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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dirndl, Wein und der »Eiserne Gustav«

Bop­pard im Obe­ren Mit­tel­rhein­tal, einer Land­schaft mit seit 2002 zer­ti­fi­zier­tem UNESCO-Welt­erbe-Sta­tus: Im Früh­stücks­saal des 4-Ster­ne-Hotels »Bel­le­vue« in der Rhein­al­lee ist gedämpf­te Kla­vier­mu­sik vom Band zu hören. Bedirn­del­te Frau­en räu­men die Tische ab, die sich nicht in Bay­ern oder so befin­den, son­dern in Rhein­land-Pfalz. Über­fluss am Früh­stücks­buf­fet, was mit den Resten pas­siert, möch­te man gar nicht wis­sen. Das Hotel zehrt vom Kli­schee der »guten alten Zeit«, es ist ein belieb­tes Geschäfts­mo­dell am »Roman­ti­schen Rhein«, was natür­lich nicht ver­bo­ten ist. Das Hotel wirbt mit der »Ele­ganz der Bel­le Épo­que«, die aller­dings eher zah­lungs­kräf­ti­gen Gästen vor­be­hal­ten ist. Und so hat in die­sem Tra­di­ti­ons-Hotel schon der ein oder ande­re Poli­ti­ker aus Bonn oder Ber­lin sowie ein japa­ni­sches Kai­ser­paar resi­diert. Histo­ri­sche Möbel auf schwe­ren Tep­pi­chen prun­ken in den Flu­re­ta­gen, der Ein­gang zur haus­ei­ge­nen Gar­ten­ter­ras­se ist eisen­um­rankt. Schwer­fäl­li­ge Gera­ni­en schmo­ren in gro­ßen Blu­men­kä­sten auf ver­spiel­ten Tisch­decken in der pral­len Son­ne. Rhein­ro­man­tik at its best. Das »Pro­blem« mit sol­chen »Träu­me­rei­en an preu­ßi­schen Kami­nen« ist, dass die eigent­li­chen Orte, an denen sie sich befin­den, mit der grau­en Rea­li­tät nicht immer ganz mit­hal­ten kön­nen, der ein­sti­ge Glanz bröckelt, bedingt zum Bei­spiel durch das deutsch­land­weit gras­sie­ren­de Ladensterben.

Vor allem die schma­le Ober­stra­ße in der Bop­par­der Fuß­gän­ger­zo­ne, hat schon bes­se­re Zei­ten gese­hen. »Bin bis Sonn­tag 20.7. im Urlaub! Kom­me viel­leicht zurück!?« ver­mel­det ein resi­gnier­ter Besit­zer eines extrem kit­schi­gen Geschen­ke­la­dens mit Gothic touch am Rhein­ufer. Ein paar Häu­ser wei­ter stö­bern Tou­ri­stin­nen begei­stert in bil­li­ger Ram­sch­wa­re aus Chi­na, wäh­rend ihre Män­ner sich lang­wei­len und Aus­flugs­schif­fe den Rhein hoch- und run­ter­s­chip­pern und an Bord über­teu­er­te Geträn­ke und Snacks ver­kau­fen. Die Klei­der­stan­gen mit dem Mode-Pot­pour­ri des Grau­ens rei­chen der Autorin, um zu wis­sen, dass ihr Porte­mon­naie an die­ser Stel­le defi­ni­tiv zu bleibt. Da ist sie tat­säch­lich eisern, eben­so wie der gleich­ge­sinn­te Gustav Hart­mann – der »Eiser­ne Gustav« –, der im April 1928 mit sei­ner Drosch­ke von Ber­lin nach Paris fuhr, um gegen die stei­gen­de Zahl der Auto­mo­bi­le und dem damit ver­bun­de­nen Nie­der­gang des Drosch­ken­ge­wer­bes auf­merk­sam zu machen. Der Eiser­ne Gustav mach­te auch in Bop­pard Halt, wo er im Bel­le­vue eine (Wein-)Stärkung zu sich nahm und mit einem gro­ßen Blu­men­strauß und dem Hotel­di­rek­tor des Bel­le­vues an sei­ner Sei­te für die Kame­ras posier­te. Ein Held, der für sei­nen ehr­ba­ren Berufs­stand kämpf­te und sich nicht unter­krie­gen ließ, dann aber für Wer­be­zwecke miss­braucht wur­de. Und der­weil floss der Rhein wei­ter, immer wei­ter, so wie seit uralten Zei­ten. Was er schon alles im Lau­fe der Jah­re gese­hen hat, bleibt sein Geheim­nis. Bereits die Kel­ten sie­del­ten nach­weis­lich in dem von ihnen so getauf­ten »Bau­do­bri­ga«. Juli­us Cäsar sorg­te schließ­lich durch sei­ne Erobe­rungs­feld­zü­ge in Ger­ma­ni­en dafür, dass auch die­se Regi­on in den Ein­zugs­be­reich Roms gelang­te: Das cir­ca Mit­te des 4. Jahr­hun­derts erbau­te mäch­ti­ge »Bod­o­bri­ca«, ein 308 m x 154 m umfas­sen­des Kastell, des­sen Reste heu­te noch zu besich­ti­gen sind, wird schon den ein oder ande­ren glück­lo­sen Krie­ger ein­ge­schüch­tert haben. Aus Bod­o­bri­ca wur­de irgend­wann Boppard.

Zeit­sprung in das 18. Jahr­hun­dert. Die Bin­ger Gas­se mün­det in den »Balz«, einem drei­ecki­gen beschau­li­chen Platz in einem klei­nen Stadt­vier­tel, in dem frü­her vor allem Win­zer und Bau­ern wohn­ten. An die­sem Ort, in dem Frem­de von Ein­hei­mi­schen noch freund­lich gegrüßt wer­den, scheint die Zeit ste­hen­ge­blie­ben zu sein. Dort leb­te die Fami­lie Tho­net, die noch nicht ahn­te, dass sie ein­mal der Ursprung einer Welt­fir­ma wer­den wür­de. Es war der Tisch­ler­mei­ster Micha­el Tho­net (1796-1871), der unter ande­rem den Wie­ner Café­haus­stuhl erschuf und damit den Welt­ruhm der Fir­ma begrün­de­te. Noch heu­te zeugt eine Son­der-Aus­stel­lung im Bop­par­der Stadt­mu­se­um von die­sem berühm­ten Sohn der Stadt. Und er war offen­bar recht­zei­tig in die Welt und vor allem nach Wien hin­aus­ge­zo­gen, weil er in Bop­pard »immer ein armer Mann geblie­ben« wäre, so ein über­lie­fer­ter Aus­spruch des Für­sten von Met­ter­nich zu Tho­net im Jahr 1841. Stadt­aus­wärts in der Main­zer Stra­ße ist von Armut jedoch gar nichts zu spü­ren. Wei­ße gedie­ge­ne Vil­len rei­hen sich wie Per­len anein­an­der. An einer beson­ders schö­nen Vil­la mit der Haus­num­mer 17 wird man unfrei­wil­lig an den Natio­nal­so­zia­lis­mus erin­nert. Was für ein Kon­trast. Es ist das Geburts­haus der Wider­stands­kämp­fe­rin Maria Ter­wiel, die am 7. Juni 1910 in Bop­pard gebo­ren wur­de und die man 5. August 1943 in Plöt­zen­see hin­rich­te­te. Ein Gedenk­stein am Haus erin­nert heu­te an die jun­ge Frau, die Mit­glied der »Roten Kapel­le« war.

Zurück in das Hier und Jetzt. Ein glück­lo­ses Musik­duo, bestehend aus einem eher talent­frei­en Pan­flö­ten­spie­ler sowie einem eben­sol­chen Kon­tra­bass­spie­ler, der sein schwe­res Musik­in­stru­ment auf dem Rücken durch die Gegend tra­gen muss, ver­sucht sich für ein paar Mün­zen an irren Free­style-Jazz­ver­sio­nen von bekann­ten musi­ka­li­schen Rühr­stücken. Ghe­org­he Zam­fir wür­de sich im Gra­be her­um­dre­hen. Die Autorin, die kurz zuvor die wenig anspre­chen­den Geschäf­te pas­siert hat, ergreift unge­rührt die Flucht. Und zwar stan­te pede in das näch­ste Wein­lo­kal in der Rhein­al­lee, wo man sich ganz vor­züg­lich mit den her­vor­ra­gen­den Wei­nen der Steil­la­ge des Bop­par­der Hamm, einer weit aus­la­den­den Rhein­schlei­fe, trö­sten kann.

Nicht-Wein-Ken­ner kön­nen sich dort eine klei­ne Wein­pro­be, bestehend aus 3 x 0,1 l, bestel­len, und dann ent­schei­den, ob der Bop­par­der Wein und sie ewi­ge Freun­de wer­den. Dabei ist Vor­sicht ange­ra­ten: »Als der Wirt mich heim­ge­bracht, wank­ten mir die Bei­ne. Hatt‘ durch­probt die gan­ze Nacht: Wei­ne, Wei­ne, Wei­ne!«, dich­te­te einst der aus Ost­preu­ßen stam­men­de Ber­li­ner Redak­teur Josef Wie­ner-Brauns­berg (1866-1929), der im ca. 44 Kilo­me­ter von Bop­pard ent­fernt gele­ge­nen Bin­gen Ver­wand­te hat­te – sein Onkel Phil­ipp Wie­ner führ­te dort eine Sala­man­der-Filia­le. 1922 ver­ar­bei­te­te er in einem sei­ner Vers-Bücher unter ande­rem sein ganz per­sön­li­ches Wein­pro­ben­de­sa­ster in der Rüdes­hei­mer Drosselgasse.

Am näch­sten Mor­gen ist die Wein­pro­be längst Geschich­te. Die Son­ne geht auf und die Besu­che­rin wähnt sich inmit­ten einer groß­ar­ti­gen Land­schaft, die den Titel UNESCO-Welt­erbe zu Recht erhal­ten hat. Und dann geht es zunächst zwecks Wan­de­rung mit der 1908 eröff­ne­ten Huns­rück­bahn aus der Stadt hin­aus in Rich­tung Emmels­hau­sen. Fast 25 Minu­ten schnauft das Bähn­chen wacker durch den Wald, über­win­det dabei einen Höhen­un­ter­schied von 330 Metern und über­quert zwei Via­duk­te, die spek­ta­ku­lä­re Foto­mo­ti­ve abge­ben. Dann steht natür­lich auch irgend­wann die obli­ga­to­ri­sche Schiffs­tour auf dem Rhein an, zum Bei­spiel bis zur Lore­ley und zurück. Gemäch­lich zieht die Land­schaft und die ein oder ande­re gran­dio­se Burg an einem vor­bei, bis man den Ort der legen­dä­ren Tra­gö­die um die schö­ne Lore­ley erreicht hat. Und wie­der hat Josef Wie­ner-Brauns­berg einen wohl­ge­mein­ten Rat, den er in sei­nem Gedicht namens »Die bedräng­te Lore­ley (eine Rhein­bal­la­de)« kund­tat: »Drum, Ihr Nix­chen ohne Zahl, merkt dar­aus Euch die Moral: kämmt euch nur im Käm­mer­lein, doch nicht nackt und nicht am Rhein!«

Voll­stän­dig beklei­det erreicht der Besu­cher schließ­lich wie­der Bop­pard und trollt sich in Rich­tung Innen­stadt. Mit sei­nen klei­nen Fach­werk­häus­chen, dem schmucken Markt­platz und der St. Seve­rus-Kir­che, die zu den her­vor­ra­gend­sten Bau­ten der Spät­ro­ma­nik am Mit­tel­rhein zählt sowie zur ehe­ma­li­gen Klo­ster­kir­che der Kar­me­li­ter »Unse­rer Lie­ben Frau«, der 1262 gegrün­de­ten dritt­äl­te­sten deut­schen Ordens­nie­der­las­sung nach Köln und Würz­burg. Tem­pus fugit, doch nicht an die­sem hei­li­gen Ort, so datiert zum Bei­spiel das Chor­ge­stühl aus dem Jahr 1460 (ca.). Steht man davor, kommt man sich doch sehr klein vor, was viel­leicht nicht ganz ohne Absicht der Erbau­er war. Und wäh­rend tief unten ein ima­gi­nä­res Höl­len­feu­er bro­delt, sucht die Tou­ri­stin schleu­nigst Trost bei einem irdi­schen Glas Wein, wie unge­zähl­te Men­schen vor ihr. Die Son­ne lässt das Glas mit sei­nem kost­ba­ren Inhalt fun­keln, wäh­rend der Pan­flö­ten­spie­ler und sein Freund müde vor­bei­zie­hen, weil sie an die­sem Tag nicht viel ein­ge­nom­men haben. Sie ver­su­chen es schließ­lich auf der Gar­ten­ter­ras­se des Bel­le­vues. Drei! Vier! Musi­ke! Bis so manch einer sein Porte­mon­naie öff­net – so auch die Autorin –, man aber nicht genau weiß, ob nun aus Groß­her­zig­keit oder damit sie end­lich auf­hö­ren zu spielen.

Auch Josef Wie­ner-Brauns­berg beklag­te sich damals, wenn auch auf hohem Niveau, weil er sich nie als armer Stra­ßen­mu­si­ker durch­schla­gen muss­te. Sein »Luxus-Pro­blem« waren damals eher die hohen Wein­prei­se. Und so dich­te­te er – auch in »Schnur­ri­ges und Knur­ri­ges. Lusti­ge Vor­trags­stücke in Vers und Pro­sa« (Ber­lin 1922) ent­hal­ten – »Heu­te, heil’ger Dio­nys, du der Zecher Schutz­herr, kriegt man selbst für mas­sig Kies nur noch Rachen­put­zer.« Rachen­put­zer in Bop­pard? Undenk­bar! Hier gibt es die besten Wei­ne der Regi­on. Und da kann man sich so Eini­ges schön trin­ken, wenn man will. Kul­tur­hi­sto­risch Inter­es­sier­te, Natur­lieb­ha­ber und Wan­de­rer haben das in die­ser Gegend aber gar nicht nötig.