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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Grüße von der Zugspitze

Zum Redak­ti­ons­schluss die­ses Som­mer-Son­der­hef­tes winkt uns Innen­mi­ni­ster Dob­rindt von der Zug­spit­ze. Von ganz oben. Und beweist uns so sei­nen gro­ßen Weit- und Über­blick. Dort­hin, auf die Zug­spit­ze, hat­te Dob­rindt am 18. Juli sei­ne fünf Amts­kol­le­gen aus Öster­reich, Däne­mark, Frank­reich, Tsche­chi­en und Polen ein­ge­la­den – zu einem »Zug­spitz Sum­mit on Migra­ti­on«. Ja, so geht wohl bay­ri­sches Englisch.

Bera­ten woll­te man also die Zukunft der gemein­sa­men Migra­ti­ons­po­li­tik, auch EU-Innen­kom­mis­sar Magnus Brun­ner nahm an den Bera­tun­gen teil. Das Ergeb­nis ist nicht über­ra­schend: Die Migra­ti­ons­po­li­tik soll wei­ter ver­schärft wer­den. Deutsch­land, so Dob­rindt, sit­ze in Zukunft nicht mehr im »Brem­ser­häus­chen«, son­dern sei die »Loko­mo­ti­ve« bei der wei­te­ren Abschot­tung Euro­pas: Kon­se­quen­te Abschie­bun­gen auch nach Syri­en und Afgha­ni­stan, ein noch bes­se­rer Schutz der EU-Außen­gren­zen und mehr Auf­nah­men von abge­lehn­ten Asyl­be­wer­bern durch Nicht-EU-Staaten.

Am Mor­gen des Gip­fels war aus Leip­zig ein Abschie­be­flug mit 81 afgha­ni­schen Straf­tä­tern in die afgha­ni­sche Haupt­stadt Kabul gestar­tet. Ver­mit­telt über Katar hat­te Dob­rindt und damit die Bun­des­re­gie­rung Kon­takt mit den Tali­ban auf­ge­nom­men – und die­se Ver­bre­cher­or­ga­ni­sa­ti­on auf die­se Wei­se nor­ma­li­siert und auf­ge­wer­tet. Um Flücht­lin­ge los­zu­wer­den, so die Bot­schaft, pak­tie­ren wir auch mit Dik­ta­to­ren aller Art. Und wie es den Men­schen anschlie­ßend geht, ist uns egal. Wir müs­sen schließ­lich die Migra­ti­ons­kri­se lösen, gern auch mit den Ideen der AfD. Die Zusam­men­ar­beit mit Län­dern, die die Bür­ger- und Men­schen­rech­te mit Füßen tre­ten, ist schon lan­ge das Geschäfts­mo­dell der EU, wird aber in unse­ren Medi­en kaum the­ma­ti­siert. Die sind näm­lich der­zeit größ­ten­teils damit beschäf­tigt, die deut­sche und euro­päi­sche Anti-Flücht­lings­po­li­tik zu unter­stüt­zen. »Ein har­ter Hund vor Alpen­pan­ora­ma: Dob­rindt zeigt Ent­schlos­sen­heit beim The­ma Migra­ti­on – doch wie viel Sub­stanz steckt dahin­ter? Lie­fert er auch?«, schreibt die Nach­rich­ten­re­dak­ti­on t-online.

Die mas­si­ve mili­tä­ri­sche Auf­rü­stung und dazu die mas­si­ve Auf­rü­stung gegen Flücht­lin­ge und Migran­ten – das ist bedrückend und macht Angst. Wo bleibt der brei­te Widerstand?

Schon 2024 war ein schockie­ren­des Jahr für Flücht­lin­ge und den Flücht­lings­schutz. Das Jahr 2025 ist noch schlim­mer. Immer neue popu­li­sti­sche und flücht­lings­feind­li­che Debat­ten hei­zen die Stim­mung in Deutsch­land auf. Zuwan­de­rung wird nur noch als Pro­blem, als Bal­last oder Bedro­hung wahr­ge­nom­men, Flücht­lin­ge gel­ten als Gefahr für die Sicher­heit. Im neu­en Grund­satz­pro­gramm der CDU, beschlos­sen auf dem Bun­des­par­tei­tag im Mai 2024, wird der Rück­zug Euro­pas aus dem welt­wei­ten Flücht­lings­schutz gefor­dert. Mit den kal­ten Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen (GEAS) im April 2024 und mit roher Gewalt an den Gren­zen setzt die EU ins­ge­samt auf wei­te­re Abschot­tung. Als im Novem­ber in Deutsch­land die Ampel-Koali­ti­on zer­brach, war die Bilanz bit­ter: Wich­ti­ge posi­ti­ve Vor­ha­ben des Koali­ti­ons­ver­tra­ges rund um das Asyl­recht waren nicht umge­setzt, dafür aber zahl­rei­che zuvor nicht ver­ein­bar­te Ver­schär­fun­gen vor­ge­nom­men wor­den. Wie zum Bei­spiel die Zustim­mung der Ampel zur euro­päi­schen Asyl­rechts­ver­schär­fung, der GEAS-Reform.

Der fol­gen­de Bun­des­tags­wahl­kampf kann­te fast nur ein The­ma: Migra­ti­on. Und die Rich­tung war klar. Je här­ter gegen Geflüch­te­te, desto bes­ser. Nicht nur die AfD, son­dern vor allem auch CDU/​CSU und FDP über­bo­ten sich mit Vor­schlä­gen zu immer mehr Abschreckungs­maß­nah­men. Dafür waren Uni­on und FDP sogar bereit, gemein­sam mit der AfD für Mehr­hei­ten zur Ver­schär­fung der Migra­ti­ons­po­li­tik zu sor­gen. Aber auch SPD und Grü­ne schla­gen schon lan­ge har­te Töne an, wenn es dar­um geht, weni­ger Geflüch­te­te ins Land zu las­sen. Von nichts ver­spre­chen sich die Par­tei­po­li­ti­ker mehr als davon, Flücht­lin­gen und Migran­ten das Leben schwer zu machen. Ob weni­ge Asyl­su­chen­de kom­men oder vie­le, ob Antrags­zah­len stei­gen oder wie der­zeit sin­ken, ob es isla­mi­sti­schen Ter­ror gibt oder nicht, ob sie die AfD im Nacken haben oder schon vor deren Ent­ste­hung: Stets heißt es, es kämen zu vie­le Flücht­lin­ge, Ver­schär­fun­gen müss­ten her. Ohne Unter­lass geht das so, seit vie­len Jah­ren schon.

In die­sem unge­wohnt dicken Heft fin­den Sie eine Fül­le von Aspek­ten und Hin­ter­grün­den, fin­den Sie Geschich­ten aus der Gegen­wart und aus der Ver­gan­gen­heit von Aus­gren­zung und Ver­fol­gung. Wir hät­ten dop­pelt so vie­le Sei­ten fül­len kön­nen. Einer­seits. Ande­rer­seits bele­gen die ver­hal­te­nen Reak­tio­nen auf unse­ren Auf­ruf, sich an die­sem Heft zu betei­li­gen, eine Stim­mung, die der­zeit über­all zu beob­ach­ten ist: Vie­le »Lin­ke« schwei­gen unüber­hör­bar zum The­ma Flücht­lin­ge und Migra­ti­on. Weil sie müde sind – oder weil sie auch lie­ber weni­ger Flücht­lin­ge, weni­ger Frem­de, weni­ger Umver­tei­lung wol­len – und die »Drecks­ar­beit« nicht ungern den Rech­ten über­las­sen, ohne sich selbst die Fin­ger schmut­zig zu machen?

Ausgabe 15.16/2025