour­cen, Arbeits­kraft und Geld ver­schwen­det, die drin­gend für den Sozi­al­staat gebraucht wür­den. Statt­des­sen unter­wer­fen sie sich immer mehr der herr­schen­den Mili­ta­ri­sie­rung und Kriegspolitik.«

Der drin­gen­de Appell zur Ände­rung der Gewerk­schafts­po­li­tik im Gesamttext: 
https://gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/wp-content/uploads/2025/03/NEIN_zu_Hochruestung_und_Kriegsvorbereitung_Flyer.pdf.
Der Bei­trag ist eine leicht gekürz­te Fas­sung der Oster­marsch-Rede des Autors in Wat­ten­scheid am Ostersonntag.