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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gott regiert mit

Unse­re Repu­blik darf auch zukünf­tig auf gött­li­chen Bei­stand hof­fen. Bei der Ver­tei­di­gung des neu­en Kabi­netts im Ber­li­ner Reichs­tag spra­chen 13 der 17 Bun­des­mi­ni­ste­rin­nen und -mini­ster den Amts­eid mit der For­mel »So wahr mir Gott hel­fe«. Rech­net man Bun­des­kanz­ler Fried­rich Merz hin­zu, so haben mehr als 75 Pro­zent aller Kabi­netts­mit­glie­der um Got­tes Hil­fe bei ihrer Amts­füh­rung gebe­ten. Nur vier ent­schie­den sich für die Eides­for­mel ohne Got­tes­be­zug: Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Boris Pisto­ri­us, Arbeits­mi­ni­ste­rin Bär­bel Bas, Umwelt­mi­ni­ster Car­sten Schnei­der und Ent­wick­lungs­mi­ni­ste­rin Reem Ala­ba­li-Rado­van, alle aus den Rei­hen der SPD.

Merz’ Amts­vor­gän­ger Olaf Scholz hat­te 2021 auf das reli­giö­se Bei­werk ver­zich­tet, wie auch schon des­sen Par­tei­kol­le­ge Ger­hard Schrö­der vor ihm. Wäh­rend Schrö­der der evan­ge­li­schen Kir­che ange­hör­te, war Scholz der erste kon­fes­si­ons­freie Bun­des­kanz­ler. Immer­hin 7 von 16 Mini­stern in Scholz’ Ampel-Kabi­nett spra­chen damals den welt­an­schau­lich neu­tra­len Amts­eid.

Bei der neu­en Bun­des­re­gie­rung steht Reli­gi­on indes hoch im Kurs. In einer Zeit, in der nicht ein­mal die Hälf­te der Deut­schen der katho­li­schen oder evan­ge­li­schen Kir­che ange­hö­ren, kann man sie welt­an­schau­lich nicht unbe­dingt als neu­tral bezeich­nen – wie es ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten wäre.

Schon mit der Ernen­nung von Wolf­ram Wei­mer zum Kul­tur­staats­mi­ni­ster, ein Mann, der als umtrie­bi­ger Publi­zist und Medi­en­un­ter­neh­mer – par­tei­los und katho­lisch – Reli­gi­on als Segen für die Gesell­schaft fei­ert und als Heil­mit­tel gegen die »Kri­se der Moder­ne« sieht, wur­de eine erste, hef­tig kri­ti­sier­te Per­so­na­lie gesetzt. Auch die Ent­schei­dung, die Regio­nal­bi­schö­fin Petra Bahr zur beam­te­ten Staats­se­kre­tä­rin im Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung, Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Jugend zu beru­fen deu­tet auf eine wei­te­re reli­giö­se Auf­la­dung zen­tra­ler Poli­tik­fel­der hin, mit der Kanz­ler Merz eine kon­ser­va­ti­ve Wen­de in Deutsch­land ein­lei­ten möch­te. Mit Bahr, die seit 2017 in Han­no­ver als Got­tes-Ver­kün­de­rin tätig ist, erhält eine bedeu­ten­de Kir­chen­ver­tre­te­rin Ein­fluss auf die Schul- und Bil­dungs­po­li­tik. In ihrer 2018 erschie­ne­nen Schrift »Wie viel Reli­gi­on ver­trägt unse­re Gesell­schaft?« warnt sie vor lai­zi­sti­scher Bil­dungs­po­li­tik und moniert, dass der »mili­tan­te Athe­is­mus« die Gefahr des Lai­zis­mus ver­ken­ne. Der kir­chen­kri­ti­sche Publi­zist Ralf Nest­mey­er befürch­tet pro­ble­ma­ti­sche Ein­grif­fe in die Schul­po­li­tik, weil Bahr als Ver­tre­te­rin der evan­ge­li­schen Kir­che den kon­fes­sio­nel­len Reli­gi­ons­un­ter­richt stär­ken und Ver­su­che blockie­ren könn­te, ihn durch inte­gra­ti­ve Ethik­mo­del­le zu erset­zen. »Das wäre ein kla­rer Rück­schritt für all jene, die sich für ein plu­ra­li­sti­sches und inklu­si­ves Bil­dungs­ver­ständ­nis ein­set­zen«, so Nest­mey­er. Bahrs Beru­fung ist ein Novum. Zum ersten Mal in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik, beklei­det ein hoher geist­li­cher Wür­den­trä­ger ein wich­ti­ges poli­ti­sches Amt.

Kei­ne Fra­ge: Gott mischt kräf­tig mit in der deut­schen Poli­tik. Das Ver­fas­sungs­ge­bot der Tren­nung von Kir­che und Staat wird auch von der neu­en schwarz-roten Bun­des­re­gie­rung igno­riert. Die Per­so­na­li­en Wei­mer und Bahr ste­hen exem­pla­risch für ein reli­gi­ös-kon­ser­va­ti­ves Polit-Roll­back, das nichts Gutes erwar­ten lässt.

Nein, es geht nicht um die »Aus­trei­bung Got­tes« aus der Welt, auch nicht aus der Poli­tik. Für Abge­ord­ne­te, Man­dats- und Regie­rungs­mit­glie­der gilt, was für alle Bür­ge­rin­nen und Bür­ger gilt: indi­vi­du­el­le Glau­bens- und Reli­gi­ons­frei­heit. Frei­lich, wer ein Regie­rungs­amt, gar ein Mini­ster­amt beklei­det, ist gewis­ser­ma­ßen als »per­so­ni­fi­zier­tes Ver­fas­sungs­or­gan« nicht allein sei­nen reli­giö­sen Grund­sät­zen ver­pflich­tet, son­dern vor­an­ging unse­rer Ver­fas­sung, also den wesent­li­chen staat­li­chen System- und Wer­te-Ent­schei­dun­gen, die dort fest­ge­legt sind.

Wir leben in einem säku­la­ren Ver­fas­sungs-Staat. Alle Bür­ger dür­fen ihren Gott, auch ihre Göt­ter haben, der Staat aber ist in einer moder­nen Grund­rechts­de­mo­kra­tie gott­los. Und der Got­tes-Schwur bei der Kabi­netts-Ver­tei­di­gung? Als Sinn­stif­tungs­an­ge­bot für den Pri­vat­ge­brauch kann der Glau­be den Gläu­bi­gen im Sin­ne des Wor­tes glück­se­lig machen, das dür­fen auch Mini­ster und Mini­ste­rin­nen für sich in Anspruch neh­men – ganz privat.

Buch-Hin­weis: Hel­mut Ort­ner, Das kle­ri­ka­le Kar­tell: War­um die Tren­nung von Staat und Kir­che über­fäl­lig ist, Nomen Ver­lag 2024, 272 S., 24 €.