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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Trotzkopf – Eine Hommage

Mit Trotz ver­bin­det man stör­ri­schen Eigen­sinn, törich­te Stur­heit, reni­ten­te Que­ru­lanz. Ein Trotz­kopf ist, wer – womög­lich gegen bes­se­re Ein­sicht – an etwas Unver­nünf­ti­gem, ja Schäd­li­chem fest­hält. Ein ner­ven­der Quäl­geist eben, dem nur schwer bei­zu­kom­men ist und der schnell als »kin­disch«, »puber­tär« und »infan­til« cha­rak­te­ri­siert wird. Doch wer trot­zig auf sei­ner Sache beharrt, sich fremd­be­stimm­ter Auto­ri­tät wider­setzt, fin­det durch­aus auch unse­re Aner­ken­nung und Bewun­de­rung, denn der Trot­zi­ge beweist Stand­fe­stig­keit, Rück­grat und Mut.

Kei­ne Fra­ge: Trotz ist eine zwie­späl­ti­ge, ambi­va­len­te Eigen­schaft. Eine Hal­tung des indi­vi­du­el­len Auf­be­geh­rens. Solan­ge er indi­vi­du­ell daher­kommt, mag er für die Näch­sten eine Pla­ge sein, aber er erschöpft sich im Pri­va­ten. Anders ver­hält es sich mit dem kol­lek­ti­ven Trotz. Sei­ne Dyna­mik hat die Kraft der Rebel­li­on, die nicht unbe­dingt auf Aus­gleich und ein fried­li­ches Ende aus ist. Ris­kant wird es, wo indi­vi­du­el­ler Eigen­sinn das pri­va­te Ter­rain ver­lässt und sich trot­zi­ges Dage­gen­sein kol­lek­tiv ver­dich­tet. Kurz­um, wo die Trot­zig­keit des Ein­zel­nen sich bün­delt und zur Que­ru­lanz der Men­ge anschwillt, ist Vor­sicht, mit­un­ter Alarm angezeigt.

Die Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­te­rin Danie­la Stri­gl, die am Insti­tut für Ger­ma­ni­stik der Uni­ver­si­tät Wien lehrt, hält Trotz vor allem für eine unter­schätz­te Eigen­schaft. In ihrem neu­en Buch erkun­det sie ihn in sei­ner indi­vi­du­el­len Aus­for­mung, eben­so in sei­ner poli­ti­schen Dimen­si­on, und beschreibt facet­ten­reich histo­ri­sche wie auch lite­ra­ri­sche »Phä­no­me­ne des Auf­be­geh­rens«. Von kind­li­chem Trotz, roman­tisch ver­klär­tem Wil­der­er­tum, dem all­ge­gen­wär­ti­gem »Quer­den­ker­tum« bis hin zum ego­ma­ni­schen Amok­lauf, ver­sucht die Autorin nicht nur eine Defi­ni­ti­on für die­sen Begriff zu fin­den, son­dern schafft gleich­zei­tig eine Art Typo­lo­gie der unter­schied­li­chen Wort­be­deu­tun­gen und ihrer Aus­prä­gun­gen. Por­trä­tiert wer­den die­se Typen anhand von Bei­spie­len lite­ra­ri­scher Figu­ren, die uns durch­aus sym­pa­thisch sind, so wie der noto­ri­sche Recht­ha­ber Micha­el Kohl­haas, der dank der Kleist´schen Dich­tung so etwas wie das lite­ra­ri­sche Urbild des Trot­zes ist.

Wei­te­re noto­ri­sche Trotz­köp­fe mit all ihren zwie­späl­ti­gen Eigen­schaf­ten bringt uns die Autorin nahe: den Rebell, den Despe­ra­do, den Dis­si­dent, bis hin zum ein­zel­kämp­fen­den Ter­ro­ri­sten. Ein Pan­op­ti­kum der Trot­zi­gen, mit histo­ri­schen wie aktu­el­len Wider­spruchs­gei­stern und Quäl­gei­stern, von Karl Kraus bis Peter Hand­ke. Der eine, ein rou­ti­nier­ter Belei­di­ger und Pole­mi­ker, der sich als der gro­ße Auf­klä­rer sah und doch vor kei­ner auch noch so klein-klein­li­chen Recht­ha­be­rei zurück­schreck­te, der ande­re, ein nar­ziss­ti­scher Groß-Schrift­stel­ler, der selbst einen Tyran­nen, den ser­bi­schen Kriegs­ver­bre­cher Slo­bo­dan Milo­se­vic, trot­zig ver­tei­digt und bewun­dert – und in Fol­ge die­ser fata­len Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung zur umstrit­te­nen Figur wird.

Einen wei­te­ren Aspekt, den die Autorin auf­zeigt, ist die unter­schied­li­che Wahr­neh­mung des Trot­zes in Rela­ti­on zu Frau­en, was auch an zahl­rei­chen Bei­spie­len in der Lite­ra­tur ver­an­schau­licht wer­den kann. Denn der Trotz, der als Wider­stand und Wider­spre­chen wahr­ge­nom­men wird, ent­spricht in patri­ar­cha­len Syste­men kei­nes­falls dem idea­len Bild von Frau­en. Dem gegen­über­ge­stellt gibt es jedoch auch die Figur der Heroi­ne, die als Hel­din geprie­sen wird.

Danie­la Stri­gl beschreibt ein­drucks­voll das wei­te, wider­sprüch­li­che und zwie­späl­ti­ge Trotz-Pan­ora­ma. Es gelingt ihr, die pro­duk­ti­ven Sei­ten des Trot­zi­gen sicht­bar zu machen und den Trotz vom Makel des Destruk­ti­ven zu befrei­en – indi­vi­du­ell und gesell­schaft­lich. Pro­duk­ti­ver Trotz setzt nicht auf sinn­freie Que­ru­lanz, nicht auf coo­le Ran­da­le, nicht auf erup­ti­ve Mili­tanz – son­dern vor allem auf Eigen­sinn und Autonomie.

Gera­de der »Quer­den­ker« galt lan­ge als Beleg für unkon­ven­tio­nel­les, eigen­sin­ni­ges Den­ken. Mit dem Coro­na-Virus und den damit ver­bun­den staat­li­chen Ein­grif­fen und Maß­nah­men kam der rapi­de Bedeu­tungs­wan­del. Bei mas­sen­haf­ten »Querdenker«-Demonstrationen ver­sam­mel­ten sich nun Zehn­tau­sen­de bei zum Teil gewalt­sa­men Demon­stra­tio­nen, die die Gefähr­lich­keit der Covid-Infek­ti­on leug­ne­ten oder her­un­ter­spiel­ten, die gegen die staat­li­che Ein­schrän­kung indi­vi­du­el­ler Frei­hei­ten und Bür­ger­rech­ten mit schrä­gen Nazi-Ver­glei­chen pro­te­stier­ten – und die gesetz­li­che Imp­fung ver­damm­ten. Eso­te­ri­ker mar­schier­ten hier neben rech­ten Hoo­li­gans, Regen­bo­gen-Fah­nen flat­ter­ten neben Reich­kriegs-Flag­gen. Eine neue Volks­ge­mein­schaft traf sich hier, die sonst kein Elend und kei­ne Armut auf der Welt auf die Stra­ße trieb, aber nun mit mili­tan­tem Trotz gegen die »Coro­na-Dik­ta­tur« protestierte.

Ein­drucks­voll seziert Danie­la Stri­gl den Begriff »Quer­den­ker«, unter dem laut dem »Digi­ta­len Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che« eine »Per­son, die eigen­wil­li­ge und mit eta­blier­ten Posi­tio­nen meist nicht ver­ein­ba­re Ideen oder Ansich­ten ver­tritt und des­halb auf Unver­ständ­nis der Wider­stand trifft« zu ver­ste­hen ist.

Es ist zu ver­mu­ten, dass der Zwei­spalt dem Trotz nicht aus­zu­trei­ben ist. Ein Grund mehr, histo­ri­sche Ver­zer­run­gen und aktu­el­le Ver­blen­dun­gen reflek­tiv zu sezie­ren und den Trotz zu reha­bi­li­tie­ren – gewis­ser­ma­ßen zum Trotz. Danie­la Stri­gls klu­ges und erhel­len­des Buch zeigt uns, dass eigen­sin­ni­ges Behar­ren trotz allem auch immer mit dem zu tun, was wir alle schät­zen soll­ten: Selbstachtung.

Danie­la Stri­gl: Zum Trotz. Erkun­dung einer zwie­späl­ti­gen Eigen­schaft, Resi­denz Ver­lag 2025, 160 S., 22 €.