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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gaza blutet

Gestern Abend, auf dem Weg zu einer Lesung, auf dem Bahn­hof in Pots­dam West (Char­lot­ten­hof): Blut­sprit­zer auf dem Bahn­steig, mit wei­ßem Pul­ver bestreut. Was ist hier pas­siert? Ein furcht­ba­res Ver­bre­chen? Die Leu­te wie immer unter­wegs. Kein Auf­se­hen. Im Näher­kom­men erken­ne ich gro­ße Buch­sta­ben, die jemand mit dem wei­ßen Pul­ver gemalt hat: GAZA BLUTET. Über die Schrift ver­teilt das Blut. Also eine Instal­la­ti­on. Kunst­blut. Zum Glück! Zum Glück? Eine Bot­schaft. Dazu ein Auf­ruf, die deut­schen Waf­fen­ex­por­te zu stop­pen. An alle gerich­tet, die mit offe­nen Augen durch die Welt gehen.

Die jun­ge Frau, die die Bot­schaft auf das Pfla­ster gestreut hat, ist noch am ande­ren Ende des Bahn­steigs in Akti­on. Es ist eine Pots­da­mer Künst­le­rin. Ich spre­che sie an. Es ist Mehl, gesteht sie. Gaza blu­tet nicht nur, Gaza hun­gert. Men­schen ster­ben auch bei der Aus­ga­be von Lebens­mit­teln. Eine von Men­schen gemach­te Höl­le. Die­se Bot­schaft, hier in Euro­pa so hin­ge­schrie­ben, mit Mehl auf der Erde, befleckt mit Blut, das tut rich­tig weh. Wir fah­ren ein Stück zusam­men, spre­chen über die Quan­gels (»Jeder stirbt für sich allein«), die Wei­ße Rose. Über den Sinn von Kunst. Über die Ohn­macht. Über Char­lie Heb­do. No other land. Krieg und Rüstung. Die UKRAINE, die auch BLUTET. Natür­lich will das nie­mand. Aber wel­che Kraft ver­mag, es zu ver­hin­dern? Dar­über, dass man durch mas­si­ve Auf­rü­stung kei­ne Sicher­heit schaf­fen kann, son­dern nur eine irr­sin­ni­ge Gefahr. Über die Erde, den schön­sten Pla­ne­ten weit und breit. Sie fährt zu ihren Bie­nen­völ­kern. Sie arbei­tet als Imke­rin. Ich gehe zu mei­ner Lesung. All­tags­glück. Ein bewe­gen­des Frau­en­schick­sal aus dem 19. Jahr­hun­dert. Spä­ter im Späti. Der Zug ist aus­ge­fal­len. Die Rück­fahrt ver­zö­gert sich. Ich stür­ze ein gro­ßes Was­ser in mich hin­ein. GAZA DURSTET AUCH. Die Nach­rich­ten­spre­che­rin erklärt, dass erneut Blind­gän­ger aus dem letz­ten Welt­krieg gefun­den wur­den. Heu­te sind es drei. Wie vie­le Jah­re ist das jetzt her? Eini­ge Wohn­ge­bie­te in Ber­lin müs­sen eva­ku­iert wer­den. Was denn noch!? Ich ver­ab­schie­de mich. Der Laden­in­ha­ber sagt nicht guten Abend, son­dern »Salam«.