Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Panzer sollen rollen

Seit fast 60 Jah­ren in Dort­mund lebend, kann ich mich erin­nern, was die­se heim­li­che Haupt­stadt der SPD und sechst­größ­te deut­sche Stadt einst aus­mach­te: Sie war Stadt von Koh­le und Stahl, von Bier und Borus­sia. Koh­le­för­de­rung ist nun gleich null, die Stahl­pro­duk­ti­on nur noch ein Zehn­tel. Bier und Borus­sia sind noch da. Nicht zu ver­ges­sen die Uni­ver­si­tät, die 1968 ent­stand. Neu sind die IT-Bran­che, die Ver­si­che­run­gen, Logi­stik und Ener­gie­tech­no­lo­gie. Die Arbei­ter­klas­se der Stadt ist schon lan­ge nicht mehr das, was sie mal war. Statt­des­sen wur­de die Stadt eine neo­na­zi­sti­sche Hoch­burg mit einem AfD-MdB Hel­fe­rich als pro­fa­schi­sti­schen Anfüh­rer. Metro­po­le der Frie­dens­be­we­gung kann man Dort­mund nicht mehr nen­nen, aber doch eine, in der der Frie­dens­ge­dan­ke, des Nie wie­der Krieg! Nie wie­der Faschis­mus! lebt.

Ach ja, es gibt noch die Pres­se: Eine Zei­tung von damals drei­en. Die kon­ser­va­ti­ven Ruhr­Nach­rich­ten betä­ti­gen sich als etwas, was sich damals nie ein Medi­um gewagt hät­te: als Pro­pa­gan­di­stin der Auf­rü­stung und der Kriegs­füh­rung. Eini­ge Kost­pro­ben aus der Rei­he der Schlagzeilen:

»Die Pan­zer müs­sen rol­len«, RN 25.4.25; »Trai­nie­ren für den Ernst­fall«, RN 24.4.25; »Kein Frie­den um jeden Preis« (Mili­tär­bi­schof Over­beck), RN 17.04.25; »Ohne Auf­rü­stung geht es nicht – Die Zei­ten­wen­de geht wei­ter«, RN 12.4.25; »Wie wäre Dort­mund auf einen Krieg vor­be­rei­tet?« RN 8.4.25; »Pan­zer statt Autos«, RN 29.3.25.

Eine der­ar­ti­ge Kriegs­pro­pa­gan­da beun­ru­hig­te so man­che Leser der Ruhr­Nach­rich­ten. Doch kri­ti­sche Leser­brie­fe wur­den nicht ver­öf­fent­licht. Die all­täg­li­che Kriegs­hy­ste­rie in vie­len deut­schen Medi­en, ein­schließ­lich der des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks und der ein­zi­gen Tages­zei­tung mit Lokal­teil in Dort­mund, ist nicht nur für mich inzwi­schen schier uner­träg­lich. Ich wag­te zu wider­spre­chen. Hier der Text mei­nes nicht ver­öf­fent­lich­ten Leser­briefs vom 24. April 2025 an die Ruhr­Nach­rich­ten:

»Wenn das der Füh­rer noch erlebt hät­te. 80 Jah­re nach dem 8. Mai 1945 ste­hen wie­der 1600 kriegs­tüch­ti­ge deut­sche Sol­da­ten mit einer Unmen­ge von Pan­zern auf dem Gebiet der ein­sti­gen UdSSR. Sie sind Part­ner von bal­ti­schen Sol­da­ten, wel­che die Rus­sen ver­teu­feln, wie Sie berich­ten (im ›The­ma des Tages‹ vom 24. April, über den ›Ernst­fall‹.) Gibt es einen berech­tig­ten Grund dafür? Ein Staats­se­kre­tär, Dr. Tho­mas Bag­ger, erklär­te: ›Äuße­run­gen des Prä­si­den­ten der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on, Wla­di­mir Putin, wonach eine Wie­der­her­stel­lung der Sowjet­uni­on beab­sich­tigt wer­de, sind der Bun­des­re­gie­rung nicht bekannt.‹ Und die Bedro­hungs­ana­ly­se der ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dien­ste besagt: ›Russ­land will mit ziem­li­cher Sicher­heit kei­nen direk­ten mili­tä­ri­schen Kon­flikt mit den Streit­kräf­ten der USA und der Nato.‹ War­um also die stän­di­ge Kriegs­hy­ste­rie in Medi­en und Poli­tik? Um die gewal­ti­gen schwarz-roten Rüstungs­aus­ga­ben zu begrün­den? (…) Gan­ze Zei­tungs­sei­ten geben Sie für die Kriegs­hy­ste­rie her und nie auch nur eine Spal­te mit Alter­na­ti­ven aus der Friedensbewegung.«

Am 25. April 2025 folg­te ein neu­er – ver­geb­li­cher – Ver­such: »Sind Sie nun völ­lig durch­ge­knallt? Gestern war ›Trai­nie­ren für den Ernst­fall‹ das The­ma des Tages, heu­te ›Die Pan­zer müs­sen rol­len‹. Wann folgt: ›Räder müs­sen rol­len für den Sieg‹? (…) Sie, die Leu­te von den RN, ver­sto­ßen gegen das Frie­dens­ge­bot des Grund­ge­set­zes und gegen Arti­kel 26 – Ver­bot der Vor­be­rei­tung eines Angriffs­krie­ges. Und Arti­kel 139, Befrei­ung vom NS und Militarismus.«

Wei­ter ein Leser­brief vom 27. April 2025: »Bischof for­dert Kriegs­taug­lich­keit – mein Brief an den ›Mann Got­tes‹: ›Kürz­lich, an Grün­don­ners­tag!, brach­ten die RN eine gan­ze Sei­te Gespräch mit dem Kath. Mili­tär­bi­sch­off Franz-Josef Over­beck aus Essen. Über­schrift: Kein Frie­den um jeden Preis. Der Mann setz­te sich für die Wehr­pflicht ein und mahn­te die Poli­tik zu mehr Unter­stüt­zung für Kiew, gegen Russ­land.‹ Ich schrieb dazu: ›Mein Leser­brief zum RN-Inter­view mit dem Herrn kath. Mili­tär­bi­schof Franz-Josef Over­beck besteht aus einem Text aus der Feder sei­ner Vor­gän­ger aus dem Jahr 1939: Im ›Katho­li­schen Feld­ge­sang­buch‹, geneh­migt von den Katho­li­schen Feld­bi­schö­fen der deut­schen Wehr­macht am 24. August 1939 (eine Woche vor dem Über­fall auf das katho­li­sche Polen!), heißt es am Beginn unter der Über­schrift ›Deut­sches Sol­da­ten­tum‹: ›Die Wehr­macht (…) schützt das Deut­sche Reich und Vater­land, das im Natio­nal­so­zia­lis­mus geein­te Volk und sei­nen Lebens­raum. (…) Der Dienst in der Wehr­macht ist Ehren­dienst am deut­schen Vol­ke. – Die Ehre des Sol­da­ten liegt im bedin­gungs­lo­sen Ein­satz sei­ner Per­son für Volk und Vater­land bis zur Opfe­rung sei­nes Lebens.‹ In dem Feld­ge­sang­buch folgt der ›Fah­nen­eid des deut­schen Sol­da­ten‹ auf Adolf Hit­ler, und in einem vor­ge­schrie­be­nen Gebet wird aus­ge­sagt: ›An der Front ist mein Platz, und wenn es mir noch so schwer fällt. Fal­le ich dort, was macht das! Mor­gen läu­ten die Glocken das Auf­er­ste­hungs­fest ein, – welch eine Hoff­nung! Ster­ben müs­sen wir alle ein­mal, und einen Tod, der ehren­vol­ler wäre als der auf dem Schlacht­feld in treu­er Pflicht­er­fül­lung, gibt es nicht.‹.«

Bereits am 22. April erfolg­te mei­ne ver­geb­li­che Stel­lung­nah­me zu einem anony­men (!) Leser­brief und einen Auf­ma­cher gegen die Oster­mär­sche: »Auf dem Nato-Gip­fel 2008 in Buka­rest war es Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel (CDU) klar gewe­sen, wie sie sich im Juni 2022 im Gespräch erin­ner­te: ›Ich wuss­te, dass die Zustim­mung zur Mit­glied­schafts­op­ti­on für die Ukrai­ne und Geor­gi­en eine Kriegs­er­klä­rung für Russ­land bedeu­tet.‹ Zur Gesprächs­be­reit­schaft Putins gibt es durch­aus Bele­ge, sie wer­den nur in den Medi­en nicht gebracht. Und gegen Russ­land ist Abschreckung und Hoch­rü­stung nötig? Hat der Autor sich mal mit dem Kräf­te­ver­hält­nis – dem aktu­el­len – befasst? Russ­land ist der Nato schon heu­te hoff­nungs­los unter­le­gen. Die der­zei­ti­gen wahn­sin­ni­gen Rüstungs­plä­ne der neu­en Koali­ti­on, die uns sozi­al- und kli­ma­po­li­tisch rui­nie­ren, kön­nen in einen Drit­ten Welt­krieg ein­mün­den, im Atom­zeit­al­ter ist danach von Euro­pa kaum noch etwas übrig.«

Noch ein Bei­spiel aus der Samm­lung nicht ver­öf­fent­lich­ter Leser­brie­fe an die Ruhr­Nach­rich­ten. Geschrie­ben am 01.04.2025 um 05:09 Uhr: «Es ist vier-Uhr-vier­zig. Bin seit einer Stun­de wach. War mal wie­der hoch­ge­schreckt, frag­te mich: Wird Putin uns heu­te über­fal­len? Oder hat er schon? Mir fällt die Sei­te zwei Ihrer Zei­tung von gestern ein. Es gel­te Vor­rat für sechs Tage zu hal­ten. Also geht es wohl bald los. Nun noch schnell nach­se­hen, ob auch der Hand­kof­fer mit dem Nötig­sten bereit steht, denn es kann ja auch gleich los­ge­hen mit der Brand­stif­tung durch kri­mi­nel­le Aus­län­der. Ach ja, auch noch in den Kühl­schrank schau­en, ob Zart­bit­ter­scho­ko­la­de gegen den Heiß­hun­ger vor­rä­tig (guter Tipp von dem Autor gestern). Viel­leicht gelingt mir dann wie­der das Einschlafen.«

Wie begann mein Dis­put mit den Ruhr­Nach­rich­ten? Im Novem­ber 2024 schrieb ich an den Ver­le­ger die­ser ein­zi­gen Par­tei­zei­tung mit Lizenz der Alli­ier­ten, die es noch gibt (Blät­ter der SPD, KPD und FDP sind schon lan­ge dahin): »Sehr geehr­ter Herr Len­sing! Wer­te Redak­ti­on der RN! Mit der Aus­ga­be der RN vom 31. Okto­ber 24 wur­de deut­lich gemacht, dass Sie zurück wol­len zum CDU-Blatt der Ade­nau­er-Zeit, auf die Sie sich stolz bezie­hen. Es wur­de uns tage­lang ver­deut­licht, dass wir künf­tig eine Zei­tung zu lesen bekom­men sol­len, die unse­ren Ober­bür­ger­mei­ster Tho­mas West­phal weg haben will, um an sei­ne Stel­le bei den näch­sten Wah­len einen CDU-Mann durch­zu­brin­gen. Einen Merz-Mann. Einen, der den Armen das Bür­ger­geld neh­men will und uns allen den Krieg mit deut­schen Waf­fen, in Rich­tung Mos­kau vor­ge­tra­gen, auf­zwin­gen möch­te. Sie, Herr Len­sing, ver­las­sen sich dar­auf, dass die Ade­nau­er-Zeit den mei­sten Men­schen nicht mehr bekannt ist. Es war die Zeit des Grund­ge­set­zes, schrei­ben Sie. Ade­nau­er hat es ändern las­sen, so dass es Hit­ler-Gene­rä­len mög­lich wur­de, hem­mungs­los auf­zu­rü­sten, die Wehr­pflicht gegen die männ­li­che Jugend in Stel­lung zu brin­gen und per Not­stands­ge­set­ze die Armee im Inne­ren ein­set­zen zu kön­nen. (…) Soll ver­ges­sen sein, dass in der Ade­nau­er-Zeit tau­sen­de Kom­mu­ni­stin­nen und Kom­mu­ni­sten per Par­tei­ver­bot kri­mi­na­li­siert wur­den und ins Gefäng­nis wan­der­ten? (…) – Mit freund­li­chen Grü­ßen und um Abdruck mei­nes Brie­fes ersu­chend, Ulrich San­der, Jahr­gang 1941, Dortmund.«

Der Brief wur­de nicht abge­druckt. Wie auch alle nicht der Linie des Blat­tes ent­spre­chen­den Zuschrif­ten. Pres­se­frei­heit haben die Besit­zer der Medi­en, nicht die­je­ni­gen, die ihnen aus­ge­setzt sind.