Ein Mann namens Charlie Kirk, eine Art Gallionsfigur der amerikanischen Rechten, ist tot. Erschossen. Womöglich aus politischen Motiven, wie seine Anhänger, darunter US-Präsident Trump, sogleich mutmaßen. Und viele Kommentare, vor allem in den sogenannten sozialen Medien, scheinen den Verdacht zu bestätigen: »Gut so«, heißt es dort in allen möglichen Variationen. »Ein Arschloch weniger!«
Ein größeres Maß an Dummheit und Menschenverachtung ist nicht denkbar. Das gilt sowohl für die Tat selbst wie für die Zustimmung, die sie in manchen Kreisen findet. Meine Fassungslosigkeit über solchen Beifall ist sogar größer als meine Abscheu vor der kruden Weltsicht des mir bis vor kurzem unbekannten jungen Mannes namens Kirk. Ich käme deshalb auch nicht auf die Idee, Mitleid zu heucheln – für einen Menschen, der alle Andersdenkenden und Andersfühlenden (wie wohl auch alle »Andersfarbigen«) zu Feinden erklärte, die mit allen Mitteln zu bekämpfen seien. Tatsächlich ein Arschloch also. Der Anschlag auf sein Leben und irgendeine Freude darüber sind jedoch in jeder Hinsicht widersinnig – und abstoßend.
Sollte der Attentäter, schon kurz nach dem tödlichen Schuss wurde ein gewisser Tyler Robinson, 22 Jahre jung, verhaftet, ein irgendwie geartetes »politisches Signal« zu setzen versucht haben, wird er sein Ziel auf ganz und gar konträre Weise erreichen und diejenigen, die zu schwächen vielleicht sein Anliegen war, auf irrwitzige Weise stärken. Nichts ist besser für die Mächtigen als ein »oppositioneller« Attentäter. Das Opfer wird zum Märtyrer, seine Anhängerschaft radikalisiert und der Staat gewissermaßen genötigt, seinen »Sicherheitsapparat« repressiv aufzurüsten. Das alles könnte wissen, wer so etwas im Schilde führt. An historischen und aktuellen Beispielen herrscht kein Mangel. »Politische« Morde, gemeint sind vorsätzliche Tötungen (auch »staatliche«, etwa seitens der USA oder Israels oder Russlands oder der Türkei), sowie politisch oder religiös verbrämte Anschläge haben fast immer das Gegenteil dessen bewirkt, wofür sie vorgeblich begangen worden sind. Was also könnte der Mörder bezweckt haben? Die Spekulationen darüber schießen ins Kraut, jeder deutet sich das Geschehen weltanschaulich zurecht und nimmt es als Kriegserklärung an die je eigene Position, die es nun mit aller Schärfe zu verteidigen gelte. Für die Rechten ist Robinson ein radikaler Linker, mindestens aber ein Aktivist der Queer-Szene, für die Linken ist er selbstredend ein extrem radikaler Rechter – die Zuordnung ist eigentlich egal, denn alle diese »Lager« gelten sogleich als terrorverdächtig. So läuft es immer, im Kleinen wie im Großen, die Mörder sind stets die anderen.
Dabei folgen solche Taten – der sogenannte. »Tyrannenmord« wäre gesondert zu betrachten, von »Notwehr« ist hier gleich gar nicht die Rede – keiner politischen »Ratio«, sie sind gewöhnliche Verbrechen (aus Leidenschaft, Hass, Eifersucht, Neid, Habgier, Machtstreben usw.) – oder einfach nur »irre«. Letzteres gilt im Grunde für jede öffentlich zelebrierte Gewalt an (mehr oder minder) prominenten Personen. So sagte etwa Mark Chapman, der 1980 den Musiker John Lennon erschoss, in der Vernehmung nach seinem Motiv befragt: »Ich wollte berühmt werden.«
Mehr war da nicht, und so viel mehr ist da möglicherweise auch bei Tyler Robinson nicht. Der Schuss auf Charlie Kirk hat mit Politik nichts zu tun. Es ist das Gegenteil davon. Er ist die Absage an Politik. Das sei auch allen Bellizisten ins Merkbuch geschrieben. Ja, zur Verteidigung der Demokratie kann auch Gewalt nötig werden. Aber wo, wann und unter welchen Bedingungen tritt dieser Fall ein? Und welche Mittel sind der Selbstverteidigung angemessen? Darf ein Rechtsstaat das Recht brechen, um sich zu schützen? Das sind schwierige Fragen. Wer etwa die letztgestellte vorschnell mit »Ja« beantwortet, droht sich den Feinden der Demokratie gemein zu machen. Zu schädigen oder gar zu verraten. wofür er einzutreten meint. So, wie vielleicht auch Tyler Robinson.