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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Friedensforschung wofür?

Hier­zu­lan­de man­gelt es an man­chem, aber bei­lei­be nicht an einer statt­li­chen Anzahl von Frie­dens­for­schungs­in­sti­tu­ten mit inter­na­tio­na­lem Renom­mee. Die vier bekann­te­sten, das Bonn Inter­na­tio­nal Cent­re for Con­flict Stu­dies, das Insti­tut für Frie­dens­for­schung und Sicher­heits­po­li­tik an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, das Insti­tut für Ent­wick­lung und Frie­den der Uni­ver­si­tät Duis­burg-Essen und das Leib­niz-Insti­tut für Frie­dens- und Kon­flikt­for­schung, ver­ei­nen eine Viel­zahl frie­dens­for­schen­der Wissenschaftler/​innen und geben jähr­lich ein Frie­dens­gut­ach­ten her­aus. Dar­in ana­ly­sie­ren sie aktu­el­le inter­na­tio­na­le Kon­flik­te, zei­gen Trends der inter­na­tio­na­len Außen-, Sicher­heits- und Ent­wick­lungs­po­li­tik auf und geben kla­re Emp­feh­lun­gen für die Politik.

Dann wäre da noch die Deut­sche Stif­tung Frie­dens­for­schung, in deren Prä­am­bel es heißt: »Im Lich­te des Gebots in der Prä­am­bel des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ›dem Frie­den der Welt zu die­nen‹, soll die Deut­sche Stif­tung Frie­dens­for­schung durch die För­de­rung wis­sen­schaft­li­cher Vor­ha­ben dazu bei­tra­gen, Erkennt­nis­se dar­über zu gewin­nen, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und Bedin­gun­gen nach­hal­ti­ge For­men fried­li­chen Zusam­men­le­bens der Men­schen und Gesell­schaf­ten geför­dert, Krieg, Gewalt, Unter­drückung und exi­sten­zi­el­le Not ver­hü­tet, Men­schen­rech­te gewahrt und die inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen auf die Grund­la­ge des Rechts gestellt wer­den kön­nen. Sie soll fer­ner im Rah­men ihrer Zweck­be­stim­mung die Ver­mitt­lung von Wis­sen und Erkennt­nis­sen in die Pra­xis und Öffent­lich­keit unterstützen.«

Im rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne steht der vier­te Kriegs­win­ter bevor, und im Deutsch­land die­ser Tage scheint ein Ende des Krie­ges inzwi­schen nur noch aus einer rein mili­tä­ri­schen Per­spek­ti­ve betrach­tet zu wer­den. Für die Ver­tei­di­gungs- und Sicher­heits­aus­ga­ben wur­de die Schul­den­brem­se aus­ge­setzt, und inzwi­schen ist viel von Kriegs­tüch­tig­keit die Rede sowie von einer Wie­der­ein­füh­rung der Wehr­pflicht. Clau­dia Major und Chri­sti­an Möl­ling spre­chen sich in einem Gast­bei­trag für das Nach­rich­ten­ma­ga­zin DER SPIEGEL inzwi­schen gar für »einen eige­nen (euro­päi­schen) ›Way of War‹« aus.

Doch vie­le Fra­ge blei­ben dabei auf der Strecke: Wel­che Alter­na­ti­ven gibt es eigent­lich zu einer wei­te­ren mili­tä­ri­schen Eska­la­ti­on? Wie kann in einem bestehen­den Krieg kon­struk­tiv auf Kon­flikt­dy­na­mi­ken Ein­fluss genom­men wer­den? Wie kann und soll eine Sicher­heits­struk­tur nach einem Ende des Krie­ges aus­se­hen, die die Inter­es­sen bei­der Sei­ten berück­sich­tigt? Und wer­den dem Aggres­sor Russ­land über­haupt eige­ne Sicher­heits­in­ter­es­sen zuge­stan­den? Wie kön­nen dafür bestehen­de Denk- und Koope­ra­ti­ons­räu­me genutzt wer­den und neue geschaf­fen wer­den? Wie kön­nen inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen dafür genutzt wer­den? Wel­che Rol­le spielt dabei die bestehen­de glo­ba­le Macht­ver­tei­lung und das stän­di­ge Aus­ta­rie­ren einer neu­en Ord­nung? Wel­che Rol­le spielt dabei die gemein­sa­me Ein- bzw. Nicht-Ein­hal­tung des Völ­ker­rechts? Und wie wir­ken sich glo­ba­le Flucht- und Migra­ti­ons­be­we­gun­gen, der Bevöl­ke­rungs­wachs­tum, der Kli­ma­wan­del, Hun­ger und Armut, der Umgang mit der Nukle­ar­tech­no­lo­gie, der Kampf um Roh­stof­fe, die künst­li­che Intel­li­genz, das Stre­ben nach auto­no­men Waf­fen­sy­ste­men, grenz­über­schrei­ten­der Ter­ro­ris­mus und insta­bi­ler wer­den­de inter­na­tio­na­le Ord­nun­gen, die bedroh­te Cyber­si­cher­heit sowie pan­de­mi­sche Gefah­ren und Aspek­te der Bio­si­cher­heit auf all das aus? Fra­gen um Fra­gen, auf die es kei­ne ein­fa­chen Ant­wor­ten gibt.

Bei alle­dem wirkt unse­re Bun­des­re­gie­rung in ihren sicher­heits­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen getrie­ben und erweckt den Ein­druck, als agie­re sie ohne Maß und Kom­pass. Und auch ihre immer wie­der beschwo­re­nen Bekun­dun­gen, dies­be­züg­li­che Ent­schei­dun­gen der Öffent­lich­keit zu erklä­ren, lau­fen schlicht und ergrei­fend ins Lee­re. Selbst die demo­kra­tie­theo­re­tisch viel­be­schwo­re­ne »Vier­te Gewalt« scheint sich nur sehr bedingt für die Suche nach Ant­wor­ten auf jene Fra­gen zu inter­es­sie­ren. Doch an wel­cher Stel­le sind hier die anfangs erwähn­ten Frie­dens­for­schungs­in­sti­tu­te zu ver­neh­men? Wo lie­fern sie hier Ant­wor­ten? Wie ver­su­chen sie Ein­fluss auf das Gesche­hen zu neh­men? Wo und wie wer­den Sicherheitspolitiker/​innen bera­ten und in ihrem Rin­gen um Ant­wor­ten unter­stützt? Und an wel­cher Stel­le wird der öffent­li­che Dis­kurs zu die­sen Fra­gen begleitet?

Um nicht miss­ver­stan­den zu wer­den, es geht hier nicht um eine pro-ukrai­ni­sche oder pro-rus­si­sche Hal­tung, es geht um exi­sten­ti­el­le Fra­gen hin­sicht­lich des größ­ten Krie­ges in Euro­pa seit dem Zwei­ten Welt­krieg, des­sen Ende auch nach drei­ein­halb Jah­ren noch immer in wei­ter Fer­ne liegt. Mut­maß­lich gibt es zu die­sen schwie­ri­gen sicher­heits­po­li­ti­schen Fra­gen eine Rei­he von For­schungs­vor­ha­ben und lau­fen­der Dis­ser­ta­ti­ons- und Habi­li­ta­ti­ons­pro­jek­te. Hof­fent­lich zumin­dest! Des­halb, lie­be Frie­dens­for­schungs­ge­mein­schaft: Lasst uns dar­an teil­ha­ben und nehmt end­lich Ein­fluss auf jenen Dis­kurs! Denn wofür brau­chen wir euch sonst?