Hierzulande mangelt es an manchem, aber beileibe nicht an einer stattlichen Anzahl von Friedensforschungsinstituten mit internationalem Renommee. Die vier bekanntesten, das Bonn International Centre for Conflict Studies, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen und das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, vereinen eine Vielzahl friedensforschender Wissenschaftler/innen und geben jährlich ein Friedensgutachten heraus. Darin analysieren sie aktuelle internationale Konflikte, zeigen Trends der internationalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik auf und geben klare Empfehlungen für die Politik.
Dann wäre da noch die Deutsche Stiftung Friedensforschung, in deren Präambel es heißt: »Im Lichte des Gebots in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ›dem Frieden der Welt zu dienen‹, soll die Deutsche Stiftung Friedensforschung durch die Förderung wissenschaftlicher Vorhaben dazu beitragen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen nachhaltige Formen friedlichen Zusammenlebens der Menschen und Gesellschaften gefördert, Krieg, Gewalt, Unterdrückung und existenzielle Not verhütet, Menschenrechte gewahrt und die internationalen Beziehungen auf die Grundlage des Rechts gestellt werden können. Sie soll ferner im Rahmen ihrer Zweckbestimmung die Vermittlung von Wissen und Erkenntnissen in die Praxis und Öffentlichkeit unterstützen.«
Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine steht der vierte Kriegswinter bevor, und im Deutschland dieser Tage scheint ein Ende des Krieges inzwischen nur noch aus einer rein militärischen Perspektive betrachtet zu werden. Für die Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben wurde die Schuldenbremse ausgesetzt, und inzwischen ist viel von Kriegstüchtigkeit die Rede sowie von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht. Claudia Major und Christian Mölling sprechen sich in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL inzwischen gar für »einen eigenen (europäischen) ›Way of War‹« aus.
Doch viele Frage bleiben dabei auf der Strecke: Welche Alternativen gibt es eigentlich zu einer weiteren militärischen Eskalation? Wie kann in einem bestehenden Krieg konstruktiv auf Konfliktdynamiken Einfluss genommen werden? Wie kann und soll eine Sicherheitsstruktur nach einem Ende des Krieges aussehen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt? Und werden dem Aggressor Russland überhaupt eigene Sicherheitsinteressen zugestanden? Wie können dafür bestehende Denk- und Kooperationsräume genutzt werden und neue geschaffen werden? Wie können internationale Organisationen dafür genutzt werden? Welche Rolle spielt dabei die bestehende globale Machtverteilung und das ständige Austarieren einer neuen Ordnung? Welche Rolle spielt dabei die gemeinsame Ein- bzw. Nicht-Einhaltung des Völkerrechts? Und wie wirken sich globale Flucht- und Migrationsbewegungen, der Bevölkerungswachstum, der Klimawandel, Hunger und Armut, der Umgang mit der Nukleartechnologie, der Kampf um Rohstoffe, die künstliche Intelligenz, das Streben nach autonomen Waffensystemen, grenzüberschreitender Terrorismus und instabiler werdende internationale Ordnungen, die bedrohte Cybersicherheit sowie pandemische Gefahren und Aspekte der Biosicherheit auf all das aus? Fragen um Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.
Bei alledem wirkt unsere Bundesregierung in ihren sicherheitspolitischen Entscheidungen getrieben und erweckt den Eindruck, als agiere sie ohne Maß und Kompass. Und auch ihre immer wieder beschworenen Bekundungen, diesbezügliche Entscheidungen der Öffentlichkeit zu erklären, laufen schlicht und ergreifend ins Leere. Selbst die demokratietheoretisch vielbeschworene »Vierte Gewalt« scheint sich nur sehr bedingt für die Suche nach Antworten auf jene Fragen zu interessieren. Doch an welcher Stelle sind hier die anfangs erwähnten Friedensforschungsinstitute zu vernehmen? Wo liefern sie hier Antworten? Wie versuchen sie Einfluss auf das Geschehen zu nehmen? Wo und wie werden Sicherheitspolitiker/innen beraten und in ihrem Ringen um Antworten unterstützt? Und an welcher Stelle wird der öffentliche Diskurs zu diesen Fragen begleitet?
Um nicht missverstanden zu werden, es geht hier nicht um eine pro-ukrainische oder pro-russische Haltung, es geht um existentielle Fragen hinsichtlich des größten Krieges in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende auch nach dreieinhalb Jahren noch immer in weiter Ferne liegt. Mutmaßlich gibt es zu diesen schwierigen sicherheitspolitischen Fragen eine Reihe von Forschungsvorhaben und laufender Dissertations- und Habilitationsprojekte. Hoffentlich zumindest! Deshalb, liebe Friedensforschungsgemeinschaft: Lasst uns daran teilhaben und nehmt endlich Einfluss auf jenen Diskurs! Denn wofür brauchen wir euch sonst?