Anknüpfend an die Philosophie Immanuel Kants und die berühmte Radierung Goyas »Der Schlaf der Vernunft« aufgreifend, rüttelt Daniela Dahn wie in einem Weckruf an der verbreiteten Neigung, das Leben zu genießen und Bedrohliches auszublenden. Gestützt auf Fakten und Dokumente macht sie auf die unsere Existenz ungeheuer gefährdenden Vorgänge aufmerksam, denen wir aktuell ausgesetzt sind. Den Ursachen entgegenzutreten und Alternativen geltend zu machen, setzt die Erkenntnis voraus, welche Kräfte und machtpolitischen Interessen dafür verantwortlich sind, dass der irreparable Kipppunkt des Klimas, auf den wir zusteuern, nicht wirksam verhindert wird, eine Bekämpfung von Fluchtursachen nicht stattfindet und wir ungeachtet der furchtbaren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erneut in ein Weltkriegsrisiko zur Dursetzung von Herrschaftsansprüchen geraten sind, anstatt alles zu tun, um eine Friedensordnung herbeizuführen. Als Ungeheuer unserer Zeit verkörpern diese von der Mitte der Gesellschaft ausgehenden Kräfte den Rechtsruck, der die Mitbestimmung des Wählers zur Farce und Demokratie sowie Menschenrechte zu Worthülsen verkommen lässt.
Wie in einer Art konzertierter Aktion sind Menschen in unserem Lebensraum zunehmend den Bestrebungen der politischen Verantwortungsträger der EU und ihres militärischen Arms, der Nato, im Verein mit weitgehend unisono agierenden Medien einer Propaganda ausgesetzt, wonach man sich an die Möglichkeit von Krieg als Normalzustand zu gewöhnen und Frieden als Ausnahme zu begreifen habe. Es heißt, wir müssen wieder kriegstüchtig werden, und um Glaubwürdigkeit zu erlangen, wird das Feindbild Russland herbeigelogen. Vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, der im Ergebnis der Nato-Osterweiterung bei zugleich permanenter Weigerung einer Anerkennung von Sicherheitsinteressen Russlands zustande kam und der inzwischen zum Abnutzungskrieg zwischen Russland und der Nato auf dem Rücken der Ukraine mutierte, geht immer mehr die Gefahr einer Eskalation zu einem großen europäischen Krieg aus.
Mit einem weiteren Themenkreis greift die Autorin den ungelösten Nahostkonflikt und die unscharfe Verwendung des Rassismus-Begriffs auf, der eine wirksame Überwindung des Rassegedankens behindert, was in der weltweiten Debatte über Antisemitismus nach dem Pogrom der Hamas und dem Rachefeldzug Israels nur allzu deutlich hervorgetreten ist. Mehr als überfällig ist nach dem keineswegs sensibel gestalteten Start der Staatsgründung Israels und seiner danach erfolgten schrittweisen Expansion das im Christentum wie im Islam verankerte Friedensgebot aufzugreifen, das ein friedliches Zusammenleben und die Gleichwertigkeit aller Menschen einschließt.
In vergleichbarer Weise verweist das Buch auf einen flachen und damit entwertenden Gebrauch des Begriffs Faschismus. Dieser markiert unwiderruflich das größte Verbrechen der Menschheit, das von Deutschen begangen wurde, die industriemäßige Vernichtung der europäischen Juden. Man sollte nicht zulassen, dass die wahren Ursachen des Rechtsrucks kaschiert werden, der in Wirklichkeit vom herrschenden politischen System selbst hervorgebracht wird. Als ein herausragendes Beispiel gehört dazu die im Zuge der Wiedervereinigung durch Anschluss nach § 23 enthusiastisch betriebene Demontage des in der DDR identitätsstiftend gelebten Antifaschismus, was von Neonazis als Ermutigung begriffen werden konnte. In der BRD stand der Antifaschismus demgegenüber stets unter Kommunismus-Verdacht, was durch eine insbesondere unter der Justiz halbherzige Entnazifizierung vielfach belegt ist. Das erhöhte Zustimmungspotential zur AfD auf dem Gebiet der ehemaligen DDR demonstriert vor allem eine Protesthaltung und resultiert aus der in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Demontage eines Industriestandorts, der erst nach 18 Jahren das Niveau einer 1990 als marode bezeichneten Wirtschaft wieder erreicht hat. Einen Akzent in Richtung Rechtslastigkeit setzte auch die auf Auslöschung von DDR-Gedächtnis gerichtete flächendeckende Umbenennung von Straßen, Plätzen, Schulen und Klubs, die selbst vor Antifaschisten nicht Halt machte. Rechtslastigkeit wird begünstigt, wenn Demokratie als Machtbeschränkung kaum noch erkennbar ist, die Parlamente ihre Macht weitgehend an die Regierungen, letztere an die EU-Kommission und diese die Macht an die Weltbank und die Welthandelsorganisation abgegeben haben. Welche Wahl hat da noch der Wähler angesichts der verborgenen Macht des Kapitals?
Des Weiteren befasst sich Daniela Dahn mit der bis heute erkennbaren Ungleichbehandlung ehemals Ostdeutscher gegenüber Westdeutschen vor dem Gesetz als Ergebnis der per Machtentscheidung vollzogenen Einheit. Der dafür im Grundgesetz vorgesehene Artikel 146 kam nicht zum Tragen. Es wurde die Chance zu einem nach gemeinsamer Diskussion entstandenen und durch Volksentscheid legitimierten Gründungsakt vertan, stattdessen die seiner Zeit im Auftrag westlicher Militärbehörden entstandene und als Provisorium für das westdeutsche Staatsfragment geplante Verfassung auf die DDR übertragen. Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches mit einem modernisierten Grundgesetz, das erweiterte Grundrechte vorsah, wurde von der Bonner Ministerialbürokratie zurückgewiesen. Das Ohnmachtsgefühl der Bürger und ihr Frust gegenüber der repräsentativen Demokratie haben zum Rechtsruck und zu Gewaltakten gegen Fremde zweifellos beigetragen. Die gesellschaftliche Zweitklassigkeit wurde ehemaligen DDR-Bürgern immer wieder ins Bewusstsein gerückt. So ist die Gültigkeit des im Grundgesetz verankerten Rückwirkungsverbots für ehemalige DDR-Bürger jahrelang außer Kraft gesetzt worden, gelangte aber zwecks Unterbringung und Gewährung gesetzlicher Ansprüche bei Verantwortungsträgern des Dritten Reiches unter Adenauer regelmäßig zur Anwendung, was zur Beendigung der Entnazifizierung beitrug. Ebenso wurden Ostdeutsche bei der Regelung offener Vermögensfragen gesetzlich benachteiligt. Das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« galt nicht für in Westdeutschland gelegenes Immobilieneigentum Ostdeutscher, nicht einmal für jüdisches Eigentum.
Mit einem weiteren Thema greift die Autorin die Unterschiede in der sozialen Stellung von Frauen aus Ost- und Westdeutschland auf, die auch im Verlauf der Wiedervereinigung deutlich hervortraten. 92 Prozent der weiblichen DDR-Bevölkerung erlebten das Arbeitskollektiv als wichtige Sphäre des gesellschaftlichen Lebens, im Westen aber waren nur 55 Prozent erwerbstätig. Ab 1965 konnten Frauen nach dem Familiengesetzbuch der DDR autonom über ihre Berufstätigkeit entscheiden. Fortan galt bei Scheidungen anstelle des Schuldprinzips das Zerrüttungsprinzip, und Kinder wurden einschließlich der unehelichen gleichberechtigt gestellt. Im Westen kam es erst 33 Jahre später zu einer vergleichbaren Regelung. Anstelle der in der DDR eigenen Entscheidung jeder Frau zum Schwangerschaftsabbruch wurde im Einigungsvertrag die Fristenlösung ergänzt durch eine verschärfte Beratungspflicht durchgesetzt, die nachzuweisen ist, da ansonsten Strafverfolgung droht. Nach einer Erhebung im Spiegel in den 1990er Jahren verzichteten 33 Prozent der Frauen im Westen zugunsten ihrer Karriere auf Kinder, im Osten nur 0,5 Prozent. Generell ist die hierarchisierende Vereinigungspolitik als Ursache für die Schlechterstellung aller Frauen in Deutschland empfunden worden, wobei das Aufbegehren im Kampf um Gleichberechtigung längere Zeit durchaus Unterschiede erkennen ließ. Während Frauenbewegungen im Westen zu feministisch geprägten Äußerlichkeiten bis hin zur Verschandelung der Sprache neigten, zeigten Ost-Frauen eher ein grundsätzliches Herangehen, indem sie auf Klassenschranken und Marktwirtschaft Bezug nahmen.
Seit drei Jahren an schweren gesundheitlichen Schäden nach einer Covid19-Infektion leidend nimmt der Verfasser der Rezension im letzten Kapitel des Buches mit Bestürzung zur Kenntnis, dass der bisher als Verschwörungstheorie eingestuften Vermutung, es handle sich um einen Ausbruch genmanipulierter Viren, der in Wuhan versehentlich zustande kam, ein hoher Wahrheitsgehalt zukommt. Bereits seit den 90er Jahren sei weltweit daran gearbeitet worden, Viren von Tieren durch gentechnischen Einbau sog. Spike-Proteine infektiöser und dadurch auch auf den Menschen leichter übertragbar zu machen, angeblich, um im Labor vorwegzunehmen, was in der Natur passieren kann, um im Fall einer weltweiten Pandemie besser gerüstet zu sein. Um die eigene Bevölkerung vor einer versehentlichen Freisetzung gentechnisch manipulierter Viren zu schützen, sei eine solche auch »gain-of-function« genannte Forschung nach China ausgelagert worden. Dort habe man zugegriffen, um an westliches Knowhow heranzukommen. Vom ahnungslosen Steuerzahler der beteiligten Länder wurde ein derartiges Treiben seit Jahrzehnten mitfinanziert.
Eine solche Art Forschung, eröffnete der Pharmaindustrie einen die gesamte Menschheit umfassenden Markt mit gewinnexplodierenden Einnahmen, zumal ständig zu wiederholende Auffrischungsimpfungen erforderlich sind. Eine Haftung für Impffolgen aber wurde von der Pharmaindustrie erfolgreich zurückgewiesen.
Bedarf es da noch deutlicherer Beispiele, welchen Gefahren die menschliche Existenz unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen ausgesetzt ist, worin die Ungeheuer bestehen, die uns umgeben? Im Bild Goyas nimmt der schlafende Mensch die ihn bedrohenden Ungeheuer nicht wahr Mögen wir begreifen, dass wir in der Masse selber Teil der schlafenden Vernunft sind, und ein erster Schritt im Anschluss an den Weckruf von Daniela Dahn darin bestehen kann, uns nicht weiterhin passiv zu verhalten, vielmehr uns und andere Menschen zu mobilisieren, für eine auf Gemeinwohl ausgerichtete Ordnung einzutreten und zu kämpfen, die die bürgerliche Freiheit garantiert und auch die Wirtshaft erfasst.
Daniela Dahn: Der Schlaf der Vernunft, Rowohlt Verlag, Hamburg 2024, 192 S., 16 €.