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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gewalt und Politik

Ein Mann namens Char­lie Kirk, eine Art Gal­li­ons­fi­gur der ame­ri­ka­ni­schen Rech­ten, ist tot. Erschos­sen. Womög­lich aus poli­ti­schen Moti­ven, wie sei­ne Anhän­ger, dar­un­ter US-Prä­si­dent Trump, sogleich mut­ma­ßen. Und vie­le Kom­men­ta­re, vor allem in den soge­nann­ten sozia­len Medi­en, schei­nen den Ver­dacht zu bestä­ti­gen: »Gut so«, heißt es dort in allen mög­li­chen Varia­tio­nen. »Ein Arsch­loch weniger!«

Ein grö­ße­res Maß an Dumm­heit und Men­schen­ver­ach­tung ist nicht denk­bar. Das gilt sowohl für die Tat selbst wie für die Zustim­mung, die sie in man­chen Krei­sen fin­det. Mei­ne Fas­sungs­lo­sig­keit über sol­chen Bei­fall ist sogar grö­ßer als mei­ne Abscheu vor der kru­den Welt­sicht des mir bis vor kur­zem unbe­kann­ten jun­gen Man­nes namens Kirk. Ich käme des­halb auch nicht auf die Idee, Mit­leid zu heu­cheln – für einen Men­schen, der alle Anders­den­ken­den und Anders­füh­len­den (wie wohl auch alle »Anders­far­bi­gen«) zu Fein­den erklär­te, die mit allen Mit­teln zu bekämp­fen sei­en. Tat­säch­lich ein Arsch­loch also. Der Anschlag auf sein Leben und irgend­ei­ne Freu­de dar­über sind jedoch in jeder Hin­sicht wider­sin­nig – und abstoßend.

Soll­te der Atten­tä­ter, schon kurz nach dem töd­li­chen Schuss wur­de ein gewis­ser Tyler Robin­son, 22 Jah­re jung, ver­haf­tet, ein irgend­wie gear­te­tes »poli­ti­sches Signal« zu set­zen ver­sucht haben, wird er sein Ziel auf ganz und gar kon­trä­re Wei­se errei­chen und die­je­ni­gen, die zu schwä­chen viel­leicht sein Anlie­gen war, auf irr­wit­zi­ge Wei­se stär­ken. Nichts ist bes­ser für die Mäch­ti­gen als ein »oppo­si­tio­nel­ler« Atten­tä­ter. Das Opfer wird zum Mär­ty­rer, sei­ne Anhän­ger­schaft radi­ka­li­siert und der Staat gewis­ser­ma­ßen genö­tigt, sei­nen »Sicher­heits­ap­pa­rat« repres­siv auf­zu­rü­sten. Das alles könn­te wis­sen, wer so etwas im Schil­de führt. An histo­ri­schen und aktu­el­len Bei­spie­len herrscht kein Man­gel. »Poli­ti­sche« Mor­de, gemeint sind vor­sätz­li­che Tötun­gen (auch »staat­li­che«, etwa sei­tens der USA oder Isra­els oder Russ­lands oder der Tür­kei), sowie poli­tisch oder reli­gi­ös ver­bräm­te Anschlä­ge haben fast immer das Gegen­teil des­sen bewirkt, wofür sie vor­geb­lich began­gen wor­den sind. Was also könn­te der Mör­der bezweckt haben? Die Spe­ku­la­tio­nen dar­über schie­ßen ins Kraut, jeder deu­tet sich das Gesche­hen welt­an­schau­lich zurecht und nimmt es als Kriegs­er­klä­rung an die je eige­ne Posi­ti­on, die es nun mit aller Schär­fe zu ver­tei­di­gen gel­te. Für die Rech­ten ist Robin­son ein radi­ka­ler Lin­ker, min­de­stens aber ein Akti­vist der Que­er-Sze­ne, für die Lin­ken ist er selbst­re­dend ein extrem radi­ka­ler Rech­ter – die Zuord­nung ist eigent­lich egal, denn alle die­se »Lager« gel­ten sogleich als ter­ror­ver­däch­tig. So läuft es immer, im Klei­nen wie im Gro­ßen, die Mör­der sind stets die anderen.

Dabei fol­gen sol­che Taten – der soge­nann­te. »Tyran­nen­mord« wäre geson­dert zu betrach­ten, von »Not­wehr« ist hier gleich gar nicht die Rede – kei­ner poli­ti­schen »Ratio«, sie sind gewöhn­li­che Ver­bre­chen (aus Lei­den­schaft, Hass, Eifer­sucht, Neid, Hab­gier, Macht­stre­ben usw.) – oder ein­fach nur »irre«. Letz­te­res gilt im Grun­de für jede öffent­lich zele­brier­te Gewalt an (mehr oder min­der) pro­mi­nen­ten Per­so­nen. So sag­te etwa Mark Chap­man, der 1980 den Musi­ker John Len­non erschoss, in der Ver­neh­mung nach sei­nem Motiv befragt: »Ich woll­te berühmt werden.«

Mehr war da nicht, und so viel mehr ist da mög­li­cher­wei­se auch bei Tyler Robin­son nicht. Der Schuss auf Char­lie Kirk hat mit Poli­tik nichts zu tun. Es ist das Gegen­teil davon. Er ist die Absa­ge an Poli­tik. Das sei auch allen Bel­li­zi­sten ins Merk­buch geschrie­ben. Ja, zur Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie kann auch Gewalt nötig wer­den. Aber wo, wann und unter wel­chen Bedin­gun­gen tritt die­ser Fall ein? Und wel­che Mit­tel sind der Selbst­ver­tei­di­gung ange­mes­sen? Darf ein Rechts­staat das Recht bre­chen, um sich zu schüt­zen? Das sind schwie­ri­ge Fra­gen. Wer etwa die letzt­ge­stell­te vor­schnell mit »Ja« beant­wor­tet, droht sich den Fein­den der Demo­kra­tie gemein zu machen. Zu schä­di­gen oder gar zu ver­ra­ten. wofür er ein­zu­tre­ten meint. So, wie viel­leicht auch Tyler Robinson.