Zum Redaktionsschluss dieses Sommer-Sonderheftes winkt uns Innenminister Dobrindt von der Zugspitze. Von ganz oben. Und beweist uns so seinen großen Weit- und Überblick. Dorthin, auf die Zugspitze, hatte Dobrindt am 18. Juli seine fünf Amtskollegen aus Österreich, Dänemark, Frankreich, Tschechien und Polen eingeladen – zu einem »Zugspitz Summit on Migration«. Ja, so geht wohl bayrisches Englisch.
Beraten wollte man also die Zukunft der gemeinsamen Migrationspolitik, auch EU-Innenkommissar Magnus Brunner nahm an den Beratungen teil. Das Ergebnis ist nicht überraschend: Die Migrationspolitik soll weiter verschärft werden. Deutschland, so Dobrindt, sitze in Zukunft nicht mehr im »Bremserhäuschen«, sondern sei die »Lokomotive« bei der weiteren Abschottung Europas: Konsequente Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan, ein noch besserer Schutz der EU-Außengrenzen und mehr Aufnahmen von abgelehnten Asylbewerbern durch Nicht-EU-Staaten.
Am Morgen des Gipfels war aus Leipzig ein Abschiebeflug mit 81 afghanischen Straftätern in die afghanische Hauptstadt Kabul gestartet. Vermittelt über Katar hatte Dobrindt und damit die Bundesregierung Kontakt mit den Taliban aufgenommen – und diese Verbrecherorganisation auf diese Weise normalisiert und aufgewertet. Um Flüchtlinge loszuwerden, so die Botschaft, paktieren wir auch mit Diktatoren aller Art. Und wie es den Menschen anschließend geht, ist uns egal. Wir müssen schließlich die Migrationskrise lösen, gern auch mit den Ideen der AfD. Die Zusammenarbeit mit Ländern, die die Bürger- und Menschenrechte mit Füßen treten, ist schon lange das Geschäftsmodell der EU, wird aber in unseren Medien kaum thematisiert. Die sind nämlich derzeit größtenteils damit beschäftigt, die deutsche und europäische Anti-Flüchtlingspolitik zu unterstützen. »Ein harter Hund vor Alpenpanorama: Dobrindt zeigt Entschlossenheit beim Thema Migration – doch wie viel Substanz steckt dahinter? Liefert er auch?«, schreibt die Nachrichtenredaktion t-online.
Die massive militärische Aufrüstung und dazu die massive Aufrüstung gegen Flüchtlinge und Migranten – das ist bedrückend und macht Angst. Wo bleibt der breite Widerstand?
Schon 2024 war ein schockierendes Jahr für Flüchtlinge und den Flüchtlingsschutz. Das Jahr 2025 ist noch schlimmer. Immer neue populistische und flüchtlingsfeindliche Debatten heizen die Stimmung in Deutschland auf. Zuwanderung wird nur noch als Problem, als Ballast oder Bedrohung wahrgenommen, Flüchtlinge gelten als Gefahr für die Sicherheit. Im neuen Grundsatzprogramm der CDU, beschlossen auf dem Bundesparteitag im Mai 2024, wird der Rückzug Europas aus dem weltweiten Flüchtlingsschutz gefordert. Mit den kalten Asylrechtsverschärfungen (GEAS) im April 2024 und mit roher Gewalt an den Grenzen setzt die EU insgesamt auf weitere Abschottung. Als im November in Deutschland die Ampel-Koalition zerbrach, war die Bilanz bitter: Wichtige positive Vorhaben des Koalitionsvertrages rund um das Asylrecht waren nicht umgesetzt, dafür aber zahlreiche zuvor nicht vereinbarte Verschärfungen vorgenommen worden. Wie zum Beispiel die Zustimmung der Ampel zur europäischen Asylrechtsverschärfung, der GEAS-Reform.
Der folgende Bundestagswahlkampf kannte fast nur ein Thema: Migration. Und die Richtung war klar. Je härter gegen Geflüchtete, desto besser. Nicht nur die AfD, sondern vor allem auch CDU/CSU und FDP überboten sich mit Vorschlägen zu immer mehr Abschreckungsmaßnahmen. Dafür waren Union und FDP sogar bereit, gemeinsam mit der AfD für Mehrheiten zur Verschärfung der Migrationspolitik zu sorgen. Aber auch SPD und Grüne schlagen schon lange harte Töne an, wenn es darum geht, weniger Geflüchtete ins Land zu lassen. Von nichts versprechen sich die Parteipolitiker mehr als davon, Flüchtlingen und Migranten das Leben schwer zu machen. Ob wenige Asylsuchende kommen oder viele, ob Antragszahlen steigen oder wie derzeit sinken, ob es islamistischen Terror gibt oder nicht, ob sie die AfD im Nacken haben oder schon vor deren Entstehung: Stets heißt es, es kämen zu viele Flüchtlinge, Verschärfungen müssten her. Ohne Unterlass geht das so, seit vielen Jahren schon.
In diesem ungewohnt dicken Heft finden Sie eine Fülle von Aspekten und Hintergründen, finden Sie Geschichten aus der Gegenwart und aus der Vergangenheit von Ausgrenzung und Verfolgung. Wir hätten doppelt so viele Seiten füllen können. Einerseits. Andererseits belegen die verhaltenen Reaktionen auf unseren Aufruf, sich an diesem Heft zu beteiligen, eine Stimmung, die derzeit überall zu beobachten ist: Viele »Linke« schweigen unüberhörbar zum Thema Flüchtlinge und Migration. Weil sie müde sind – oder weil sie auch lieber weniger Flüchtlinge, weniger Fremde, weniger Umverteilung wollen – und die »Drecksarbeit« nicht ungern den Rechten überlassen, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen?