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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der rechte Extremist

Eigent­lich ist die kon­sti­tu­ie­ren­de Sit­zung eines Land­tags nach der Wahl rei­ne Rou­ti­ne: Das Par­la­ment wählt einen Prä­si­den­ten oder eine Prä­si­den­tin und besetzt wei­te­re wich­ti­ge Posten. In Thü­rin­gen ende­te die erste Sit­zung des neu­ge­wähl­ten Land­tags im Sep­tem­ber 2024 jedoch in chao­ti­schen Wort­ge­fech­ten zwi­schen der AfD und den ande­ren Frak­tio­nen. Nach par­la­men­ta­ri­scher Sit­te ist es Pri­vi­leg der größ­ten Frak­ti­on, das Vor­schlags­recht für den Land­tags­prä­si­den­ten zu haben. Das ist in Thü­rin­gen die AfD. Sie wur­de erst­mals in einem Bun­des­land stärk­ste Kraft. Doch die CDU und das Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) woll­ten mit einem Antrag zur Geschäfts­ord­nung das Ver­fah­ren ändern – und damit ver­hin­dern, dass die AfD den ersten Vor­schlag für das prä­si­dia­le Amt machen kann.

Zu einer Abstim­mung über den Antrag kam es nicht: AfD-Poli­ti­ker Jür­gen Treut­ler, der als älte­ster Abge­ord­ne­ter die Sit­zung lei­te­te, wei­ger­te sich, dar­über abstim­men zu las­sen. Er ver­bot Abge­ord­ne­ten das Wort, ließ Mikro­fo­ne abstel­len, erteil­te Ord­nungs­ru­fe und unter­brach mehr­fach die Sit­zung. Es herrsch­te Cha­os in Erfur­ter Par­la­ment. Das nazi-kon­ta­mi­nier­te Wort von der »Macht­er­grei­fung« waber­te durchs Ple­num. Nur ein Mann erkann­te in die­sem Tohu­wa­bo­hu einen Heim­vor­teil: Björn Höcke, der AfD-Frak­ti­ons- und Lan­des­par­tei­chef. Mit stra­te­gi­schem Kal­kül deu­te­te er die Cha­os-Sit­zung als »einen Bruch mit jeder par­la­men­ta­ri­schen Kul­tur«, für die allein die »Kar­tell­par­tei­en« ver­ant­wort­lich seien.

Höcke kennt sich aus, wenn es um poli­ti­sche Kampf­be­grif­fe geht. Nur weni­ge Mona­te zuvor war er im Juli 2024 wegen einer ver­bo­te­nen Nazi­pa­ro­le schul­dig gespro­chen wor­den. Das Land­ge­richt Hal­le ver­ur­teil­te ihn zu einer Geld­stra­fe von 130 Tages­sät­zen zu je 130 Euro wegen des Ver­wen­dens von Kenn­zei­chen ver­fas­sungs­wid­ri­ger und ter­ro­ri­sti­scher Orga­ni­sa­tio­nen. Vor Gericht muss­te Höcke sich ver­ant­wor­ten, weil er bei einem Wahl­kampf­ter­min am 12. Dezem­ber 2023 sei­ner Par­tei im thü­rin­gi­schen Gera die Paro­le »Alles für Deutsch­land« ange­stimmt haben soll. Nach Dar­stel­lung der Staats­an­walt­schaft sag­te er die ersten bei­den Wor­te und ani­mier­te durch Gesten das Publi­kum, den Spruch zu ver­voll­stän­di­gen. Die Paro­le wur­de einst von der Sturm­ab­tei­lung (SA) ver­wen­det, der para­mi­li­tä­ri­schen Kampf­or­ga­ni­sa­ti­on der NSDAP – heu­te ist sie ver­bo­ten. Die Staats­an­walt­schaft hat­te eine acht­mo­na­ti­ge Bewäh­rungs­stra­fe gefor­dert. Außer­dem soll­te Höcke 10.000 Euro an eine gemein­nüt­zi­ge Ver­ei­ni­gung, wie etwa die KZ-Gedenk­stät­te Buchen­wald, zah­len. »Herr Höcke hat die Rede nur als Vor­wand genutzt, um die Paro­le erneut zu ver­brei­ten«, so der Staats­an­walt in sei­nem Plä­doy­er. Der Poli­ti­ker habe gewusst, dass die Rede anschlie­ßend im Inter­net Ver­brei­tung fin­den wür­de. Er habe die Gren­zen des Sag­ba­ren aus­ge­te­stet. Höcke hat­te alle Vor­wür­fe zurück­ge­wie­sen und einen Frei­spruch gefordert.

Zuvor war er von dem Land­ge­richt bereits ver­ur­teilt wor­den, weil er in einer Rede in Mer­se­burg 2021 die­sel­be ver­bo­te­ne Paro­le ver­wen­det hat­te. Das Gericht ver­ur­teil­te ihn zu einer Geld­stra­fe über 13.000 Euro. Gegen das Urteil leg­te Höcke Revi­si­on ein – ohne Erfolg. Nun, im Sep­tem­ber 2025, bestä­tig­te der Bun­des­ge­richts­hof letzt­in­stanz­lich die bei­den Ver­ur­tei­lun­gen zu Geld­stra­fen. Der BGH folg­te damit der Ein­schät­zung des Land­ge­richts, wonach die Ver­wen­dung der Paro­le »Alles für Deutsch­land« straf­bar ist. Die Mei­nungs­frei­heit sei in die­sem Fall zuläs­sig ein­ge­schränkt wor­den, da es sich um ein Kenn­zei­chen einer natio­nal­so­zia­li­sti­schen Orga­ni­sa­ti­on handelt.

Wuss­te Höcke nicht, was für eine Paro­le er da ver­wen­det? Doch, er wuss­te es. Höcke hat Geschich­te stu­diert und das Fach als Leh­rer über vie­le Jah­re unter­rich­tet, bevor er für die AfD in die Poli­tik ging und einer ihrer radi­kal­sten Ver­tre­ter wur­de. Bemer­kens­wert ist, wie stark sich Höckes Wir­ken immer wie­der direkt oder indi­rekt auf die NS-Zeit bezieht. Bereits in einem »Gesprächs­band« hat­te er 2018 moniert, dass »Hit­ler als abso­lut böse« dar­ge­stellt wird und das Holo­caust-Mahn­mal zur Erin­ne­rung an die Ermor­dung von sechs Mil­lio­nen euro­päi­schen Juden durch die Natio­nal­so­zia­li­sten als »Mahn­mal der Schan­de« bezeich­net. Die Erin­ne­rungs­kul­tur in Deutsch­land möch­te er in sei­nem Sin­ne ver­än­dern. Ein wich­ti­ger Hebel dafür ist die Rela­ti­vie­rung des Holo­caust und der Kriegs­schuld der Deut­schen. »Die Deut­schen, also unser Volk, sind das ein­zi­ge Volk, das ein Denk­mal der Schan­de in das Herz sei­ner Haupt­stadt gepflanzt hat«, hat­te er über das Mahn­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas gesagt. Und gefor­dert: »Wir brau­chen nichts ande­res als eine erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Wen­de um 180 Grad!« Das sind alle­samt kei­ne rhe­to­ri­schen »Aus­rut­scher«, son­dern kal­ku­lier­te Tabu­brü­che. Damit gene­riert Höcke Auf­merk­sam­keit, um poli­ti­schen Ein­fluss zu erlan­gen. Wer ist die­ser Mann, der im gan­zen Land Anhän­ger hat? Wie hat es Höcke geschafft, aus einer rechts­kon­ser­va­ti­ven Par­tei eine vom Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz als rechts­extre­mi­stisch ein­ge­stuf­te Bestre­bung zu formen?

Fre­de­rik Schind­ler, Poli­tik­re­dak­teur der Tages­zei­tung DIE WELT, hat über Jah­re hin­weg mit Höckes Weg­ge­fähr­ten, Ver­trau­ten, Kri­ti­kern und ihm selbst gespro­chen, Reden ana­ly­siert und Netz­wer­ke offen­ge­legt – und dar­über jetzt ein Buch geschrie­ben. Er zeigt, wie Björn Höcke syste­ma­tisch Macht auf­baut – inner­halb der AfD und dar­über hin­aus. Schon als die AfD 2014 in den Thü­rin­ger Land­tag ein­zog, war er der Wort­füh­rer. Einer der sich im Par­la­ment und auf den Markt­plät­zen als extre­mer Dem­ago­ge ent­pupp­te, der im soge­nann­ten Flücht­lings­herbst in oft selt­sam ver­qua­ster Spra­che sei­nen Kampf gegen Über­frem­dung zur natio­na­len Mis­si­on ver­klärt und dazu auf­ruft, die AfD zu wäh­len, weil sie die »letz­te evo­lu­tio­nä­re Chan­ce« Deutsch­lands sei. Das fin­det Zustim­mung im Land. Nicht allein am rech­ten Rand, auch dort, wo sich die Mit­te verortet.

Mit Präzision führt der Autor durch die Geschich­te einer Fami­lie, die tief geprägt ist durch die Ver­trei­bung aus Ost­preu­ßen nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Schon Höckes Vater fällt auf, als er als Leh­rer in der Schu­le NPD-Zei­tun­gen liest. Hier wird klar, wie früh der Grund­stein für spä­te­res geschichts­re­vi­sio­ni­sti­sches Den­ken gelegt wur­de. Auch Höcke wird wie sein Vater Leh­rer, ein bei sei­nen Schü­lern belieb­ter. Mehr­fach wird er zum Ver­trau­ens­leh­rer gewählt – trotz unüber­seh­bar »gest­ri­ger« Ansich­ten. Im Buch heißt es: »Im Zim­mer der Klas­se, die er von der fünf­ten bis zur 13. Klas­se betreut, lässt er über einen lan­gen Zeit­raum eine Deutsch­land­kar­te in den Gren­zen von 1914 hän­gen, ähn­lich wie bereits sein Vater. Als ein ande­rer Leh­rer fragt, war­um die­se Kar­te dort noch hän­ge, ant­wor­tet ein Schü­ler: »Herr Höcke will uns ein­fach zei­gen, wie Deutsch­land aus­sieht, wenn er uns führt!«

Heu­te führt Höcke nicht nur die AfD in Thü­rin­gen. Er ist der pro­mi­nen­te Schat­ten­mann der AfD, hin­ter Ali­ce Wei­del und Tino Chrup­al­la, die im Deut­schen Bun­des­tag der AfD-Frak­ti­on, die mitt­ler­wei­le 151 Abge­ord­ne­ten umfasst, vor­sit­zen. Dabei hat­te er nie eine Funk­ti­on in der Bun­des­par­tei. Aber das muss­te er auch nicht. Er präg­te die AfD auch so, mit Par­tei­tags­an­trä­gen, mit Per­so­nal­in­tri­gen, mit weit­läu­fi­gen Netz­wer­ken wie dem »Flü­gel«. Er mach­te auf die­se Wei­se die Par­tei mit zu dem, was sie heu­te über­wie­gend ist: rechts­extrem. Gegen Höcke ist bei der Beset­zung von Posten und Posi­tio­nen kaum noch etwas durch­zu­brin­gen. Höcke hat die AfD in sei­nem Bun­des­land Thü­rin­gen so erfolg­reich geführt, dass sie in Mei­nungs­um­fra­gen zur stärk­sten poli­ti­schen Par­tei auf­ge­stie­gen ist.

Schind­lers Recher­chen las­sen uns in die Nie­de­run­gen der Par­tei blicken. Wir erfah­ren viel über Höckes eng­sten Kreis: sei­ne Vor­den­ker & Takt­ge­ber, Strip­pen­zie­her, & Orga­ni­sa­to­ren, alle­samt loy­al und radi­kal. Mit 32,8 Pro­zent lan­det die von ihm geführ­te Par­tei bei der letz­ten Land­tags­wahl mit gro­ßem Abstand von über neun Pro­zent vor der CDU auf Platz Eins. Doch nie­mand will mit ihr regie­ren. Weil sie aber ein Drit­tel der Man­da­te erringt, kann sie künf­tig mit­tels Sperr­mi­no­ri­tät wich­ti­ge Ent­schei­dung blockie­ren. So ist die AfD erst­mals in einer Macht­po­si­ti­on. Doch Höcke will mehr. Er will nicht nur eine homo­ge­ne deut­sche Gesell­schaft errich­ten, er will Mini­ster­prä­si­dent wer­den. Und die Aus­sich­ten ste­hen nicht schlecht. Ein zukünf­ti­ger Mini­ster­prä­si­dent einer Par­tei, die der Ver­fas­sungs­schutz als zu Tei­len »gesi­chert rechts­extrem« ein­stuft? Das demo­kra­ti­sche Par­la­ment als Ort, die libe­ra­le Demo­kra­tie abzuschaffen?

Fest­zu­hal­ten nach der Lek­tü­re bleibt: Die AfD ist kei­ne nor­ma­le Par­tei, son­dern vor allem eine spe­zi­el­le Aus­for­mung einer beson­ders rech­ten Par­tei, die immer wei­ter sich dort­hin ent­wickelt, wo Höcke immer schon war.

Wer Höckes Wirk­macht ver­ste­hen will, soll­te das Buch lesen. Fre­de­rik Schind­ler ist eine bemer­kens­wer­te Mischung aus persönlicher Bio­gra­fie und poli­ti­scher Ana­ly­se des Lebens und des Den­kens von Björn Höcke gelun­gen: fak­ten­ba­siert, nüch­tern und erhel­lend. Die AfD hat sich mit Höcke ver­söhnt, sie braucht und nutzt ihn. Sein Auf­stieg ist mehr als eine blo­ße Ver­schie­bung par­tei­po­li­ti­scher Kräf­te­ver­hält­nis­se. Er ist ein Sym­ptom einer tie­fer­lie­gen­den Kri­se unse­rer Demo­kra­tie – und zugleich deren gefähr­lich­ster Beschleuniger.

Schind­ler, Fre­de­rik: Höcke – Ein Rechts­extre­mist auf dem Weg zur Macht, Her­der, 272 S., 22 €.