Gestern Abend, auf dem Weg zu einer Lesung, auf dem Bahnhof in Potsdam West (Charlottenhof): Blutspritzer auf dem Bahnsteig, mit weißem Pulver bestreut. Was ist hier passiert? Ein furchtbares Verbrechen? Die Leute wie immer unterwegs. Kein Aufsehen. Im Näherkommen erkenne ich große Buchstaben, die jemand mit dem weißen Pulver gemalt hat: GAZA BLUTET. Über die Schrift verteilt das Blut. Also eine Installation. Kunstblut. Zum Glück! Zum Glück? Eine Botschaft. Dazu ein Aufruf, die deutschen Waffenexporte zu stoppen. An alle gerichtet, die mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Die junge Frau, die die Botschaft auf das Pflaster gestreut hat, ist noch am anderen Ende des Bahnsteigs in Aktion. Es ist eine Potsdamer Künstlerin. Ich spreche sie an. Es ist Mehl, gesteht sie. Gaza blutet nicht nur, Gaza hungert. Menschen sterben auch bei der Ausgabe von Lebensmitteln. Eine von Menschen gemachte Hölle. Diese Botschaft, hier in Europa so hingeschrieben, mit Mehl auf der Erde, befleckt mit Blut, das tut richtig weh. Wir fahren ein Stück zusammen, sprechen über die Quangels (»Jeder stirbt für sich allein«), die Weiße Rose. Über den Sinn von Kunst. Über die Ohnmacht. Über Charlie Hebdo. No other land. Krieg und Rüstung. Die UKRAINE, die auch BLUTET. Natürlich will das niemand. Aber welche Kraft vermag, es zu verhindern? Darüber, dass man durch massive Aufrüstung keine Sicherheit schaffen kann, sondern nur eine irrsinnige Gefahr. Über die Erde, den schönsten Planeten weit und breit. Sie fährt zu ihren Bienenvölkern. Sie arbeitet als Imkerin. Ich gehe zu meiner Lesung. Alltagsglück. Ein bewegendes Frauenschicksal aus dem 19. Jahrhundert. Später im Späti. Der Zug ist ausgefallen. Die Rückfahrt verzögert sich. Ich stürze ein großes Wasser in mich hinein. GAZA DURSTET AUCH. Die Nachrichtensprecherin erklärt, dass erneut Blindgänger aus dem letzten Weltkrieg gefunden wurden. Heute sind es drei. Wie viele Jahre ist das jetzt her? Einige Wohngebiete in Berlin müssen evakuiert werden. Was denn noch!? Ich verabschiede mich. Der Ladeninhaber sagt nicht guten Abend, sondern »Salam«.