Seit fast 60 Jahren in Dortmund lebend, kann ich mich erinnern, was diese heimliche Hauptstadt der SPD und sechstgrößte deutsche Stadt einst ausmachte: Sie war Stadt von Kohle und Stahl, von Bier und Borussia. Kohleförderung ist nun gleich null, die Stahlproduktion nur noch ein Zehntel. Bier und Borussia sind noch da. Nicht zu vergessen die Universität, die 1968 entstand. Neu sind die IT-Branche, die Versicherungen, Logistik und Energietechnologie. Die Arbeiterklasse der Stadt ist schon lange nicht mehr das, was sie mal war. Stattdessen wurde die Stadt eine neonazistische Hochburg mit einem AfD-MdB Helferich als profaschistischen Anführer. Metropole der Friedensbewegung kann man Dortmund nicht mehr nennen, aber doch eine, in der der Friedensgedanke, des Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! lebt.
Ach ja, es gibt noch die Presse: Eine Zeitung von damals dreien. Die konservativen RuhrNachrichten betätigen sich als etwas, was sich damals nie ein Medium gewagt hätte: als Propagandistin der Aufrüstung und der Kriegsführung. Einige Kostproben aus der Reihe der Schlagzeilen:
»Die Panzer müssen rollen«, RN 25.4.25; »Trainieren für den Ernstfall«, RN 24.4.25; »Kein Frieden um jeden Preis« (Militärbischof Overbeck), RN 17.04.25; »Ohne Aufrüstung geht es nicht – Die Zeitenwende geht weiter«, RN 12.4.25; »Wie wäre Dortmund auf einen Krieg vorbereitet?« RN 8.4.25; »Panzer statt Autos«, RN 29.3.25.
Eine derartige Kriegspropaganda beunruhigte so manche Leser der RuhrNachrichten. Doch kritische Leserbriefe wurden nicht veröffentlicht. Die alltägliche Kriegshysterie in vielen deutschen Medien, einschließlich der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der einzigen Tageszeitung mit Lokalteil in Dortmund, ist nicht nur für mich inzwischen schier unerträglich. Ich wagte zu widersprechen. Hier der Text meines nicht veröffentlichten Leserbriefs vom 24. April 2025 an die RuhrNachrichten:
»Wenn das der Führer noch erlebt hätte. 80 Jahre nach dem 8. Mai 1945 stehen wieder 1600 kriegstüchtige deutsche Soldaten mit einer Unmenge von Panzern auf dem Gebiet der einstigen UdSSR. Sie sind Partner von baltischen Soldaten, welche die Russen verteufeln, wie Sie berichten (im ›Thema des Tages‹ vom 24. April, über den ›Ernstfall‹.) Gibt es einen berechtigten Grund dafür? Ein Staatssekretär, Dr. Thomas Bagger, erklärte: ›Äußerungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, wonach eine Wiederherstellung der Sowjetunion beabsichtigt werde, sind der Bundesregierung nicht bekannt.‹ Und die Bedrohungsanalyse der amerikanischen Geheimdienste besagt: ›Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der Nato.‹ Warum also die ständige Kriegshysterie in Medien und Politik? Um die gewaltigen schwarz-roten Rüstungsausgaben zu begründen? (…) Ganze Zeitungsseiten geben Sie für die Kriegshysterie her und nie auch nur eine Spalte mit Alternativen aus der Friedensbewegung.«
Am 25. April 2025 folgte ein neuer – vergeblicher – Versuch: »Sind Sie nun völlig durchgeknallt? Gestern war ›Trainieren für den Ernstfall‹ das Thema des Tages, heute ›Die Panzer müssen rollen‹. Wann folgt: ›Räder müssen rollen für den Sieg‹? (…) Sie, die Leute von den RN, verstoßen gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes und gegen Artikel 26 – Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Und Artikel 139, Befreiung vom NS und Militarismus.«
Weiter ein Leserbrief vom 27. April 2025: »Bischof fordert Kriegstauglichkeit – mein Brief an den ›Mann Gottes‹: ›Kürzlich, an Gründonnerstag!, brachten die RN eine ganze Seite Gespräch mit dem Kath. Militärbischoff Franz-Josef Overbeck aus Essen. Überschrift: Kein Frieden um jeden Preis. Der Mann setzte sich für die Wehrpflicht ein und mahnte die Politik zu mehr Unterstützung für Kiew, gegen Russland.‹ Ich schrieb dazu: ›Mein Leserbrief zum RN-Interview mit dem Herrn kath. Militärbischof Franz-Josef Overbeck besteht aus einem Text aus der Feder seiner Vorgänger aus dem Jahr 1939: Im ›Katholischen Feldgesangbuch‹, genehmigt von den Katholischen Feldbischöfen der deutschen Wehrmacht am 24. August 1939 (eine Woche vor dem Überfall auf das katholische Polen!), heißt es am Beginn unter der Überschrift ›Deutsches Soldatentum‹: ›Die Wehrmacht (…) schützt das Deutsche Reich und Vaterland, das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum. (…) Der Dienst in der Wehrmacht ist Ehrendienst am deutschen Volke. – Die Ehre des Soldaten liegt im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens.‹ In dem Feldgesangbuch folgt der ›Fahneneid des deutschen Soldaten‹ auf Adolf Hitler, und in einem vorgeschriebenen Gebet wird ausgesagt: ›An der Front ist mein Platz, und wenn es mir noch so schwer fällt. Falle ich dort, was macht das! Morgen läuten die Glocken das Auferstehungsfest ein, – welch eine Hoffnung! Sterben müssen wir alle einmal, und einen Tod, der ehrenvoller wäre als der auf dem Schlachtfeld in treuer Pflichterfüllung, gibt es nicht.‹.«
Bereits am 22. April erfolgte meine vergebliche Stellungnahme zu einem anonymen (!) Leserbrief und einen Aufmacher gegen die Ostermärsche: »Auf dem Nato-Gipfel 2008 in Bukarest war es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klar gewesen, wie sie sich im Juni 2022 im Gespräch erinnerte: ›Ich wusste, dass die Zustimmung zur Mitgliedschaftsoption für die Ukraine und Georgien eine Kriegserklärung für Russland bedeutet.‹ Zur Gesprächsbereitschaft Putins gibt es durchaus Belege, sie werden nur in den Medien nicht gebracht. Und gegen Russland ist Abschreckung und Hochrüstung nötig? Hat der Autor sich mal mit dem Kräfteverhältnis – dem aktuellen – befasst? Russland ist der Nato schon heute hoffnungslos unterlegen. Die derzeitigen wahnsinnigen Rüstungspläne der neuen Koalition, die uns sozial- und klimapolitisch ruinieren, können in einen Dritten Weltkrieg einmünden, im Atomzeitalter ist danach von Europa kaum noch etwas übrig.«
Noch ein Beispiel aus der Sammlung nicht veröffentlichter Leserbriefe an die RuhrNachrichten. Geschrieben am 01.04.2025 um 05:09 Uhr: «Es ist vier-Uhr-vierzig. Bin seit einer Stunde wach. War mal wieder hochgeschreckt, fragte mich: Wird Putin uns heute überfallen? Oder hat er schon? Mir fällt die Seite zwei Ihrer Zeitung von gestern ein. Es gelte Vorrat für sechs Tage zu halten. Also geht es wohl bald los. Nun noch schnell nachsehen, ob auch der Handkoffer mit dem Nötigsten bereit steht, denn es kann ja auch gleich losgehen mit der Brandstiftung durch kriminelle Ausländer. Ach ja, auch noch in den Kühlschrank schauen, ob Zartbitterschokolade gegen den Heißhunger vorrätig (guter Tipp von dem Autor gestern). Vielleicht gelingt mir dann wieder das Einschlafen.«
Wie begann mein Disput mit den RuhrNachrichten? Im November 2024 schrieb ich an den Verleger dieser einzigen Parteizeitung mit Lizenz der Alliierten, die es noch gibt (Blätter der SPD, KPD und FDP sind schon lange dahin): »Sehr geehrter Herr Lensing! Werte Redaktion der RN! Mit der Ausgabe der RN vom 31. Oktober 24 wurde deutlich gemacht, dass Sie zurück wollen zum CDU-Blatt der Adenauer-Zeit, auf die Sie sich stolz beziehen. Es wurde uns tagelang verdeutlicht, dass wir künftig eine Zeitung zu lesen bekommen sollen, die unseren Oberbürgermeister Thomas Westphal weg haben will, um an seine Stelle bei den nächsten Wahlen einen CDU-Mann durchzubringen. Einen Merz-Mann. Einen, der den Armen das Bürgergeld nehmen will und uns allen den Krieg mit deutschen Waffen, in Richtung Moskau vorgetragen, aufzwingen möchte. Sie, Herr Lensing, verlassen sich darauf, dass die Adenauer-Zeit den meisten Menschen nicht mehr bekannt ist. Es war die Zeit des Grundgesetzes, schreiben Sie. Adenauer hat es ändern lassen, so dass es Hitler-Generälen möglich wurde, hemmungslos aufzurüsten, die Wehrpflicht gegen die männliche Jugend in Stellung zu bringen und per Notstandsgesetze die Armee im Inneren einsetzen zu können. (…) Soll vergessen sein, dass in der Adenauer-Zeit tausende Kommunistinnen und Kommunisten per Parteiverbot kriminalisiert wurden und ins Gefängnis wanderten? (…) – Mit freundlichen Grüßen und um Abdruck meines Briefes ersuchend, Ulrich Sander, Jahrgang 1941, Dortmund.«
Der Brief wurde nicht abgedruckt. Wie auch alle nicht der Linie des Blattes entsprechenden Zuschriften. Pressefreiheit haben die Besitzer der Medien, nicht diejenigen, die ihnen ausgesetzt sind.